Was bedeutet das Quarterback-Karussell?

Von Adrian Franke
04. September 201711:28
Die Kader-Cut-Tage waren von kuriosen Quarterback-Entscheidungen geprägtgetty
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Brock Osweiler ist zurück in Denver, Jacoby Brissett in Indianapolis - rund um die Kader-Cut-Tage ging es in der NFL noch einmal ungewöhnlich rund. SPOX-Redakteur Adrian Franke bringt Licht in die vergangene Woche und erklärt, was die Wechsel bedeuten. Ebenfalls mit dabei: Der Seahawks-Trade, tankende Buffalo Bills, die nächsten Schritte rund um Ezekiel Elliott und vieles mehr.

Luck, Brady, Garoppolo: Was uns der Brissett-Trade verrät

Rund um Jacoby Brissett hatte es vor dem letzten Preseason-Spiel einige Gerüchte über eine mögliche Entlassung gegeben, sein absolut überzeugender Auftritt gegen die Giants ließ diese aber erst einmal wieder in den Schubladen verschwinden. Es scheint aber, als hätten die Patriots mit diesem Spiel genau das erreicht, was sie wollten: Sie haben Brissett noch einmal erfolgreich ins Schaufenster gestellt und die Colts haben angebissen.

Soweit, so unspektakulär - ein Team tradet seinen dritten Quarterback und erhält zwar einen einstigen Erstrunden-Receiver im Gegenzug, der bisher aber ganz klar ein Bust war. Aber dieser Trade offenbart viel mehr: Er zeigt mir einerseits, dass Andrew Luck noch eine Weile ausfallen wird und Brissett so zunächst als Tolziens Backup und womöglich mittelfristig auch als Starter eingeplant wird. Wäre Lucks Comeback absehbar, wäre ein Trade für einen neuen Quarterback zum jetzigen Zeitpunkt so kurz vor der Saison vergleichsweise sinnlos.

Er zeigt mir aber auch, dass die Colts womöglich jetzt erst Gewissheit bekommen haben, dass Luck länger fehlen wird. Andernfalls ist es jedenfalls schwer erklärbar, warum sie nicht früher einen Quarterback geholt haben, um ihn mit dem Playbook und der Offense vertraut zu machen. Sicher, Brissett kann auch als ein langfristiger Backup für Luck eingeplant sein. Aber dann hätte man ihn, in der aktuellen Situation rund um Luck um so mehr, auch schlicht schon viel früher verpflichten können.

Aus Sicht der Patriots macht es für mich nochmal ganz deutlich, dass Jimmy Garoppolo nirgendwo hin geht, und das nicht nur auf dieses Jahr bezogen. Dass die Patriots jetzt, wo - sorry Patriots-Fans - Brady irgendwann plötzlich einen Leistungsabfall erleben kann, nur einen ernsthaften Quarterback, der die Offense kennt, behalten, macht klar, dass die Gerüchte aus Foxboro kein Schall und Rauch waren. Die Meinung über Garoppolo ist wirklich so hoch, meine Prognose: Bleibt Brady auf dem Level, erhält Jimmy G. nächstes Jahr wenn nötig auch den Franchise Tag. (Was irgendwo lustig wäre, weil er dann mehr als Brady verdienen würde).

New England zeigt damit gleichzeitig auch, warum es Jahr für Jahr wieder einen absoluten Top-Kader an den Start bringt: Mit Phillip Dorsett erhalten die Patriots einen Spieler, der aus dem Slot heraus frühzeitig etwas beitragen kann - und geben dafür ihren dritten Quarterback ab. Der Luxus, Brissett als dritten Quarterback zu haben, ihn zu entwickeln und ihn ab und zu erfolgreich auf der größeren Bühne zu präsentieren, hat sich ausgezahlt.

Einen letzten Punkt noch dazu: Colin Kaepernick ist sicher kein schlechterer Quarterback als Jacoby Brissett. Dass die Colts ein paar Tage vor Saisonbeginn lieber einen einstigen Erstrunden-Pick abgeben um sich einen neuen Quarterback zu holen, anstatt Kaepernick ohne Trade-Gegenwert zu verpflichten, ist auch ein Statement. Und zwar kein gutes.

Brock Osweiler ist zurück in Denver - bedeutet...?

Mein Tipp war ja, dass die Browns irgendwie noch einen Osweiler-Trade hinbekommen, indem sie den Großteil des Gehalts übernehmen und dafür nochmal einen Late-Round-Pick abgreifen. Letztlich kam es zur Entlassung, die aber trotzdem niemanden überraschen sollte. Dafür müssen wir nur in den März zurückblicken, als Cleveland Osweiler und dessen Vertrag den Texans abnahm und dafür einen Zweitrunden-Pick erhielt.

"Wir freuen uns wirklich darüber, einen Zweitrunden-Pick in diesem Trade zu erhalten", hatte Browns-Vizepräsident Sashi Brown damals erklärt. "Draft-Picks sind für unseren Ansatz, ein Championship-Team aufzubauen, sehr wichtig. Wir wollen auf jeder Position einen Wettbewerb haben, und freuen uns darauf, dass Brock zu uns kommt und in den Wettkampf einsteigt." Übersetzung: Der Pick stand im Fokus. Nicht Osweiler.

Und so musste man mit Brocks Entlassung eigentlich schon viel früher rechnen, dass es so lange gedauert hat, lässt darauf schließen, dass er sich intern tadellos verhalten und ein guter Quarterback fürs Training war. Die Verantwortlichen sind sich bei Kizer sicher und haben mit Kessler einen soliden Backup - trotzdem bringt die Entlassung Cleveland keine sonderlichen Gehalts-Gewinne oder dergleichen. In meinen Augen ging es hier primär darum, eine mögliche Ablenkung präventiv zu eliminieren.

Dass Osweiler jetzt ausgerechnet zu den Broncos zurückkehrt entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie. Denver brauchte aufgrund der Verletzung von Paxton Lynch (vorübergehend) einen neuen Backup für Trevor Siemian, dass das jetzt Osweiler ist, verstehe ich nicht so ganz. Die Offense kennt er nicht, zumindest nicht im Detail - es ist mit den neuen Coaches in jedem Fall eine andere, als bei Osweilers Abschied aus Denver. Warum den vorübergehenden Backup-Platz nicht einfach Kyle Sloter geben? Oder geben die Broncos Lynch hinter den Kulissen langsam schon auf?

Das bringt mich zu einem anderen Punkt: Muss man nicht langsam John Elways Offensiv-/Draft-Entscheidungen hinterfragen? Von Denvers Offense-Picks in den ersten drei Runden von 2011 bis 2016 (Ronnie Hillman, Cody Lattimer, Montee Ball, Ty Sambrailo und Co.) ist aktuell keiner Starter, viele längst als Busts abgehakt. Elway wollte auch Osweiler fürstlich entlohnen, Houston bot nur mehr Geld. Und Lynchs Entwicklung ist zumindest bisher auch eher als zäh einzustufen.

Eine Randnotiz noch aus Houstons Perspektive: Dass die Texans einen Zweitrunden-Pick abgegeben haben, um Osweiler loszuwerden, schien damals nicht schlecht. Die Inaktivität auf dem Free-Agency-Markt (Houston hat immer noch über 17 Millionen Dollar an Cap Space) lässt mich aber mehr und mehr an dem Move zweifeln. Klar, man ist die Ablenkung losgeworden und hat gewissermaßen einen konsequenten Strich unter einen Fehler gezogen. Aber ist das wirklich einen Zweitrunden-Pick wert? Ich denke nicht.

Buffalos Tanking und Seattles Trade

Tag für Tag frage ich mich mehr: Was genau machen die Bills eigentlich? Die Umstellungen in der Offense scheinbar weg von den Qualitäten von Tyrod Taylor sind schon merkwürdig und generell eher wenig erfolgsversprechend. Buffalo sammelt Draft-Picks, das ist ganz offensichtlich - die Bills haben schon jetzt je zwei Picks in der ersten, zweiten und dritten Runde des kommenden Drafts.

Also ein Rebuild? Irgendwo schon, aber warum dafür junge Spieler wie Ronald Darby und Sammy Watkins abgeben, die einem auch in fünf Jahren noch helfen können? Draft-Picks zu sammeln ist für einen Rebuild unter neuem Trainerstab grundsätzlich gut und richtig, junges Talent abzugeben macht aber nur selten Sinn. Das dachte ich auch nochmal, als die Bills am Sonntag Running Back Jonathan Williams entließen - ohne Kompensation also.

Reggie Ragland mag im neuen Scheme in der Theorie nicht perfekt gepasst haben, einen Vorjahres-Zweitrunden-Pick ohne Regular-Season-Snap aber für einen Viertrunden-Pick 2019 abzugeben, sehe ich ebenfalls eher kritisch. Coach Sean McDermott erklärte im Sommer, dass man bei einem neuen Job auch den "weniger zerstörerischen" Weg wählen könnte. Und machte klar, dass er das nicht will. Mir machen die Entwicklungen in Buffalo aus Bills-Sicht aktuell eher Sorgen, im Zuge des Umbruchs werden für mich von Taylor und der Offense über Watkins bis jetzt hin zu Williams zu rigorose und fragwürdige Entscheidungen getroffen.

Das bringt mich zu einem tatsächlich sinnvollen Trade vom Wochenende: Dass sich die Seahawks jetzt doch (Gerüchte gab es ja immer wieder mal) Sheldon Richardson geangelt haben, macht eine ohnehin herausragend besetzte Front nichts anderes als furchteinflößend. Richardson, Bennett, Reed, Avril und Clark geben Seattle nicht nur eine ungeheuerliche Qualität an der D-Line, die Seahawks können hier jetzt auch noch flexibler agieren und auf höchstem Level rotieren. Nirgendwo ist das so wichtig wie an der D-Line. Betrachtet man die komplette Front, traue ich aktuell nur Houston zu, Seattle das Wasser zu reichen.

Nicht zu 100 Prozent verstehe ich, warum die Jets Jermaine Kearse in den Deal eingebunden haben - ein zusätzlicher Late-Round-Pick hätte angesichts des ausgeschlachteten Jets-Kaders mehr Sinn gemacht. Trotzdem war es auch für Gang Green ein guter Deal: Ein Starting-Receiver und ein Zweit- oder Drittrunden-Pick für einen Spieler im Vertragsjahr, den das Team angesichts des Überangebotes auf der Position (Wilkerson, Williams - das einzige Überangebot im Kader) ohnehin nicht hätte halten können.

Cuts, Patriots, Rookies, Cowboys - eure Fragen

Packers Germany und bsg: Welche Auswirkungen hat der Cut von 90 auf 53 statt der schrittweisen Entlassung auf 75 und dann auf 53?

Mein erster Instinkt war, dass das eine gute Sache ist: Die Spieler können sich länger in den Teams beweisen, die Teams Spieler länger sichten und ausprobieren. Inzwischen, nachdem wir den Prozess jetzt ein Mal erlebt haben, sehe ich das aber anders. Die Coaches können ihre Spieler den kompletten Sommer über im Training beobachten, die Meinung dürfte in den allermeisten Fällen Mitte August also weitestgehend feststehen.

Das führt in meinen Augen dazu, dass wir in Week 4 der Preseason viele Spieler sehen, von denen die Coaches längst wissen, dass sie den vorläufigen 53-Mann-Kader nicht packen werden - anstatt dass zumindest einige dieser Spieler längst bei einem anderen Team nochmal eine neue Chance erhalten.

Umgekehrt ist die enorme, über 1.000 Spieler starke Entlassungswelle auf einen Schlag dann auch für die Teams ein Nachteil, da sie bei ihren Waiver-Wire-Claims nochmal viel selektiver sein müssen. Ich denke also, dass die allgemeinen Nachteile gegenüber den Vorteilen der wenigen Spieler, die einem 75er Cut zum Opfer gefallen wären und jetzt doch den Kader schaffen, überwiegen.

Steffen: Die Patriots gehen - nach dem Abgang von Brissett - mit zwei QBs in die Saison. Neuer Vertrag für Garoppolo (nächste Saison) somit wahrscheinlich?

Ich hatte es beim Brissett-Trade ja schon angesprochen: Für mich ist das ein klares Ja. Ich habe nie geglaubt, dass Brissett die langfristige Antwort für die Patriots ist - zumindest aber war er ein Spieler, der das Playbook kennt, gute Ansätze gezeigt und sich somit als perspektivischer Backup empfohlen hat.

Die Tatsache, dass er jetzt weg ist, macht für mich klar, dass die Patriots (wie ja während all der Trade-Gerüchte immer berichtet) langfristig mit Garoppolo planen. Egal was mit Brady passiert: New England wird nicht mit Brady und einem neuen Quarterback dahinter in die 2018er Saison gehen. Insofern erwarte ich einen neuen Vertrag für Garoppolo, und wenn es der Franchise Tag wird.

Markus: Nach den Eindrücken aus der Preseason: Wer wird Rookie of the Year? Offense und Defense.

Offensiv schaue ich auf die Running Backs, denn: DeShone Kizer wird in der Regular Season bei allem Talent deutliche Ups und Downs haben, Mitch Trubisky und Patrick Mahomes spielen mittelfristig nicht und Deshaun Watson braucht ganz offensichtlich noch Zeit. Ich denke, dass es sich zwischen Dalvin Cook und Christian McCaffrey entscheidet, die beide aufregende X-Faktoren in ihrer jeweiligen Offense sein können. Weil ich McCaffrey noch etwas besser sehe und Carolinas Offense generell besser bestückt ist als die der Vikings, tippe ich auf McCaffrey.

Defensiv ist es immer etwas schwieriger, T.J. Watt, Reuben Foster oder auch ein Takk McKinley dürfen sich alle berechtigte Hoffnungen machen. Ich wähle aber den langweiligen Weg und den Nummer-1-Pick: Myles Garrett hat in der Preseason schon Spaß gemacht und die Defense der Browns wird vor Aggressivität nur so strotzen. Das verschafft Pass-Rushern meist mehr Eins-gegen-Eins-Gelegenheiten und die wird Garrett nutzen.

Ste Sta: Dak ohne Zeke? Wie verändert sich sein Spiel?

Überraschenderweise - so zumindest meine Prognose - sage ich: gar nicht. Natürlich hat Prescott in der vergangenen Saison enorm von dem starken Run Game in Dallas profitiert, das hat seine Entwicklung nach vorne katapultiert. Aber wenn man sich Prescott schon im Laufe der Regular Season und jetzt auch in der Preseason anschaut, springen einen die positiven Entwicklungen geradezu an. Ob Pocket-Movement, das Scannen der Reads, Defenses richtig lesen oder auch die Passgenauigkeit - Prescott ist für mich auf einem ganz schnellen Weg in Richtung der Quarterback-Elite (wie auch immer man die definieren will). Noch nicht da, aber auf schnellem Weg dahin.

So wird Dallas den (möglichen) Elliott-Ausfall fraglos spüren, weil keiner der mehr als soliden Backups das komplette Paket mitbringt, das Elliott hat. Aber Prescott wird auch in diesem Jahr wieder von der tollen Offensive Line profitieren und als Passer den Cowboys nochmal deutlich mehr geben als letztes Jahr. Weil er dazu in der Lage ist und so viele elementare Qualitäten für gutes Quarterback-Play mitbringt, sage ich, dass Elliotts Ausfall Prescotts Spiel zumindest grundsätzlich nicht verändert.

Rene Langer: Wie wirkt sich der Einspruch von Zeke aus? Er hat doch jetzt rechtliche Mittel gewählt, oder?

Sehr richtig, Elliott hat - neben einer präventiven Klage gegen das Urteil des Berufungsprozesses - einen Antrag für eine vorübergehende einstweilige Verfügung eingereicht. Ganz vereinfacht gesagt bedeutet das: Bekommt Elliott hier Recht, wäre die Suspendierung zwar nicht komplett vom Tisch, die NFL könnte sie aber nicht, wie aktuell noch geplant, direkt zum Start der Regular Season verhängen. Sie wäre gewissermaßen auf Eis gelegt, bis eine finale Entscheidung getroffen ist und Elliott könnte in Week 1 spielen.

Die Verhandlung für die einstweilige Verfügung findet am 5. September statt, generell rechnet man Elliott dabei aber keine allzu großen Chancen zu. Unter anderem müsste er nämlich beweisen, dass sein genereller Einspruch eine hohe Erfolgschance hat, dass ohne die einstweilige Verfügung irreparabler Schaden entsteht und dass die einstweilige Verfügung dem öffentlichen Interesse nicht entgegen steht. Wer mehr Details hierzu erfahren will, dem empfehle ich die ausführliche Analyse von Jurist und Sportjournalist Michael McCann.

Elliotts grundsätzliche Argumente bei seinem Einspruch gegen die Sperre generell werden wohl ähnlich wie die etwa von Tom Brady im Zuge des Deflate-Gate-Prozesses sein. Nämlich der Vorwurf an die NFL, dass ein Artikel des Collective Bargaining Agreements nicht im Sinne des Rechts angewandt wurde und er nicht die im Gesetz vorgesehene Fairness bei den Ermittlungen und der Verurteilung erfahren habe. Elliott zweifelt damit nicht die Tat selbst, sondern den Prozess der Urteilsfindung durch die NFL an.