Die Green Bay Packers hatten 2016 eine maximal wechselhafte Saison: Nach schwachem Start riss Aaron Rodgers das Ruder herum und führte die Packers in die Playoffs. Dort war aber erneut vor dem Super Bowl Schluss und langsam müssen sich die Packers-Verantwortlichen eine kritische Frage stellen: Wann umgeben sie Rodgers nochmals mit einem Contender-Team?
Manchmal ist es wie ein Cheat-Code. Und im Wildcard-Spiel gegen die Giants im Januar hatte man wieder einmal diesen Eindruck. New Yorks starke Defense hatte Green Bays Offense lange dominiert, dann kam Rodgers: Ein perfekter Pass auf Davante Adams brachte die Packers an die 5-Yard-Linie, gefolgt von einer Pocket-Show: Ein kurzer Schritt nach vorne. Einige Körpertäuschungen. Rodgers weicht zwei Pass-Rushern nacheinander aus, zieht nach links und findet erneut Adams in der Endzone. Touchdown Packers, eine unglaubliche Szene!
Seit nunmehr 2005 ist Rodgers in Green Bay, 2008 war seine erste Saison als Starter. Und doch haben die Packers mit Rodgers nur einen Titel gewonnen. Sicher, für die Playoffs reichte es seit der 2009er Spielzeit in jedem Jahr - nur 2010 aber gelang der ganz große Wurf. Darunter waren spektakulär unglückliche Debakel wie die Overtime-Niederlage in Seattle im Januar 2015. Aber auch klare Pleiten wie im vergangenen Januar in Atlanta, als Rodgers die Packers nahezu im Alleingang überhaupt erst so weit gebracht hatte.
Und so dürfte manch ein Packers-Fan eine kurze Zwischenbilanz gezogen haben, als Rodgers vor knapp zwei Wochen erklärte: "Ich denke, ich bin in der zweiten Hälfte meiner Karriere. Aber ich glaube, dass ich da erst am Anfang stehe. 2017 wird die zehnte Saison für mich als Starter, die ersten drei Jahre war ich ja noch Backup. Daher bin ich nicht der typische 13-Jahre-Routinier - ich war drei Jahre lang an der Seitenlinie und habe keine Hits eingesteckt, während ich das Spiel studiert habe."
Das stimmt zwar, doch ist auch klar: Rodgers ist 33 Jahre alt, das Titel-Fenster für die Packers mit einem der besten Quarterbacks der letzten 20 Jahre beginnt sich langsam aber sicher zu schließen. Das rückt die 2017er Saison in den Fokus und damit die Frage: Wann schöpft Green Bay sein Titel-Potential mit Rodgers weiter aus?
gettyAaron Rodgers fordert Defense-Verstärkungen
Um diese Frage zu beantworten, muss man auch vor dieser Saison wieder auf die Defense schauen. Das hat Rodgers schon im März ganz offen betont. "Wahrscheinlich brauchen wir noch ein paar Verstärkungen für die Defense, bevor die Saison beginnt", erklärte er damals im Sideline Podcast mit Blick auf die Abgänge von Safety Micah Hyde sowie Pass-Rusher Julius Peppers.
Eine verständliche Reaktion, hatte die Packers-Defense in der gerade beendeten Regular Season doch die meisten Yards pro Pass (8,1) und die drittmeisten Passing-Touchdowns (32) zugelassen. In der eigenen Secondary sahen weder Damarious Randall (2,05 Yards pro Coverage Snap), noch Quinten Rollins (1,63) oder Ladarius Gunter (1,23) über weite Strecken sonderlich gut aus. Zu sagen, dass die Packers Cornerback-Hilfe brauchten, wäre also eine Untertreibung.
Green Bay reagierte: Mit dem ersten Draft-Pick wurde Kevin King geholt, ein großer, physischer Cornerback, der durch die Kombination aus Geschwindigkeit, Ball-Skills und insbesondere Press-Coverage-Fähigkeiten glänzt. Alles wichtige Corner-Eigenschaften, der letzte Punkt aber ist insbesondere eine Packers-Spezialität: Der regelmäßig umstrittene Defensive Coordinator Dom Capers ist ein eifriger Blitzer in Kombination mit jeder Menge Man-Coverage.
Das führte zwar in der Vorsaison zu 40 Sacks, setzt die Cornerbacks aber auch unter enormen Druck: Green Bays Cornerbacks müssen häufig auf sich gestellt agieren und dabei noch den Gegenspieler schon an der Line of Scrimmage beim Release stören. Das führt zu minimalstem Spielraum für Fehler, ein kleiner Patzer kann schon großen Schaden anrichten. Auch deshalb spielt Capers gerne mit einem zusätzlichen Defensive Back, aus seiner Front wird dann gerne eine Art 2-4-Formation. Auch zwischen 4-3 und 3-4 sind die Übergänge in Green Bay fließend.
Packers holen Davon House zurück
Die Verstärkungen für die Secondary hörten bei King allerdings nicht auf: Aus Jacksonville wurde Davon House zurückgeholt, der Cornerback kennt Capers' Scheme bereits und sollte somit sofort weiterhelfen können. House hatte bei den Jags Probleme, als die verstärkt auf Zone Coverage setzten. Wie auch King aber beherrscht er die Disziplin der Press-Coverage glänzend.
House könnte in Green Bay schnell einen Starter-Platz einnehmen, Randall und auch Rollins erhalten womöglich mehr Slot-Aufgaben. Gunter täte es ohne Frage gut, wenn er es nicht mehr so häufig alleine mit dem gegnerischen Nummer-1-Receiver zu tun bekäme. Das war infolge des frühen Ausfalls von Sam Shields in der vergangenen Saison ein konstantes Problem. Rookie-Safety Josh Jones derweil erhielt in der bisherigen Saisonvorbereitung schon jede Menge Lob.
Doch wie bei jedem Team besteht die Pass-Defense auch in Green Bay aus dem Zusammenspiel der Secondary und des Pass-Rushs, wo neben Peppers auch Datone Jones in der Free Agency ging. Viertrunden-Draft-Pick Vince Biegel wird nach seiner Fuß-Operation im Laufe der kommenden Wochen mit gehörig Rückstand ins Training einsteigen. Umso wichtiger war der Verbleib von Nick Perry und umso wichtiger wäre ein wiedererstarkter Clay Matthews als Edge-Rusher.
In der 2-4-Front zudem von besonders zentraler Bedeutung ist Mike Daniels. Daniels ist der Anker der D-Line und schafft Räume für seine Mitspieler, oder, wie er es im MMQB selbst ausdrückte: "Wenn man den Casual-Fan fragt, dann wird der sagen: 'Klar, Ndamukong Suh ist viel besser als Mike Daniels.' Aber wenn man sich die Schemes anschaut, ist klar, dass wir komplett verschiedene Aufgaben haben. Was ich mache, ist nicht sofort zu sehen. Man muss sehen, mit wie vielen Double-Teams die Packers-Linemen zu tun haben."
An Daniels Seite steht inzwischen Neuzugang Ricky Jean Francois, die Youngster Kenny Clark, Montravius Adams und Dean Lowry komplettieren eine talentierte D-Line-Gruppe. Zu der gehört auch Letroy Guion, der allerdings die ersten vier Saisonspiele gesperrt verpassen wird.
Die Packers-O-Line und Rodgers' Scrambling
Green Bays Defense also befindet sich im Umbruch, insbesondere aber die Secondary sollte - trotz des Hyde-Abgangs - besser aussehen. Doch auch in der Offense ändert sich für Packers-Verhältnisse einiges, so gingen etwa mit T.J. Lang und J.C. Tretter erneut zwei O-Liner. Green Bays Offensive Line gehörte in der Vorsaison zu den ligaweit besten, Routinier Jahri Evans wird Lang ersetzen und Tretter wurde bereits in der vergangenen Saison durch Corey Linsley vertreten.
Und Rodgers, das ist kein Geheimnis, kann ein Meister gegen Pressure sein - vor allem die zweite Saisonhälfte zeigte das. Vor allem seine Scrambles sind gefürchtet, bei diesen verzeichnete Rodgers 2016 über den Run und den Pass insgesamt 917 Yards sowie 88 Passversuche und zehn Touchdowns. Russell Wilson (64 Pässe) und Matthew Stafford (4 TDs) waren die nächstbesten Kandidaten in den beiden Kategorien bei Scrambles.
Dieses Scrambling allerdings ist kein zufälliges Produkt, es ist ein wichtiger Teil der Packers-Offense: Green Bay studiert diese Spielzüge bewusst ein, die Receiver lernen passende Laufwege, um die offenen Räume in diesem Fall zu attackieren und auch die Tackles sind darauf eingestellt. Right Tackle Bryan Bulaga erklärte laut PFF, dass Rodgers seinen Tackles manchmal sagt, deutlich die Edge zu verteidigen und einen Weg für den Inside-Rush zu öffnen. So soll der Weg für Rodgers geöffnet werden, um aus der Pocket zu scrambeln.
Martellus Bennett und die Montgomery-Wildcard
Dieses Stilmittel ist auch deshalb so wichtig, weil Green Bays Passing-Routes im Vergleich zu anderen Teams seltener aufeinander aufbauen. Bedeutet: Die einzelnen Laufwege der Receiver werden nicht kombiniert, um die Coverage zu erschweren, sondern finden zu häufig für sich isoliert statt. Rodgers' Scrambling-Pässe nehmen dem Play die Struktur, was wiederum aus Sicht der Defense zu improvisierten, unkalkulierbaren Laufwegen führt.
Zwei Spieler, die dieser mitunter zu statischen Offense zudem die so wichtigen Matchup-Vorteile bescheren können, sind Ty Montgomery und Neuzugang Martellus Bennett. Bennett verzeichnete in der Vorsaison die fünftmeisten Yards pro gelaufener Route (1,96), gemeinsam mit dem ebenfalls neu verpflichteten Lance Kendricks bietet sich die Möglichkeit auf 2-Tight-End-Sets. Beide können blocken und fangen, was die Offense schon durch die Grundformation schwieriger ausrechenbar macht.
Das gilt auch für Montgomery, der vom Wide Receiver zum Starting-Running-Back umfunktioniert wurde und in der Vorsaison ein Forced Missed Tackle alle 4,42 Touches sowie im Schnitt absurde 5,14 Yards nach erstem Gegner-Kontakt (Liga-Spitze) verzeichnete. Montgomery kann sich im Backfield, im Slot oder auch Outside aufstellen und bietet den Packers einen möglichen Matchup-Problem-Spieler, den Defenses in ihrem Game Plan und ihren Aufstellungen berücksichtigen müssen.
Die Packers: Reload statt Rebuild?
In dem gleichen Interview, in dem Rodgers im Frühjahr mehr oder weniger direkt Verstärkungen für die Defense gefordert hatte, erklärte er auch: "Offensiv wird es allerdings schwer sein, uns zu stoppen. Coach McCarthy hat ein großartiges System, das sich konstant weiter entwickelt und verändert, und ich drücke dem dann meinen Stempel auf, wenn es ausformuliert ist. Es ist spannend, Packers-Fans sollten sich schon mal darauf freuen."
Das passt auch zu seinen Aussagen unmittelbar nach dem Aus im Championship Game in Atlanta. Wieder aufladen, nicht neu aufbauen sei die Devise - Reload, statt Rebuild eben. Doch auch hier blieb Rodgers' Aussage nicht ohne Appell an die Team-Bosse: "Wir müssen sichergehen, dass wir jedes Jahr 'all-in' sind. Und ich glaube, dass wir in der Offseason einen großen Schritt machen können."
Die kommenden Wochen werden einen ersten Aufschluss darüber geben, ob Green Bay in diesem Jahr tatsächlich nochmals den Rodgers-Trumpf auch in einen Titel verwandeln kann.