4. Vikings-Klatsche gegen Green Bay: Teil des Skripts
Ich habe über die letzten Wochen viel über die Vikings nachgedacht. Was sich anhört, wie ein versteckter Schrei nach Hilfe, hat allerdings auch zu einigen Perspektivwechseln geführt, was die Betrachtung dieser Vikings-Saison, und dann darüber hinaus auch was Team-Building generell angeht.
Um zunächst einmal eine Sache aus dem Weg zu räumen: Nein, ich bin nicht zu der Erkenntnis gelangt, dass die Vikings ein Titelanwärter sind. Minnesota hatte historisches Glück in One-Score-Games, und ich sage hier bewusst "Glück", auch wenn es natürlich nicht nur Glück war.
Manche Comebacks waren spektakulär und hochverdient, aber so viele enge Spiele in einer Saison zu gewinnen, dazu gehört auch Glück - Glück, das in aller Regel irgendwann auch wieder ins Gegenteil umschlägt, und dann können auch mal unverhältnismäßig viele enge Spiele verloren gehen, die man vorher gewonnen hat.
Ich sehe die Vikings als ein Team mit klaren Defiziten, weshalb ich Minnesota auch keinen Playoff-Run zutraue, und die Vikings eine Stufe hinter den Top-Teams in der Conference einstufe. Aber es ist schwer, nicht zu dem Schluss zu kommen, dass die Vikings eine äußerst unterhaltsame Saison gespielt haben - vielleicht mehr als jedes andere Team. Und: Natürlich kann niemand ausschließen, dass die Vikings auch in den Playoffs eines, vielleicht zwei, vielleicht auch drei Spiele auf "ihre verrückte Art und Weise" gewinnen.
Top-Quarterback - Top-Favorit?
Nun ist es sicher nicht das höchste Level an Team-Building und strategischer Saisonplanung, zu sagen, dass man ja "vielleicht ein paar verrückte Playoff-Spiele gewinnen kann". Natürlich nicht, aber gleichzeitig gibt es nur eine Handvoll Teams, die an den Start einer jeden Saison gehen und realistisch vom Titel sprechen können - in aller Regel sind es Teams mit Elite-Quarterbacks.
Und auch hierbei entpuppen sich manche Vermutungen als Fehleinschätzung. Die Bucs und die Rams waren beide Top-5 in Super-Bowl-Quoten vor dieser Saison; in beiden Fällen haben wir einen klaren Rückschritt des gesamten Kaders, aber auch der Quarterbacks gesehen.
Die anderen Teams in der Top 6: Buffalo, Kansas City, Green Bay und die Chargers - allesamt Teams, die mit absoluten Top-Quarterbacks an den Start dieser Saison gegangen sind, und das ist natürlich keine Überraschung. Man braucht ein möglichst komplettes Team, zumindest ohne gravierende Schwachstelle, gutes Coaching und auch immer etwas Glück, allein in puncto Verletzung, um nach einem Titel zu greifen.
Trotz alledem bietet der Elite-Quarterback nicht nur die beste Chance auf den Titel - er erlaubt auch den meisten Spielraum für Fehler in den oben genannten Punkten.
Der Wert einer kompetitiven Saison
Nun liegt es in der Natur der Sache, dass es von diesen Quarterbacks nur sehr wenige gibt, und das bringt uns zurück zu den Vikings, zu Kirk Cousins - und zu einer übergreifenden, elementaren Frage: Wie sinnvoll ist es, als Team in eine solche Saison zu investieren, in der man von Anfang an ein Handicap überwinden muss, weil man eben keinen dieser Top-Quarterbacks hat?
Gerade die Vikings waren vor dieser Saison ein interessanter Kandidat für diese Überlegung. Ein Team, das mit neuem Head Coach und neuem GM einen Neustart eingeleitet hatte, nachdem es jahrelang im Liga-Mittelfeld verbracht hatte. Cousins zu traden und den Neustart erst so richtig radikal einzuleiten, schien hier zumindest eine denkbare Option zu sein, die in die neu gesetzte Timeline gepasst hätte.
Stattdessen gaben die Vikings Cousins im März eine weitere kurzfristige Vertragsverlängerung, welche ihn auch 2023 an die Franchise bindet und gleichzeitig seinen Cap Hit für 2022 senkte. Sie investierten bewusst nochmals in das Cousins-Fenster, statt ein neues Kapitel zu öffnen.
Die diesjährige Vikings-Saison, so sehr sie von Zufällen und auch Glück beflügelt sein mag, zu beobachten, hat auf jeden Fall meine Blickweise auf die Extreme der Quarterback-Position etwas aufgeweicht.
Jedes Team, das keinen dieser Quarterbacks hat, sollte immer versuchen, den nächsten Elite-Quarterback zu finden und dann auch gewillt sein, Ressourcen zu investieren, um diesen Quarterback zu bekommen. Aber womöglich findet man einen solchen Quarterback nie; und es steckt auch Positives darin, als Team aus dem oberen Mittelfeld eine Saison unter der Marschrichtung anzugehen, möglichst kompetitiv zu sein. Für den Unterhaltungsfaktor, und aber auch, weil man nie weiß, ob man vielleicht in einen Lauf kommt, der einen unerwartet weit nach vorne katapultiert.
Klatsche gegen die Packers: Wenn alles schief läuft
Der Knackpunkt liegt in meinen Augen darin, wie sehr man sich aus Roster-Building-Perspektive dazu committed. Also, wie langfristig man in diese Version des eigenen Teams investiert, oder anders gesagt: Wie schnell man aus dieser Version des eigenen Teams rauskommen kann - so wie es die eingangs erwähnten Raiders mit Derek Carr und dieser Version ihres Teams jetzt machen.
Denn der andere Knackpunkt ist der, dass man sein eigenes Team richtig einschätzt. Hier lagen die Raiders in der vergangenen Offseason falsch, und es wird uns viel über das Vikings-Regime sagen, wie sie diese Saison hier einschätzen, und für welche Strategie sie sich in der kommenden Offseason entscheiden.
Denn dieses Packers-Spiel, das komplette Desaster, das dieses Spiel aus Vikings-Sicht, war gewissermaßen Teil des Skripts dieser Vikings-Saison. Minnesota hatte diese Spiele immer wieder mal; gegen Dallas, in der ersten Hälfte gegen die Eagles, in der ersten Hälfte gegen die Colts - und manchmal kommt man dann zurück, gegen die Top-Teams allerdings eher seltener.
Diese Höhen und Tiefen, sie sind ein logischer Teil der DNA der Saison eines Teams, dessen Record deutlich besser aussieht als die Leistungen auf dem Platz. Und gegen Green Bay, als man einen 105-Yard-Return-Touchdown sowie einen 75-Yard-Pick-Six kassierte, als man zwei Field Goals verschoss, als man selbst bei drei Versuchen von der 1-Yard-Line nicht in die Endzone kam - hier kam viel zusammen, und das eben nicht zum ersten Mal.
Vikings: Playoff-Aussichten bleiben unverändert
Auch Teil dieser Aufzählung sind die frühen Verletzungen von Right Tackle Brian O'Neill, sowie von Backup-Center Austin Schlottmann, der bereits den verletzten Garrett Bradbury vertrat. Diese Ausfälle machten sich gravierend bemerkbar und machten es noch schwieriger, einen Weg zurück in dieses Spiel zu finden.
Das ist eine gute Überleitung zurück zum Einstieg. Wenn ein Elite-Quarterback einem dabei hilft, Defizite in anderen Bereichen des Kaders - manchmal auch nur innerhalb eines Spiels - zu kaschieren, dann kann man konstatieren, dass in mehr als einem Spiel dieser Saison sichtbar war, dass Cousins in dieses oberste Quarterback-Tier eben nicht gehört.
Aber selbst diese deutliche Pleite ändert nicht viel an den Playoff-Aussichten der Vikings. Genauso wenig wie die deutliche Pleite gegen die Cowboys. Denn: Dieses Team ist so unberechenbar, dass uns nichts überraschen sollte.
Und manchmal geht es auch darum, sich selbst eine Chance zu geben - während man sich gleichzeitig den Spielraum bewahrt, um in der nächsten Offseason eine ehrliche Selbstevaluation durchzuführen.