Die Las Vegas Raiders treten am Samstag im Wildcard Game gegen die Cincinnati Bengals an. Damit beenden sie eine lange Playoff-Durststrecke. Doch wie sie dieses Kunststück vollbrachten und was für Hürden sie dafür zu nehmen hatten, ist schwer zu glauben. Ein Rückblick auf die skandalöse und tragische Saison in der Stadt der Sünde.
Gewissermaßen mit der Schlusssirene versenkte Kicker Daniel Carlson im letzten Spiel der Regular Season 2021 ein 47-Yard-Field-Goal gegen die Los Angeles Chargers in der Overtime. Damit stand endgültig fest: Die Las Vegas Raiders stehen in den Playoffs - erstmals seit 2016 noch dazu.
Das allerdings war nur das freudige Ende einer Regular Season, die alles andere als reibungslos über die Bühne gegangen war. Bevor es am Samstag nun im Wildcard Game gegen die Cincinnati Bengals (22.30 Uhr LIVE auf DAZN) - ihrerseits ebenfalls ein recht überraschender Playoff-Teilnehmer - geht, lohnt ein Blick zurück auf eine denkwürdige Saison, die einige in Vegas sicher gern schnell vergessen würden, auch wenn das schwierig erscheint.
Bemerkenswert ist vor allem, dass rückblickend gar nicht mal so klar ist, welcher Skandal nun eigentlich der größte war, welcher Nebenkriegsschauplatz den größten Tiefschlag für die Franchise repräsentierte.
Dabei hatte die erweiterte Saison doch eigentlich so positiv angefangen: Edge-Verteidiger Carl Nassib hatte sich als erster aktiver NFL-Spieler als homosexuell geoutet und dafür eigentlich durch die Bank positive Reaktionen erhalten. Und das strahlte entsprechend auch positiv auf die Raiders ab. Aus heutiger Sicht wirkt dies allerdings Jahre her und wie ein einsamer Stern an einem ansonsten düsteren Nachthimmel.
Sportlich legten die Raiders auch gut los und schlugen die favorisierten Baltimore Ravens nach einer epischen Schlacht in der Overtime im ersten Monday Night Game der Saison und dem ersten Spiel im neuen Allegiant Stadium vor Zuschauern. Mehr noch: Die Raiders starteten mit 3-0 in die Saison und ließen schon früh aufhorchen. Dann allerdings begann der rabenschwarze Oktober.
Las Vegas Raiders: Erste Niederlage als böses Omen
Die erste Niederlage kassierten die Raiders erneut an einem Montagabend, allerdings in Los Angeles bei den Chargers. Und es war ein merkwürdiger Abend: Der Kickoff der Partie musste verschoben werden - trotz kompletter Überdachung konnte aufgrund eines Gewitters im neuen SoFi Stadium nicht gespielt werden. Eine bis heute unglaubliche Episode angesichts des Preisschilds von rund sechs Milliarden Dollar für diesen Palast in Inglewood/Kalifornien. Aus heutiger Sicht war es aber wohl auch ein Zeichen für Dinge, die danach auf die Raiders zukommen würden.
Wenige Tage später, am 8. Oktober nämlich, machte die Meldung die Runde, dass Head Coach Jon Gruden in einer geleakten E-Mail aus dem Jahr 2011 an den einstigen Funktionär der Washington-Franchise, Bruce Allen, den Direktor der Spielergewerkschaft DeMaurice Smith rassistisch beleidigt habe. Gruden selbst erklärte kurz darauf, sich nicht an die E-Mail zu erinnern, versuchte aber seine Wortwahl zu relativieren und gab an, sich bei Smith entschuldigt zu haben. Damit allerdings war diese Causa nicht zu Ende - noch lange nicht.
Nur zwei Tage später nämlich berichtete Chris Mortensen von ESPN von weiteren E-Mails, in denen Gruden Commissioner Roger Goodell beleidigt habe. Der Aufschrei hierüber hielt sich zunächst in Grenzen, sorgte jedoch für Unruhe, zumal diese Story am Spieltag veröffentlicht wurde. Die Raiders verloren am selben Tag ihr erstes Heimspiel der Saison gegen die Chicago Bears.
Einen Tag später dann der große Knall: Die New York Times veröffentlichte einen Artikel, der von noch mehr E-Mails berichtete. Und in jenen soll Gruden dann sexistische, homophobe und frauenfeindliche Äußerungen getätigt und damit diverse Leute beleidigt haben. Nur wenige Stunden nach dem Bericht trat Gruden dann als Head Coach der Raiders zurück - er wolle kein Störfaktor für sein Team sein, hieß es in einem Statement. Eine Aussage, die allerdings das Thema verfehlte.
Special Teams Coordinator Rich Bisaccia übernahm als Interimscoach, während die Reaktionen auf die gesamte Gruden-Geschichte gemischt ausfielen. Carr erklärte: "Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe den Mann, aber ich hasse seine Sünde." Teameigner Mark Davis wiederum hielt sich lange Zeit bedeckt und äußerte sich erst Ende Oktober zur Sache. Die Quintessenz: Ihn störte die Tatsache, dass die NFL die Raiders nicht bereits im Sommer über die E-Mails informierte, was die Situation für die Franchise erleichtert hätte. "Dann hätten wir etwas vor der Saison machen können, nicht erst mitten in der Saison", erklärte Davis.
Jon Gruden bei den Las Vegas Raiders
Saiison | Siege | Niederlagen | Platzierung AFC West |
2018 | 4 | 12 | 4. |
2019 | 7 | 9 | 3. |
2020 | 8 | 8 | 2. |
2021 | 5 | 3 | 2. (trat nach Woche 5 zurück) |
Las Vegas Raiders: Mark Davis kritisiert lieber NFL als Gruden
Eine wirkliche Kritik an Gruden ließ sich Davis aber nicht entlocken. Überhaupt blieb dies aus Raiders-Kreisen eher aus. Einer, der Kritik am ehemaligen Head Coach, der eigentlich für zehn Jahre unterschrieben hatte, zumindest nah kam, war schließlich Running Back Josh Jacobs. Der nämlich bekundete nach dem Sieg-Debüt unter Bisaccia (die Raiders schlugen die Broncos 34:24 in Spiel 1 nach Gruden) gegenüber dem Las Vegas Review: "Mann, die Seitenlinie! Es war, als wäre dort keine Aufregung. Es war komisch. Es war, als wäre jeder ruhig gewesen. Niemand brüllte dir Beleidigungen entgegen oder flippte gegenüber den Schiedsrichtern aus. Nichts von alledem." Eine klarer Seitenhieb Richtung Gruden, auch ohne seinen Namen nennen zu müssen.
Was folgte, war eine tragische Woche, eine der dunkelsten Stunden für die Raiders: Es begann mit einem schweren Autounfall von Wide Receiver Henry Ruggs mit Todesfolge. Ruggs war mit überhöhter Geschwindigkeit und volltrunken in einen Toyota gekracht, der daraufhin in Flammen aufging, eine Frau und ihren Hund kamen ums Leben. Ruggs wurde kurz darauf entlassen. Und während sich einige Teamkollegen und Bisaccia betroffen zeigten, tauchte nur wenige Tage später ein Video von Cornerback Damon Arnette auf, in dem er mit einer automatischen Waffe herum fuchtelte und einem Fan mit Mord drohte. Auch er wurde daraufhin entlassen.
Die Woche endete indes mit Bisaccias erster Niederlage, ein uninspirierter Auftritt bei den New York Giants, was aber angesichts der Ereignisse unter der Woche niemanden so recht interessierte. Es war jedoch der Anfang eines sportlichen Tiefflugs, denn nachdem die Raiders zeitweilig sogar an der Spitze der AFC West geschnuppert hatten, ging es von da an steil bergab: Aus ihrer Bye Week kommend verloren sie fünf ihrer nächsten sechs Partien, darunter zwei ordentliche Packungen gegen die Kansas City Chiefs - Gesamtergebnis: 23:89.
Einziger Lichtblick in dieser Phase war ein Sieg in der - natürlich - Overtime an Thanksgiving in Dallas. Auch damals war es Carlson, der für den Sieg sorgte. Es folgten jedoch Pleiten gegen Washington und eben in KC, doch dann ging es Mitte Dezember doch wieder bergauf. Die Mannschaft war merklich zusammengerückt, musste ein paar Verletzungen verkraften und schaffte es dennoch, vier Siege in Serie einzufahren - und zwar allesamt mit nur einem Score Unterschied - mehr noch: Nur der Sieg in Denver war mit mehr als einem Field Goal Vorsprung ausgefallen.
gettyLas Vegas Raiders: Auch 2022 beginnt nicht reibungslos
Eine solche Serie ist beeindruckend und zeugt von Nervenstärke, was letztlich in den Playoffs durchaus von Vorteil sein könnte. Doch auch inmitten dieses erneuten Höhenflugs ging es nicht ganz ohne etwaige Fehltritte abseits des Spielfelds.
Am 3. Januar nämlich wurde Rookie-Cornerback Nate Hobbs ebenfalls wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen. Immerhin war er nicht gefahren, sondern wurde lediglich schlafend in seinem Auto an der Ausfahrt des Parkplatzes des Las Vegas Strip Casinos gefunden. Dennoch hat auch das einen üblen Beigeschmack, wenn man an Ruggs denkt - oder an Jacobs, der Anfang 2021 ebenfalls unter Alkoholeinfluss einen Unfall nahe des Flughafens gebaut hatte. Ein Vorfall, der heute schon fast in Vergessenheit geraten ist. Nicht verwunderlich angesichts der zwölf Monate, die zwischen beiden Vorfällen liegen.