Als Sinnbild könnte man so viele Szenen heraussuchen, um zu zeigen, was bei den Chargers im letzten Jahr alles schief und schlecht lief.
Logischerweise finden sich mehrere Beispiele, wenn die Saison mit einer Bilanz von 5-11 endet und man als einziges Team der Liga gegen die Browns verliert.
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Logischerweise finden die Playoffs ohne einen statt, wenn die Division-Rivalen aus Oakland und Kansas City gleichzeitig kaum was liegen lassen.
Und logischerweise kommt unter normalen Umständen nichts Gutes dabei heraus, wenn dein Quarterback die meisten Interceptions der gesamten NFL schmeißt (21).
Dass die vergangene Saison keine besonders verheißungsvolle werden würde, stellte sich schon früh heraus. Spätestens am Abend des 9. Oktobers, als die Chargers bei den Raiders in Woche fünf bereits ihre vierte Niederlage kassierten. Da waren mit Keenan Allen und Danny Woodhead längst zwei Leistungsträger ausgefallen - sie sollten nicht mehr zurückkommen.
Fast 60.000 Verletzte
Bis zum Jahresende gesellten sich noch ein paar Akteure dazu. "Ca. 58.679", wenn man NFL Media Analyst Elliot Harrison Glauben schenken darf. Drei Runden vor Schluss erwischte es auch noch Running Back Melvin Gordon, der es trotzdem zum Pro Bowl schaffte.
Die Verletztenliste San Diegos sah wahrlich nicht zum ersten Mal "schlimmer als jeder Horrorfilm" aus, wie Robert Mays von The Ringer es treffend zusammenfasste. Allen beispielsweise brachte es in den beiden vergangenen Jahren auf zusammengerechnet neun Einsätze.
Natürlich ist diese Misere an den zwei schwachen vergangenen Jahren nicht unbeteiligt, als Hauptursache wäre sie aber doch etwas zu einfach ausgemacht. Da nämlichen verteilen sich die Gründe auf mehrere Bereiche.
Angefangen bei der verheerenden Interception-Rate von Philip Rivers, der sich trotz seiner 4.386 Yards und 33 Touchdowns so wacklig präsentierte wie selten. Dem zugrunde lag allen voran die löchrige - und ebenso verletzungsgeplagte - O-Line, dazu gesellten sich die folgenschweren Ausfälle von Allen, Woodhead (inzwischen in Baltimore) und Gordon.
Henry und Gates brillieren
Wäre das bärenstarke Tight-End-Duo Antonio Gates (53 Receptions, 548 Yards, 7 TD) und Rookie Hunter Henry (36 Receptions, 478 Yards, 8 TD, die meisten mit Tampas Cameron Brate) nicht gewesen, hätte Rivers' Bilanz auch deutlich schlimmer ausfallen können.
Baustellen, die General Manager Tom Telesco und der neue Headcoach Anthony Lynn nach dem Umzug nach Los Angeles im Draft adressierten. Gegen die Überlegungen mancher Experten, LA würde sich an Stelle sieben eventuell schon nach dem Quarterback der Zukunft umschauen, sicherten sich die Chargers mit Mike Williams den wohl besten Wide Receiver der Klasse.
In der vergangenen College-Saison feierte der 1,91m große, physisch extrem starke Jump-Ball-Receiver den Gewinn der nationalen Meisterschaft gegen Alabama. Mit seinem riesigen Catch-Radius und der Downfield-Qualität hat Rivers im 22-Jährigen ein explosives Spielzeug erhalten.
Draft-Grade für alle 32 NFL-Teams
Gemeinsam mit Allen, der rechtzeitig zum Training-Camp wieder fit ist, sowie Tyrell Williams (69 Receptions, 1.059 Yards, 7 TD), Speedster Travis Benjamin (47 Receptions, 677 Yards, 4 TD) und dem Tight-End-Duo Gates und Henry ist Los Angeles' Receiving-Corps zweifelsohne eines der spannendsten und besten der Liga.
"Wir sind begeistert von dieser Anzahl an Waffen", freute sich Offensive Coordinator Ken Whisenhunt auf der Vereinswebsite. "Es ist ein langer Weg zu gehen, aber alleine schon darüber nachzudenken, was diese Jungs leisten können, macht Spaß."
416 Kilo und eine runderneuerte O-Line
Die nächsten unbedingten Needs erfüllte Telesco in Runde zwei und drei mit den Guards Forrest Lamp (1,93m, 134kg) und Dan Feeney (1,93m, 141kg), die beide sofort starten dürften. Feeney könnte auch eine Position weiter reinrücken und als Center auflaufen. Genauso gut sind beide ebenso eine Option als Tackle.
Bereits in der Free Agency zogen die Chargers Russell Okung (1,96m, 141kg) an Bord - wenn auch zu einem hohen Preis. Der Left Tackle bedeutet jedoch ein sofortiges Upgrade für die Line.
Lynn wird es begrüßen. Der Headcoach kündigte an, den Ball im nächsten Jahr mehr zu laufen, umso auch den Druck auf Rivers zu verringern, der mit seinen 35 Jahren nicht mehr der agilste ist.
Im Backfield erwischte Gordon in der letzten Spielzeit eigentlich einen idealen Start, nachdem der 2015er First-Round-Pick in seiner Rookie-Saison noch ohne Touchdown geblieben war. Insgesamt brachte es der 24-Jährige auf 1.416 Yards (997 Rushing, 419 Receiving) und 12 Touchdowns. Doch auch er sorgte nicht für die nötige Entlastung, lief pro Versuch nur für 3,9 Yards - der siebtschlechteste Wert der Liga.
Mehr Tiefe in der Tiefe
Gordon hat dennoch bewiesen, dass er durchaus imstande ist, für Big Plays zu sorgen. Damit auch er etwas mehr ruhen kann und so nicht wieder verletzt ausscheidet, will Lynn sowohl im Passing als auch im Running Game rotieren und Branden Oliver, Andre Williams und Kenjon Barner zum Einsatz kommen lassen.
Während die Offense in dieser Offseason bereits einen enormen Boost bekommen hat, konnten Telesco und Lynn auch vereinzelt an den Stellschrauben in der Defense drehen.
Die Line um Melvin Ingram und den letztjährigen First-Rounder und Defensive Rookie of the Year Joey Bosa war ohnehin schon eine der besseren der Liga, besonders in der Secondary taten und tun sich aber nach wie vor Lücken auf.
Cornerback Jason Verret fiel lange Zeit aus, sein Partner Casey Hayward hingegen führte die Liga am Ende mit sieben Interceptions sogar an. Auf der Safety-Position mussten die Chargers handeln und taten das auch in Runde vier mit Miamis Rayshawn Jenkins und in Runde fünf mit DB Desmond King. Gerade King könnte sich als Steal erweisen.
Ob Jenkins oder King starten, bleibt abzuwarten. Dass an Draft-Tag drei nicht mehr die 1-A-Lösung herabfällt, war den Verantwortlichen der Bolts ohnehin klar.
Der Umzug und die Folgen
Nun steht ein Roster, das die Anhänger mehr denn je hoffen lässt. Über allem schwebt nach wie vor die Verletzungswolke der vergangenen Jahre, die im Gegensatz zu den Chargers eventuell in San Diego bleibt.
Denn auch der Umzug hinterlässt noch mindestens bis Saisonmitte viele Fragezeichen. Gibt es eigentlich Fans, die den immerhin fast 200km langen Weg die Küste herauf antreten? In Los Angeles dürfte die Chargers-Gemeinde noch sehr klein sein.
Wie reagieren Rivers und Co. auf den Unterschied? Letztes Jahr sorgten über 70.000 Fans im Qualcomm Stadium in San Diego für Stimmung, in LA erwarten die Bolts gerade einmal 27.000 Zuschauer, von denen vermutlich eine Vielzahl nicht mal mit dem Team von Anthony Lynn fiebert.
Das SPOX-Power-Ranking nach dem Draft
Die entscheidende Frage bleibt allerdings wie bei allen anderen Teams: Wie findet sich das Team zusammen? Bosa und Henry haben es Williams und Co. vorgemacht, wie stark sich Rookies einfügen können. Obendrein bieten sich mehr Optionen denn je.
"Wir haben gesehen, wie wichtig die Kadertiefe sein kann", erklärte OC Whisenhunt rückblickend. "Tom Telesco und sein Stab haben einen großartigen Job geleistet."