Die gute Nachricht vorne weg: Im Gegensatz zu anderen Teams herrscht im Front Office der 49ers Ruhe und gegenseitiges Vertrauen. Nach elf Wochen steht San Francisco zwar bei einer Bilanz von 1-9, und mit neun Niederlagen zum Auftakt hat San Francisco den schlechtesten Saisonstart der Geschichte der Franchise hingelegt. Doch Eigentümer Jed York gibt seinem Staff die nötige Zeit, um eine neue, wettbewerbsfähige Mannschaft zu formen.
"Die Zukunft dieser Franchise wird auf ihren (Shanahans und Lynchs, Anm.) Visionen aufgebaut sein, und wir freuen uns alle darauf, ihnen in den nächsten Jahren bei der Arbeit zuzusehen", sagte York bei der Vorstellung seines neuen Head Coachs, den er direkt für sechs Jahre unter Vertrag genommen hat. "Sie werden dem Team eine Kultur einimpfen, mit der man konstant um Championships mitspielen kann."
Die Erwartungen der Niner Empire waren vor der Saison vor allem aufgrund von Shanahans Vergangenheit nicht gerade klein. Zuvor war er zwei Jahre bei den Atlanta Falcons tätig, dem Team mit der besten Offense in der vergangenen Saison. Man erwartete in der Bay Area ebenfalls ein wenig Offensiv-Spektakel - zumindest ein kleines.
Doch der historisch schlechte Saisonstart erzeugte Frustration im Team. Frustration, die Left Tackle Joe Staley am Vorabend des Spiels gegen die New York Giants in positive Energie zu bündeln versuchte. "Ich habe viele gute Spieler und Coaches gesehen, auch viele weniger gute", sagte Staley in einer Ansprache an das gesamte Team. "Was wir hier aufbauen, mag für Außenstehende nicht erstaunlich wirken. Aber glaubt mir, wir sind so nahe dran (Spiele zu gewinnen)."
Er sollte recht behalten. In Week 10 gelang gegen kriselnde Giants aus New York der erste Saisonsieg. "Das bedeutet uns richtig viel", sagte Staley nach dem Match. "Die gesamte Mannschaft versteht sich untereinander hervorragend. Diese ganzen Rückschläge haben uns noch enger zusammengeschweißt." Der Teamspirit ist also gut, vor allem weil die Spieler wissen, dass die 49ers einen Plan für die Zukunft hegen.
49ers-Quarterback: Die Zukunft gehört Jimmy Garoppolo
Dieser Plan sieht einen Quarterback namens Jimmy Garoppolo vor. Er wird im kommenden Jahr aller Voraussicht nach die Rolle des Starters einnehmen, während C.J. Beathard als Backup fungiert. Auch in dieser Saison wird Garoppolo jedoch noch zum einen oder anderen Einsatz kommen. Vor allem wollen die Verantwortlichen sehen, was Garoppolo wirklich drauf hat, bevor sie ihm am Ende der Saison einen neuen Vertrag anbieten. Gegen die Seahawks am Sonntag wird er allerdings abermals auf der Bank Platz nehmen.
Doch der 26-Jährige arbeitet hart für sein Debüt im Niners-Trikot. Während fast der gesamte restliche Kader die Bye-Week für ein paar Tage Auszeit mit der Familie nutzte, blieb Garoppolo für zusätzliche Trainingseinheiten in der Bay Area. "Er kennt ein paar Plays", sagte Shanahan. "Es geht aber nicht nur um die Pass-Spielzüge, er muss auch die richtigen Entscheidungen in der Play-Action treffen können. C.J. (Beathard) arbeitet seit zehn Wochen nach unseren Vorstellungen, aber Jimmy gibt sein Bestes, um all das aufzuholen."
Die 49ers wollen den ehemaligen Brady-Backup allerdings nicht zu voreilig aufs Feld schicken. Zum einen gilt das Playbook Shanahans als einer der komplexesten der Liga, das seine Zeit braucht, um es zu verinnerlichen. Andererseits wäre Garoppolo einem gewissen Risiko ausgesetzt, sich in einer Saison, wo es bereits nur mehr um die Reihenfolge im kommenden Draft geht, schlimmer zu verletzen. Die Offensive Line ließ gegen Beathard und Brian Hoyer insgesamt 82 Hits zu - gemeinsam mit den Indianapolis Colts der schlechteste Wert der Liga.
Vor allem die Spieler in der Mitte wie Guards Laken Tomlinson, Brandon Fusco und Center Daniel Kilgore brachten bislang wenig auf die Reihe. Trent Brown ist noch einer der talentiertesten Spieler in San Franciscos Kader und bot sich bereits mit starken Leistungen als Right Tackle für die kommende Saison an. Staley spielte ebenfalls gute Matches, gehört aber mit seinen 33 Jahren schon zu den älteren Spielern.
Auf den Wideouts musste Star-Receiver Pierre Garcon seine Saison inzwischen mit einem Bruch in der Nackenwirbelsäule beenden, weshalb Marquise Goodwin und Rookie Trent Taylor mehrere Pässe sahen. Ersterer führt die Liga mittlerweile sogar mit 21,7 Yards pro Reception an, damit zählt der ehemalige Weitspringer zu den besseren Verpflichtungen aus der vergangenen Free Agency.
Große Probleme in der Defense
Defensiv zeigt sich San Francisco bislang sehr anfällig. Zum einen liegt es daran, dass die Verteidigung aufgrund der wenig produktiven Offense viel Einsatzzeit bekam. Verletzungen in der Defensive Line wie jene von Tank Carradine und Arik Armstead sowie die Ausfälle der Safeties Jimmie Ward und Jaquiski Tartt bedeuteten, dass wenige, unerfahrene Spieler plötzlich viel auf dem Feld standen - mit gemischtem Erfolg. Doch es hat sich auch der ein oder andere Spieler hervorgetan um den man in der kommenden Offseason eine solide Defense aufbauen kann.
In der D-Line scheint der First-Round-Pick aus 2016, DeForest Buckner, ein Mann für die Zukunft zu sein. "Er ist sowohl gegen den Lauf als auch bei Pässen sehr gut", schwärmt sein Trainer Shanahan. "Er fällt zwar nicht so sehr mit bestechenden Zahlen auf. Aber jeder Coach wird auf den Tapes sehen, wie gut er ins Backfield kommt und das Spiel beeinflussen kann."
Dahinter hat Linebacker Reuben Foster die besten Chancen, eine zentrale Säule in der Niners-Defense zu werden - wenn er gesund bleibt. Die Preseason verpasste der 23-Jährige aufgrund einer Schulterverletzung. Erst in Week 9 spielte er sein erstes Match über die volle Distanz, auch gegen die Giants stand er in der Startaufstellung. In beiden Matches verzeichnete er die meisten Tackles aller 49ers.
Auf der Position des Nickelbacks überzeugte K'Waun Williams so sehr, dass er bereits Ende September mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet wurde. "Seitdem K'Waun bei uns ist, hat er sich von Tag zu Tag weiterentwickelt", sagte Lynch nach der Vertragsverlängerung. "Wir wollten sichergehen, dass er ein Teil dessen ist, was wir hier versuchen, aufzubauen."
Rookies bekommen Spielpraxis, Garoppolo-Trade bringt Draft-Optionen
San Francisco ist bis Week 11 jenes Team, das am meisten auf seine Draft-Picks vom vergangenen April setzt. Die Rookies der 49ers haben mit 2.874 Snaps die mit Abstand meisten gesehen, jene der Zweit- und Drittplatzierten Saints beziehungsweise Jets kommen auf 2.213 und 1.858 Spielzüge. Klar, viele Rookie-Einsätze kamen durch Verletzungen vom Stammspielern zustande, aber ganz im Sinne des Rebuilds geben die 49ers ihren Youngsters viel Einsatzzeit.
Im kommenden Draft hat Frisco zur Zeit neun Picks sicher, in der ersten Runde scheinen die Niners in den Top-3 gesetzt. Den größten Bedarf haben die Kalifornier wohl bei Defensive Backs, Pass-Rushern und den bereits angesprochenen inneren Offensive Linemen. Auch auf der Position des Wide Receivers könnte Shanahan Verstärkungen neben Pierre Garcon ins Auge fassen.
Mit Jimmy Garoppolo als mutmaßlicher Quarterback-Lösung für die kommende Saison tun sich hier in jedem Fall komplett neue Möglichkeiten auf: San Francisco muss nun den ersten (oder einen anderen hohen) Pick nicht mehr zwingend für einen Passgeber aufwenden. Falls sich keine übermäßig talentierten Verteidiger (wie etwas Myles Garrett im vergangenen Draft) anbieten, könnte man sogar den hohen Pick gegen eine Mehrzahl an niedrigeren traden, und sich breit in den genannten Problemzonen verstärken.
Angehende Free Agents der San Francisco 49ers
Zudem stehen den 49ers mit einem verfügbaren Betrag von fast 100 Millionen Dollar im Salary Cap viele Möglichkeiten offen, sich in der Free Agency gezielt zu verstärken. Die Verträge einiger Spieler laufen nur noch bis zum kommenden Februar, und Lynch und Shanahan haben bereits in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, beim Rebuild konsequent auf neues Personal zu setzen.
Neben Garoppolo werden am Ende der Saison auch Safety Eric Reid und Running Back Carlos Hyde zu Free Agents. Diese drei haben vermutlich die besten Chancen, auch weiterhin in San Francisco Football zu spielen. Hier die komplette Liste an Spielern, die keinen Vertrag für die kommende Saison besitzen:
Spieler | Position | Alter |
Cornellius Carradine | Defensive End | 28 |
Brock Coyle | Inside Linebacker | 27 |
Leger Douzable | Defensive Tackle | 31 |
Brandon Fusco | Guard | 29 |
Jimmy Garoppolo | Quarterback | 26 |
Garry Gilliam | Right Tackle | 26 |
Leon Hall | Cornerback | 32 |
Carlos Hyde | Running Back | 26 |
Asa Jackson | Cornerback | 27 |
Dontae Johnson | Cornerback | 25 |
Datone Jones | Defensive End | 27 |
Daniel Kilgore | Center | 29 |
Aaron Lynch | Defensive End | 24 |
Louis Murphy | Wide Receiver | 30 |
Logan Paulsen | Tight End | 30 |
Eric Reid | Safety | 25 |
San Franciscos Rebuild: Fazit
Dass die Mechanismen von Shanahan Zeit brauchen, bis sie greifen, war von vornherein klar. Dass es in den ersten neun Saisonspielen für keinen einzigen Sieg reichte, sollte nicht weiter stören. Viele dieser Spiele gingen nur sehr knapp verloren, zudem wollte man die aktuelle Saison ohnehin dem Rebuild unterordnen.
Diese Umstrukturierung hat gut begonnen, die 49ers haben einige talentierte Spieler in ihren Reihen, um die sie ein gutes Team aufbauen können und sie konnten ihren Quarterback holen, bevor sich das Quarterback-Karussell im Frühjahr dreht. Geld für Verstärkungen aus der Free Agency ist da, zudem haben die 49ers einige Draft-Picks, die sie zur gezielten Kadererweiterung nutzen werden.
Die Stimmung ist gut in San Francisco, vor allem nach dem ersten Saisonsieg. In der zweiten Saison unter Shanahan ist den Niners bereits deutlich mehr zuzutrauen, auch seine Offensiv-Konzepte sollten dann zunehmend besser umsetzbar sein.
Vielleicht wird Teameigner York Recht behalten - und wir sehen schon bald ein ganz anderes Team aus der Bay Area. Eines, das um Championships mitspielen wird.