NFL

Takeaways zum Start der Offseason: Wie funktioniert ein Rebuild in der NFL?

Erleben wir in dieser Offseason erneut Teams, die einen radikalen Neustart einleiten?
© getty

Der Start der NFL-Offseason ist für viele Teams auch eine Weichenstellung: Wo steht man in seinem Roster-Building-Plan? Muss hier eine gravierende Kurskorrektur her? Und wie könnte diese Korrektur aussehen? Auch in dieser Offseason drängen sich einige Teams förmlich für einen drastischen Rebuild auf.

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Radikale Umbrüche, Neustarts oder auch kleinere Kursänderungen: Teams müssen in der Offseason in der Lage sein, ehrliche Selbsteinschätzungen abzugeben.

Nur so können die richtigen Roster-Building-Strategien entwickelt oder weiter verfolgt werden. Liegt man in seiner Selbsteinschätzung daneben, drohen folgenreiche Fehler.

Selbst den Status Quo beizubehalten, kann zu einer Reihe an Entscheidungen führen, welche eine Franchise in eine Sackgasse führen, aus der es keinen einfachen Ausweg gibt. Denn jährliche Kader-Veränderungen sind in der NFL Normalität für jedes Team - dafür sorgt alleine der Salary Cap.

Und so müssen sich Teams ehrliche, manchmal unangenehme Fragen über sich selbst stellen: In welcher Phase befindet sich der eigene Kader gerade? Wie sieht die Perspektive über die nächsten zwei, über die nächsten drei und über die nächsten fünf Jahre aus?

Aufbauend auf diesen Fragen habe ich die Roster-Building-Strategien in vier verschiedene Phasen unterteilt, welche zum Start der Offseason als Orientierung dienen sollen.

1. Der Rebuild: Alles einreißen und neu aufbauen

Zugegeben, ganz so radikal, wie es diese Überschrift nahelegt, muss es nicht zwangsläufig sein - aber es gibt eine ganz gute Idee, in welche Richtung es geht, wenn wir von einem "Rebuild" sprechen.

Das Paradebeispiel dafür sind und bleiben für mich die Cleveland Browns zwischen 2016 und 2018, als Cleveland unter Sashi Brown zu extremen Maßnahmen griff - und deutlich stärker aus diesem Prozess herausging, als man ihn betreten hatte.

Paul DePodesta hat es durch den Film "Moneyball" auch außerhalb von Sport-Nerds zu Berühmtheit geschafft. Seine Rolle darin, die Oakland Athletics neu auszurichten, um mit den finanziell deutlich besser aufgestellten MLB-Teams mithalten zu können, sorgte für ein allgemeines Umdenken im Baseball. 2016 wechselte er in die NFL, als die Browns ihn zum Chief Strategy Officer machten.

Wer könnte besser zusammenfassen, was ein Rebuild ist? "Ein Rebuild ist, wie wenn man ein Haus kernsaniert", fasste es Podesta selbst einmal zusammen. "Man muss die Wände einreißen, bis nur noch die Grundpfeiler stehen. Wenn man das macht und sich alles anschaut, denkt man sich, 'Wow, das sieht furchtbar aus'. Wir wollten das nie wieder machen müssen, und ich denke, das ist unsere Einstellung."

Cleveland ließ in diesem Zeitraum nahezu alle seiner verbleibenden Stars gehen, darunter Center Alex Mack, Right Tackle Mitchell Schwartz, Safety Tashaun Gipson und Wide Receiver Travis Benjamin.

Browns und der Rebuild: Draft-Kapital als Top-Priorität

Die Browns waren außerdem darauf aus, ganz bewusst Draft-Kapital anzuhäufen. 2016 tradete Cleveland den Nummer-2-Overall-Pick nach Philadelphia, welchen die Eagles für Carson Wentz nutzten. Im Zuge dieses Trades gingen die Browns runter auf Pick Nummer 8 - welchen sie abermals tradeten, dieses Mal mit den Titans, und schließlich auf Pick 15 landeten.

Diese Downtrades sicherten Cleveland in der Summe sieben Picks in den ersten vier Runden über mehrere Drafts. Doch Sashi Brown und Paul DePodesta wurden noch kreativer: 2017 erklärten sie sich bereit, die Texans von deren gescheitertem Experiment mit Brock Osweiler zu erlösen und dessen Vertrag soweit möglich zu übernehmen - und ließen sich dafür mit Picks bezahlen. Cleveland schickte einen 2017er Viertrunden-Pick nach Houston und erhielt im Gegenzug Osweiler, einen 2018er Zweitrunden-Pick - aus dem Nick Chubb wurde - und einen 2017er Sechstrunden-Pick.

Brown und DePodesta verfolgten eine klare Philosophie: Niemand ist so gut darin, Spieler zu scouten und zu draften, dass er über einen längeren Zeitraum mit wenig Kapital überdurchschnittliche Erfolge erzielt.

Oder, um auch hier DePodesta selbst sprechen zu lassen, dieses Mal aus einem Interview in der Sports Illustrated im April 2017: "Wir versuchen, Dinge zu entwickeln, die uns letztlich einen kompetitiven Vorteil verschaffen und uns wieder in den Kreis der Teams bringen, die jedes Jahr im Januar spielen."

Ist der radikale Rebuild eine erfolgsversprechende Strategie?

Diese Strategie brachte Cleveland drei Erstrunden-Picks 2017, sowie je zwei Picks in der ersten und der zweiten Runde 2018 ein, und weil der radikal aussortierte Kader 2016 nur eines und 2017 kein einziges Spiel gewann, waren darunter auch zwei Mal die Nummer-1-Overall-Picks.

2019 dann schienen alle Rädchen ineinander zu greifen: Die Browns hatten einen günstigen - und allem Anschein nach soliden bis guten - Quarterback in Baker Mayfield. Sie hatten einen der besten jungen Edge-Rusher in Myles Garrett, ebenfalls noch auf dem Rookie-Vertrag.

Außerdem hatten sie im Frühjahr 2019 Odell Beckham via Trade von den Giants losgeeist. Das Modell, das wir heute regelmäßig sehen - ein junger, noch günstiger Quarterback bekommt einen Star-Receiver und soll mit dessen Hilfe den nächsten Schritt machen - fuhr Cleveland ebenfalls schon in der 2019er Offseason.

Einen Super Bowl brachte diese Strategie den Browns nicht ein, den Rebuild würde ich insgesamt dennoch als Erfolg bezeichnen: Der Prozess hatte insofern funktioniert, als dass Cleveland 2019 und auch darüber hinaus einen signifikant schlagkräftigeren Kader hatte als in den Jahren vor dem radikalen Rebuild.

Gleichzeitig ist es wichtig, auf einige Hürden in diesem Ansatz hinzuweisen. Zunächst einmal ist Geduld des Teambesitzers absolut kritisch: Ein solcher Prozess braucht Zeit; Zeit, in der man viele Spiele verlieren und nicht gerade ein positives Bild nach außen abgeben wird.

Die Schwierigkeiten eines kompletten Neustarts

Die Dolphins fuhren vor einigen Jahren eine ähnliche Strategie, als man Robert Quinn und Cam Wake gehen ließ, Ryan Tannehill tradete, und dann noch ganz spät Laremy Tunsil und Minkah Fitzpatrick via Trade abgab. Der Prozess war unter anderem darauf ausgerichtet, Quarterback Tua Tagovailoa im Draft zu bekommen; eine Vorgehensweise, die - glaubt man den Vorwürfen des damaligen Head Coaches Brian Flores - irgendwann auch intern zu Uneinigkeiten führte.

Mit diesen Dingen müssen die Leader der Franchise umgehen können, genau wie auch mit der Außendarstellung: Free Agents, und vor allem deren Berater, werden naturgemäß etwas vorsichtig sein, zu einem solchen Team zu gehen, bis es dann wieder nachweislich stabilisierter ist.

Ein radikaler Rebuild kann nur funktionieren, wenn die Bedingungen für die Entscheidungsträger so stabil sind, dass sie langfristig sinnvolle, aber kurzfristig äußerst unpopuläre Entscheidungen treffen können. Ein Rebuild ist die extremste Art und Weise, wie Teams die Offseason angehen können, er bietet aber eben auch viele Möglichkeiten - nicht zuletzt die unterschätzte Chance, den jährlichen Kreislauf eines Untere-Mittelklasse-Teams zu durchbrechen.