Packers sorgen für die Überraschung des Tages
Für die größte Überraschung in einem Draft, in dem das ganz große Sensations-Feuerwerk letztlich doch ausblieb, sorgten fraglos die Green Bay Packers.
Die Picks 30 und 136 war es den Packers wert, um auf 26 ein paar Spots hoch zu klettern - und sich den erhofften Quarterback der Zukunft zu sichern. Es war ein Pick, den kaum jemand hatte kommen sehen: Jordan Love ging nicht etwa spät in Runde 1 nach Miami, oder ganz am Ende der ersten Runde zu den Colts oder Chargers, die nochmal für ihn zurück in die erste Runde tradeten; der kontrovers diskutierte Quarterback ist ein Green Bay Packer.
Das war in zweierlei Hinsicht eine große Überraschung: Die Packers, nachdem sie letztes Jahr im NFC Championship Game gespielt hatten, schienen im klaren Win-Now-Modus zu sein und waren in bester Position, um ihre größten Needs - allen voran Wide Receiver und Linebacker - adressieren zu können. Spieler, die über die nächsten zwei Jahre mit Aaron Rodgers einen echten Impact hätten haben können. Stattdessen entschied man sich, auf die langfristige Perspektive zu gehen.
Und dann ist es auch finanziell gesehen überraschend. Vertraglich werden die Packers über die nächsten beiden Jahre nicht aus Rodgers' Vertrag raus kommen, ohne sich finanziell in puncto Dead Cap extrem zu belasten. Soll Love wirklich zwei Jahre hinter Rodgers sitzen? Nur weil das einst mit Rodgers selbst hinter Brett Favre geklappt hat, ist das keinerlei Hinweis darauf, dass man das nochmal so umsetzen kann.
Zumindest für Love selbst sind die Packers so etwas wie der ideale Landing Spot. Der junge Quarterback ist noch extrem roh in so ziemlich allen Bereichen, die Quarterback-Play in der NFL ausmachen: Reads, Antizipation, Spielverständnis - das alles muss er noch deutlich weiter entwickeln; zwei Jahre hinter Rodgers zu sitzen wäre im Vakuum betrachtet für Love, dessen Arm und Release ihn überhaupt in Runde 1 zum Thema gemacht haben, vermutlich nicht das schlechteste Szenario. Doch wie realistisch ist das? Und wie wird Rodgers diesen Pick aufnehmen?
Dolphins holen Tua - und überraschen später
Am Ende waren es doch alles nur Gerüchte und Smokescreens. Die Dolphins tradeten weder hoch, noch wählten sie mit ihrem ersten Pick einen Offensive Tackle - am Ende war es, wie einst jeder vermutet hatte, Tua Tagovailoa mit Pick Nummer 5.
Die Dolphins hatten Tua am Rande der Combine medizinisch untersucht, dort hatte er alle Tests erfolgreich abgeschlossen - und offenbar ist man in Miami in dieser Hinsicht sicher genug, dass man den Nummer-5-Pick auch ohne weitere Checks, Pro Day, private Workouts und dergleichen investierte. Mit Ryan Fitzpatrick hat Miami die perfekte Übergangslösung, sollte Tua noch Zeit brauchen.
Rein sportlich war Tua immer der No-Brainer als zweiter Quarterback hinter Burrow. Guter Release, sehr akkurater Passer, tolle Mechanics - einzig Pressure war bei seinem Tape ein etwas größerer Dorn im Auge als erhofft, und enge Fenster musste er in der herausragend besetzten Bama-Defense auch eher selten anvisieren.
Die anderen beiden Picks waren dann tatsächlich überraschender. Offensive Tackle Austin Jackson an 18 ist zumindest gewagt, der Ex-USC-Tackle muss noch deutlich mehr Power aufbauen, technisch sicherer werden und konstanter spielen - ein Upside-Pick.
Cornerback Noah Igbinoghene nach dem Downtrade mit den Packers an 30 ist zwar ein exzellenter Scheme-Fit, nachdem die Dolphins aber bereits das teuerste Cornerback-Duo der Liga in ihren Reihen haben, hätte man hier eher mit einem Safety beispielsweise gerechnet.
Die Spitze des Drafts läuft wie erwartet
Bereits seit Wochen schien die Spitze des Drafts ausgemachte Sache zu sein: Joe Burrow nach Cincinnati, Chase Young nach Washington. Das änderte sich medial erst vereinzelt in den vergangenen Tagen, als plötzlich doch die Gerüchteküche brodelte - für beide Picks soll es sehr interessierte Trade-Partner gegeben haben. Am Ende kam es aber genau so wie gedacht.
Bereits eine Stunde vor Beginn des Drafts vermeldete ESPN-Insider Adam Schefter, dass Bengals-Präsident Mike Brown Burrow schon am Mittwoch in Cincinnati willkommen geheißen hatte und die Bengals die Burrow-Familie bereits mit Trikots ausgestattet haben. Wenig später folgte NFL-Network-Insider Ian Rapoport und berichtete, dass auch Washington an 2 nicht runter gehen und seinen Wunschspieler wählen wird - Chase Young.
Genau so kam es auch. Und auch die Idee, dass der Draft mit Pick 3 erst so richtig losging, erwies sich als Trugschluss: Die Lions gingen nicht runter, sie machten nichts Verrücktes - sie drafteten Jeff Okudah, den besten Cornerback der Klasse, der ein perfekter Scheme-Fit ist und einen großen Need abdeckt. Wirklich interessant in puncto Trades wurde es erst ab grob der Hälfte der ersten Runde.
Chargers gehen Risiko
Die riskanteste erste Runde hatten wohl die Chargers. Justin Herbert an Position 6 ist zunächst einmal nur mit dem Positional Value so hoch zu rechtfertigen - denn rein sportlich ist er auch nach mehreren Jahren als College-Starter noch ein echtes Fragezeichen.
Accuracy ist inkonstant, Herbert hat mit einer sehr hohen Anzahl an Screen- und One-Read-Plays gearbeitet und in der Folge ist auch sein Read-Verhalten alles andere als ausgeprägt. Klebt häufig an einem Receiver, erkennt Coverages überhaupt nicht, Pocket-Gefühl und Antizipation im Passspiel sind wacklig. Die Tools was die Athletik und vor allem den Arm angeht sind da, alles andere ist bei Herbert eine Projection.
Doch die Chargers gingen dann nochmal volles Risiko: Die Picks Nummer 37 und 71 war es L.A. wert, um in die erste Runde zurück zu traden - und sich einen Off-Ball-Linebacker zu sichern. Das ist nicht nur keine Premium-Position in puncto Positional Value; auch der Spieler, den L.A. hier auswählte, kann zumindest kontrovers diskutiert werden.
Kenneth Murray ist in vielerlei Hinsicht ein Oldschool-Linebacker. Explosiv, physisch, harter Hitter und gefährlicher Blitzer. Doch in Coverage ist er weder übermäßig agil noch sicher, verliert häufiger mal die Orientierung und die Gefahr besteht, dass er im Passspiel zu einem Schwachpunkt wird, welchen gegnerische Offenses gezielt attackieren.
Vikings mit starker erster Runde
Minnesota ging mit zwei Picks in die erste Runde - und mit zwei gravierenden Needs. Ein Nummer-2-Receiver sowie Cornerback waren mit Abstand die größten Baustellen dieses Teams; zwei Premium-Positionen, auf denen man es sich in der heutigen NFL nicht leisten kann, schwach besetzt zu sein.
Beide Baustellen konnte Minnesota in Runde 1 adressieren, und das zudem noch mit einem Downtrade von Position 25 auf 31, wodurch Minnesota weitere Picks in Runde 4 und 5 einsackte.
Justin Jefferson, Minnesotas Pick an 22, ist der beste Slot-Receiver dieser Klasse; ein Receiver mit extrem guten Instinkten für Underneath-Räume, mit seinem Speed aber auch gefährlich nach dem Catch und auch vertikal einsetzbar. Jefferson sollte in die Vikings-Offense glänzend passen, Adam Thielen rückt damit wohl wieder vermehrt in eine Outside-Rolle.
Die Vikings beendeten ihren Tag dann etwas später mit Cornerback Jeff Gladney, der ebenfalls sehr gut in dieses Team passen sollte. Ein explosiver, agiler Cornerback, der konstant wahnsinnig eng am Gegenspieler ist. Super schnelle Füße, öffnet seine Hüften spät; Gladney braucht technisch noch etwas Feinschliff, den sollte er unter Mike Zimmer finden. Minnesota geht mit einer starken ersten Runde und zusätzlicher Munition in die weiteren Draft-Tage.
Lamb fällt Cowboys in die Hände
Der größte Need war Wide Receiver mit Sicherheit nicht in Dallas - umso weniger, nachdem die Cowboys in der Free Agency Amari Cooper teuer bezahlt hatten. Doch als Dallas an Position 17 dran und CeeDee Lamb noch auf dem Board war, war der Value zu groß; und die Cowboys trafen die richtige Entscheidung.
Lamb ist eines der Elite-Prospects dieser Klasse, ein herausragender Receiver nach dem Catch, der am Catch Point gewinnt, physisch spielt, aber auch mit Nuancen im Route-Running punktet. Stilistische Vergleiche zu DeAndre Hopkins bieten sich tatsächlich an. Die Secondary bleibt so fraglos ein Need, doch der Value war hier mit Lamb bedeutend größer.
Die Cowboys haben jetzt eine enorme offensive Feuerkraft. Cooper und Lamb können beide im Slot und Outside spielen, dazu kommen Michael Gallup und Ezekiel Elliott; Quarterback Dak Prescott sollte mehr als genügend Targets finden, und die Cowboys wären clever, mit Prescott vor Saisonstart zu verlängern. Die Chance besteht nämlich, dass dessen Preis mit diesen Waffen nochmal nach oben klettert.
Picks, die gefallen:
Jedrick Wills nach Cleveland: Auf meinem Board der beste Tackle dieser Klasse. Immense Power im Run Game und ein extrem sicherer, flexibler Pass-Blocker. Die einzige Herausforderung wird es sein, dass Wills von der rechten auf die linke Seite wechseln muss. Für die Right-Tackle-Position hat Cleveland in der Free Agency bereits Jack Conklin verpflichtet. Doch die Browns haben hier ohne Uptrade den größten Need mit einem exzellenten Spieler bedient.
Jerry Jeudy nach Denver: Auch Jeudy fiel zwei, drei Spots tiefer, als manch einer antizipiert hatte - umso besser ist der Fit in Denver. Als Gegenstück zum physischen X-Receiver Courtland Sutton kann Jeudy aus dem Slot und als Z-Receiver auch im Raum arbeiten und sollte sehr häufig sehr früh für Quarterback Drew Lock offen sein.
Tristan Wirfs nach Tampa Bay: Und der dritte Spieler im Bunde der tiefer fiel als erwartet. Wirfs ist der athletische Freak dieser Tackle-Klasse und man hatte gemeinhin antizipiert, dass die Bucs in die Top-10 traden müssen, um sich einen der Top-Tackles zu sichern. Am Ende fiel Wirfs, auf dem Board vieler Experten der beste oder zweitbeste Tackle, bis an 13 und war mit einem kleinen Uptrade zu haben. Ein Pick, der Tom Brady glücklich machen dürfte.
Jalen Reagor nach Philadelphia: Was fehlte den Eagles letztes Jahr im Receiving Corps? Speed und Explosivität. Das sind gewissermaßen die Kernkompetenzen von Reagor: Ein wahnsinnig explosiver, agiler Receiver, der bereits gute Tendenzen als Route-Runner zeigt und sofort Value als Returner mitbringt. Ein exzellenter Pick für die Eagles an 21.
Patrick Queen nach Baltimore: Durch Seattles zweifelhafte Entscheidung einen Spot davor - dazu gleich mehr - fiel einer der Top-Linebacker dieser Klasse den Ravens in die Hände. Das ist ein moderner Linebacker wie aus dem Bilderbuch: Agil, explosiv, enorme Range, kann covern. Nicht der Power-Linebacker-Typ, doch hinter der physischen Ravens-D-Line soll Queen sich frei bewegen können. Passt zudem mit seiner Vielseitigkeit extrem gut in die generell sehr flexibel spielende Ravens-Defense.
Picks, die nicht gefallen:
Jordyn Brooks nach Seattle: Einmal mehr sind die Seahawks das Team, das am ehesten den "Wie ist der denn in Runde 1 gerutscht"-Pick machen. Letztes Jahr war es L.J. Collier, im Jahr davor Rashaad Penny - und jetzt eben Brooks. Hatte eine späte Third-Round-Grade auf meinem Board, Brooks bringt Physis als Tackler und Hitter mit und ist ein guter Run-Verteidiger. Aber in Coverage sehr durchwachsen, nicht sonderlich agil. Ein solider Spieler - aber eben kein Erstrunden-Talent.
Derrick Brown nach Carolina: Hier werden sich die Geister etwas scheiden. Ja, Brown hat dominantes College-Tape. Die Frage ist: Wie lässt sich das auf die NFL projecten? Eine durchaus realistische Prognose ist, dass Brown ein Elite-Run-Stopper wird, der zwei Gaps spielen und Räume für die Mitspieler kreieren kann - als Pass-Rusher aber eher eine durchschnittliche Rolle spielt. Das würde seinen Value dann schon deutlich schmälern und eine Top-10-Pick nicht rechtfertigen.
Clyde Edwards-Helaire nach Kansas City: Edwards-Helaire ist ein guter Running Back. Ein kompakter Runner, der gut durch enge Räume navigiert und der vor allem auch Value im Passspiel mitbringt. Doch waren gerade die Chiefs letztes Jahr das Musterbeispiel dafür, dass man keine hohen Ressourcen in einen Running Back stecken muss - umso weniger, wenn der Quarterback Patrick Mahomes heißt. Mit noch hoher Pass-Defense-Qualität auf dem Board war das ein fragwürdiger Pick.
Die Vorgehensweise der 49ers: Es ist nicht so, als wären Javon Kinlaw und Brandon Aiyuk schlechte Spieler - im Gegenteil. Nur die Vorgehensweise wirft Fragen auf. Warum erneut hohe Ressourcen in die, auch ohne Buckner, stark besetzte Defensive Line stecken, wo Jeudy und Lamb noch auf dem Board waren? Shanahan erklärte anschließend, dass Aiyuk und Lamb seine beiden Top-Receiver im Draft waren; hätte man in dem Fall nicht Lamb an 14 nehmen und mit dem zweiten Pick einen Downtrade anpeilen können, um mehr Picks zu sammeln? Wie sehr ist Kinlaw ein Luxus-Pick? So fühlt es sich ein wenig nach der klassischen Draft-Falle an, dass man für "seine" Spieler auch mehr Ressourcen ausgibt. Die Niners picken in diesem Draft nur noch an 157, 211 und 218.
NFL Draft Tag 2: Wer ist noch zu haben?
Das sind die noch verfügbaren Top-Spieler auf meinem Big Board (Platzierung auf meinem Board dahinter):
- Xavier McKinney, Safety, Alabama (9)
- Tee Higgins, Wide Receiver, Clemson (11)
- Josh Jones, Offensive Tackle, Houston (16)
- Grant Delpit, Safety, LSU (18)
- Denzel Mims, Wide Receiver, Baylor (19)
- Jaylon Johnson, Cornerback, Utah (22)
- Kristian Fulton, Cornerback, LSU (23)
- A.J. Epenesa, Edge, Iowa (29)
- Trevon Diggs, Cornerback, Alabama (30)
- Julian Okwara, Edge, Notre Dame (32)
- Jeremy Chinn, Safety, Southern Illinois (33)