Woche 10 bringt einmal mehr Fragen in der AFC mit sich: Können die Patriots sogar um den Titel mitspielen? Was ist los mit der Chargers-Offense? Welche Auswirkungen könnte diese Saison auf die Offseason haben?
Außerdem: Sind wir irgendwie schlauer bezüglich des Playoff Pictures in der AFC? Und wie gut ist die Packers-Defense eigentlich wirklich?
SPOX-Redakteur Adrian Franke beantwortet eure Fragen zum Spieltag - auch diese Woche wieder mit einigen zusätzlichen Fragen im Video-Mailbag.
Mailbag: Was ist los mit der Chargers-Offense?
Nick Schuhmann: Was ist mit der Chargers-Offense los? Am Anfang der Saison noch spektakulär gespielt und jetzt tun sie sich Spiel für Spiel schwer?
Ich hab einige Male über die Chargers-Offense geschrieben. Zuletzt vor zwei Wochen darüber, dass wir nicht vergessen sollten, realistische Erwartungen an diese Offense und an das Team insgesamt zu haben.
Aber ein Punkt sticht für mich seit Saisonstart heraus und war auch während des positiven Runs der Chargers klar zu sehen: Das Scheme passt nicht gut zu Justin Herbert. Und in der Folge holt die Offense aktuell nicht das Maximum aus ihrem individuellen Potenzial heraus.
Was konkret heißt das? Die Chargers haben für mich viel zu wenig einen Plan, wie sie Herberts Arm bestmöglich einsetzen können. Sie attackieren viel zu wenig per Design in der Mid-Range, stattdessen spielen sie ein extremes Kurzpassspiel. Viele Option-Routes kurz, viel designtes Kurzpassspiel. Das Spiel gegen die Vikings war dahingehend selbst für Chargers-Verhältnisse extrem, Herbert hatte eine durchschnittliche Target-Tiefe von 5,6 Yards.
Ich habe 15 (!) solcher Pässe allein aus dem Vikings-Spiel am Sonntag herausgesucht, um zu unterstreichen, wie sehr das die Identität dieser Offense ist. Und wie wenig es eigentlich zusammenpasst.
Selbst das Play-Action-Passspiel hilft hier nicht, Herberts Target-Tiefe bei Play Action (7,5 Yards durchschnittliche Target-Tiefe) rangiert auf Augenhöhe mit Tua Tagovailoa (7,4) und Ben Roethlisberger (7,1). Obwohl die Chargers viel aus engen Formationen spielen, Herbert Under Center stellen und den Ball definitiv auch laufen wollen, nutzen sie das wiederum nicht, um aus diesen Formationen dann Defenses via Play Action vertikal zu attackieren. Die Rollouts enden viel zu häufig mit designten Pässen in die Flat oder dergleichen, ähnlich wie simple Play-Action-Offenses wie die finale Version der Rams-Goff-Offense oder die der Bears-Trubisky-Offense.
Die Folge ist eine Offense, die Big Plays vor allem dann bekommt, wenn Justin Herbert sie mit seinem außergewöhnlichen Armtalent liefert; eine Offense, die nicht einmal was die Mitte des Feldes angeht den tieferen Bereich attackiert. Schematisch erinnert mich das eher an die letzten Jahre mit Drew Brees, welche Offensive Coordinator Joe Lombardi in New Orleans natürlich live miterlebt hat - und wonach er ganz offensichtlich die Chargers-Offense auch formt.
Das kann funktionieren, wenn man einen hocheffizienten, sehr konstant akkuraten Pocket-Passer hat. Doch Herbert ist das nicht nur nicht - also das ist nicht seine Stärke, und wir haben genau diese Problematik bei Oregon schon gesehen -, aktuell hemmt das Scheme die Offense auf eine Art und Weise, dass die Chargers stark von Matchups, davon, dass ihre Spieler individuell gewinnen, sowie von inkonstanten Aspekten wie Third Downs und einzelnen Big Plays abhängig sind.
Deshalb wirken sie auch so schwer greifbar; Defenses können die Offense in ihrer aktuellen Struktur leichter abmelden als es angesichts des Talents bei den Chargers der Fall sein sollte. Und das ist ein Problem.
Eric Lange: Durch unerwartete Siege durch schwächere Teams vergrößert sich das Niemandsland in der NFL. Was für Auswirkungen wird dies auf die Offseason haben, wenn einige Teams aufgrund dieser Siege den Gedanken haben, sie sind nur ein Teil vom großen Wurf entfernt?
Inwieweit es wirklich die Offseason verändert, da würde ich jetzt noch keine Prognose treffen - es liegt ja auch fast noch eine halbe Saison vor uns.
Aber das würde ich dazu sagen: Ich bin schon lange der Meinung, dass die Fähigkeit, den eigenen Kader richtig einzuschätzen, eine der ganz zentralen Kompetenzen eines GMs sein muss. Ist diese nicht vorhanden, ist die Gefahr groß, dass ein Kader ins Nichts gesteuert wird - wo dann nicht selten nur der glückliche Quarterback-Pick (oder die glückliche Head-Coach-Verpflichtung) einen Ausweg ermöglicht.
Ich wiederhole es jede Offseason: Teams sind nie so ehrlich wie in der Free Agency und im Draft. Wo sonst ohne Bedenken geflunkert wird, sprechen hier die Entscheidungen und die Handlungen lauter als alle Aussagen es könnten.
Ein Trend, den man in meinen Augen relativ klar feststellen kann, ist der, dass mehr Teams aggressiv sind. Teams wie Miami, Teams wie Carolina, die Rams natürlich sowieso - hier wird nicht lange gefackelt was Kader-Entscheidungen angeht, egal in welche Richtung. Und mehr aggressive Teams in Kombination damit, dass mehr Teams gezielt den groß angelegten Neustart einleiten, führt generell zu mehr Bewegung auf dem Markt.
Die spannende Frage ist dann eben, ob einige der ohnehin aggressiven Teams sich in einem möglichen "Win-Now"-Fenster wähnen. Philadelphia könnte so eines sein, falls Jalen Hurts seine Entwicklung fortsetzt. Oder die Panthers, falls Cam Newton seinen zweiten Frühling erlebt, um nur zwei zu nennen.
Viele Worte, ohne ganz konkret die Frage zu beantworten, aber je länger ich darüber nachdenke, desto eher tendiere ich in der logischen Konsequenz zu einem Ja. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Team in der NFC - Carolina? Minnesota? - den Nummer-7-Seed ergattert und daraus die falschen Schlüsse zieht, beispielsweise.
Uns wird einmal mehr eine sehr interessante Offseason erwarten.
Video-Mailbag: Wie gut ist die Packers-Defense wirklich?
Green Bay hat sich jetzt defensiv gegen die Chiefs und Seahawks sowie eine Halbzeit lang gegen Arizona glänzend präsentiert - aber wie gut ist die Packers-Defense eigentlich wirklich?
Außerdem: Woran liegt es, dass die Ravens schwächere Gegner dieses Jahr nicht wie gewohnt dominieren? Was ist mit den Tampa Bay Buccaneers los? Und was läuft bei der Jaguars-Offense schief?
Die Antworten gibt's im Video-Teil des Mailbags!
Bully: Sind die Patriots ein Darkhorse Super Bowl Contender?
So weit würde ich nicht gehen, auch wenn ich am Montag ausführlicher darüber geschrieben habe, dass die Pats spielen wie ein Playoff-Team.
Und klar, wenn wir jede Woche sagen, dass die AFC komplett offen ist, dann heißt das im Umkehrschluss nicht nur, dass wir alle zwei, drei Wochen überlegen, wer das beste Team in der AFC ist oder ob es überhaupt ein gutes Team in der AFC gibt - sondern eben auch, dass die Grenzen "nach unten" sehr schwammig sind.
Drei Punkte, warum ich die Patriots trotzdem noch nicht in den erweiterten Kreis der Titelanwärter einsortieren würde: Die Offense ist noch nicht auf dem gleichen Level was Abstimmung, Fehlerbehebung und das Reagieren während eines Spiels angeht wie wir es von Titelanwärtern kennen. Das muss letztlich keine Rolle spielen, aber gerade in den Playoffs, wo fast immer gute Gegner warten und Nuancen entscheiden, kann sowas eben doch häufiger den Unterschied ausmachen.
Mac Jones entwickelt sich sehr gut, aber Rookie-Quarterbacks, die direkt einen Playoff-Run hinlegen konnten, sind sehr selten. Das liegt natürlich auch an den Umständen - die meisten Rookie-Quarterbacks, die direkt spielen, sind in ein schlechtes Team geraten - aber es wäre schon nochmal ein massiver Sprung von "Mac Jones entwickelt sich schneller als gedacht" zu "Mac Jones legt in seiner Rookie-Saison einen Playoff-Run hin".
Und dann bin ich eben gespannt, wie das Ceiling dieses Teams aussieht, wenn die Patriots in den Playoffs vielleicht High-Scoring-Spiele spielen müssen. So wie die AFC aktuell läuft, will ich auch hier keinesfalls etwas ausschließen, könnte mir aber gut vorstellen, dass die Pats eben vielleicht dann doch an Grenzen stoßen, wenn Jones sie im Januar in einem Spiel tragen muss. So eindrucksvoll er den Ball aktuell auch wirft.
Die gute Nachricht: Die Pats spielen in der verbleibenden zweiten Saisonhälfte noch zwei Mal gegen Buffalo und gegen die Titans. Wir sollten also noch ein deutlich besseres Gefühl dafür bekommen, was wir von den Patriots in den Playoffs - und wie gesagt, hier rechne ich fest mit ihnen - erwarten können.
Mailbag: Gibt es überhaupt einen klaren MVP?
SwissGuy: Sind wir wenigstens ein bisschen schlauer geworden in der AFC und den Kräfteverhältnissen der Playoff-Kandidaten?
Ich würde eher sagen, wir sind hier weniger schlau - kann man bei dieser Frage "dümmer" werden? - geworden.
Die Ravens wirkten ausgelaugt und ideenlos am Donnerstag in Miami, die Browns - spezifischer Baker Mayfield - finden weiter wenige Antworten, wenn Plan A nicht funktioniert. Die Chargers sind defensiv nach wie vor anfällig und über die Probleme der Offense habe ich ja gerade ausführlicher geschrieben, die ganze AFC West ist eine Wundertüte.
Vielleicht zwei Dinge, die wir gelernt haben: Die Titans gewinnen selten schön, aber sie stehen trotz all ihrer Verletzungen und Ausfälle bei 8-2 mit Spielen gegen die Texans, Patriots, Jaguars, Steelers, 49ers, Dolphins und nochmal Houston vor der Brust. Selbst wenn sie gegen New England verlieren und dann nochmal irgendwo patzen, Tennessee muss man als Favorit auf den Nummer-1-Seed auf dem Zettel haben.
Und der andere Punkt betrifft die Patriots, über die ich ja hier bereits sowie am Montag geschrieben habe. New England ist gut und New England kann Richtung Playoffs noch ein sehr unangenehmes Team werden.
Aber sonst? Ich denke weiterhin, dass die Bills den stärksten Kader in der AFC haben, aber die Bills haben klar benennbare Probleme gerade offensiv. An diesen Problemen arbeiten sie, aber ich würde auch sagen, dass die Anzahl an Bills-Siegen gegen wirklich gute Teams in dieser Saison überschaubar ist. Hier wird es in der zweiten Saisonhälfte noch einige Möglichkeiten geben.
Kevin Penning: Gibt es dieses Jahr überhaupt einen klaren MVP?
Nein.
Matt Stafford war vermutlich mit Blick auf die Stats bis zum Monday Night Game gegen San Francisco der Favorit, aber Stafford hatte jetzt ein ziemliches Desaster gegen die Titans und dann ein ebenfalls schwaches Spiel gegen die 49ers, beides in Primetime.
Dennoch ist es gut möglich, dass Stafford die Liga am Saisonende in mehreren wichtigen individuellen Kategorien anführt - aber die Rams müssten an diesem Punkt schon den Nummer-1-Seed holen mit entsprechenden Leistungen von Stafford in der weiteren zweiten Saisonhälfte.
Kyler Murray hat jetzt zwei Spiele verpasst und hat für den Rest der Saison wenig Spielraum für Fehler. Falls er noch ein drittes Spiel verpasst, sehe ich keine Chance mehr für ihn. Spielt Murray wie über weite Teile der ersten Saisonhälfte, Arizona gewinnt die Division und hat vielleicht sogar den Nummer-1-Seed, ist Murray der Favorit.
Dak Prescott wäre neben Murray aktuell im obersten Tier mein Favorit. Prescott hatte gerade ein sehr schwaches Spiel gegen Denver vorletzte Woche und hat auch schon ein Spiel verpasst, also auch bei ihm ist der Spielraum nicht mehr groß. Ansonsten aber spielt er eine exzellente Saison.
Tom Brady wackelte gegen die Saints und dann auch nach der Bye gegen Washington. Lamar Jackson hat die Ravens in zahlreichen Spielen dieses Jahr schon getragen, hatte aber auch eine desolate erste Hälfte gegen die Vikings und kam dann gegen Miami in Primetime auf keinen grünen Zweig.
Kurzum: Einen klaren MVP gibt es aktuell nicht. Auch jemand wie Josh Allen könnte hier wieder ins Rennen eingreifen. Es gibt Szenarien, wie sich hier ein Favorit herauskristallisieren kann, und ich schaue dabei aktuell vor allem auf Murray mit den Cardinals und Prescott mit den Cowboys. Stafford ist in meiner persönlichen Einschätzung kein MVP-Kandidat rein von der Art und Weise, wie er gespielt hat, auch wenn die Zahlen das am Ende nahelegen könnten.
Aber falls einer der drei den Nummer-1-Seed holt - und dafür wäre ja dann vermutlich auch eine gute individuelle zweite Saisonhälfte nötig -, dürfte der sich als Favorit dann auch absetzen.
Pascal: Wann und wie wollen die Lions dieses Jahr noch einen Sieg holen?
Sicher, eine Überraschung - die wackelnden Browns etwa warten am kommenden Sonntag - kann immer passieren, das zeigt uns diese NFL-Saison ja überdeutlich. Aber wenn wir realistisch draufschauen, sehe ich noch zwei, vielleicht halbwegs drei einigermaßen realistische Möglichkeiten.
In etwas mehr als einer Woche ist Thanksgiving, Detroit eröffnet den Football-Nachmittag dann traditionell mit dem ersten Heimspiel des Tages. Die Chicago Bears sind dann in der Motor City zu Gast, und während Justin Fields zwar durchaus positive Entwicklungen an den Tag legt, ist Chicago rein auf dem Papier mit Sicherheit der schwächste noch ausstehende Gegner.
In Woche 16 geht es nach Atlanta zu den Falcons. Gut möglich, dass es dann auch für die Falcons um nichts mehr geht und auch Atlanta ist zu krassen Formschwankungen durchaus in der Lage.
Ansonsten geht es noch gegen besagte Browns, gegen Minnesota, Denver - die Broncos wären meine dritte Option, aber Mitte Dezember könnte Denver durchaus noch mittendrin im Playoff-Rennen sein -, gegen Arizona, gegen Seattle und gegen die Packers. Die Lions haben den schwächsten Kader in der NFL, angeführt vom nunmehr schwächsten Starting-Quarterback. Jeder Sieg wäre an diesem Punkt eine Überraschung, das muss man klar sagen.