Die Welt verändert sich. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar war, ist nun zumindest in Ansätzen möglich. Mit Carl Nassib hat die NFL ihren ersten offen homosexuellen Spieler in der Liga.
Sein Coming-Out ist natürlich sehr zu begrüßen. Es gibt ihm die Möglichkeit, sein Leben zu führen, ohne sich in irgendeiner Form verstecken zu müssen - auch öffentlich. Aber es ist noch so viel mehr!
Nassib selbst sagte in seinem Twitter-Video: "Ich glaube einfach, dass es wichtig ist, sichtbar zu sein und sich zu zeigen. Gleichzeitig hoffe ich, dass Videos wie diese und dieser ganze Coming-Out-Prozess überflüssig sind. Aber bis es so weit ist, tue ich mein Bestes, eine Kultur der Akzeptanz und des Mitfühlens vorzuleben." Es ist ein Statement, mit dem er den Nagel auf den Kopf trifft.
Es ist nämlich in der heutigen Zeit leider immer noch nicht selbstverständlich, sich als homosexuell zu outen, jedenfalls nicht im Männer-Profisport. Bei den Frauen ist man da deutlich weiter. Immer mehr Spielerinnen in Mannschaftssportarten wie der WNBA zum Beispiel oder im weltweiten Frauenfußball haben den Schritt gewagt und es wird allgemein akzeptiert und als die Normalität angesehen, die sie ist.
Offene Homosexualität im Herren-Mannschaftssport ein Tabu
Im Mannschaftssport der Herren jedoch ist man sehr viel zurückhaltender bei diesem Thema. Eigentlich kommt einem hier nur Jason Collins in den Sinn, der sich im Jahr 2013 als aktiver NBA-Profi geoutet hatte. Und Michael Sam, der vor dem NFL Draft 2014 sein Coming-Out hatte, aber dennoch gedraftet wurde. Er schaffte es jedoch nie in die Liga - aus sportlichen Gründen wohlgemerkt.
Erst vor kurzem gab es hierzulande wieder die Diskussion, ob sich ein Profisportler in einem Mannschaftssport outen sollte. Der frühere Fußballnationalspieler Philipp Lahm hatte sich in seinem Buch dagegen ausgesprochen und dabei die Befürchtung geäußert, dass zumindest teilweise Zuschauer negativ darauf reagieren könnten.
Diese Gefahr besteht zweifelsohne auch in den USA, die zu fast 50 Prozent republikanisch ist und damit alles andere als tolerant daherkommt. Die NFL steht offiziell für Vielfalt, hat jedoch zahlreiche Teameigner und auch Coaches und Spieler, die eher konservativ unterwegs sind. Das äußert sich aktuell in der Corona-Impf-Motivation und auch in puncto Homosexualität sollte man eine grundsätzliche Weltoffenheit nicht unbedingt als gegeben ansehen.
Sicherlich wird sich keiner offen gegen Nassib stellen, zu groß dürfte die eigene Angst vor öffentlichem Gegenwind sein - immerhin ist die Gesellschaft in dieser Hinsicht schon so weit, lautstark gegen Hass vorzugehen, nicht nur auf Social Media. Doch der generelle Umgang mit ihm - ob von Teamkollegen, Gegnern oder Zuschauern - wird nun zeigen, ob die Sportwelt wirklich reif ist für einen männlichen homosexuellen Spieler in der größten Sportliga der Welt.
Nassibs Outing: Bahnbrechender Moment im Sport
Wenn sie es ist und wenn Nassib - so wie er ist - von allen positiv aufgenommen wird, wäre dies ein bahnbrechender Moment in der Geschichte des Sports. Denn dann wäre es ein klares Signal an alle anderen Sportarten und Ligen - nicht nur an jene in den USA -, dass die Vielfalt, die von Ligen wie Verbänden vielerorts demonstrativ vorgelebt wird, nicht nur eine leere Botschaft ist, sondern eine tiefgreifende Überzeugung.
Und für all die anderen homosexuellen Sportler wäre es ein klares Signal, dass es absolut okay ist, sich zu outen und sein Leben wie jeder andere zu leben. Ohne Versteckspiel.
Man kann nur hoffen, dass das im eher schwierigen politischen Umfeld der USA von Erfolg gekrönt ist. Spätestens dann nämlich könnte das Land auch wieder als glühendes Vorbild für positive Veränderung dienen. Und ein Zeichen an die Welt senden, dass auch der von allen so geliebte Mannschaftssport mit Nachdruck und voller Überzeugung für Vielfalt, Toleranz und gegen alle Formen des Hasses steht. Und dass die LGBTQ+-Community überall vollends akzeptiert und herzlich willkommen ist.