Sie war einst die Aufbau-Liga für NFL-Talente, später fand sie fast nur noch in Deutschland statt: Die NFL Europe war bei den Fans und bei Spielern durchaus beliebt. Für die Teams rechnete sie sich aber rein finanziell nie. Bis die Liga letztlich beschloss, andere Wege zu beschreiten. Vor exakt zehn Jahren wurde der NFL Europe der Stecker gezogen - SPOX blickt zurück, auf eine Liga, die ihren ganz eigenen Charme hatte.
Am 29. Juni 2007 war Schluss.
"Mit der Zustimmung der NFL-Teambesitzer zur Austragung von regulären NFL-Saisonspielen außerhalb der USA ist die Zeit gekommen, um die NFL-Strategie für den Erfolg auf internationaler Ebene neu aufzustellen", teilte NFL-Commissioner Roger Goodell mit. "Zusammen mit dem Management der NFL Europa haben wir entschieden, dass die Einstellung des NFL-Europa-Spielbetriebs die beste Geschäftsentscheidung ist."
Insgesamt 16 Jahre lang hatte sich die Entwicklungsliga für NFL-Teams gehalten, Berichten zufolge brachte sie der NFL jährliche Verluste in Höhe von 30 Millionen Dollar ein. "Ich denke, am Ende geht es ums Geld", brachte es Casey Bramlet, Hamburgs Quarterback für den 15. und letzten World Bowl, gegenüber dem Guardian auf den Punkt.
Die Liga habe damals gerade an Fans gewonnen, "ich denke, sie hätte erfolgreich sein können. Allerdings weiß ich auch nicht, wie lange das gedauert hätte. Als es vorbei war, habe ich gesagt: 'In den nächsten fünf Jahren wird es wieder eine Liga in Europa geben.' An diesem Punkt sind wir noch heute."
Auf den Tag genau zehn Jahre ist das jetzt her, die NFL hat sich seither enorm weiter entwickelt - auch mit Blick auf ihren europäischen Markt. Einen erneuten Versuch einer NFL Europa wird es, zumindest in absehbarer Zeit nicht mehr geben, wer regelmäßigen Live-Football in Deutschland sehen will, ist bei der GFL bestens aufgehoben.
Dabei hatte diese Liga, dieses Projekt, seinen ganz eigenen Charme.
Die WLAF: Gründungen in Barcelona und Frankfurt
Um eine Facette dieses Charmes zu entdecken, muss man nicht weiter schauen, als bis zum Start der Liga 1991 - damals noch unter dem Namen "World League of American Football". Geplant als eine Spring League während der Offseason, waren ursprünglich noch sieben der zehn Teams in den USA, nur drei kamen aus Europa. Diese aber verlangten einiges an Improvisation.
Andrew Brandt, Barcelonas erster Geschäftsführer, später Vizepräsident der Green Bay Packers, erzählte ESPN: "Ich war Spielerberater und habe damals einen Vertrag für Chris Doleman mit dem Vikings-Geschäftsführer Mike Lynn ausgehandelt. Nachdem der Deal durch war, hat er mich angeschaut, kräftig an seiner Zigarette gezogen und gefragt: "Sprechen sie Barcelonisch?" Ich wunderte mich und fragte ihn, ob das Spanisch wäre. Er sagte ja. Ich fand erst später heraus, dass dem nicht so war. Dann hat er mich gefragt, ob ich erster Geschäftsführer der Barcelona Dragons werden will und mir von den internationalen NFL-Plänen erzählt, und dass das eines Tages größer sein würde als die NFL."
Oliver Luck, Geschäftsführer von Frankfurt Galaxy 1991 und später in Köln, fügte hinzu: "Es gab keinen Stadion-Deal, nicht einen Angestellten. Keine Angestellten vor Ort, kein Marketing, keinen Football-Stab. Es war ein echtes Startup. Unser erstes Spiel war am 25. März - wir hatten drei Monate Zeit." Computer, Ticket-System, was man sich rund um ein Sport-Team auch nur ausdenken kann: Die frisch gekürten Team-Bosse mussten es organisieren.
In Frankfurt machten sie sich den Fall der Berliner Mauer und die damit verbundenen Truppen-Abzüge zu Nutze, das Team kaufte der Army günstig Büro-Möbel ab. In Barcelona gab es anfangs keine Torstangen, und als sie schließlich geliefert wurden, montierten die nichtsahnenden Handwerker diese in die Ecke der Endzone.
NFL Europe: Probleme mit der Qualität des Spiels
Nach einer zweijährigen Pause 1993 und 1994 wurde die WLAF 1995 mit sechs Teams neu gegründet, dieses Mal kamen alle Teams aus Europa. 1998 erfolgte die Umbenennung in NFL Europe. Auch der Modus wurde 1995 verändert, um die Saison bis zum Titel-Spiel, dem World Bowl, spannender zu gestalten.
All das aber konnte über die grundsätzliche Problematik der Liga nicht hinwegtäuschen: NFL-Teams schickten ihre jungen Spieler, die für die NFL noch nicht bereit waren, nach Europa, um dort Spielpraxis zu sammeln. Die NFL bezahlte Lebenshaltungskosten von Spielern und Coaches in Europa. Natürlich war das der Grundgedanke der NFL Europe aus Sicht der USA, aber, um sich der entwaffnenden Ehrlichkeit von Bramlet zu bedienen: "Das ist der schwierige Part. Die Leute wollen keinen schlechten Football sehen."
Die Football-Fans in Europa lechzten nach großen Namen. Die Michael Irvins, Cris Carters, Brett Favres und John Elways dieser Welt, die sie nur aus dem TV kannten. Die Spieler, die sie in ihren Stadien aber live sehen konnten, waren nicht selten selbst NFL-Fans kein wirklicher Begriff. Und, nicht zu vergessen, die Football-Fans in Europa waren Mitte der 90er Jahre insgesamt noch rarer gesät.
"Die Leute haben das Spiel oft nicht verstanden. Sie brachten Pfeifen und Kuhglocken mit, und wussten nie, wann sie damit Krach machen sollen", grinst Kurt Warner, der prominenteste NFL-Europe-Export. "Plötzlich hörte man Kuhglocken und ein Pfeifkonzert, während man vor den eigenen Fans mit der Offense auf dem Platz war."
Kurt Warner: Eine Geschichte wie keine andere
Trotzdem aber konnten NFL-Teams ihren Nutzen aus der NFL Europe ziehen. Wären die Youngster über den Frühling bei ihrem eigentlichen Team in den USA geblieben, hätten sie in den ersten Trainingseinheiten teilnehmen können - die aber können Spieler nur bedingt verbessern, da ohne Pads, ohne Kontakt trainiert wird. Die NFL Europe bot über das Frühjahr eine Plattform, wo Talente tatsächliche Spielpraxis sammeln, Hits kassieren und austeilen und an ihrem Handwerk feilen konnten.
"1996 habe ich einen Anruf von Amsterdams Head Coach Al Luginbill erhalten, er hat mich gefragt, ob ich für ihn spielen würde", gewährte Warner, zu der Zeit ohne Chance in der NFL und ein Star in der Arena League, Einblicke, wie damals der Kontakt hergestellt wurde. "Ich habe ihm gesagt, dass ich es lieben würde, in Europa zu spielen. Aber im Arena Football hatte ich ein gutes Gehalt und sagte ihm daher, dass ich nur kommen würde, wenn er mich dafür bei einem NFL-Team unterbringen würde."
Es dauerte ein Jahr, ehe Luginbill ihm schließlich ein Probetraining bei den Rams ermöglichte, die den Quarterback trotz eines "desolaten Workouts" (Warner) verpflichteten. Er ging nach Europa. "Die einzige Sendung, die wir in Europa empfangen haben, um ein Stück Heimat zu bekommen, war Jerry Springer. Also haben wir jeden Tag zusammen gegessen und Jerry Springer angeschaut. Da wurde mir schnell klar, dass ich nicht mehr in Kansas bin", erzählte Warner bei ESPN.
Einige Jahre später sollte er in die USA zurückkehren, nach einer Verletzung des Starters die Rams zum Super-Bowl-Titel und 2008 nochmals die Arizona Cardinals bis in den Super Bowl führen. Es ist wahrlich eine Geschichte wie keine andere - die ohne die NFL Europe wohl so nie passiert wäre.
Kurt Warner war nicht das einzige Positiv-Beispiel, das die NFL Europe über Jahre unabhängig vom Fan-Interesse in Europa als Daseinsberechtigung anbringen konnte. Da wäre Jake Delhomme: Ursprünglich ungedraftet, wurde er von den New Orleans Saints 1998 nach Amsterdam und 1999 nach Frankfurt geschickt. "Ich war voll dafür. Ich war ein Undrafted Free Agent, meine Aufgabe ist es, den Mund zu halten und hart zu arbeiten", erzählte er später.
Und auch bei Delhomme kann man sagen, dass es sich gelohnt hat: Delhomme schaffte mit den Panthers 2003 den Sprung in den Super Bowl, wo erst ein Last-Minute-Field-Goal von Adam Vinatieri die New England Patriots zum Champion krönte.
Der hatte zuvor selbst in Europa Erfahrungen gesammelt. Vinatieri spielte 1996 für Amsterdam, ehe er von den Patriots verpflichtet wurde. Heute schmücken vier Super-Bowl-Ringe seinen Trophäen-Schrank. Vinatieri, der noch immer für die Colts spielt, bilanzierte: "Für mich war die NFL Europe eine tolle Erfahrung. Sie gab mir die Möglichkeit, den Übergang von einer kleineren Schule in den Profi-Bereich zu schaffen. Und sie hat mir eine größere Bühne gegeben, wo ich NFL-Teams zeigen konnte, wie ich unter Druck vor mehr Zuschauern spielen kann."
NFL Europe als Schule für Coaches, Refs, Kommentatoren
So schön diese Geschichten sind, die Wahrheit ist jedoch auch: Die NFL Europe war mitnichten eine kontinuierliche Talentschmiede für die NFL-Teams. Vielmehr war es eher die Ausnahme, dass Spieler nach einem oder zwei Jahren in Europa in der NFL so richtig durchstarteten. Umgerechnet rund 400.000 Euro investierten die Teams pro Jahr in das Europa-Projekt, die Erträge aus rein geschäftlicher Sicht waren alles in allem überschaubar.
Das galt nicht selten auch für die Spieler, wie Hamburg-Quarterback Bramlet weiter erzählte: "Ich erinnere mich, den Leuten gesagt zu haben, dass sie nicht hier her kommen, um reich zu werden. Man ging da rüber, um Erfahrung zu sammeln und sich zu präsentieren. Denn oft kam man nach Europa, um sich für die anderen 31 Teams zu empfehlen, weil man insgeheim wusste, dass das eigene NFL-Team dich nach dem Jahr nicht behalten wird."
Auch wenn etwa der damalige Chiefs-Geschäftsführer Carl Peterson 2007 bei Bloomberg News betonte, dass das Geld, welches NFL-Teams in die NFL Europe stecken "die Investition absolut wert ist, weil wir nicht nur die Qualität unseres Spiels, sondern auch die Entwicklung unserer Spieler vorantreiben" - tatsächlich wurde die NFL Europe in ihren letzten Jahren eher eine Art Spielwiese für die NFL. Nicht nur Spieler, sondern junge Coaches, Schiedsrichter und auch TV-Kommentatoren sammelten in Europa ihre ersten Erfahrungen.
Die bekanntesten NFL-Europe-Spieler:
Spieler | Teams Europa | Jahr | NFL-Teams | Jahr |
QB Kurt Warner | Amsterdam | 1998 | Rams, Giants, Cardinals | 1998-2009 |
K Adam Vinatieri | Amsterdam | 1996 | Patriots, Colts | seit 1996 |
QB Jake Delhomme | Amsterdam, Frankfurt | 1998-1999 | Saints, Panthers, Browns, Texans | 1997-2011 |
OLB James Harrison | Düsseldorf | 2003 | Steelers, Ravens, Bengals | seit 2002 |
QB Brad Johnson | London | 1995 | Vikings, Redskins, Bucs, Vikings, Cowboys | 1992-2008 |
K David Akers | Berlin | 1999 | Redskins, Eagles, 49ers, Lions | 1998-2013 |
WR Dante Hall | Edinburgh | 2001 | Chiefs, Rams | 2000-2008 |
QB Jon Kitna | Barcelona | 1997 | Seahawks, Bengals, Lions, Cowboys | 1996-2011, 2013 |
CB Brent Grimes | Hamburg | 2007 | Falcons, Dolphins, Buccaneers | seit 2006 |
NFL Europe wird zur NFL Deutschland
Ab 1995 nämlich hatte Fox im Rahmen des neuen TV-Vertrags mit der NFL auch Übertragungsrechte für die WLAF erhalten und vor allem in Deutschland wurde die Liga mit offenen Armen empfangen. Als unter anderem die England Monarchs (1998) und die Barcelona Dragons (2003) ihre Teams abmeldeten, wurden diese durch deutsche Teams (Berlin Thunder und Cologne Centurions) ersetzt.
Die Gesamtgröße von sechs Teams blieb so über zwölf Spielzeiten (1995 bis 2007) beständig, in ihrem letzten Jahr aber kamen bereits fünf der sechs Teams aus Deutschland - ergänzt lediglich durch die Amsterdam Admirals. "NFL Europe fest in deutscher Hand", titelte die FAZ bereits 2005 und NFL-Europe-Organisationschef Marshall Happer betonte damals: "Eine kompakte Liga hauptsächlich in Deutschland hat für uns die besten Perspektiven. Alle sagen, die deutschen Teams verkaufen sich besser."
Auch einige ehemalige Bundesliga-Fußballer versuchten ihr Glück als Kicker, etwa Axel Kruse - der den Sport noch heute verfolgt, wie er dem Donaukurier verriet: "Man hat gemerkt, dass in Deutschland eine große Fangemeinde da ist und die NFL-Übertragungen gute Einschaltquoten haben. Natürlich war das Aus schade, aber es hat wirtschaftlich nicht funktioniert. Es war eine tolle Erfahrung, weil es extrem viel Spaß gemacht hat."
Mit Blick auf die Zuschauerzahlen hatte Happer damals jedoch sogar Recht: 2005 kamen insgesamt 568.935 Fans zu den 30 Spielen, ein Schnitt von knapp 19.000 Zuschauern pro Spiel - der Höchstwert seit 1992. Gleichzeitig aber brachen zunehmend die TV-Verträge mit den nicht mehr beteiligten Ländern weg, was zu beträchtlichen finanziellen Tiefschlägen führte.
Am 23. Juni 2007 im letzten NFL-Europa-Endspiel warf Bramlet nochmals für 347 Yards und vier Touchdowns, Hamburgs 37:28-Sieg gegen Titelverteidiger Frankfurt war der punktreichste World Bowl. Sechs Tage später war das Abenteuer beendet.
NFL: "Wir werden ein Team in London haben"
Rückblickend könnte man den Umgang der NFL mit der NFL Europe durchaus kritisieren. Immerhin wurden durch die Entscheidung zahlreiche Fans in Europa ihres Teams und vor allem ihrer Liga beraubt, eine Entscheidung, die auch nach hinten hätte losgehen können. Immerhin war es so durchaus möglich, dass Fans dem Sport den Rücken kehren.
Stattdessen aber schaffte es die NFL, das Fan-Potential stärker an ihr Hauptprodukt zu binden. Seit dem Ende der NFL Europe - beziehungsweise NFL Europa, wie die Liga in ihrem letzten Jahr hieß - wurde die International Series mit mindestens einem NFL-Spiel pro Jahr in London gestartet. "Wenn wir es schaffen, zwei oder drei Spiele pro Jahr in London auszutragen, und sich die Fans darauf einlassen, dann werden wir in Europa einen deutlichen Wachstum erleben", hatte NFL-International-Vizepräsident Mark Waller 2007 bereits festgestellt. In der kommenden Saison finden vier Regular-Season-Spiele in der Stadt an der Themse statt.
Der Wille zur Internationalisierung ist seit 2007 nie abgerissen, und nicht wenige NFL-Verantwortliche sehen auch Bedarf nach einer Entwicklungs-Liga - insbesondere angesichts der strengen Trainings-Vorschriften für Teams heute. Cowboys-Vizepräsident Stephen Jones betonte im Vorjahr gegenüber CBS Sports erneut: "Wir haben mit der NFL Europe viel Geld verloren. Aber da gab es auch viele Dinge, die die Liga gut gemacht hat. Insbesondere was Coaches, Schiedsrichter und vor allem Quarterbacks angeht. Wir müssen uns das genau anschauen und auswerten. Eventuell ist der Zeitpunkt für eine Entwicklungsliga gekommen."
Und die Gespräche über eine stärkere Involvierung Europas? Die reißen schon seit einer Weile nicht mehr ab. Dafür sorgte in der Vorwoche Patriots-Besitzer Robert Kraft: "Wir tragen aktuell vier Spiele pro Saison in London aus und verkaufen dafür jeweils 80.000 Tickets. Und wir werden ein Team in London haben."