Er war eine echte Touchdown-Maschine: Im ersten Anlauf schaffte es Running Back LaDainian Tomlinson 2017 in die Pro Football Hall of Fame. Angetrieben von einem passionierten Versprechen an seine Mutter und einem erst komplizierten, dann tragischen Verhältnis zu seinem Vater trat der Ausnahme-Ballträger in die Fußstapfen seines großen Idols. SPOX beleuchtet die Karriere eines der größten Spieler seiner Ära.
GettyManchmal erklärt man die Bedeutung eines Sportlers am besten dadurch, dass man einem Zeitgenossen das Wort überlässt. In diesem Fall deshalb Vorhang auf für Coaching-Legende Marty Schottenheimer.
"Es gibt niemanden, der es mehr verdient hat, im ersten Anlauf als Spieler und Person in die Hall of Fame zu kommen als LaDainian Tomlinson.Er war der beste Spieler, den ich je trainiert habe", sagte der über den neuen Hall of Famer LaDainian Tomlinson. "So gut er auch als Spieler war, er war mindestens ein genauso guter Mensch. Er war immer da für mich und seine Mitspieler. Er war immer da und lieferte. Man konnte auf LaDainian zählen. Es war eine fantastische Beziehung."
Und Schotty muss es wissen, war er doch LTs Coach in dessen bester Zeit bei den San Diego Chargers. Was der im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends so leistete? Er pulverisierte lediglich nahezu alle Rekorde der Franchise und der NFL und krönte sich 2006 zum MVP.
Laute Töne vom Schweiger
"Es hat niemals einen größeren Charger gegeben", sagte einst Journalist Kevin Acee vom San Diego Union-Tribune. Elf Jahre insgesamt spielte LT in der NFL, neun davon bei den Chargers. Hinzu kamen zwei bei den New York Jets. Doch besonders die ersten Jahre in San Diego zementierten sein Erbe, seinen Status als wohl besten Running Back seiner Ära. Allein die Saison 2006 war historisch: Tomlinson beendete das Jahr mit insgesamt 31 Touchdowns, trotz aller explodierenden Offense-Statistiken eine bis heute unerreichte Bestmarke.
Die Chargers beendeten die Saison 14-2 und erspielten sich so Home-Field Advantage für die Playoffs. Ein Vorteil, der ihnen aber nicht zum großen Wurf reichte. Im Divisional Game unterlag man den New England Patriots, die nicht zum letzten Mal einem Titel der Chargers und Tomlinson im Weg standen.
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Anschließend sorgte LT selbst für Aufsehen. Der sonst so ruhige Vertreter seiner Zunft war richtig sauer, als er sah, dass zahlreiche Patriots-Spieler nach dem Spiel aufs Feld im Qualcomm Stadium stürmten und den "Lights out Dance" von Linebacker Shawne Merriman - ein Superstar-Linebacker zu der Zeit - nachmachten, sogar auf dem Bolt-Logo der Chargers. "Sie haben einfach überhaupt keine Klasse gezeigt ... Vielleicht kommt das von ihrem Head Coach (Belichick)." Worte, die nachhallten, hielt sich LT doch sonst immer zurück mit Statements vor laufenden Kameras.
gettyReden mochte er ohnehin nicht wirklich, und wenn, dann eher im Mannschaftskreis. So auch vor seinem Touchdown gegen Denver Ende der Saison 2006, der den neuen Rekord bedeutete. Im Huddle verdeutlichte er seinen Mitspielern: "Jungs, wenn wir irgendwann auf diesen Clip zurückschauen, will ich nicht, dass es nur um mich geht, sondern um uns." Folglich war es keine Überraschung, dass jeder seiner Teamkollegen alles daran setzte, diesen Rekord, noch dazu vor heimischer Kulisse, zu brechen. Nach dem Touchdown wurde LT von einer Spielertraube durch die Endzone getragen - das ultimative Bild eines Team-Erfolgs, an dessen Spitze der Running Back stand.Schicksalsschläge privat und professionell
Die Pleite gegen die Patriots, die für ganz San Diego schockierend kam, hatte zur Folge, dass Schotty entlassen wurde. Der Mann, den Tomlinson als Vaterfigur bezeichnet hatte, zumal sich sein leiblicher Vater - ein Dachdecker - nach einem Arbeitsunfall und anschließenden Folgeschäden in LaDainians früher Kindheit zunehmend von der Familie zurückgezogen hatte. Schottenheimer machte später keinen Hehl aus seinen Gefühlen für LT: "Ich habe ihn geliebt als wäre er mein eigener Sohn." Entsprechend niedergeschlagen war Tomlinson nach dieser Nachricht.
Es folgten weitere Schicksalsschläge: Vater Oliver Tomlinson, mit dem er sich gerade erst wieder versöhnt hatte, wurde in einem schweren Autounfall getötet. Dabei verstarb auch LTs Schwager. Tomlinson war am Boden zerstört, hatte er doch das "Gefühl, noch mehr Zeit" mit seinem Vater gehabt zu haben. Ein weiterer Tiefschlag für die Familie war eine Fehlgeburt, nachdem LaDainian und seine Frau LaTorsha, die seit 2003 verheiratet waren, schon lange versucht hatten, ein Kind zu bekommen.
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Zeitenwende unter Turner
Auf dem Platz kam es nach der Trennung von Schottenheimer und der Anstellung von Norv Turner ebenfalls zu einer schleichenden Zeitenwende: Hatte man 2007 noch im gewohnten Stil die Playoffs erreicht - mit Tomlinson als Mittelpunkt der Offense - vertrat Turner kurz darauf die Auffassung, dass man den Fokus auf die Weiterentwicklung von Quarterback Philip Rivers legen müsse - es sei schließlich eine Quarterback-Liga.
Tomlinsons Rolle verringerte sich nach und nach, zudem verletzte er sich immer wieder und verpasste vor allem in den Playoffs wertvolle Zeit. Letzteres allerdings schon nach der 2007er Saison, in der er trotz Knieverletzung gegen die Patriots - immer wieder diese Patriots - im Championship Game auflief, nach zwei Drives aber aufgab. Den Rest des Spiels verbrachte er alleine auf der Bank, samt Helm und übergroßem Mantel. Es hatte etwas von einem machtlosen Darth Vader.
Für die Medien war ein gefundenes Fressen, hatten sie doch registriert, dass Rivers ebenfalls wegen einer Knieverletzung in der Woche zuvor gar unters Messer ging, um rechtzeitig fit zu werden. LT wurde als "zu soft" abgkanzelt. Später kam heraus, dass er sich kaum vernünftig bewegen konnte und selbst zum Schluss gekommen war, dass Backup Michael Turner aufgrund seines Zustands die bessere Alternative fürs Team war.
Idol Walter Payton
Schon mit etwa vier Jahren zog es LT zum Football. Nicht unbedingt aus eigenem Antrieb: Es war sein Vater gewesen, der mit ihm jeden Sonntag Football geschaut hatte. Und um den Sohnemann dazu zu bewegen, genau auf das Spielgeschehen zu achten, ging er häufig für mehrere Minuten aus dem Zimmer, um LaDainian anschließend auf die Probe zu stellen: Könne er ihm berichten, was in diesen Minuten passiert war? Der Junior lernte schnell und fand besonders an einem Spieler gefallen: Walter Payton.
Legenden-Serie: Walter Payton - Ikone ohne Happy End
Die Legende der Chicago Bears war ebenfalls kein körperlich ganz großer Spieler, doch stoppen konnte ihn kaum jemand. Wie sein Idol zeichnete auch LT später diese unbändige Energie aus - er ging einfach nicht zu Boden. "Er erinnerte mich schon am ersten Tag an Walter Payton", verriet Quarterback Doug Flutie in der Biographie-Serie "A Football Life" über seinen damaligen Teamkollegen bei den Chargers. Beide hatten 2001 in San Diego angefangen, Flutie selbst war in den 80ern Teamkamerad von Payton gewesen.
Und so sah er zahlreiche Parallen zum Star früherer Zeiten: "Er hatte die Fähigkeit den Ball zu werfen, was Walter auch konnte." Und er schwärmte von Tomlinsons "Fähigkeit, Routes zu laufen und den Ball zu fangen". Überdies beherrschte der die Kunst der "Third Down Protection und zu sehen, was vor sich ging". Und zum Schluss natürlich war da seine "Arbeitsmoral".
Diese wiederum äußerte sich bei Tomlinson schon dadurch, dass er nach Vorbild Paytons zum privaten Training auch einen Hügel hinauf lief - allerdings einen, den er sich in seinem Garten selbst angelegt hatte. "Ich habe ein Bild in meinem Kopf von Walter, der den Hügel hochrennt. Und als ich mein Haus in San Diego gebaut habe, habe ich einen Hügel in den Garten gesetzt", so Tomlinson.
Versprechen an die Mutter
Sein Vater zog sich zwar von der Familie zurück und Mutter Loreane Chappelle wollte die texanische Heimatstadt Rosebud verlassen, doch LTs Wunsch, Football zu spielen, war ungebrochen. Er überzeugte seine Mutter sogar davon, ihn bei der Familie eines Teamkollegen des High-School-Teams wohnen zu lassen, damit er sich an der University High für Colleges empfehlen konnte. Der Plan ging auf: Er wurde zwar erst in seinem Senor-Jahr Starter, doch schon in seinem ersten Start überhaupt legte er sechs Touchdowns auf.
Sechs Touchdowns waren es dann auch in seinem größten College-Spiel für die Texas Christian University gegen UTEP. Hinzu kamen 406 Rushing Yards, damals ein FBS-Rekord, der bis heute nur zweimal übertroffen wurde. Am Ende seiner Zeit in Fort Worth/Texas stand ein Abschluss in Kommunikationswissenschaften, wie er es seiner Mutter in einem ergreifenden Brief einst versprochen hatte.
Die vielleicht wichtigste Passage des Briefs, den seine Mutter bis heute aufbewahrt, lautete: "Eines Tages wirst du die stolzeste Mutter von allen sein, denn ich werde aufs College gehen, es abschließen und - so Gott will - werde ich Pro Football spielen und der beste Mensch sein, der ich sein kann. Denn so hast du mich erzogen ..."
Späte Genugtuung in Gang Green
Nach der Saison 2009 war schließlich Schluss für LT in San Diego. Seine Karriere wollte er jedoch noch nicht beenden und heuerte nochmal bei den New York Jets an, die in der Anfangszeit unter Rex Ryan gerade erst überraschend das AFC Championship Game erreicht hatten. Und auch mit LT, der im Laufe der Saison zum Anführer der Gruppe aufgestiegen war, ging es bis in die Vorschlussrunde.
Auf dem Weg dahin erlangte LT doch noch späte Genugtuung gegen seinen früheren Nemesis New England. Die Jets, die keiner auf dem Zettel hatte, gewannen triumphal im Divisional Game in Foxborough gegen die Patriots, die die Regular Season mit der besten Bilanz der Liga abgeschlossen hatten. LT krönte den Tag mit einem Touchdown. Eine Woche später aber war in Pittsburgh Schluss.
Seine Karriere endete 2012 als Charger. Seither zog das Team die Nummer 21 aus dem Verkehr und nahm LT in den Ring of Honor der Chargers auf. Der Höhepunkt war schließlich die Aufnahme in die Hall of Fame. Fünf Pro-Bowl-Teilnahmen, dreimaliger Rushing-Yard-Leader, 13.684 Rushing Yards sind Platz 5 All-Time, nur Emmit Smith gelangen mehr als 145 Rushing Touchdowns. Und der MVP-Titel mitten in den großen Jahren von Tom Brady und Peyton Manning. Kein Wunder, dass er einen Platz im Team des Jahrzehnts zugesprochen bekam.
Happy End in der Familie
Mittlerweile ist Tomlinson ein vielgefragter Experte beim ligaeigenen NFL Network. Er ist unter anderem fester Bestandteil der Spieltagzusammenfassung NFL GameDay Prime mit Deion Sanders.
Privat haben LaDainian und LaTorsha indes auch ihr komplettes Glück gefunden: Sohn Daylen wurde 2010 geboren, 2011 folgte Tochter Dayah Lynn.
Und auch wenn diese bemerkenswerte Hall-of-Fame-Karriere titellos endete, wird LT sicherlich mit Stolz auf sein Schaffen in der NFL zurückblicken. Eine Ansicht, die auch Marty Schottenheimer teilt. Nicht umsonst erinnerte sich LT am Tage seines Rücktritts daran, wie sei Coach ihm einmal zugesprochen hatte: "Auch wenn du kein Champion warst, hatten du, deine Freunde und deine Familie viele Tage, die man als 'Championship Days' bezeichnen könnte."