Die Selbstreflexion von Randall Cobb war genauso klar wie zutreffend. "Es muss angsteinflößend sein, uns aktuell spielen zu sehen", erklärte der Packers-Receiver selbstbewusst gegenüber dem MMQB. "Wir sind aktuell ein sehr gefährliches Team."
Wer Green Bay über die letzten Wochen, die letzten sieben Wochen, um genau zu sein, beobachtet hat, kann dem kaum widersprechen - auch wenn es auf den ersten Blick fast etwas kurios scheint. Immerhin ließ in der Regular Season kein Team mehr Yards pro Pass zu als die Packers (8,1), lediglich Cleveland (36) und Detroit (33) kassierten über die 16 Spiele mehr Passing-Touchdowns, als der NFC-North-Champ (32).
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Darüber hinaus dauerte es bis in den Saison-Schlussspurt, ehe Green Bay in Person von Ty Montgomery endlich einen Ansatz für ein gutes Running Game fand, während sich Tight End Jared Cook, das zweite individuelle Mismatch, mit Verletzungen herumplagte und Davante Adams, trotz insgesamt guter Saison, nach wie vor mit massiven Drop-Problemen zu kämpfen hat.
All diese Faktoren allerdings rücken in Green Bay immer mehr in denn Hintergrund, und das hat einen Grund: Der beste Quarterback der NFL residiert wieder einmal in Wisconsin. Und er hat es geschafft, mit einer schematisch noch immer limitierten Offense wahre Wunder zu vollbringen. Aaron Rodgers ist der Meister der Gefahr.
Die Pocket als Spielwiese
Das wurde beim Wildcard-Duell mit den New York Giants, ihres Zeichens mit der zurzeit mutmaßlich besten Defense der NFL in die Playoffs eingezogen, wieder einmal deutlich, als Rodgers für die ersten Packers-Punkte des Abends sorgte. Auf herausragende Art und Weise wich er dem Pass-Rush immer wieder aus und kreierte so mehrfach eine neue Pocket, die Augen dabei die ganze Zeit auf die Endzone gerichtet.
Es dauerte acht Sekunden - eine Ewigkeit für einen Passspielzug - bis sich Adams endlich zumindest einen Schritt weit von seinem Bewacher entfernen konnte. Dieses kleine Fenster reichte Rodgers: Ein präziser Pass, ein starker Catch, Touchdown Green Bay.
Dieser Touchdown-Pass in seiner gesamten Entstehung war ein Sinnbild für Rodgers' Spiel über die letzten Wochen. Kein anderer Quarterback benutzt die Pocket so effektiv als seine Spielwiese und bleibt unter Druck so gelassen, kein anderer Quarterback ist so gut darin, Defenses auf verschiedene Arten zu zerlegen und den Pass-Rush zur Verzweiflung zu bringen.
Spielt der Gegner eine Contain-Defense und stellt eher Spieler für die Coverage ab, wie die Giants, limitiert er zwar die Quarterback-Scrambles, gibt Rodgers aber zusätzliche Möglichkeiten, den Spielzug mit seinen Bewegungen in der Pocket lange auszudehnen. Gegen den Blitz ist kaum ein Quarterback konstant so brandgefährlich wie Rodgers und sobald der Gegner im Pass-Rush undiszipliniert wird, kann A-Rod mit Scrambles großen Schaden anrichten. In den vergangenen Wochen streute Green Bay sogar einige Read-Option-Spielzüge ein.
"Bis zur Unendlichkeit blocken"
Allerdings, und das ist das zweite Teil des Puzzles, funktioniert das in dieser Effizienz nur im Zusammenspiel mit dem starken Pass-Blocking der Packers. Football Outsiders listet Green Bays O-Line in Punkto Pass-Protection zwar lediglich im oberen Mittelfeld, aber es ist vielmehr die Kombination zwischen Rodgers und seinen Blockern, welche Green Bays Offense für jede Defense so gefährlich macht.
"Man reagiert auf das, was die Defense macht. Man erkennt an ihrem Verhalten, wenn der Wurf kurz bevorsteht. Ich wusste aufgrund der Art und Weise, wie sie sich bewegt haben, wohin Aaron geht", erklärte etwa Guard T.J. Lang laut der Sports Illustrated den beschriebenen Adams-Touchdown und Guard-Kollege Lane Taylor fügte hinzu: "Wir wussten, dass es uns helfen würde, wenn wir ihm etwas mehr Zeit verschaffen. Wir würden bis zur Unendlichkeit für ihn blocken. Es ist egal, wie lange es dauert."
Die Wildcard-Spiele im Hangover: A-Rod, Toms Schlafanzug und das Loch
Dieses Zusammenspiel spiegelt sich auch in den nackten Zahlen wieder: Rodgers hatte gegen die Giants 28 Dropbacks mit mindestens 2,6 Sekunden Zeit bis zum Wurf, Höchstwert in der Wildcard-Runde. Nur bei 14 Dropbacks hatte er weniger als 2,6 Sekunden, geteilter erster Platz am vergangenen Wochenende. Giants-Pass-Rusher Olivier Vernon hatte in jedem Regular-Season-Spiel wenigstens drei Pressures, gegen die Packers und deren herausragenden Left Tackle David Bakhtiari waren es ganze zwei QB-Hurries.
Nobody is perfect
Gleichzeitig gilt jedoch: Auch hier ist nicht alles perfekt, als ideale Warnung dienen die ersten eineinhalb Viertel vom Sonntagabend. Dort nämlich ging New Yorks Strategie auf, die Coverage hielt und so erreichte der Pass-Rush Rodgers früher oder später doch - und das gerade am Anfang viel zu häufig.
PFF schreibt dabei keinen der fünf Giants-Sacks der Offensive-Line zu, vielmehr hielt Rodgers hier den Ball zu lange und offenbarte Probleme. Statt die Augen auf seinen Reads zu halten, wandte er sich mehrfach zu schnell dem Pass-Rush zu und wenn er aus der Struktur des Spielzugs raus ging, fand er keine offenen Receiver.
Die Konsequenz aus alldem: Als erstes Playoff-Team seit sechs Jahren punteten die Packers bei ihren ersten fünf Drives, Green Bay selbst war das seit 2012 nicht mehr passiert. Über die ersten drei Drives hatte Rodgers genauso viele Completions, wie die Giants Sacks (3) und die Packers-Offense insgesamt -8 Net-Yards. "Ich hatte über die ersten eineinhalb Viertel keinen guten Rhythmus", sollte Rodgers selbst später zugeben.
Hail Mary? "Jedes Mal eine Chance"
Wer weiß schon, was passiert wäre, hätten die Giants nicht Cornerback Dominique Rodgers-Cromartie nach wenigen Minuten verletzungsbedingt verloren? Hätte New Yorks Secondary länger standhalten können? Hätten die G-Men womöglich auch den Hail-Mary-Touchdown verhindern können? Und warum gelang Rodgers innerhalb von etwas über einem Jahr überhaupt der dritte Hail-Mary-Touchdown?
"In meinen Augen glauben wir so langsam jedes Mal, wenn der Ball in die Luft geht, daran, dass wir eine Chance haben", betonte Rodgers laut dem Ringer, und erklärte weiter auch die ungewöhnlich hohe Flugkurve, die er beim Hail Mary stets wählt: "Auf mich wirkt es so, als gäbe es in diesen Situationen in der Mitte der Endzone häufig eine Fehlkalkulation, was die Flugkurve angeht."
Ohnehin sei es ein großer Teil der Offense, betonte Cobb, der den Hail Mary tatsächlich hinter der Giants-Defense fing, weiter, "Spielzüge zu verlängern. Wir wissen, dass wenn Aaron in Bewegung bleibt, er irgendwann einen Weg findet, um den Ball zu uns zu bringen. Das ist im Moment ein tolles Gefühl. Aaron vertraut jedem Receiver und vertraut uns, dass wir uns von unseren Gegenspielern lösen können. Er kennt uns alle gut genug, damit ein Augenkontakt reicht, und jeder weiß, was Sache ist."
Ein wackliges Gesamtkonstrukt?
Seit der indiskutablen 24:42-Pleite in Washington in Week 11 haben die Packers jetzt sieben Spiele in Folge gewonnen und dabei unter anderem den starken Defenses der Seahawks, Vikings und Giants jeweils 38 Punkte eingeschenkt. Rodgers steht über diesen Zeitraum bei 2029 Passing-Yards, 19 Touchdowns und 69,6 Prozent angekommenen Pässen, mit vier Touchdowns in jedem der letzten drei Spiele. Interceptions? Fehlanzeige. Kein anderer Quarterback hat so viele Playoff-Spiele mit mindestens drei Touchdowns und ohne Pick absolviert wie Rodgers (5).
"Ich schaue ihm von der Seitenlinie zu, und man muss das einfach zu schätzen wissen. Man bewundert es", outete sich Packers-Safety Ha Ha Clinton-Dix gegenüber der Sports Illustrated selbst als Fan, und brachte den Kern des Ganzen auf den Punkt: "Es ist für einen Defensive Back so schwer, so lange die Coverage aufrecht zu erhalten. Irgendwann entstehen Lücken, und Aaron macht das besser als jeder andere. Ich bin froh, dass ich nicht gegen ihn spielen muss."
Analyse: Nächster Hail Mary! Rodgers zerlegt die Giants
Gleichzeitig aber darf man dieses Gesamtkonstrukt und Cobbs Analyse der eigenen Offense auch kritisch beäugen. Die Packers haben es noch immer nicht geschafft, sich stärker von den Isolation-Routes weg zu bewegen, bedeutet: Die Routes der Receiver bauen zu wenig aufeinander auf und unterstützen einander zu selten, weshalb die Receiver oftmals auf sich alleine gestellt sind und ihre Bewacher selbständig abschütteln müssen. Das klappt manchmal, manchmal aber auch nicht.
Somit fehlt der Packers-Offense immer wieder der Rhythmus, und Rodgers' Scrambles sind vielmehr eine Notwendigkeit als nur eine nette Zugabe. Sollte Jordy Nelson in Dallas, wovon aktuell auszugehen ist, tatsächlich ausfallen, braucht es erneute Gala-Auftritte von Cobb und Adams, damit die Offense funktioniert. Und natürlich auch von Rodgers selbst.
Nur dann bleiben die Packers dieses brandheiße Team. Doch bis dahin gilt, wie es Head Coach Mike McCarthy so treffend zusammenfasste: "Aaron hat uns alle hier für eine lange Zeit ganz schön verwöhnt."