SPOX: Herr Seidenberg, Spiel 1 der Eastern Conference Finals haben Sie mit den Boston Bruins klar gegen die Tampa Bay Lightning verloren. Was war los?
Dennis Seidenberg: Wir haben einfach nicht konzentriert genug gespielt. Die ganzen Tore, die Tampa geschossen hat, haben wir eigentlich geschossen. Wir haben sie ihnen geschenkt. Wirklich arbeiten mussten sie dafür nicht.
SPOX: Beim 0:1 ist es besonders für Sie sehr unglücklich gelaufen.
Seidenberg: Das kann man wohl sagen. Die Scheibe war vor dem Tor, ich hatte aber keinen Schläger mehr in der Hand. Es war schwer für mich, etwas zu machen. Als der Puck zu mir kam, wusste ich nicht, was ich machen soll. Dann habe ich den Puck nach vorne gekickt, genau auf den Schläger von Sean Bergenheim. Der musste ihn ja nur noch reinschießen.
SPOX: Ryan Suter, Zdeno Chara, P.K. Subban, Dennis Seidenberg: Wenn ich Ihnen diese Namen vorlese, um welche Rangliste könnte es sich handeln?
Seidenberg: Es müsste um die Minuten gehen, die ein Spieler in den Playoffs pro Partie auf dem Eis steht. Richtig?
SPOX: Vollkommen richtig. Pro Partie stehen Sie über 28 Minuten auf dem Eis. Das ist eine ganze Menge. Vor allem, weil Sie bekannt dafür sind, in jedem Wechsel Vollgas zu geben. Wie fit sind Sie so spät in der Saison noch?
Seidenberg: Es ist zwar schon anstrengend, aber man gewöhnt sich daran. Es macht Spaß, so viel auf dem Eis zu stehen. Es ist toll, das Vertrauen des Trainers zu spüren und so eine große Rolle im Team zu haben.
SPOX: Umgerechnet sind Sie bis jetzt ca. 5 Stunden und 40 Minuten auf dem Eis gestanden in den Playoffs. Eigentlich eine ganz normale Fünfsatz-Sandplatzschlacht bei den French Open...
Seidenberg: (lacht) Genau.
SPOX: Sie haben in Ihrer Jugend auch sehr erfolgreich Tennis gespielt. Wie würden Sie eigentlich die Belastung im Tennis mit der im Eishockey vergleichen?
Seidenberg: Das ist eine gute Frage. Die Belastungen sind auf jeden Fall total unterschiedlich. Es ist schwer zu sagen. Ich würde sagen, dass man sich im Tennis nicht bei jedem Punkt so volle Kanne reinhaut, wie das im Eishockey ist. Wir arbeiten 40, 50 Sekunden lang richtig hart und haben dann wieder unsere kurze Erholungsphase, bis es weitergeht. Im Tennis gibst du zwar auch Gas, und du hast auch Pausen zwischen den Punkten, aber im Eishockey ist es vielleicht etwas extremer. Es ist kaum zu vergleichen.
SPOX: In den Playoffs ist die Intensität der Spiele so hoch, die Belastung so enorm. Wie kann man sich da einen spielfreien Tag vorstellen?
Seidenberg: Im Prinzip ist da nur relaxen angesagt. Ich gehe draußen ein bisschen spazieren und versuche, mich auszuruhen und das letzte Spiel zu vergessen. Mehr ist da nicht. Gerade in den ersten beiden Serien war es schwer, zwischen den Spielen abzuschalten, weil es Schlag auf Schlag ging. Vor den Eastern Conference Finals hatten wir aber jetzt eine lange Pause, eine zu lange, wenn ich ehrlich bin. Wir hätten lieber gleich weitergespielt.
SPOX: Hatten Sie in dieser Zeit die Möglichkeit, die Eishockey-WM zu verfolgen?
Seidenberg: Klar. Ich habe mich immer informiert, wie Deutschland gespielt hat. Es kamen leider kaum deutsche Spiele im Fernsehen, aber ich habe im Internet nachgelesen, wie es gelaufen ist. Mein Bruder Yannic hat mich außerdem immer auf dem Laufenden gehalten. Die Jungs haben richtig gut gespielt. Am Ende war es wohl nicht mehr ganz so gut wie bei den Siegen gegen Russland und die Slowakei, aber insgesamt hat sich die Mannschaft super geschlagen. Mit dem Viertelfinale kann man sehr zufrieden sein, und man kann für die nächsten Turniere darauf aufbauen.
SPOX: Außer Ihnen hat sich in Boston wohl eher niemand für die WM in der Slowakei interessiert. Die Celtics sind ausgeschieden, die Red Sox stehen erst am Anfang der Saison, es zählen aktuell nur die Bruins, oder?
Seidenberg: Das ist wirklich so. Jeder ist total heiß auf Eishockey. Jeder freut sich, dass wir nach fast 20 Jahren mal wieder so weit gekommen sind. Wenn du spazieren gehst, gibt jeder einen Kommentar zu den Bruins ab. Jeder ist aufgeregt. Die Berichterstattung in den Medien ist auch riesengroß. Aber ich versuche, wenig Zeitung zu lesen und wenig TV zu schauen. Ich will mich ganz auf mein Spiel konzentrieren.
SPOX: Werden Sie jetzt auch häufiger auf der Straße angesprochen?
Seidenberg: Es ist schon so, dass ich in den Playoffs öfter angesprochen werde. Es kommt vor, dass Autos an einem vorbei fahren und die Fahrer "Let's go Bruins!" aus dem Fenster schreien. Es ist schön, so einen Zuspruch zu bekommen.
SPOX: In Spiel 1 hatten Sie statistisch gesehen kein gutes Spiel (-3 im Plus-Minus-Rating), aber insgesamt spielen Sie überragende Playoffs. Sind Sie in der Form Ihres Lebens?
Seidenberg: Das kann man schon so sagen. Vor zwei Jahren habe ich in Carolina schon eine große Rolle gespielt, aber jetzt läuft es auch ganz gut für mich. Ich denke, dass ich ganz gute Spiele gemacht habe. In Spiel 1 sah die Statistik nicht so gut aus für mich, aber ich habe eigentlich trotzdem ganz ordentlich gespielt. Bis auf das erste Gegentor konnte ich nichts an den Toren machen. Das Plus-Minus-Rating ist sowieso eine dumme Statistik. Wenn man einen guten Wert hat, ist alles super. Und wenn es nicht passt, ist alles schlecht. So einfach ist es aber nicht.
SPOX: Sie bilden mit Zdeno Chara ein Verteidigungspaar. Der Slowake gehört zu den Verteidiger-Superstars der NHL. Wie ist es, mit Big Z zusammen zu spielen?
Seidenberg: Es macht sehr vieles einfacher. Er ist so groß, er ist körperlich so viel stärker als die anderen, seine Reichweite mit dem Schläger ist so unglaublich - es macht richtig Spaß. Ich habe schon mit einigen guten Leuten ein Duo gebildet, aber Chara ist wohl der beste. Er ist so dominant in der eigenen Zone.
SPOX: Boston gilt als tolle Stadt, die Bruins sind eine traditionsreiche Franchise, Sie haben einen langfristigen Vertrag, und Erfolg ist auch noch da. Könnte es perfekter laufen im Moment?
Seidenberg: Ich könnte mir im Moment wirklich keine bessere Situation wünschen. Boston ist sehr europäisch geprägt, die Organisation der Bruins ist erste Klasse - ich fühle mich rundum wohl. Ich könnte mir gut vorstellen, nicht mehr aus Boston wegzugehen. Ich habe noch drei Jahre Vertrag, vielleicht bleibe ich dann noch weitere drei, vier Jahre hier. Mal schauen, was der Körper dann dazu sagt.
SPOX: Erst einmal müssen Sie mit den Bruins jetzt in die Serie gegen Tampa Bay zurückkommen. Am Dienstag findet Spiel 2 statt. Was gibt Ihnen Selbstvertrauen, die Serie am Ende gewinnen zu können?
Seidenberg: Dass wir ihnen die Tore in Spiel 1 geschenkt haben, das gibt mir Selbstvertrauen. Sie haben sich die Dinger ja nicht herausgespielt. Wenn wir diese Geschenke nicht verteilt hätten, wäre das Spiel ganz anders ausgegangen. Außerdem haben wir gegen Montreal gezeigt, dass wir sogar nach zwei Heimpleiten zu Beginn einer Serie zurückkommen können. Wir wissen, dass wir viel besser spielen können als in Spiel 1. Wir müssen auch viel besser spielen.
SPOX: Für die Lightning spricht, dass sie jetzt acht Spiele in Folge gewonnen haben und kaum zu stoppen scheinen. In Spiel 1 waren die großen Stars wie Steven Stamkos, Martin St. Louis und Vincent Lecavalier kein Faktor, Tampa Bay hat aber trotzdem gewonnen.
Seidenberg: Es stimmt, dass ihre Rollenspieler in den gesamten Playoffs bis jetzt richtig gut gespielt und viele Tore geschossen haben. Aber für uns wird es in erster Linie trotzdem darauf ankommen, dass wir St. Louis, Stamkos und Lecavalier vom Toreschießen abhalten.
SPOX: Ein Schlüssel wäre sicher auch, wenn Patrice Bergeron nach seiner Gehirnerschütterung wieder einsatzfähig wäre. Wie ist der neueste Stand?
Seidenberg: Ich weiß nicht ganz genau, wie es aussieht. Ich weiß, dass er sich besser fühlt, aber ich bin nicht sicher, wie weit er ist. Er hat jetzt zum ersten Mal wieder mit uns trainiert. Ich glaube deshalb schon, dass er in der Serie noch spielen kann. In Spiel 1 haben wir ihn vor allem bei den Faceoffs sehr vermisst, aber nicht nur da. Er ist einer unserer besten Spieler, weil er sowohl defensiv als auch offensiv alles richtig macht.
SPOX: 16 Siege sind nötig, um den Stanley Cup zu holen. Acht haben Sie mit den Bruins eingefahren, die Hälfte ist geschafft. Haben Sie sich schon einmal erlaubt, an den Cup-Triumph zu denken?
Seidenberg: Auf der einen Seite ist der Stanley Cup zwar relativ nahe, aber dann ist er auch wieder noch so weit weg. Ich habe bis jetzt nicht über den Titel nachgedacht, aber ich habe mir schon überlegt, wo ich den Stanley Cup hinbringen soll im Fall der Fälle. Das ist gar nicht so einfach. In Deutschland habe ich nicht mehr so viele Leute. In den USA habe ich zwar viele Freunde, aber keine richtige Heimat. (lacht) Da müsste ich mir dann noch mal Gedanken machen.
SPOX: Es könnte im Stanley-Cup-Finale ja zu einem deutschen Duell zwischen Ihnen und Christian Ehrhoff kommen. Stehen Sie mit ihm in Kontakt?
Seidenberg: Mit Christian habe ich weniger Kontakt, aber dafür mit Dave Tomlinson. Mit ihm habe ich früher in Mannheim zusammengespielt, und jetzt ist er der Radio-Kommentator für die Canucks. Er hat mir schon gesagt, dass das ja ein tolles Ding wäre, wenn es zum Finale Vancouver vs. Boston kommt.
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