Takeaways zum Start der Offseason: Wie funktioniert ein Rebuild in der NFL?

Von Adrian Franke
01. März 202309:30
Erleben wir in dieser Offseason erneut Teams, die einen radikalen Neustart einleiten?getty
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Der Start der NFL-Offseason ist für viele Teams auch eine Weichenstellung: Wo steht man in seinem Roster-Building-Plan? Muss hier eine gravierende Kurskorrektur her? Und wie könnte diese Korrektur aussehen? Auch in dieser Offseason drängen sich einige Teams förmlich für einen drastischen Rebuild auf.

Radikale Umbrüche, Neustarts oder auch kleinere Kursänderungen: Teams müssen in der Offseason in der Lage sein, ehrliche Selbsteinschätzungen abzugeben.

Nur so können die richtigen Roster-Building-Strategien entwickelt oder weiter verfolgt werden. Liegt man in seiner Selbsteinschätzung daneben, drohen folgenreiche Fehler.

Selbst den Status Quo beizubehalten, kann zu einer Reihe an Entscheidungen führen, welche eine Franchise in eine Sackgasse führen, aus der es keinen einfachen Ausweg gibt. Denn jährliche Kader-Veränderungen sind in der NFL Normalität für jedes Team - dafür sorgt alleine der Salary Cap.

Und so müssen sich Teams ehrliche, manchmal unangenehme Fragen über sich selbst stellen: In welcher Phase befindet sich der eigene Kader gerade? Wie sieht die Perspektive über die nächsten zwei, über die nächsten drei und über die nächsten fünf Jahre aus?

Aufbauend auf diesen Fragen habe ich die Roster-Building-Strategien in vier verschiedene Phasen unterteilt, welche zum Start der Offseason als Orientierung dienen sollen.

1. Der Rebuild: Alles einreißen und neu aufbauen

Zugegeben, ganz so radikal, wie es diese Überschrift nahelegt, muss es nicht zwangsläufig sein - aber es gibt eine ganz gute Idee, in welche Richtung es geht, wenn wir von einem "Rebuild" sprechen.

Das Paradebeispiel dafür sind und bleiben für mich die Cleveland Browns zwischen 2016 und 2018, als Cleveland unter Sashi Brown zu extremen Maßnahmen griff - und deutlich stärker aus diesem Prozess herausging, als man ihn betreten hatte.

Paul DePodesta hat es durch den Film "Moneyball" auch außerhalb von Sport-Nerds zu Berühmtheit geschafft. Seine Rolle darin, die Oakland Athletics neu auszurichten, um mit den finanziell deutlich besser aufgestellten MLB-Teams mithalten zu können, sorgte für ein allgemeines Umdenken im Baseball. 2016 wechselte er in die NFL, als die Browns ihn zum Chief Strategy Officer machten.

Wer könnte besser zusammenfassen, was ein Rebuild ist? "Ein Rebuild ist, wie wenn man ein Haus kernsaniert", fasste es Podesta selbst einmal zusammen. "Man muss die Wände einreißen, bis nur noch die Grundpfeiler stehen. Wenn man das macht und sich alles anschaut, denkt man sich, 'Wow, das sieht furchtbar aus'. Wir wollten das nie wieder machen müssen, und ich denke, das ist unsere Einstellung."

Cleveland ließ in diesem Zeitraum nahezu alle seiner verbleibenden Stars gehen, darunter Center Alex Mack, Right Tackle Mitchell Schwartz, Safety Tashaun Gipson und Wide Receiver Travis Benjamin.

Browns und der Rebuild: Draft-Kapital als Top-Priorität

Die Browns waren außerdem darauf aus, ganz bewusst Draft-Kapital anzuhäufen. 2016 tradete Cleveland den Nummer-2-Overall-Pick nach Philadelphia, welchen die Eagles für Carson Wentz nutzten. Im Zuge dieses Trades gingen die Browns runter auf Pick Nummer 8 - welchen sie abermals tradeten, dieses Mal mit den Titans, und schließlich auf Pick 15 landeten.

Diese Downtrades sicherten Cleveland in der Summe sieben Picks in den ersten vier Runden über mehrere Drafts. Doch Sashi Brown und Paul DePodesta wurden noch kreativer: 2017 erklärten sie sich bereit, die Texans von deren gescheitertem Experiment mit Brock Osweiler zu erlösen und dessen Vertrag soweit möglich zu übernehmen - und ließen sich dafür mit Picks bezahlen. Cleveland schickte einen 2017er Viertrunden-Pick nach Houston und erhielt im Gegenzug Osweiler, einen 2018er Zweitrunden-Pick - aus dem Nick Chubb wurde - und einen 2017er Sechstrunden-Pick.

Brown und DePodesta verfolgten eine klare Philosophie: Niemand ist so gut darin, Spieler zu scouten und zu draften, dass er über einen längeren Zeitraum mit wenig Kapital überdurchschnittliche Erfolge erzielt.

Oder, um auch hier DePodesta selbst sprechen zu lassen, dieses Mal aus einem Interview in der Sports Illustrated im April 2017: "Wir versuchen, Dinge zu entwickeln, die uns letztlich einen kompetitiven Vorteil verschaffen und uns wieder in den Kreis der Teams bringen, die jedes Jahr im Januar spielen."

Ist der radikale Rebuild eine erfolgsversprechende Strategie?

Diese Strategie brachte Cleveland drei Erstrunden-Picks 2017, sowie je zwei Picks in der ersten und der zweiten Runde 2018 ein, und weil der radikal aussortierte Kader 2016 nur eines und 2017 kein einziges Spiel gewann, waren darunter auch zwei Mal die Nummer-1-Overall-Picks.

2019 dann schienen alle Rädchen ineinander zu greifen: Die Browns hatten einen günstigen - und allem Anschein nach soliden bis guten - Quarterback in Baker Mayfield. Sie hatten einen der besten jungen Edge-Rusher in Myles Garrett, ebenfalls noch auf dem Rookie-Vertrag.

Außerdem hatten sie im Frühjahr 2019 Odell Beckham via Trade von den Giants losgeeist. Das Modell, das wir heute regelmäßig sehen - ein junger, noch günstiger Quarterback bekommt einen Star-Receiver und soll mit dessen Hilfe den nächsten Schritt machen - fuhr Cleveland ebenfalls schon in der 2019er Offseason.

Einen Super Bowl brachte diese Strategie den Browns nicht ein, den Rebuild würde ich insgesamt dennoch als Erfolg bezeichnen: Der Prozess hatte insofern funktioniert, als dass Cleveland 2019 und auch darüber hinaus einen signifikant schlagkräftigeren Kader hatte als in den Jahren vor dem radikalen Rebuild.

Gleichzeitig ist es wichtig, auf einige Hürden in diesem Ansatz hinzuweisen. Zunächst einmal ist Geduld des Teambesitzers absolut kritisch: Ein solcher Prozess braucht Zeit; Zeit, in der man viele Spiele verlieren und nicht gerade ein positives Bild nach außen abgeben wird.

Die Schwierigkeiten eines kompletten Neustarts

Die Dolphins fuhren vor einigen Jahren eine ähnliche Strategie, als man Robert Quinn und Cam Wake gehen ließ, Ryan Tannehill tradete, und dann noch ganz spät Laremy Tunsil und Minkah Fitzpatrick via Trade abgab. Der Prozess war unter anderem darauf ausgerichtet, Quarterback Tua Tagovailoa im Draft zu bekommen; eine Vorgehensweise, die - glaubt man den Vorwürfen des damaligen Head Coaches Brian Flores - irgendwann auch intern zu Uneinigkeiten führte.

Mit diesen Dingen müssen die Leader der Franchise umgehen können, genau wie auch mit der Außendarstellung: Free Agents, und vor allem deren Berater, werden naturgemäß etwas vorsichtig sein, zu einem solchen Team zu gehen, bis es dann wieder nachweislich stabilisierter ist.

Ein radikaler Rebuild kann nur funktionieren, wenn die Bedingungen für die Entscheidungsträger so stabil sind, dass sie langfristig sinnvolle, aber kurzfristig äußerst unpopuläre Entscheidungen treffen können. Ein Rebuild ist die extremste Art und Weise, wie Teams die Offseason angehen können, er bietet aber eben auch viele Möglichkeiten - nicht zuletzt die unterschätzte Chance, den jährlichen Kreislauf eines Untere-Mittelklasse-Teams zu durchbrechen.

2. Der Retool: Größere Umbaumaßnahmen sind notwendig

Wenn wir in DePodestas Metapher bleiben, und beim Rebuild das Haus bis auf die Grundpfeiler eingerissen wird, ist der Retool eine Stufe weniger dramatisch. Die Wände bleiben stehen, das Dach ist auch noch in Ordnung, aber die Leitungen, Kabel, Böden und Fenster werden ausgetauscht.

Ich würde für einen Rebuild etwa drei Jahre anpeilen. Der Teardown im ersten Jahr, das weitere Sammeln von Ressourcen im ersten Draft, und dann sollten die Draft-Klassen insbesondere aus dem zweiten und dritten Jahr das Rückgrat für die Zukunft bilden.

Für einen Retool würde ich in diesem Gedankengang zwei Jahre anpeilen.

Zwei Jahre, um einen neuen Kern um junge Spieler herum aufzubauen, sich vielleicht philosophisch neu auszurichten, aber ohne radikal alles einzureißen.

Retool-Beispiel: Die Carolina Panthers

Ein aktuelles Beispiel dafür sehe ich in den Carolina Panthers. Die Panthers merkten im Laufe der vergangenen Saison, dass sie eine neue Richtung einschlagen müssen. Carolina tradete Receiver Robbie Anderson, vor allem aber Running Back Christian McCaffrey, das langjährige Gesicht der Franchise.

Der McCaffrey-Trade brachte den Panthers Picks in Runde 2, 3 und 4 im 2023er Draft ein, sowie einen Fünftrunden-Pick 2024.

Das ist jede Menge Kapital, um die Neuausrichtung des Teams voranzutreiben, die mit dem neuen Head Coach Frank Reich und dessen zumindest mal auf dem Papier eindrucksvollem Coaching Staff ohnehin eine zusätzliche Dimension erhält.

Gleichzeitig trennten sich die Panthers eben nicht von allen Stars, sie verscherbelten nicht das ganze Tafelsilber, wie es die Browns oder Dolphins einst taten: Pass-Rusher Brian Burns wurde genauso wenig getradet wie Wide Receiver D.J. Moore, Safety Jeremy Chinn, Cornerback Jaycee Horn oder Right Tackle Taylor Moton.

Die große Herausforderung: Den Quarterback finden

Das Ergebnis dieser Art des Roster-Buildings ist ein Team, das bereits nach einem Jahr - also für die Panthers dann in der kommenden Saison - kompetitiv sein könnte, und vielleicht sogar mehr als das. Denn auf beiden Seiten des Balls steht das Grundgerüst, und es geht in erster Linie darum, einzelne Spots zu füllen.

Natürlich ist darunter in diesem konkreten Beispiel der wichtigste Spot: Die Panthers brauchen dringend einen Quarterback.

Das ist das größte Puzzleteil, welches sitzen muss, um wirklich den nächsten Schritt machen zu können, und dementsprechend kann man diesen Aspekt auch nicht unterschätzen.

Gleichzeitig können auch hier die Retool-Maßnahmen greifen: Carolina hat "nur" den Nummer-9-Pick im kommenden Draft, insgesamt aber verfügen die Panthers aber vor allem durch den McCaffrey-Trade über Top-10-Ressourcen im diesjährigen Draft.

Diese Munition kann auch verwendet werden, um seinen Wunsch-Quarterback zu bekommen.

3. Der Reload: Stellschrauben neu gedreht

Die Teams, die einen Reload anpeilen, sehen sich selbst im Titelfenster oder zumindest kurz davor. In aller Regel sind es Teams mit einem guten bis sehr guten Quarterback noch zu günstigen Konditionen - also auf dem Rookie-Vertrag - und einem Kader, dem nicht viel fehlt, um den letzten Schritt zu gehen und nach einem (weiteren?) Titel zu greifen.

Die Bills in der vergangenen Offseason waren so ein Beispiel. Buffalo schien zwei Jahre lang ganz nah dran, was merklich fehlte war der Elite-Pass-Rusher, der ein Playoffspiel in der entscheidenden Phase an sich reißen kann. Die Bills bezahlten viel Geld, um Von Miller nach Buffalo zu locken und dieses Problem zu lösen.

Es ist, aus neutraler Perspektive zumindest, schade, dass wir die Bills aufgrund der Verletzung nicht mit Von Miller auch tatsächlich in den Playoffs gesehen haben. Buffalo hatte in der Phase der Saison dann einige Probleme, doch der Mangel an Dominanz in der Defensive Line wurde insbesondere beim Playoff-Aus gegen Cincinnati deutlich.

Der Reload der Chiefs führt zum Titel

Die Kansas City Chiefs wären ein anderes Beispiel dafür. Nicht aus der vergangenen Offseason, sondern in der Offseason, nachdem Patrick Mahomes hinter einer dezimierten Offensive Line im Super Bowl vom Pass-Rush der Buccaneers über das ganze Feld gejagt worden war.

Die Chiefs investierten 2021 im Draft und in der Free Agency viele Ressourcen, um ihre Offensive Line komplett umzukrempeln. Joe Thuney kam für viel Geld als Free Agent, Orlando Brown wurde via Trade aus Baltimore eingekauft, und im Draft fand man die Starter Creed Humphrey und Trey Smith.

Es dauerte eine Weile, bis die Chiefs im Laufe der 2021er Saison auch passend dazu ihre Spielweise umstellten, und man merkte hier auch den gelegentlichen Sand im Getriebe, als Defenses die Chiefs dazu zwangen, sehr geduldig zu spielen und die Big Plays minimierten.

Doch bereits im Laufe der 2021er Saison merkte man, wie die Rädchen ineinander griffen - in der gerade beendeten Saison wurde das dann nochmal auf ein anderes Level gehoben. Trotz einer schwächeren Receiver-Gruppe hatten die Chiefs die beste Offense der Liga, auch dank einer Top-5-Line.

Bengals 2022 im Reload-Prozess

Nicht ganz so radikal wie die Chiefs, aber in eine ähnliche Richtung gedacht waren die Bengals nach ihrem verlorenen Super Bowl gegen die Rams unterwegs.

Cincinnati war 2021 auf dem Rücken einiger herausragender Defense-Auftritte durch die Playoffs marschiert, die Defizite in der eigenen Offensive Line wurden dabei aber immer wieder deutlich - auch im Super Bowl gegen Aaron Donald, Von Miller und Co.

Cincinnati wählte nicht die Hochkaräter wie die Chiefs, tauschte aber in der vergangenen Free Agency drei Starter aus und ersetzte sie durch Ted Karras, Alex Cappa und La'el Collins. Verletzungen spielten hier eine Rolle in den Playoffs, doch die Verbesserungen auf die Saison betrachtet waren deutlich spürbar.

Am Ende fehlte den Bengals ein Sieg, um erneut im Super Bowl zu spielen - mit der angeschlagenen Line insbesondere im Championship Game gegen Kansas City als erneuter Problemzone.

Reloads als ein Ritt auf der Rasierklinge?

Weniger erfolgreich waren die Los Angeles Chargers: Die Chargers nutzten die vergangene Offseason ebenfalls, um ihre größte Baustelle - die Defensive Line - anzugehen.

Unter anderem Morgan Fox, Sebastian Joseph-Day, Austin Johnson, Kyle Van Noy und in erster Linie Khalil Mack wurden verpflichtet; der erhoffte Effekt stellte sich aber nur in Maßen ein.

Die Verletzung von Joey Bosa verhinderte, dass die Chargers überhaupt eine Chance auf eine dominante Line hatten, auch Probleme in der Run-Defense blieben ein Thema.

Der teuer verpflichtete Cornerback J.C. Jackson sollte Coach Brandon Staley den Nummer-1-Corner als Dreh- und Angelpunkt der Secondary geben, doch Jackson wurde gebenched, ehe er verletzungsbedingt den Rest der Saison verpasste.

Ein Reload erfolgt in aller Regel mit einer kurzfristigeren Perspektive. Es geht darum, jetzt anzugreifen, in dem Wissen, dass man von einem Fenster über ein, zwei Jahre spricht, ehe dann vermutlich kritische Entscheidungen aus Cap-Perspektive getroffen werden müssen.

4. Recalibrate: Jedes Jahr ein Titelkandidat

Als Joe Burrow zum Ende der Regular Season, als die Bengals gerade zum ersten Mal in ihrer Geschichte in aufeinanderfolgenden Jahren die AFC North gewonnen hatten, gefragt wurde, wie er das Titelfenster dieses Teams einschätzt, kam die Antwort genauso schnell wie überzeugt.

"Das Fenster ist meine ganze Karriere", gab Burrow zu Protokoll, und was zunächst wie eine vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Antwort klingt, sollte die Realität für eine Franchise sein, wenn man einen Top-5-Quarterback gefunden hat. Selbst wenn der dann irgendwann sehr viel Geld verdient.

Doch der Top-5-Quarterback reicht dann nicht mehr, wenn es darum geht, Ressourcen zu maximieren und einen Titelanwärter aufzubauen, der auch mit einem teuren Quarterback nach dem Titel greifen kann: Bis vor der vergangenen Saison hatte noch nie ein Quarterback den Titel gewonnen, der mehr als 12,5 Prozent des Salary Caps seines Teams in derselben Saison beanspruchte.

Patrick Mahomes durchbrach diese Schallmauer mit dem Super-Bowl-Triumph gegen die Eagles deutlich; Mahomes beanspruchte in der gerade beendeten Saison 17 Prozent des Chiefs-Salary-Caps.

Inwieweit sind die Chiefs ein Roster-Building-Vorreiter?

Mahomes und umso mehr in Kombination mit Andy Reid ist so ein qualitativer Outlier, dass ich vorsichtig wäre, aus irgendetwas, was die Chiefs in ihrer aktuellen Version vollbringen, weitreichende Schlüsse für den Rest der Liga zu ziehen.

Doch aus ihrer übergreifenden Strategie wird es für Teams wie Buffalo, oder auch bald die Bengals wichtige Lektionen geben, welche diese Teams auch zeitnah umsetzen müssen.

Im Fall der Chiefs war es die Entscheidung, sich Tyreek Hill nicht mehr zu leisten, und den Star-Receiver stattdessen für jede Menge Draft-Kapital zu traden.

Das erlaubte es Kansas City, sich offensiv vielseitiger aufzustellen, vor allem aber war es mit Blick auf das gesamte Roster-Building der Startschuss, um sich auf die Zukunft auszurichten. Es ist eine Neukalibrierung des eigenen Kaders und der eigenen Strategie.

Sind nur Teams mit Elite-QBs in der Recalibrate-Gruppe?

Diese Kategorie der Roster-Building-Strategie betrifft auf den ersten Blick vor allem Teams mit Elite-Quarterbacks, die mit Blick auf den Cap sehr vorausschauend agieren müssen, um trotz eines Quarterbacks mit Top-5-Cap-Hit auf der Position ein Team mit Titelchancen zusammenzustellen.

Während das auch die Art Team ist, an das ich hier ganz klar in erster Linie gedacht habe, kann man auch in eine andere Richtung denken.

Natürlich kann nicht jedes Team einen Elite-Quarterback haben, und während es einerseits stets eine klare Priorität sein sollte, einen solchen Quarterback zu finden, so denke ich auch, dass Value darin liegt, mit einem Quarterback eine Kategorie darunter ein kompetitives Team zusammenzustellen.

So gibt man Saisons nicht einfach auf, man gibt einem Coaching Staff eine Chance, etwas aufzubauen - und wenn man dann einen Quarterback im Draft findet, hat man bereits einen starken Kader, um diesen Quarterback zu unterstützen und deutlich bessere Chancen, ein Titelfenster zu öffnen.

Das krasse aktuelle Gegenbeispiel zu spezifisch diesem Punkt sind die Bears, die vor Justin Fields' zweiter Saison erst einmal einen echten Rebuild einleiten mussten, was die Franchise aus Roster-Building-Perspektive jetzt in eine schwierige Situation bringt. Dadurch konnte man Fields bisher nicht vernünftig bewerten, und bis man alle Baustellen angegangen ist, wird selbst in einer optimistischen Rechnung Fields' Rookie-Vertrag schon fast vorbei sein.

Teams, die einen der Top-6- bis Top-10-Quarterbacks haben, müssen umso umsichtiger in ihrer Roster-Building-Strategie sein. Denn sie haben nicht, zumindest nicht auf gleichem Level, den Luxus, den die Teams mit Elite-Quarterbacks haben, dass der Quarterback Problemzonen kompensieren kann.

Fehlgriffe wie das teure Bezahlen eines Running Backs - die Dak-Prescott-Cowboys und die Kirk-Cousins-Vikings wären zwei Beispiele dafür - dürfen sich diese Teams eigentlich nicht leisten, denn sie brauchen jeden Dollar, um einen Elite-Kader zusammenzubauen. San Francisco hat das, trotz ebenfalls einiger interessanter Running-Back-Entscheidungen, über die letzten Jahre geschafft.

Gleichzeitig ist es wichtig, sich selbst eine gewisse Flexibilität zu bewahren. Das gilt für den Cap, es gilt vor allem aber auch für sein eigenes Mindset: Ein Quarterback-Pick im Draft, selbst inklusive Uptrade, sollte immer eine Option sein, egal, was man in der vergangenen Saison vielleicht erreicht hat.

5. Welche Teams stehen jetzt vor einer kritischen Weichenstellung?

Was bedeutet all das für die diesjährige Offseason?

Nicht jedes Team steht in jedem Jahr vor der Frage der Ausrichtung; häufig ist die übergreifende Strategie relativ klar.

Wir wissen, in welcher Phase die Chiefs angekommen sind. Die Bengals könnten nochmals kurzfristig All-In gehen, bevor zumindest mal Joe Burrow und Tee Higgins dann deutlich teurer werden. Denken die Chargers ebenfalls in diese Richtung?

Ein Team wie die Jets könnte mit einem entsprechenden Quarterback-Upgrade kurzfristig All-In gehen, und dieses Szenario scheint sich auch zunehmend abzuzeichnen.

Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es ebenfalls einige klare Fälle. Die Texans und Bears allen voran sind bereits inmitten ihres Rebuilds.

Für manche Teams aber steht in dieser Offseason eben doch eine kritische Weichenstellung bevor.

New York Giants: Retool oder Reload?

Wie die Giants mit Daniel Jones verfahren, wird uns einiges darüber sagen, wo sich New York selbst sieht.

Jeder dürfte sich dahingehend einig sein, dass das Team in der vergangenen Saison am absoluten Limit seiner Möglichkeiten - und manchmal darüber hinaus - performt hat. Kaum jemand hatte die Giants im Vorfeld der Saison als Playoff-Team, geschweige denn mit einem Playoff-Sieg auf dem Zettel.

Doch welche Schlussfolgerungen zieht man daraus? Bekommt Jones den teuren Vertrag, den er angeblich fordert? Ein Argument für einen "Reload" könnte so aussehen, dass man die Wide-Receiver-Position generalüberholen muss, doch mit einer starken Defensive Front und einem - wenn man sich entschließt, ihn so zu bezahlen, sollte das auch die Meinung sein - guten Quarterback sich selbst nah genug an einem Playoff-Run mit mehr Substanz sieht.

Ich sehe die Giants eher im "Retool"-Lager. Es gibt einige junge Bausteine, die das Gerüst dieses Teams bilden werden, eine Basis ist also da. Jones sollte nicht mehr als eine Übergangslösung sein.

Las Vegas Raiders: Rebuild oder Reload?

Die Raiders könnten mit einem Jahr Verspätung den radikalen Umbruch einleiten, den ich bereits letztes Jahr gerne von ihnen gesehen hätte.

Damals wählten sie stattdessen eine aggressive Herangehensweise, mit dem Trade für Davante Adams und der Verpflichtung von Chandler Jones. Doch die Saison zeigte, dass die Raiders nicht ansatzweise die notwendige Substanz im Kader - oder die Qualität auf der Quarterback-Position - für einen echten All-In-Run hatte.

Letzteres wurde mit der Entlassung von Derek Carr nochmals in ein ganz anderes Licht gerückt, und hiermit beginnt unweigerlich die Debatte dahingehend, wie die Weichenstellung dieser Offseason aussehen sollte.

Denn es ist nachvollziehbar, wie die Raiders an den Punkt kamen, sich von Carr zu trennen. Doch würde es keinen Sinn ergeben, hier jetzt einen anderen Veteran als Alternative zu holen. Es sei denn, dieser Veteran wäre Aaron Rodgers, der als einziger mutmaßlich verfügbarer Quarterback - sofern Lamar Jackson nicht auf den Markt kommt - ein Upgrade zu Carr darstellen würde.

Ich hatte bei der "Reload"-Kategorie als ersten Satz geschrieben: "Die Teams, die in einen Reload anpeilen, sehen sich selbst im Titelfenster oder zumindest kurz davor." Sollten die Raiders tatsächlich Aaron Rodgers anpeilen, wäre es ein klarer Hinweis darauf, dass sie sich selbst weiter nah dran an einem möglichen Playoff-Run wähnen. Es wäre der Double-Down der vergangenen Offseason.

Ich denke, dass der Kader für eine solche Einschätzung viel zu viele Defizite aufweist. Secondary, Linebacker, Offensive Line - ich sehe die Raiders auch mit einem Quarterback-Upgrade und einer weiteren aggressiven Offseason nicht in einem kurzfristigen Titelfenster, was dafür sprechen würde, eine langfristigere Perspektive einzunehmen.

Saints, Bucs, Titans: Zeit für den Rebuild?

Während man bei den Raiders noch mehr in verschiedene Richtungen argumentieren kann, gibt es zwei Teams, bei denen der drastische Rebuild die offensichtlichste Option ist - auch wenn in beiden Fällen vermutlich eher kurzsichtig geplant wird, auch weil sonst schnell Jobs auf dem Spiel stehen.

Die Rede ist von den New Orleans Saints und den Tampa Bay Buccaneers.

Bei den Bucs ist das Szenario relativ simpel: Dieses Team war auf das Tom-Brady-Fenster ausgerichtet. So wurde der Kader über die letzten Jahre zusammengestellt und so wurden auch Verträge gestaltet. Jetzt hat Brady seine Karriere beendet, dieses Mal wohl tatsächlich, sodass sich unweigerlich die Frage stellt: Gibt es für ein Team, das knapp 60 Millionen Dollar über dem Cap ist und keinen Quarterback hat, überhaupt ein Szenario, in dem man auf eine sinnvolle Art und Weise kurzfristig kompetitiv sein kann?

Mit Lavonte David, Jamel Dean, Sean Murphy-Bunting und Mike Edwards werden zudem mehrere Starter in der Defense Free Agents und so sind die Buccaneers ein gutes Beispiel für das, was ich ganz zu Beginn beschrieben habe: Wie realistisch schätzt man sich in Tampa Bay selbst ein? Und welche Schlüsse zieht man aus dieser Einschätzung?

Die große Gefahr hier sehe ich darin, dass die Bucs Verträge umstrukturieren, eine Quarterback-Übergangslösung im Stile eines Jimmy Garoppolo holen und krampfhaft versuchen, kurzfristig acht, neun Spiele gewinnen zu können. Was erreichbar wäre, doch dieser Ansatz führt unweigerlich in eine Sackgasse.

Die Bucs müssten lediglich zu einem Division-Rivalen schauen, um die Auswirkungen davon zu sehen. Denn die Saints begingen nach dem Ende der Drew-Brees-Ära genau diesen Fehler.

Statt einen klaren Cut zu machen, den Cap wieder auf eine stabile Grundlage zu stellen und einen Rebuild einzuleiten, schob New Orleans immer wieder Cap Hits in die Zukunft, um möglichst viel des eigenen Teams zusammenzuhalten. In der Folge eröffnete man die Offseason Jahr für Jahr dramatisch über dem Cap und musste erst einmal wieder viele Verträge umstrukturieren, um unter den Cap zu kommen.

Die Konsequenz davon ist, dass man kaum Spielraum hat, um das Team zu verbessern, während gleichzeitig der Kader schrittweise qualitativ abbaut, während man immer weiter ins untere Mittelmaß rein rutscht. An diesem Punkt stehen die Saints noch immer.

Tennessee Titans: Rebuild unter neuem GM?

Bei den Bucs und den Saints fällt die Analyse relativ klar aus; die Tennessee Titans stellen eine interessantere Debatte dar. Denn bei den Titans könnte man argumentieren, dass zumindest in Teilen der Rebuild bereits eingeleitet wurde.

Der Trade von A.J. Brown im Vorjahr, die Entlassung von GM Jon Robinson im Dezember - und der neue GM Ran Carthon knüpfte mit den jüngsten Entlassungen von Taylor Lewan, Robert Woods, Zach Cunningham und Randy Bullock prompt an dieses Thema an. Bud Dupree könnte ein weiterer Cut-Kandidat in dieser Offseason sein.

Auch würde ein mit Bedacht durchgeführter Rebuild zur Timeline dieses Kaders passen. Derrick Henry wird zum Ende der kommenden Saison 30, Ryan Tannehills Vertrag läuft nach der nächsten Saison aus. Die Titans werden sich zeitnah offensiv neu erfinden müssen.

Die große Frage dann auch hier: Wie schätzen sich die Verantwortlichen in Nashville selbst ein?

Insbesondere die Defense hat junges Talent, ein radikales Einreißen des Kaders ist nicht nötig. Im Fall der Titans würde man eher von einem soften Rebuild sprechen, der in dieser Offseason beispielsweise mit einem Trade von Ryan Tannehill fortgesetzt werden könnte.

Das würde die Weichen unweigerlich für einen Neustart stellen.