Schaut man auf die Quarterback-Klasse im Draft 2020, fallen die Blicke naturgemäß zunächst mal auf Joe Burrow und Tua Tagovailoa. Doch dahinter gibt es durchaus eine Debatte, wer denn die legitime Nummer 3 im Bunde ist. Ein Kandidat dafür ist Jordan Love, der kontroverse Passgeber der Utah State Aggies.
Kontrovers deshalb, weil er nur schwer einzuschätzen ist. Nachdem Love als Redshirt-Sophomore 2018 seine erste volle Saison als Starter beeindruckend vollendet hatte - er legte unter anderem 32 Touchdowns auf, warf nur sechs Interceptions und komplettierte 64 Prozent seiner Pässe -, ging seine Leistung 2019 in den Keller. 20 Touchdowns standen 17 Picks gegenüber.
Eine solche Diskrepanz zieht sich ein wenig wie ein roter Faden durch seine Football-Karriere. Als Freshman an der High School wurde Love einst gesagt, er könne nicht Quarterback spielen. In seinem Senior-Jahr war er hingegen der unumstrittene Starter. Und seine Probleme 2019 lassen sich zudem zumindest zum Teil durch problematische äußere Umstände erklären.
Ganz oben auf der Liste steht die Tatsache, dass gewissermaßen Loves Ziehvater bei den Aggies, Head Coach Matt Wells, Utah State verließ und bei Texas Tech die Nachfolge von Kliff Kingsbury, seit 2019 Head Coach der Arizona Cardinals, antrat. Mit ihm gingen auch ganze neun offensive Starter, die größtenteils ihren Abschluss gemacht haben. Zu allem Überfluss musste sich Love hinter einer verletzungsbedingt dezimierten Offensive Line dann noch mit dann sehr unerfahrenen Receivern herumschlagen, die selten wirklich offen waren.
Jordan Love: Tendenz zum Risiko
All das gepaart mit Loves nicht immer gesunder Tendenz, auch mal das Risiko zu suchen, ergab schließlich eine eher suboptimale Saison. Ein Rückschritt für Love, der sich aber dennoch schon Anfang Dezember von Utah State verabschiedete und für den Draft meldete.
Mit gutem Grund, sind doch seine Anlagen durchaus beachtlich. Daniel Jeremiah vom NFL Network fasste das Dilemma, das eine Beurteilung Loves nach sich zieht, gut zusammen. Auf der einen Seite habe er "eines der besten Tapes von allen - es ist schön, ihm beim Werfen zuzusehen, er ist locker und explosiv". Doch dann "hast du das Problem, dass seine Leistung mit all den bekannten Gründen abgefallen ist. Entscheidungen zu treffen ist eine Schlüsselkomponente auf dieser Position. Und hier haben ein paar Leute Sorge".
Konkret gilt Love als sehr aggressiv in seinem Spiel. Er hat die Fähigkeit, das Feld schnell zu scannen und oft auch zu seinem vierten oder gar fünften Read zu kommen. Er hält Plays auch mit den Füßen am Leben und gibt selten ein Play auf. Und er hat den Arm, von dem viele Coaches träumen.
Das wiederum hat eben auch zur Folge, dass er zu Fehlern neigt, was dadurch potenziert wurde, dass er im Vorjahr häufiger in enge Spiele verwickelt war und Dinge erzwingen wollte - Love selbst gab diesen Fakt am Rande der Combine als einen Grund für die vielen Turnover an. Jim Nagy, der Executive Director des Senior Bowls, mutmaßte sogar, dass Love womöglich in der NFL größere Pass-Fenster vorfinden werde als zuletzt am College.
Jordan Love: Vater beging Selbstmord
Seine insgesamt positive Einstellung und das Feuer, das ihn antreibt, sind indes auf ein dramatisches Erlebnis seiner Jugend zurückzuführen. Mit 14 Jahren verlor Love seinen Vater, der Selbstmord beging.
Eine Wende im Leben von Love, denn "er war der Mann, der mich überhaupt erst zum Football und zum Sport an sich gebracht hat. Als das passiert ist, hat es meine Passion für das Spiel noch mehr befeuert. Ich will es noch sehr viel weiter bringen für meinen Vater", sagte Love bei der Scouting Combine gegenüber Reportern.
Der Tod seines Vaters brachte ihn darüber hinaus noch näher mit seiner Mutter zusammen, deren Wirken gerade Wells auch heute noch herausstellt.
Gegenüber der New York Post erzählte der Ex-Coach Loves diese Anekdote: "Als seine Mama ihn zum College brachte, sagte sie: 'Jen (Wells' Frau, Anm. d. Red.), kümmere dich um mein Baby. Matt, tritt ihm in den Hintern!'" Für Wells war klar: "Das zeigt einfach Tough Love. Sie verdient einfach so viel Anerkennung dafür, wie sie Jordan aufgezogen hat."
Jordan Love: Der nächste Patrick Mahomes?
Doch wo genau muss Love nun verortet werden auf der QB-Rangliste in diesem Draft? Manche sehen ihn auf einer Stufe mit Oregons Justin Herbert, einige sogar davor. Glaubt man gar Nagy, dann ist Love der Quarterback mit dem größten Potenzial überhaupt in dieser Draft-Klasse und geht noch einen gehörigen Schritt weiter: "Ich vergleiche ihn mit Patrick Mahomes in dem Sinne, dass beide Playmaking-Fähigkeit besitzen und über natürliches Arm-Talent verfügen."
Nagy legte am Rande des Senior Bowls sogar nach: "Drei Jahre später sagt nun jeder: 'Wie blieb Mahomes 2017 bis zum zwölften Pick im Draft?'", und schlussfolgerte: "Wenn es Klick macht bei Jordan und er in einer guten Situation landet wie Pat in Kansas City, könnte es auch bei ihm am Ende verrückt wirken, dass er vielleicht außerhalb der Top-10 gezogen wird."
Hohes Lob für einen Quarterback, der 2019 ungeachtet der Umständen einfach nicht gut war und erst beim Senior Bowl wieder überzeugte - dann natürlich mit wieder besseren Receivern und einer deutlich stabileren O-Line vor sich. Und wie üblich bei Quarterbacks aus kleineren - Nicht-Power-5- - Conferences gilt auch bei Love die Frage, ob er denn gegen bessere Gegner auch genauso gut auftgereten wäre wie 2018 in der Mountain West Conference.
Love: Schlechte Gewohnten? "Kann man ihm austreiben!"
Gerade in diesem Jahr könnte es schwer werden, solche Zweifel aus dem Weg zu räumen, da aufgrund der Coronavirus-Pandemie Pro Days und Pre-Draft-Visits abgesagt wurden. Eine sportliche Möglichkeit, seine Zweifler zu überzeugen, wird Love, wie alle anderen auch, nicht bekommen. Und so bleiben letztlich nur die Eindrucke aus seinen zweieinhalb Jahren als Starter für Utah State.
Nagy jedenfalls sieht darin kein Problem: "Er musste versuchen, Spiele zu gewinnen" und erzwang dabei zu viel. "Hat er dabei ein paar schlechte Gewohnheiten entwickelt? Absolut. Er hat ein bisschen was von einem Gunslinger. Aber Sie können einem Burschen so etwas immer austreiben im Training - mehr als sie ihm so etwas beibringen können", erläuterte Nagy.
Ob Love nun als dritter oder vierter QB im Draft gezogen wird, wird sich auch in den Vorhersagen noch wöchentlich bis zum Draft verschieben. Eines dürfte jedoch klar sein: Bringt man ihn in die richtige Situation und beweist Geduld mit seiner Entwicklung, könnte sein künftiges Team womöglich einen Glücksgriff landen - wenn auch vielleicht nicht auf den allerersten Blick.
Jordan Love: College-Statistiken bei den Utah State Aggies
Saison | Spiele | Passquote | Yards | Touchdowns | Interceptions | Passer Rating |
2017 | 12 | 54,9 | 1631 | 8 | 6 | 119,3 |
2018 | 13 | 64 | 3567 | 32 | 6 | 158,3 |
2019 | 13 | 61,9 | 3402 | 20 | 17 | 129,1 |