Super Bowl LVII erwies sich als ein Hochkaräter! In einem Duell zweier toller Quarterbacks behielt am Ende Patrick Mahomes dank einer herausragenden zweiten Hälfte die Oberhand. Doch welche Szenen prägten das Spiel? Wie geht es jetzt weiter für die Chiefs und die Eagles? Und was bleibt insgesamt hängen aus der 2022er Saison?
1. Fünf Plays, die den Super Bowl geprägt haben
1. Das Holding von James Bradberry bei 3rd Down (1:54 im vierten Viertel)
Über zwei Dinge will niemand nach einem Spiel schreiben oder sprechen, geschweige denn, sich darauf fokussieren, weil es ein kritischer Teil des Spiels war: Schiedsrichterentscheidungen sind das eine Thema - Verletzungen das andere.
Letzteres schien die große Storyline zu werden, als es in die Halbzeitpause ging. Nach dem Tackle von T.J. Edwards - und um das klar zu stellen, ich kann hier keinerlei Absicht erkennen -, als Mahomes' Fuß umknickte und überhaupt nicht gut aussah.
Es war eben jener Knöchel, den sich Mahomes bereits im Spiel gegen Jacksonville in der Divisional Runde verstaucht hatte. Er konnte damit gegen die Bengals im Championship Game spielen und sah besser aus, als ich das ehrlicherweise erwartet hatte. Aber komplett ausgeheilt war die Verletzung noch nicht, und hier bekam er nicht nur nochmals einen Schlag darauf, sondern der Knöchel wurde nochmal verdreht.
Als er vor drei Wochen gegen Jacksonville dann nach der Halbzeitpause zurückkam, war schnell deutlich sichtbar, dass er ganz klar limitiert sein würde. Das war dieses Mal anders: Mahomes scrambelte beim ersten Drive nach der Pause nicht nur für ein First Down, auch wie er in die Würfe treten konnte, war auf einem ganz anderen Level als gegen die Jaguars und die Verletzung war nicht das prägende Thema der zweiten Hälfte.
Doch das Spiel endete mit einer Entscheidung, über die noch diskutiert werden wird. Bei einer Whip-Route von JuJu Smith-Schuster hatte James Bradberry im Moment des Cuts fraglos Kontakt - in meinen Augen war es nicht genug, um eine Flagge in dem Moment zu rechtfertigen, weil es nicht genug war, um das Play wirklich zu beeinflussen.
Eine "kann man, muss man nicht"-Flagge als spielentscheidendes Foul im Super Bowl ist bitter, egal, mit wem man es hält. Doch die Refs gaben das Foul, sodass Kansas City ein First Down bekam und damit die Uhr fast komplett auslaufen lassen konnte.
Um es ganz klar zu sagen: Man kann diese Flagge werfen, und Bradberry selbst sagte nach dem Spiel, dass er Smith-Schuster am Trikot gehalten hat, aber gehofft habe, dass die Refs es nicht pfeifen. Das nimmt dem Ganzen in jedem Fall einen beträchtlichen Teil der Schärfe.
Ob man sie geben würde oder nicht, die Flagge war der finale kritische Moment. Die Eagles spielten es danach exakt richtig, sie versuchten, McKinnon beim nächsten Play scoren zu lassen. Doch der war aufmerksam genug und ging zu Boden, die Eagles nahmen ihre letzte Timeout und anschließend ging Mahomes auf das Knie um die Uhr runter ticken zu lassen, sodass Harrison Butker den Game Winner kicken konnte.
Super Bowl LVII war ein sehr unterhaltsames Spiel zweier toller Offenses, die auf sehr unterschiedliche Art und Weise zum Ziel kommen. Dieses Ende war in diesem Kontext schade.
2. Der Fumble-Return-Touchdown von Nick Bolton (9:39 im zweiten Viertel)
In der ersten Hälfte fanden die Chiefs defensiv nur selten - um nicht zu sagen: gar nicht - einen Zugriff. Am ehesten waren es die Momente, in denen sich die Eagles selbst im Weg standen, welche Philadelphias Offense stoppten.
Gleich beim zweiten Drive sorgte eine Offensive Pass Interference Strafe gegen Zach Pascal für Erster-und-20, was zu einem schnellen Punt führte und den Chiefs die Chance gab, erstmals in Führung zu gehen.
Als besonders kostspielig erwies sich dann der False Start beim kurzen 3rd Down beim vierten Drive. Die Eagles waren in Position, um mit einem Sneak ein neues First Down zu kreieren, der False Start brachte die Eagles weiter nach hinten. Von da versuchte Hurts auch via Run, das neue First Down zu erreichen - doch er brachte den Ball nicht unter Kontrolle und ließ ihn schlicht fallen.
Den Fumble trug Chiefs-Linebacker Nick Bolton zum Touchdown zurück, es war das 14:14 Mitte des zweiten Viertels und es war eines dieser Plays, das dem Spiel einen neuen Rhythmus gegeben hat: Statt potenziell die eigene Führung auf eine 2-Score-Führung auszubauen, stand es aus Eagles-Sicht plötzlich Unentschieden.
Das war in dem Moment natürlich ein wichtiges Play, aber auch mit Blick auf den weiteren Spielverlauf blieb diese Szene relevant: Zum einen hatte Bolton insgesamt ein fantastisches Spiel mit mehreren kritischen Plays - dieses war selbstredend sein wichtigster Moment.
Aber auch Big Picture: Die Eagles dominierten die erste Hälfte, sie kontrollierten den Spielverlauf, den Rhythmus des Spiels, und die Chiefs-Offense war nach dem ersten Drive weitestgehend abgemeldet.
Das drehte sich in der zweiten Hälfte, aber der Fumble-Return-Touchdown sorgte überhaupt erst dafür, dass die Aufgabe in der zweiten Hälfte nicht noch deutlich schwieriger war.
3. Der 65-Yard-Punt-Return von Kadarius Toney (10:33 im vierten Viertel)
In dieser Phase kippte das Spiel komplett, und das maßgeblich aufgrund der Sequenz nach dem Touchdown, mit dem Kansas City 28:27 in Führung gegangen war.
Das schnelle 3-and-Out der Eagles führte zu einem Punt von der eigenen 32-Yard-Line. Toney trug den Ball 65 Yards zurück bis an die 5-Yard-Line der Eagles, drei Plays später standen die Chiefs abermals in der Endzone.
Das erlaubt es Kansas City, Kontrolle über das Spiel zu erlangen. Zwar antworteten die Eagles ihrerseits mit einem Touchdown-Drive inklusive 2-Point-Conversion und glichen das Spiel so aus, doch jetzt bekam KC den Ball zurück, mit der Chance, fünf Minuten vor dem Ende die Uhr runter zu spielen und selbst in Ballbesitz den Ausgang der Partie zu bestimmen - was dann auch passierte.
4. Der Touchdown-Drive der Chiefs zur Führung (12:04 im vierten Viertel)
Keine einzelne Szene, auch wenn der Touchdown zu Toney am Ende fantastisch designt war: Toney täuschte eine Pre-Snap-Motion an, und als die Eagles schon die Coverage neu sortieren und Toney in Coverage übergeben wollten, brach der seine Motion ab und zog scharf zurück nach außen.
Das hatten die Eagles überhaupt nicht auf dem Schirm, und so war Toney komplett alleine in der Endzone zum Touchdown.
Aber es war der Drive in seiner Gänze, der deutlich machte, dass die Chiefs-Offense ihren Zugriff auf das Spiel gefunden hatte. Es war der erste Drive seit dem Opener, bei dem die Chiefs den Ball mit gutem Rhythmus bewegten, kurze Pässe mit dem Run Game kombinierten, und kein einziges Mal über Third Down gehen mussten - bis ganz am Ende, als Andy Reid sich für Toney etwas besonderes überlegt hatte.
Kansas City schaffte es, bei jedem seiner vier Drives in der zweiten Halbzeit zu punkten: Drei Touchdowns und das Game-Winning-Field-Goal. Schon der erste Drive der zweiten Hälfte unterstrich klar, wie KC den Ball hier bewegen können würde; der Drive danach zum 28:27 war aus Eagles-Sicht so etwas wie der Anfang vom Ende in diesem Spiel.
Die Chiefs hatten einen exzellenten Plan, um Philadelphias gefürchteten Pass-Rush weitestgehend aus dem Spiel zu nehmen: Die Eagles schafften keinen einzigen Sack und hatten auch in der Run-Defense immer wieder größere Lücken. Philadelphias größte Stärke wurde so neutralisiert, und dadurch bekamen die Eagles defensiv in der zweiten Hälfte überhaupt keinen Zugriff mehr.
5. Der 45-Yard-Touchdown von A.J. Brown (14:52 im zweiten Viertel)
Eine der großen taktischen Fragen für mich im Vorfeld des Spiels lautete, inwieweit die Chiefs Eins-gegen-Eins-Matchups in Coverage in Kauf nehmen, um so mehr Ressourcen in die Box und gegen das Run Game stellen zu können.
Die Idee dabei war, dass man das eine oder andere Shot Play riskieren würde, um dann umgekehrt aber den Rhythmus der Eagles-Offense zu stören und dafür zu sorgen, dass sie mehr in lange Second und Third Downs kommen.
Nicht Teil des Plans war, dass die Eagles die Chiefs mit Shot Plays erwischen würden, wenn Kansas City in seinen Standard-Coverages sitzt.
Die Chiefs nämlich haben sich in dieser Saison defensiv merklich angepasst, haben weniger geblitzt, als man das unter Steve Spagnuolo gewohnt war, und mehr 2-High-Coverages gespielt; tatsächlich rangieren sie im Liga-Vergleich hier sogar in der Liga-Spitze.
Das war auch die Coverage beim 45-Yard-Touchdown von A.J. Brown: Die Chiefs hatten zwei tiefe Safeties, sie brachten nur den 4-Man-Rush. Hurts hatte Zeit in der Pocket, und obwohl zwei Verteidiger bei A.J. Brown waren, fing der dennoch den Ball. Mehr noch: Chiefs-Rookie-Corner Trent McDuffie war eigentlich in sehr guter Position, erst auf den letzten Schritten, als er sich drehte, machte Brown in seinem Rücken noch einen Schritt zur Seite und fing dort den Ball.
Die Chiefs hatten bis an diesen Punkt - und generell insbesondere in der ersten Hälfte - zumindest das Run Game außerhalb der QB-Runs gut verteidigt; gerade, und das war früh im Spiel auffällig, auch ohne mehr Ressourcen in die Box zu investieren. Das hätte eine sehr gute Ausgangslage sein können, doch die Tatsache, dass Brown gegen zwei Verteidiger den 45-Yard-Touchdown fing war eine Erinnerung an die individuelle Ausnahme-Qualität der Eagles. Es war auch ein Mini-Kosmos der ersten Hälfte, in welcher Philadelphia offensiv dem Spiel seinen Stempel aufdrückte - aber sich eben nicht ausreichend belohnte.
2. Wie geht es weiter bei den Chiefs?
Im Vergleich zu den Eagles - dazu gleich mehr - sind die Chiefs in der Timeline ihres Roster-Buildings bereits einen klaren Schritt weiter, und dementsprechend sind die Fragen weniger gravierend.
Wir wissen, dass Patrick Mahomes, Andy Reid und Travis Kelce das offensive Gerüst bilden werden. Wir wissen, dass die Interior Offensive Line feststeht. Und wir wissen, dass auf der defensiven Seite die junge Cornerback-Gruppe noch relativ am Anfang ihrer Entwicklung steht.
Auch wenn es im Vorjahr natürlich den hochkarätigen Tyreek-Hill-Trade gab, der diese Aussagen zumindest ein wenig hinterfragt, so wirkt das Bild der Kaderprognose in Kansas City vergleichsweise klar.
Dennoch gibt es einige brennende Fragen, welche die Chiefs über die kommenden Wochen beantworten müssen.
Wichtigste Free Agents der Chiefs-Offense:
Spieler | Position |
Orlando Brown | Left Tackle |
JuJu Smith-Schuster | Wide Receiver |
Mecole Hardman | Wide Receiver |
Jerick McKinnon | Running Back |
Andrew Wylie | Offensive Tackle |
Blake Bell | Tight End |
Orlando Brown wird dabei zuerst im Fokus stehen. Vor zwei Jahren hatten die Chiefs für Brown getradet, und ihm damit zunächst einen Wunsch erfüllt: Brown wollte Left Tackle spielen, in Baltimore war das keine Option.
Doch einen anderen Wunsch wollten die Chiefs ihm nicht erfüllen, und das könnte in dieser Offseason dann auch zur Trennung führen: Brown will dem Vernehmen nach der bestbezahlte Spieler auf seiner Position sein.
Im vergangenen Sommer soll Kansas City ihm ein Angebot vorgelegt haben, welches ihn, was das durchschnittliche Jahresgehalt angeht, zwar zum bestbezahlten Tackle gemacht hätte - doch ein realistischer Blick auf den Vertrag relativierte diese Summe.
Am Ende spielte Brown diese Saison unter dem Franchise Tag, und ich halte es für schwer vorstellbar, dass die Chiefs jetzt ihre Meinung geändert haben und Brown so hoch wertschätzen, dass sie doch tiefer in die Tasche greifen.
Wird die Offensive Line eine Problemzone?
Die Zeichen stehen hier also auf Trennung, und auch wenn es durchaus nachvollziehbar ist, einen guten, aber eben nicht Elite-Level-Spieler wie Brown nicht auf Elite-Level bezahlen zu wollen: Kansas City könnte in dieser Offseason seine beiden Starting-Tackles verlieren
Selbst wenn man dabei "nur" einen guten und einen durchschnittlichen Tackle gehen lässt - auf diesen Positionen kann man qualitativ schnell in problematische Regionen abrutschen. Die Chiefs selbst haben das im Super Bowl vor zwei Jahren aus erster Hand erfahren; jener Super Bowl gegen die Buccaneers führte erst dazu, dass die Chiefs ihre Offensive Line mit Nachdruck generalüberholten.
Die Interior Line ist so oder so das Prunkstück dieser Line, Joe Thuney, Creed Humphrey und Trey Smith werden der Line auch weiterhin einen Floor geben. Doch die Offensive Line ist eine Weak-Link-Positionsgruppe, und sollte sich einer der Tackle-Spots - oder sogar beide - als Problemzone erweisen, könnte das die Stabilität der Offense insgesamt vor Probleme stellen.
Wie sieht Mahomes' neues Waffenarsenal aus?
Noch vor Brown war selbstredend Tyreek Hill die alles bestimmende Personalie der vergangenen Chiefs-Offseason, und als der Trade schließlich in trockenen Tüchern und die ersten Tage der Free Agency abgeschlossen waren, lautete die ausführlich diskutierte Anschlussfrage: Haben die Chiefs genügend Receiver-Qualität, um den Hill-Abgang zumindest in der Breite einigermaßen aufzufangen?
Die Saison offenbarte dann, dass es weniger ein kollektives Auffangen durch die Receiver, sondern vielmehr durch die Offense im Gesamtverbund werden würde. Und dennoch wird die Receiver-Position auch in dieser Offseason ein Thema sein.
JuJu Smith-Schuster wurde mit einem günstigen Einjahresvertrag geholt, und auch wenn er statistisch nicht unbedingt explodierte, so war er doch ein verlässliches, relativ konstantes Underneath-Target. Für diesen Preis muss man das erst einmal wieder finden.
Mecole Hardman verpasste signifikante Teile der Saison, und auch wenn seine bisherige Chiefs-Karriere keineswegs unproduktiv war, so blieb der einstige Zweitrunden-Pick in den ersten vier Jahren seiner NFL-Karriere doch eher ein spezifischer Role Player.
Doch auch Role Player müssen ersetzt werden. In Hardmans Fall würde diese Aufgabe idealerweise Skyy Moore zufallen, dessen Rookie-Saison allerdings verlief doch einigermaßen enttäuschend.
Defense: Umbaumaßnahmen in der Front?
Die Offense dürfte also in der kommenden Saison einige neue Gesichter auch was die Starter angeht präsentieren. Das Gerüst, der Kern, die Zugpferde der Offense aber sind klar, und das macht es so viel leichter, die Puzzleteile um diese Säulen herum einzusetzen.
Auf der defensiven Seite des Balls gibt es nur eine solche Konstante, und das ist Chris Jones. Der Defensive Tackle, der eine Saison auf Defensive-Player-of-the-Year-Level gespielt hat, ist der Spieler, der der Defense mitunter im Alleingang einen Floor geben kann.
Sein Cap Hit in der kommenden Saison beträgt knapp 30 Millionen Dollar, es ist sein letztes Vertragsjahr. Vor der Saison hatte ich hier noch vermutet, dass es, ähnlich wie bei Hill, zu einem Trade kommen könnte. Das halte ich angesichts der Saison, die er dieses Jahr gespielt hat, für kaum noch vorstellbar.
Anders ist die Gefühlslage bei Edge-Rusher Frank Clark, der ebenfalls in sein letztes Vertragsjahr geht, und bei dem ich es für ausgeschlossen halte, dass er das mit einem Cap Hit in Höhe von 30,175 Millionen Dollar noch in Kansas City erleben wird.
Wichtigste Free Agents der Chiefs-Defense:
Spieler | Position |
Derrick Nnadi | Defensive Tackle |
Carlos Dunlap | Edge-Rusher |
Juan Thornhill | Safety |
Neun Millionen Dollar würden im Falle einer Entlassung von Frank Clark als Dead Cap in den Büchern bleiben.
Sollten sich die Chiefs von ihm trennen, müsste man den Edge-Rush generell neu sortieren: Carols Dunlap wird Free Agent, mit Vorjahres-Erstrunden-Pick George Karlaftis haben die Chiefs zumindest ein junges Talent, welches dann unweigerlich in eine noch größere Rolle schlüpfen müsste.
Vielleicht sind es hier wirklich die jungen Cornerbacks, die der Defense noch mehr eine Identität geben können. Kansas City hat darüber hinaus die Cap-Flexibilität, um im Kader-Management in verschiedene Richtungen zu denken.
Außerdem haben die Chiefs in diesem Jahr gezeigt, dass es nicht unmöglich ist, mit einem sehr teuren Quarterback den Titel zu holen: 17 Prozent des diesjährigen Chiefs-Salary-Caps gingen für Mahomes drauf - bisher hatte noch nie ein Quarterback den Super Bowl gewonnen, der mehr als 12,5 Prozent des Salary Caps seines Teams in der gleichen Saison beanspruchte.
Es ist nicht so, dass die Chiefs keine Baustellen hätten - ganz im Gegenteil sogar, und die drohenden Lücken an der Line of Scrimmage auf beiden Seiten des Balls müssen adressiert werden.
Und gleichzeitig bleibt der Puls bei diesem Team außergewöhnlich ruhig. Denn diese Saison umso mehr, dieses Jahr, das als "Übergangsjahr" gebrandet wurde, diese Saison hat umso mehr untermauert, wie unheimlich hoch der Floor dieses Teams ist, solange Andy Reid und Patrick Mahomes am Ruder sind.
3. Wie geht es weiter bei den Eagles?
Unweigerlich steht hier ein Thema im Vordergrund, wobei ich nicht einmal weiß, inwieweit es wert ist, darüber zu diskutieren: Jalen Hurts wird einen neuen, großen Vertrag bekommen, da dürfte es an diesem Punkt kaum noch Zweifel geben. Umso weniger nach seinem Auftritt im Super Bowl.
Bereits vor dem Super Bowl hatte Teambesitzer Jeffrey Lurie gesagt, dass Hurts "nichts mehr beweisen müsse", um sich als Eagles-Quarterback für die Zukunft zu positionieren. Hurts, so Lurie weiter, sei "ein MVP-Level-Quarterback, ein unglaublicher Leader auf und abseits des Platzes. Er ist 24 Jahre alt, unglaublich reif und, und das ist der wichtigste Punkt, er will sich unbedingt verbessern."
Solche Interviews eines Teambesitzers über seinen jungen Quarterback, umso mehr in der Super-Bowl-Woche, sind zumeist mit einer dicken Fan-Brille zu interpretieren. Doch hier gibt es nicht allzu viel, wo ich inhaltlich ein übermäßig großes Fragezeichen dahinter setzen würde.
Am ehesten würde ich mit dem Argument der Situation kontern. Hurts hat eine Saison auf Elite-Level gespielt und hatte dabei die vermutlich besten Umstände ligaweit.
Ja, er bringt den Floor als Runner mit, und ja, er hat sich als Passer deutlich verbessert. Aber wie gravierend ist der Dropoff, wenn die Umstände um fünf, vielleicht zehn Prozentpunkte abbauen? Wenn er Woche für Woche mehr noch als Passer aus der Pocket gewinnen muss?
Ein Blick auf die anstehenden Free Agents und die potenziellen Umbrüche im Kader legt nahe, dass wir schon in der kommenden Saison eine Antwort auf diese Frage bekommen könnten.
Wichtigste Free Agents der Eagles-Defense:
Spieler | Position |
Javon Hargrave | Defensive Tackle |
Fletcher Cox | Defensive Tackle |
James Bradberry | Cornerback |
Chauncey Gardner-Johnson | Safety |
Brandon Graham | Edge-Rusher |
Robert Quinn | Edge-Rusher |
T.J. Edwards | Linebacker |
Kyzir White | Linebacker |
Marcus Epps | Safety |
Linval Joseph | Defensive Tackle |
Ganz direkt betrifft das in Hurts' Fall naturgemäß die Offense, aber er konnte sich in dieser Saison auch zumeist auf eine starke Defense in seinem Rücken verlassen. Diese Defense wird einen qualitativen Aderlass erleiden, das lässt sich gar nicht vermeiden.
Ich bin gespannt, welche Spieler aus dieser Gruppe die Eagles priorisieren. Viel Cap Space hat Philly aktuell nicht, und auch der Spielraum für Umstrukturierungen ist überschaubar. Nennenswert sind hier Darius Slay und Lane Johnson, das war es aber weitestgehend auch schon.
Kurzum: Philadelphia geht mit überschaubaren Ressourcen in diese Offseason, und wird einige Starter und darunter auch einige Leistungsträger verlieren.
Deshalb waren die Debatten bereits vor dem Super Bowl darüber, ob die Eagles jetzt eine Dynastie prägen sollten, für mich schwer nachvollziehbar. Phillys Markenzeichen in dieser Saison war die Tatsache, dass die Eagles diesen wahnsinnig kompletten Kader hatten - den werden sie 2023 so nicht mehr haben, und dementsprechend muss man dann auch die Erwartungshaltung erst wieder neu kalibrieren.
Eagles-Defense: Wie gravierend wird der Aderlass?
Ganz konkret mit Blick auf die Defense springt einen die Defensive Line an. Hargrave hat eine herausragende Saison gespielt und Fletcher Cox als besten Interior-Verteidiger abgelöst. Doch sein Vertrag läuft nicht nur aus, durch mehrere Umstrukturierungen belastet er den Eagles-Cap 2023 durch ein Void-Jahr mit fast zwölf Millionen Dollar, wenn er das Team in der Free Agency verlässt.
Cox hatten die Eagles im Vorjahr bereits entlassen, nur um ihn dann wenige Tage später mit einem günstigeren Vertrag zurückzuholen. Quinn kam während der Saison via Trade und war nicht mehr als ein Rotationsspieler.
Graham dagegen kam nach seinem Achillessehnenriss zurück und spielte eine spektakuläre Saison in der Eagles-Rotation. Sein Vertrag ist so strukturiert, dass er technisch gesehen 2023 noch unter Vertrag steht, am zweiten Tage des neuen Liga-Jahres würde dann aber eine massive Garantie für noch weitere Jahre danach aktiviert werden. Letztlich ist die Idee hinter dieser Struktur die, dass man Graham als June-1 Cut deklarieren kann, was bei einem reinen Void-Jahr nicht möglich gewesen wäre.
Hier droht also der Abgang von mehreren Startern und wichtigen Role Playern, und das Front-Seven-Bild wird damit abgerundet, dass beide Starting-Linebacker ebenfalls Free Agent werden.
Eagles-Defense: Das zweite und dritte Level wackeln
Den einen oder anderen aus dieser Gruppe wird Philadelphia halten können, und mit Josh Sweat, Haason Reddick und Jordan Davis steht das Gerüst für die Zukunft. Doch Teil der enormen Qualität dieses Eagles-Kaders war die Tatsache, dass sie in der Defensive Line eine wahnsinnig tiefe und dabei immer noch hochqualitative Rotation an den Start brachten und es ist schwer vorstellbar, dass sie das aufrechterhalten können.
Selbst die beiden Linebacker sollte man dabei nicht unterschätzen. Es ist zwar eine Position, welcher die Eagles konstant relativ wenig Beachtung - und Ressourcen - schenken.
Doch auch weil White und insbesondere Edwards so überraschend gute Saisons spielten, hatte die Defense die Flexibilität, um aus einer leichten Box zu agieren, um Man Coverage zu spielen, ohne dass die Linebacker dabei eine automatische Schwachstelle und ein Ziel für die Offense wurden.
Diese Qualitäten muss man erst einmal ersetzen, und das zu diesem Preis: Edwards' Cap Hit in dieser Saison betrug 1,2 Millionen Dollar, der von White 1,8 Millionen Dollar. Beide hinterlassen ebenfalls für 2023 je ein Void-Jahr im Eagles-Cap.
Ich könnte mir vorstellen, dass Gardner-Johnson intern eine hohe Priorität erhält, doch zunächst einmal werden auch beide Starting-Safeties Free Agents. Und auch hier wiederholt sich das Thema: Epps' Cap Hit in dieser Saison lag bei 965.000 Dollar, der von Gardner-Johnson bei 2,5 Millionen Dollar, Cornerback James Bradberry derweil kam als Schnäppchen nach seiner Entlassung bei den Giants spät in der Offseason - und so scheint das Motto mit Blick auf diese Defense klar:
So günstig kommen wir nicht mehr zusammen.
Wichtigste Free Agents der Eagles-Offense:
Spieler | Position |
Jason Kelce | Center |
Miles Sanders | Running Back |
Isaac Seumalo | Guard |
Zach Pascal | Wide Receiver |
Die Defense wird also vermutlich ohne ihre tiefe Defensive-Line-Rotation, und vielleicht mit einem Aderlass bei den Linebackern und den Defensive Backs auskommen müssen.
Ganz so drastisch gestaltet sich der Blick auf die Offense nicht, vielmehr sticht hier sofort eine Personalie ins Auge: All-Pro Center Jason Kelce.
Kelce unterschrieb vor der Saison einen neuen Einjahresvertrag über 14 Millionen Dollar. Aus Cap-Gründen wurden Void-Jahre hinzugefügt, 2023 ist technisch gesehen eine Art Platzhalter, für den Fall, dass Kelce seine Karriere beendet, um dann den Cap Hit aufteilen zu können. Sollte er am 2. Juni noch im Kader stehen, würde eine große Garantiesumme für 2024 aktiviert werden.
Auch ohne Kelce und Isaac Seumalo hätte Hurts noch immer eine gute Offensive Line vor sich, aber gerade Kelce mit all seiner Erfahrung auch was Protection-Calls und das Lesen von Blitzern Pre-Snap angeht zu verlieren, dürfte kaum spurlos an Hurts' Spiel vorüberziehen.
Wie ist der Ausblick in Philadelphia?
Es gibt wenige GMs ligaweit, denen ich ähnlich vertrauen würde wie Howie Roseman - gerade wenn es darum geht, einen Kader gut für die Zukunft aufzustellen.
Und natürlich gibt es junge Säulen, welche dieses Eagles-Team prägen werden, gerade in der Offense. A.J. Brown, DeVonta Smith, Jordan Mailata, Dallas Goedert, Landon Dickerson - und natürlich Hurts selbst.
Umbrüche sind in der NFL ein Naturgesetz, und bei erfolgreichen Teams betrifft das früher oder später auch den Coaching Staff. Dieses Jahr scheinen Jonathan Gannon und Shane Steichen noch in Philadelphia zu bleiben, aber es dürfte eine Frage der Zeit sein, wann die beiden als Head Coaches abgeworben werden.
Wenn diese Dinge passieren, werden zwei Fragen schonungslos beantwortet - in die eine, oder andere Richtung: Haben der Head Coach und sein Trainerstab gute Arbeit dahingehend geleistet, dass sie junge Coaches ausbilden, um abgeworbene Coordinators ersetzen zu können? Und: Sind die wenigen Top-Spieler, in die man im Laufe der Zeit unweigerlich größere Teile des Caps steckt, gut genug, um die anderswo auftretenden Lücken zu kompensieren?
Bei dieser letzten Frage kommt man dann doch unweigerlich zum Quarterback zurück, und das wird früher oder später der nächste Maßstab sein, an dem sich Jalen Hurts messen lassen muss.
Bisher zumindest nutzte Hurts diese Herausforderungen regelmäßig, um sein Kritiker Lügen zu strafen.
4. Ausblick: Was bleibt aus dieser Saison hängen?
Mit dem zweiten Super-Bowl-Triumph der Andy-Reid-Patrick-Mahomes-Ära endet eine Saison, die einerseits selbst für NFL-Verhältnisse zahlreiche Überraschungen zu bieten hatte - und das nicht ohne eine Prise Ironie, waren es doch andererseits einige der im Vorfeld der Saison ausgiebig diskutierten Themenpunkte, welche dann auch tatsächlich viele Bereiche der Saison prägten.
Ausgiebig hatten wir im Frühjahr und im Sommer über den Impact von echten Star-Nummer-1-Receivern gesprochen, sowie darüber, was für ein guter Test Case diese Saison nach den Trades von Davante Adams, A.J. Brown und Tyreek Hill werden würde.
Und dieser Test Case brachte ein klares Ergebnis hervor! Zu sehen, was für einen Impact Hill auf die Dolphins-Offense hatte, wie Brown die Eagles-Offense auf ein neues Level hob, wie Adams die Raiders-Offense trug, während die Ex-Teams zumindest von Brown (Tennessee) und Adams (Green Bay) einen merklichen offensiven Dropoff erlebten, unterstrich die Relevanz und den Wert dieser Receiver.
Dass die Chiefs nach dem Verlust von Tyreek Hill offensiv im Vergleich zum Vorjahr sogar noch effizienter wurden, unterstreicht, auf was für einem Level sich Mahomes und Andy Reid bewegen. Sie sind hier einmal mehr die Ausnahme, nicht die Regel.
Die defensiven Trends werden voll bestätigt
Auch auf der defensiven Seite wurde eines der prägenden Offseason-Themen ganz klar bestätigt: Der Trend zu mehr 2-High-Coverages setzte sich eindeutig fort, und auch hier lässt sich eine Verbindung zum Super Bowl knüpfen.
Die Eagles waren eine der besten Defenses im Laufe dieser Saison, wenn sie in Cover 2/4/6 agierten. Yards pro Pass, Passer Rating, Expected Points Added pro Dropback: Philadelphia war hier immer in der Top 8 zu finden.
Das Markenzeichen einer Defense, die in 2-High-Zone-Coverages auf einem hohen Level agieren kann, ist zumeist ein starker 4-Man-Rush, weil Blitzing aus diesen Looks schwieriger wird - und die Eagles sind da keine Ausnahme.
Philadelphia hatte einen historisch starken 4-Man-Rush in dieser Saison und die Verpflichtung von Haason Reddick hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Eagles-Defense im Vergleich zum Vorjahr viel gefährlicher auftrat. Die 49ers waren ein weiteres Paradebeispiel dieser Disziplin, die Jets ebenfalls, genau wie die Bills, zumindest bis zur Verletzung von Von Miller.
Keine Saison der Offensiv-Spektakel
Der Effekt war ligaweit spürbar. Auch weil viele Defenses merklich besser darin wurden, Big Plays zu unterbinden und geduldige Drives der Offense zu erzwingen, war es mit Sicherheit keine Saison, die für ihre Offensivspektakel in Erinnerung bleiben wird.
Gleichzeitig waren diese Entwicklungen hilfreich dabei, zu sehen, wer nachhaltig Antworten parat hat. Und auch hier ist der Verweis auf den Super Bowl angebracht, denn sowohl die Eagles als auch die Chiefs waren in der Lage, die Probleme zu lösen, die Defenses ihnen präsentierten. Auf unterschiedliche Art und Weise zwar, aber deswegen nicht weniger eindrucksvoll.
Hier könnte man den Kreis auf die Championship-Games-Teilnehmer erweitern, und irgendwo ist es natürlich auch kein Zufall, dass diese vier Teams sich in den beiden Championship Games gegenüberstanden.
Das ganze Thema der Bengals-Saison war für mich die Tatsache, dass es Cincinnati und dass es Joe Burrow geschafft haben, die Abhängigkeit von den Big Plays runter zu fahren und der Offense mit dem Passspiel einen bemerkenswert konstanten Floor zu verschaffen.
Die 49ers, um das Quartett komplett zu machen, sind in der Art und Weise, wie sie mit Personnel-Groupings spielen und wie sie ohnehin stark vom Underneath-Passspiel und Yards nach dem Catch leben, ein wenig ein Thema für sich.
So gesehen war die Niners-Offense auch gar nicht so drastisch von diesem Trend betroffen: Einzig die Falcons, Panthers und Bears sahen in der Regular Season noch weniger Passing-Snaps gegen Cover 2/4/6.
Offensive Probleme als Erklärung für Überraschungen
Hier kommen wir zurück zu dem eingangs erwähnten Paradoxon: Warum war die Saison so geprägt von Überraschungen, wenn die prägenden Narrative doch mehr oder weniger wie vermutet eingetreten sind?
Für mich ist hier ein klarer Zusammenhang festzustellen dahingehend, dass Offense noch immer der primäre Stabilisator für ein Team in der heutigen NFL ist - und wenn Defenses schematisch erfolgreich zurückschlagen können, und dann noch vermeintliche Top-Teams sich offensiv neu sortieren müssen - auch prominente Verletzungen in den Offenses etwa bei den Rams, den Ravens und den Chargers spielten hier fraglos eine Rolle -, ist die Tür offen für ein höheres Maß an Varianz.
Selbstredend war das nicht die einzige Ursache, aber ich denke, es spielt eine gewichtige Rolle, wenn wir im Rückblick versuchen, die 2022er Saison zu erklären und einzuordnen. Was wiederum unweigerlich die Frage aufwirft: Wie geht es jetzt weiter? Welche Schlüsse lassen sich mitnehmen, welche Lektionen lassen sich anwenden und könnten die jetzt anstehende Offseason sowie dann auch die kommende Saison prägen?
Schematisch ist klar, dass eine permanente Weiterentwicklung stattfindet - auf beiden Seiten des Balls. 2-High-Coverages sind genauso wenig ein neues Konzept wie Option Plays auf der offensiven Seite des Balls, das permanente Spiel aus Aktion und Reaktion wird sich hier fortsetzen, mit einer weiteren Offseason für Offensive Coordinators, um Löcher in den jetzt vorherrschenden Coverage-Strukturen zu finden und diese gezielt zu attackieren.
Was bleibt aus der 2022er Saison zurück?
Was aus übergreifender Perspektive bei mir aus dieser Saison hängen bleibt, ist die nochmals unterstrichene Relevanz eines guten Plans für einen jungen Quarterback - sportlich, aber auch aus Roster-Building-Perspektive, um in der Position zu sein, All-In zu gehen, solange der Quarterback noch günstig ist.
Es ist auch der bereits angesprochene Wert von echten Nummer-1-Receivern, gleichzeitig aber auch die nochmals erhöhte Relevanz von Pass-Rushern und Defensive Linemen generell auf der defensiven Seite des Balls - eine natürlich Entwicklung, wenn der Trend zu weniger Verteidigern in der Box und mehr 2-High-Coverages geht.
Hier haben wir auch mehrere Breakout-Saisons gesehen, allen voran von Quinnen Williams, Dexter Lawrence und Christian Wilkins, sowie die Bedeutung dominanter Defensive Tackles für eine Defense eindrucksvoll gesehen. Hier kann man den Bogen erneut zurück zum Super Bowl schlagen, in Person von Chris Jones.
Diese Beobachtungen könnten dann auch eine Rolle spielen, wenn es im kommenden Draft um die Frage geht, ob man lieber Defensive Tackle Jalen Carter, oder Edge-Rusher Will Anderson als ersten Nicht-Quarterback nehmen sollte.
Doch das ist eine Debatte für einen anderen Tag.