Defensiv-Guru Brandon Staley schloss sich den Los Angeles Chargers zur Saison 2021 als Head Coach an und hatte den Luxus, mit Justin Herbert bereits einen äußerst talentierten Quarterback im Team zu haben. Seine von den Rams bekannte Defense sollte so etwas wie das i-Tüpfelchen sein für die Chargers, die nach zwei schwachen Jahren wieder angreifen wollten.
Unterm Strich jedoch gelang es Staley bislang kaum, die PS seiner Defense auf die Straße zu bringen. Problematischer allerdings ist, dass die Offense trotz Herberts Extraklasse - er wurde in den vergangenen Wochen zum bestbezahlten Spieler der NFL-Geschichte - ebenfalls zu selten überzeugte. Und das lag keineswegs am Quarterback oder den Spielern um ihn herum - die Offensive Line war lange ein Problem, doch Herbert übertünchte dies recht effektiv. Das Scheme und das Play-Calling der Chargers sahen da schon deutlich wackliger aus.
Die Konsequenz daraus war die Trennung von Offensive Coordinator Joe Lombardi. Der hatte Herbert und Co. augenscheinlich zurückgehalten - aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Sein Nachfolger ist Kellen Moore, der den gleichen Job als Coordinator zuletzt vier Jahre bei den Cowboys innehatte und als einer der innovativeren Play-Caller in der Liga gilt. Er ist ein Glücksfall für die Chargers, denn die Cowboys ließen ihn gehen, weil er letzten Endes zu innovativ für den Geschmack des eher konservativen Head Coachs Mike McCarthy war.
Doch wie genau wird Moore der Chargers-Offense helfen, ihr Potenzial endlich abzurufen? Hier lohnt sich ein Blick auf Schlüsselzahlen der vergangenen Saison bei den Bolts und Cowboys.
NFL: Cowboys-Offense effizient trotz schwachem Prescott
Die Cowboys-Offense belegte in der vergangenen Saison trotz eines schwachen Jahres von Quarterback Dak Prescott Rang 12 in der NFL mit 0,027 EPA/Play. Sie war also die zwölft-effizienteste Offense der Liga in frühen Downs und neutralen Spielsituationen. Die Chargers belegten hier Rang 19 mit negativen -0,013 EPA/Play.
Gravierender wird der Unterschied, wenn man nur auf die Effizienz bei Dropbacks schaut, also in Pass-Situationen: Hier brachten es die Cowboys auf 0,109 EPA/Play mit einer Success Rate (Neue First Downs) von 53,3 Prozent. Die Chargers lagen hier gerade mal bei 0,035 EPA/Play und einer Success Rate von 47,9 Prozent.
Wie ist das zu erklären? Völlig losgelöst davon, wie die Qualität der Receiver oder der Offensive Line war - beide Quarterbacks hatten hier so ihre Probleme mit zahlreichen Ausfällen und Formschwankungen - war die grundlegende Philosophie im Play Calling sicherlich der Hauptgrund für diese Diskrepanz.
An Prescott nämlich lag es nicht. PFF gab ihm ein Passing Grade von nur 68,6 - so schlecht war er seit 2017 nicht mehr. Und dennoch funktionierte das Passspiel mit ihm deutlich besser als das der Chargers mit Herbert, der eine sehr ordentliche Saison spielte (77,5 Passing Grade), auch wenn dies für seine Verhältnisse laut PFF dennoch sein schlechtestes Jahr war.
Ein großer Unterschied zwischen beiden Offenses war vor allem die Pass-Tiefe. Herbert, der einen der besten Arme in der NFL besitzt, warf immer wieder kurz und kam laut Next Gen Stats auf gerade mal 6,7 Average Intended Air Yards (IAY), was der drittschlechteste Wert der Liga war. Lombardis gesamte Offense basiert auf kurzen Pässen, Herbert hatte also kaum Chancen, von seiner enormen Wurfkraft zu profitieren. Hier wird Moore sicher ansetzen.
NFL: Offenses der Cowboys und Chargers 2022 im Vergleich
Team | EPA/Play | Success Rate (Prozent) | Dropback EPA | Dropback SR |
Chargers | -0,013 | 42,9 | 0,035 | 47,9 |
Cowboys | 0,027 | 46,3 | 0,109 | 53,3 |
NFL: Fokus auf tiefere Routes bei den Los Angeles Chargers
Prescott kam im Schnitt auf 8,3 Intended Air Yards und eine durchschnittliche Pass-Tiefe von 8,7 Yards. Bei seinem Backup Cooper Rush der selbst auf acht Einsätze (fünf Starts) kam, waren es sogar 8,9 Yards. Und der ist nun wirklich kein herausragender Quarterback.
Moore, und das war bereits in den frühen Tagen des Camps zu beobachten, wird tiefere Routes im Arsenal haben - und das regelmäßig. Es wird weniger "Dink and Dunk" geben, Herberts Arm wird nun noch mehr zum Asset für diese Offense, was dem ganzen Team zugutekommen wird.
Doch damit nicht genug: Die ersten Tage des Training Camps haben schon einen weiteren taktischen Kniff offenbart, der die Chargers-Offense noch gefährlicher machen könnte. Hauptfigur dabei ist Wide Receiver Mike Williams, der in den vergangenen paar Jahren nahezu exklusiv den "X-Receiver" gegeben hat, also den klassischen, oft isolierten Nummer-1-Receiver (eine Erklärung findet Ihr hier). Mit seiner Statur (1,93 m, 99 kg) und seinem Speed ist er der ideale Deep Threat an der Seitenlinie. Entsprechend spielte er dort im Vorjahr auch 85 Prozent seiner Snaps - für ihn sogar der höchste Wert seiner Karriere (seit 2017).
Im Vorjahr allerdings begannen die Chargers bereits, ihn mehr mit In-Breaking Routes, Slants und Digs zu betrauen. Sie wollten Williams nicht nur vertikal einzusetzen, sondern auch mehr in die Mitte zu bringen, um seine körperliche Präsenz auszunutzen. Moore scheint nun noch einen Schritt weiter zu gehen. Er plant offenbar, Williams häufiger im Slot einzusetzen - im Wechselspiel mit Keenan Allen, der dort im Laufe der Jahre immer häufiger anzutreffen war. Im Vorjahr stand Allen bei 64,3 Prozent seiner Snaps im Slot.
Mit Williams im Slot, der dann auch von dort seine Go-Routes laufen kann, würden die Chargers die Mitte der gegnerischen Defense noch mehr unter Druck setzen und permanent für Mismatches sorgen. Ein so großer Slot-Receiver hätte weniger Mühe mit den üblich eher kleinen Slot-Cornerbacks, ob nun in Sachen Catch-Radius oder dem anschließenden Tackling.
NFL: Williams als großes Matchup-Problem für jeden Gegner
"Andere Teams werden Gameplans und spezielle Matchups haben, die darauf basieren, wo er aufgestellt sein wird", sagte Moore gegenüber Reportern. "Je mehr man ihn in verschiedenen Spots aufstellen kann, desto größer ist die Herausforderung für den Gegner, sich auf ihn zu konzentrieren."
Nebenmann Allen, der in diesen Situationen die "Z-Rolle" einnehmen würde, scheint ebenfalls begeistert von dieser Idee des Wechselspiels mit Williams: "Er ist riesig. Über die Mitte zu laufen, sollte für ihn kein Problem sein." Allen äußerte zudem mit einem Lächeln die Hoffnung: "Vielleicht bekommt er ja ein Double-Team gegen sich". Das würde ihm wiederum im Eins-gegen-eins gegen einen womöglich schwächeren Cornerback stellen.
Dass die Reise generell mehr ins vertikale Passspiel gehen wird, deuteten die Chargers indes schon früher im Jahr an. Im Draft wurden mit Erstrundenpick Quentin Johnston und Derius Davis in Runde 4 gleich zwei schnelle Receiver geholt, die outside respektive aus dem Slot besonders in vertikalen Routen ihre Stärken haben. Speziell Johnston zeigte seine besonderen Fähigkeiten bereits im Camp mit ein paar beeindruckenden Catches an der Seitenlinie und auf Go-Routes. Er dürfte den X-Receiver geben, mit Williams in einer variableren Rolle als bislang. Davis wiederum glänzte im ersten Preseason-Spiel gegen die Rams (34:17) mit einem 81-Yard-Punt-Return-Touchdown.
2022 reichte es für die Chargers trotz der teils hausgemachten Probleme mit der Offense und zahlreichen Ausfällen in der Defense immerhin zu einer 10-7-Bilanz und einer Wildcard. Wer weiß, was möglich ist, wenn man Herbert endlich die Stützräder abnimmt und sein volles Potenzial entfalten lässt.