Super Bowl LV steht vor der Tür und garantiert uns ein Spektakel. Doch was spricht eigentlich für einen Sieg der Tampa Bay Buccaneers? Und warum gewinnen am Ende doch die Kansas City Chiefs?
Ehre, wem Ehre gebührt - die Chiefs sind der Titelverteidiger und laut Buchmachern auch leichter 3,5-Punkte-Favorit.
Entsprechend werden sie zuerst unter die Lupe genommen:
Super Bowl LV: Darum gewinnen die Kansas City Chiefs
Chiefs: Das Play Calling von Andy Reid und Eric Bieniemy
Beziehungsweise, wer auch immer nun genau für das Play-Calling des Teams zuständig ist. Andy Reid macht zwar keinen Hehl daraus, welche Hochachtung er vor seinem Offensive Coordinator hat - aber ein klares Bekenntnis, dass jener auch tatsächlich durchgängig die Plays ansagt, gibt es nicht. Insofern gehen wir von einer Teamlösung aus.
Wie dem auch sei, was die beiden regelmäßig für Plays auswählen und zuvor vermittelt haben, ist schlicht beeindruckend. Es gibt in der NFL gerade wohl kein kreativeres Play-Calling als bei den Chiefs. Sei es die sehr häufig verwendete Motion vor dem Snap und währenddessen, seien es Play Action und jede Menge RPOs, die Chiefs finden immer das richtige Timing.
Sie sind komplett unberechenbar, was es ihnen auch immer wieder erlaubt, zur rechten Zeit auch mal einen Run einzustreuen oder auch Mahomes in bestimmten Situationen mal geplant laufen zu lassen. Gerade in der Red Zone und Short-Yardage-Situationen ist er mit Zone-Reads brandgefährlich, obwohl er nicht unbedingt ein Sprinter ist. Die Chiefs nutzen das dann auch für diverse Option-Plays.
Darüber hinaus gelingt es den Chiefs regelmäßig, offensiv Mismatches zu kreieren. Tight End Travis Kelce ist dabei das beste Beispiel. Mit Bunch-Formationen auf der jeweils anderen Seite wird er häufig isoliert und findet Eins-gegen-Eins-Matchups, die er in aller Regel gewinnt.
Auf der anderen Seite wird der explosive Tyreek Hill immer wieder in solchen Bunch-Formationen freigestellt und ist dann gegen eine überforderte Defense kaum zu halten - gerade im Raum. Bei ihm muss es nicht nur der Deep Ball sein, für den er freilich auch schnell genug ist.
Abgerundet wird das Ganze durch eine sehr kreative Red-Zone-Offense. Den Chiefs mag hier die Power fehlen, den Ball einfach in die Endzone zu rammen, aber sie finden andere Wege. Da wären etwa designte Shovel-Pässe auf Spieler, die von der Defense im Getümmel einfach übersehen werden oder auch Bubble-Screens, die nicht gleich ersichtlich sind.
Kurzum: Die Chiefs haben einfach zu viel Qualität in der Offense, als dass man sie stoppen könnte, und sie bringen diese PS auch auf kreativen Wegen auf den Platz.
Chiefs: Steve Spagnuolo und das Gegenmittel für Tom Brady
Defensive Coordinator Steve Spagnuolo mag nicht zur ersten Riege der Defensiv-Coaches dieser Liga zählen, zu inkonstant sind seine Units über die Jahre hinweg gewesen. Doch sein Scheme hat gewisse Vorzüge, die gerade gegen einen Quarterback wie Tom Brady von Vorteil sind.
Bereits im Super Bowl XLII im Jahr 2008 war Spagnuolo als DC der Gegner von Brady und den Patriots mit den New York Giants. Jene gewannen die Partie auch mit viel Glück am Ende - man denke an den Helm-Catch von David Tyree -, doch, dass es den Giants seinerzeit gelang, Bradys Monster-Offense - Brady warf damals als erster Spieler überhaupt für 50 Touchdowns in der Regular Season - in Schach und bei gerade mal 14 Punkten zu halten, war kein Glück.
Vielmehr hatte es System. Vor allem war es Spagnuolo gelungen, Druck durch die Mitte zu erzeugen. Ein Mittel, das seinerzeit noch viel zu selten systematisch genutzt wurde. Da Offensive Lines besonders damals vor allem auf dominanten Tackles aufbauten, waren die Guards und Center eher selten Top-Athleten und gewissermaßen Schwachstellen.
Spagnuolos Defense machte sich dies gegen Brady zu Nutze und stellte gerade in Passing Downs immer wieder einen seiner drei Top-Edge-Rusher Michael Strahan, Osi Umenyiora oder Justin Tuck nach innen und brachte so Brady konsequent über weite Teile der Partie unter Druck.
Das Ergebnis waren dann neben nur 14 zugelassenen Punkten vor allem fünf Sacks. Zudem zwangen sie Brady immer wieder zu überhasteten Würfen, sodass er nur 29 seiner 48 Passversuche anbrachte.
Ob die Chiefs am Sonntag ähnlich vorgehen werden, sei dahingestellt. Doch mit Defensive Tackle Chris Jones haben sie per se schon einen elitären Pass-Rusher durch die Mitte. Und wenn Brady eines nicht mag, ist es Druck mitten ins Gesicht. Warum sollte es dieses Mal anders sein?
Chiefs: Patrick Mahomes
Warum gewinnen die Chiefs den Super Bowl? Weil sie Patrick Mahomes als ihren Quarterback haben!
Mahomes ist seit seiner ersten Saison als Starter sicherlich der beste Quarterback der Liga. Er gewann bereits 2018 den MVP Award und im Vorjahr den Super Bowl MVP.
Er machte zwar über weite Strecken keinen überragenden Job in Super Bowl LIV und wirkte etwas von der Rolle, doch als er im Schlussviertel erwachte, gab es schlicht kein halten mehr für seine Offense gegen die 49ers, die ihn bis dahin ganz gut im Griff hatten.
Mahomes wird nicht grundlos als menschlicher Cheatcode bezeichnet. Er ist der gefährlichste Quarterback überhaupt, hat immer ein Big Play im Ärmel und ist kaum zu stoppen. Zudem kann man ihn einfach nicht blitzen, weil er zu schnell den Ball loswird und dann zwangsläufig mindestens ein Spieler frei ist, den er in aller Regel findet. Ein wirklich schlechtes Spiel hat es von Mahomes bisher in der NFL schlicht nicht gegeben.
Zudem hat er im Laufe der Zeit auch sein Kurzpassspiel perfektioniert. Mahomes braucht keinen Deep Ball, um voll zur Geltung zu kommen. Er ist komplett zufrieden damit, wenn er sich auf Underneath-Pässe beschränken muss. Denn auch dann weiß er, dass er fähige Playmaker ins Spiel bringt, die nach dem Catch noch viele Yards erzielen können.
Das klare Gegenmittel für Mahomes wurde noch nicht gefunden, wer soll ihn also stoppen?
Die Chiefs haben also einige schlagkräftige Argumente auf ihrer Seite, und das sowohl offensiv, als auch defensiv.
Doch auch Tom Brady und die Tampa Bay Buccaneers gehen keineswegs chancen- oder hoffnungslos in ihren Heim-Super-Bowl. Diese Faktoren sprechen für die Bucs:
Super Bowl LV: Darum gewinnen die Buccaneers
Buccaneers: Der bärenstarke Pass-Rush der Bucs
Jeden Quarterback kann man mit Druck zu Fehlern zwingen. Die Frage ist nur, wie denn dieser Druck zustande kommt. Defensive Coordinator Todd Bowler könnte hierfür eine Antwort gefunden haben, wie die Bucs gerade gegen die Packers demonstrierten.
Wer Mahomes ärgern will, muss ihn unter Druck setzen ohne zu blitzen. Das heißt, lediglich die defensive Front geht auf Quarterback-Jagd, in dem Fall allen voran die Edge-Rusher Shaq Barrett und Jason Pierre-Paul. Durch die Mitte können aber auch Ndamukong Suh und insbesondere Vita Vea, der gegen Green Bay direkt ein eindrucksvolles Comeback hatte, für Gefahr sorgen.
Gegen die Packers und Aaron Rodgers, den die Bucs nicht zu Unrecht als ähnlichen Spielertypen wie Mahomes identifiziert haben, gelang dies gegen eine angeschlagene Offensive Line, in der Left Tackle David Bakhtiari schmerzlich vermisst wurde. Umstellungen führten dazu, dass damit gleich beide Seiten geschwächt waren und dem Druck von außen zumeist nicht standhielten.
Das sorgte dafür, dass immer wieder Spieler schnell zu Rodgers vordrangen und die Bucs am Ende auf fünf Sacks und acht QB-Hits kamen. Rodgers brachte nur 33 von 48 Pässen an und leistete sich eine Interception.
Ob das auch gegen Mahomes klappt, ist eine andere Frage, aber immerhin sind die Bucs hier gut gerüstet. Und dieses Mal sogar gegen eine noch stärker kompromittierte Offensive Line: Mit Eric Fisher und Mitchell Schwartz fehlen beide Starting Tackles, zudem waren auch die Guards vor der Saison nicht als Starter eingeplant. Die beiden Tackles im Super Bowl werden wohl jeweils positionsfremd eingesetzt. Einfach wird das nicht für Mahomes.
Buccaneers: Sie haben aus dem ersten Duell in Woche 12 gelernt
In Woche 12 schlugen die Chiefs die Bucs ebenfalls in Tampa mit 27:24. Knapp war es am Ende nur, weil Brady und Co. eine Aufholjagd starteten und im Schlussviertel noch zwei Touchdowns erzielten. Entschieden war die Partie jedoch schon viel früher.
Besonders einen Spieler bekamen die Bucs überhaupt nicht in den Griff: Tyreek Hill, der drei Touchdowns erzielte, davon zwei im ersten Viertel. Darüber hinaus fing er insgesamt 13 Pässe für 269 Yards.
Was war das Problem? Die Bucs machten zu Beginn den Fehler, sich nur auf ihre Stärken zu verlassen. Sie blitzten Mahomes heftig und versuchten, Hill durch Cornerback Carlton Davis in Man Coverage zu nehmen. Ein Unterfangen, das kläglich scheiterte.
Später im Spiel setzte Tampa Bay dann mehr auf Zone und dadurch eben auch auf Safety-Hilfe gegen Hill. Das brachte dann zwar Kelce über die Mitte des Feldes besser zur Geltung (8 REC, 82 YDS), machte die Chiefs-Offense aber deutlich weniger explosiv.
Es ist nun anzunehmen, dass Todd Bowles die richtigen Schlüsse aus dem Spiel ziehen und von Anfang an eher gegen die Tendenzen seines Teams gehen wird. Die beste Chance, die Chiefs-Offense in Schach zu halten, ist es, sie nicht explodieren zu lassen. Das braucht viel Disziplin und viel Geduld, doch rein personell sollten die Bucs hierfür gerüstet sein, zumal sie auch auf Linebacker-Level mit Lavonte David und Devin White den Speed haben, um Underneath gut zu verteidigen, sei es gegen Kelce oder auch einen der Running Backs in Space.
Buccaneers: Tom Brady
Tom Brady am Super Bowl Sunday in seinen Reihen zu wissen, dürfte nicht nur sportlich, sondern auch im Kopf ein klarer Vorteil sein. Seine Mitspieler wissen, was er gerade in dieser Situation zu leisten im Stande ist und, dass man mit ihm als Quarterback nie raus ist aus dem großen Spiel.
Und Gegner wissen dies eben auch! Die Chiefs selbst erlebten, was Brady in den Playoffs gerade gegen Ende leisten kann. Er sorgte mit seiner (Patriots-)Offense vor zwei Jahren im AFC Championship Game für die bislang einzige Pleite von Mahomes in den Playoffs überhaupt. Sein Game Winning Drive in der Overtime war nicht weniger imposant als jener gegen die Falcons in Super Bowl LI vor vier Jahren.
Brady ist der ultimative Super-Bowl-Quarterback, der gerade dann über sich hinauswächst, wenn es wirklich zählt. Er hält nicht umsonst alle relevanten Rekorde in diesem Spiel.
Abgesehen davon hat es zwischen Play-Caller Byron Leftwich und Brady nach der Pleite gegen KC und der darauffolgenden Bye Week Klick gemacht. Zumindest phasenweise! Die Spielzug-Auswahl mag immer noch zum Teil Fragen aufwerfen, aber gerade spät im Spiel, wenn aufs Run Game verzichtet wurde, sah das schon meist sehr flüssig aus.
Zudem klappt das Zusammenspiel mit den Receivern mittlerweile deutlich besser als noch zu Saisonbeginn.
Wenn die Bucs am Ende des Spiels in Schlagdistanz sein und als letztes den Ball haben sollten, dann wäre eine zweite Lombardi Trophy für Tampa Bay mehr als greifbar. Denn für diese Momente haben sie Tom Brady geholt.