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Unerschütterliches Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, Fehlschläge umgehend abzuhaken und nach vorn zu blicken: Qualitäten, die bei einem Quarterback nicht weniger wichtig sind als eine gute Übersicht und ein starker Arm.
Joe Burrow bringt beides mit. Und so saß der 25-Jährige nach dem knapp verlorenen Thriller gegen die Rams beim obligatorischen Interview und richtete den Fokus bereits auf die kommenden Super Bowls: 2023 in Glendale, Arizona vielleicht. Las Vegas im Jahr darauf, oder 2025 im Superdome von Louisiana. Je früher, desto besser, natürlich.
"Wir sind ein junges Team, deshalb sind wir optimistisch, dass wir im Lauf der nächsten Jahre noch ein paarmal zurück [im Super Bowl] sein werden", betonte Burrow: "Diese Niederlage wird uns für den Rest unserer Karrieren antreiben."
Ungewöhnlich ist das sicher nicht: Niemand verliert einen Super Bowl und nimmt sich nicht vor, es spätestens im nächsten Jahr besser zu machen. Erst recht kein Joe Burrow, dem Fehlschläge bisher nahezu unbekannt waren: Nummer-1-Pick nach einer spektakulären College-Karriere inklusive Titel und Heisman Trophy mit LSU, jetzt der Einzug in den Super Bowl in seiner zweiten NFL-Saison. Mit den Bengals, die zuvor 31 Jahre lang kein einziges Postseason-Spiel gewonnen hatten.
Bengals-Rückkehr zum Super Bowl? Es gibt keine Garantien
Burrows Optimismus in allen Ehren also. Und in der Tat gab es in den vergangenen Jahren gleich mehrere Beispiele unterlegener Teams, die wenig später in den Super Bowl zurückkehrten: Die Denver Broncos etwa (Niederlage in der Saison 2013 - Titel 2015), oder die New England Patriots, die unter Tom Brady ja quasi Stammgast im Super Bowl waren (Niederlagen 2011 und 2017 - Titel 2014, 2016 und 2018).
Und natürlich die Rams, die vor drei Jahren gegen die Pats kein Land sahen, diesmal aber mit nahezu komplett umgebauten Roster endlich triumphierten.
Oftmals kann der Weg zurück ins Endspiel aber ein steiniger sein, gespickt mit Sackgassen und Stolperfallen. "Das wird nicht ihre letzte Chance gewesen sein", war das einstimmige Urteil bei den Seahawks 2014 mit Russell Wilson oder den Panthers 2015 mit MVP Cam Newton. Ein weiteres mahnendes Beispiel wäre Burrows Vorbild Aaron Rodgers ("Ihm jage ich nach, um der Beste zu werden"): Der war gerade 27 Jahre alt geworden, als er mit den Packers 2010 den Super Bowl gewann - bis heute blieb es sein einziger Auftritt auf dieser Bühne.
Wie offen ist das Titelfenster der Bengals also wirklich? Droht nach der Hollywood-Story ohne Happy End in dieser Saison ein böses Erwachen? Die gute Nachricht: Burrows Zuversicht ist durchaus begründet. Der Franchise stehen alle Wege offen, um über Jahre im Kreis der Titelfavoriten mitzuspielen.
Die schlechte Nachricht: Viel größer könnten die Hürden für Cincy dennoch kaum sein.
Cincinnati Bengals in der Analyse: Jung, billig, viel Potenzial
Den wichtigsten Schritt zum Contender machten die Bengals am 23. April 2020 am ersten Tag des damaligen NFL-Drafts. Zwar war Burrow ein "No-Brainer", wie man so schön sagt, aber auch bei Top-Picks gibt es keine Garantie auf Erfolg - und schon gar keine Garantie auf derart schnellen. Seine erste Saison endete für Burrow in Week 11 mit einem Kreuzbandriss im linken Knie, keine 15 Monate später startete er im Super Bowl. Längst ist klar: "Joe Brrr", unter Druck kalt wie eine Hundeschnauze, könnte den Platz "under Center" für die nächsten zehn, 15 Jahre besetzen.
In ein paar Jahren wird das entsprechend teuer. Bisher aber ist sein Cap Hit die große Chance für das Front Office, einen schlagkräftigen Kader um Burrow herum aufzubauen. Knapp zehn Millionen Dollar beträgt sein Cap Hit im nächsten Jahr, 2023 werden es 11,5 Millionen Dollar sein. Erst dann können die Bengals, die eine Team-Option für 2024 besitzen, einen langfristigen Vertrag mit ihm aushandeln. Noch besser sieht es bei seiner "Lieblingswaffe" aus: Rookie-Receiver Ja'Marr Chase ist schon jetzt spottbillig im Vergleich zu seinen Leistungen und wird es noch mindestens drei Jahre lang sein.
Dazu kommt: Nicht nur sind Burrow und Chase echte Schnäppchen, auch die restlichen Dollars unter dem Salary Cap sind größtenteils sehr gut angelegt. Denn eigentlich befinden sich die Bengals nach jahrelangem Umherirren in der NFL-Wüste immer noch mitten im Rebuild. 6-25-1 lautete die Bilanz der Spielzeiten 2019 und 2020 zusammengerechnet, der Kader wird gerade erst neu aufgebaut. Zwar haben die Bengals zuletzt durchaus den einen oder anderen Free Agent verpflichtet, aber alternde, hochpreisige Stars über ihrem Zenit oder Massen an Dead Money sucht man vergeblich.
Dafür gibt es jede Menge Cap Space. Und alle eigenen Picks.
Cincinnati Bengals: Die wichtigsten Free Agents im Überblick
Name | Position | Alter | Gespielte Snaps 2021 (in Prozent) |
Jessie Bates III | Safety | 25 | 84.90 |
C.J. Uzomah | Tight End | 29 | 73.00 |
Quinton Spain | Guard | 31 | 90.60 |
Eli Apple | Cornerback | 27 | 87.20 |
Tre Flowers | Cornerback | 27 | 32.40 |
Larry Ogunjobi | Defensive Tackle | 28 | 64.50 |
B.J. Hill | Defensive Tackle | 27 | 44.70 |
Baustellen der Bengals: Leibwächter für Burrow gesucht
Für Schnellschüsse steht das aktuelle Front Office der Bengals nicht - sonst würde der aktuelle Coach nicht Zac Taylor heißen. "Wir schulden Besitzer Mike Brown viel, weil er so viel Geduld mit uns hatte", lobte dieser nach dem Wild-Card-Erfolg über die Raiders: "In jedem anderen Team wäre ich wohl nicht in meinem dritten Jahr." Mit einem "All-in"-Ansatz wie bei den Rams ist deshalb eher nicht zu rechnen.
Gleichzeitig muss man kein Prophet sein, um zu ahnen, wie die eigenen Picks im Draft und die über 50 Millionen Dollar unter dem Salary Cup am besten zu nutzen sind. Der eine oder andere Free Agent sollte auf jeden Fall gehalten werden, darunter Safety Jessie Bates, der sich in der Postseason für einen langfristigen Vertrag empfohlen hat. Aber danach geht es eigentlich nur noch darum, Burrow endlich senkrecht zu halten.
Sage und schreibe 19 Sacks steckte Burrow in dieser Postseason ein, das ist Negativrekord. 70 waren es insgesamt in dieser Saison, gleich siebenmal konnte er seine lädierten Knochen nach Besuchen von Aaron Donald, Von Miller und Konsorten im Super Bowl vom Boden aufklauben. "Er ist unsere Franchise", erklärte Tight End C.J. Uzomah treffend. "Dein Franchise Quarterback sollte nicht so oft getroffen werden." Zumal Burrow bereits eine schwere Knieverletzung auf dem Konto hat, und auch den Super Bowl verließ er am Sonntagabend angeschlagen.
Schon 2020 war die Line vor Burrow mehr Sieb als Mauer, die Reaktion des Front Office fiel in puncto Personal aber eher halbherzig aus. Bis auf Tackle Jonah Williams sind eigentlich alle Plätze in der O-Line zu vergeben, entweder via Draft, Trade oder Free Agency. Free Agent Brandon Scherff, zuletzt in Washington, wäre eine mögliche hochpreisige Option für eine Guard-Position.
Ein weiterer Playmaker bei den Wideouts als Gegenstück zu Chase wäre sicherlich hilfreich, ebenso ein Shutdown-Corner: Eli Apple war gegen Cooper Kupp nicht nur einmal mehr als hilflos. Der Löwenanteil der Bengals-Ressourcen muss diesmal aber unbedingt in Burrows Protection investiert werden. Mahnendes Beispiel ist nicht nur der diesjährige Playoff-Run, sondern auch der Super Bowl vor einem Jahr, als Patrick Mahomes von den Buccaneers quer über das halbe Feld gejagt wurde.
Zukunft der Bengals: Die Konkurrenz in der AFC ist enorm
Burrow, Chase, ein aufstrebender Coach, ein junges, preisgünstiges Team, jede Menge Cap Space und Picks für die Baustellen im Roster - und der unerschütterliche Kicker Evan McPherson nicht zu vergessen. Eigentlich gibt es nicht viele Gründe dafür, warum Cincy nicht in der Spitze der AFC mitmischen sollte. Ein absolutes Spitzenteam waren sie in der abgelaufenen Saison nicht, das sollte man trotz des Playoff-Runs nicht vergessen. Acht Niederlagen gab es insgesamt, fünf Siege kamen hauchdünn per Field Goal zustande.
Dennoch: Der Boden für Burrow und Co. ist bereitet. Das größte Problem auf dem Weg zu einem weiteren Super-Bowl-Auftritt liegt deshalb nicht in der eigenen Schwäche begründet, sondern in der Stärke der eigenen Conference. Das sah vor einigen Jahren noch ganz anders aus, aber derzeit scheinen sich die QB-Superstars der Zukunft - und Gegenwart - alle in der AFC zu versammeln. Mahomes in Kansas City ist dabei schon fast ein alter Hase, aber dazu kommen nun auch noch Josh Allen bei den Bills, Burrow natürlich, Justin Herbert bei den Chargers ... vergleichsweise dünn sieht es im Vergleich in der NFC aus: Tom Brady ist in den Sonnenuntergang geritten, die Zukunft von Rodgers ist noch unklar.
Burrow, Mahomes, Allen, Herbert ... nur einer aus diesem Quartett kann es pro Saison in den Super Bowl schaffen. Lamar Jackson bei den Baltimore Ravens sollte man auch nicht außer Acht lassen, und wer weiß, ob Trevor Lawrence bei den Jaguars nicht einen ähnlichen Sprung hinlegt wie Burrow in diesem Jahr.
Für die Bengals heißt das: Jetzt müssen die Verstärkungen her, das Titelfenster ist trotz der starken Konkurrenz jetzt offen. Für NFL-Fans heißt das: Die Saison 2022 kann gar nicht schnell genug kommen!