Formel 1 - Erkenntnisse zum Mexiko-GP: Darum wird die Reglement-Reform so dringend gebraucht

Christian Guinin
08. November 202108:34
Perez (r.) verbrachte große Teile des Rennens in Hamiltons (l.) Windschatten.getty
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Während Lewis Hamilton nach dem zweiten Platz beim Großen Preis von Mexiko für den Saisonendspurt keine andere Wahl hat, als volles Risiko zu gehen, wird Red Bull zu Unrecht für die Strategie von Sergio Perez kritisiert. Der Autodromo Hermanos Rodriguez zeigt indes, warum die Formel 1 die Reglement-Reform so dringend braucht. Die Erkenntnisse zum Mexiko-GP.

1. Lewis Hamilton muss jetzt alles riskieren

Bei der Podiumszeremonie nach dem Rennen hätten die jeweiligen Körpersprachen der zwei Erstplatzierten kaum unterschiedlicher sein können. Während Triumphator Max Verstappen sichtlich gut gelaunt via Hebebühne aufs Podest gefahren wurde und unter tosendem Applaus der mexikanischen Fans seinen Sieg feierte, schlich sein Kontrahent Lewis Hamilton nach dessen Ankündigungs-Aufruf beinahe laut- und gestenlos auf seinen Platz.

Und das nicht grundlos. Bei Hamilton, der normalerweise auch in der Niederlage stets gute Miene zum bösen Spiel machen kann, sitzt der Stachel nach der neuerlichen Machtdemonstration seines niederländischen Rivalen tief. Eigentlich hatte man sich bei Mercedes nach der Doppelpole am Samstag leise Hoffnungen auf einen Turnaround im WM-Kampf gemacht, daraus wurde aber nichts.

Vielmehr distanzierte Verstappen den Briten um weitere sieben Zähler. Der Rückstand von Hamilton beträgt nun, vier Rennen vor dem Saisonende, schon 19 Punkte. Und während Experten die Leistung des RB-Piloten nach Rennende in den Himmel lobten (RB-Motorsportchef Helmut Marko: "Das war jenseits von Gut und Böse. Es war ein perfekter Tag, einfach unglaublich von Max."), verlässt Hamilton Mexiko mit einer gehörigen Portion Druck und einer für ihn völlig ungewohnten Situation.

Zum ersten Mal seit langer Zeit ist der Brite gezwungen, ins Risiko zu gehen. Mit der Leichtigkeit der vergangenen Saisons, in denen Hamilton stets mit dem besten Gesamtpaket und der nötigen Portion Abgeklärtheit seine Konkurrenz besiegte, dabei aber nie wirklich an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gehen musste, ist es vorbei. Vom 36-Jährigen müssen für den Saisonendspurt nun 110 Prozent kommen.

Hamilton: Red Bull "war übermächtig"

Legt er seinen gewohnten, souverän-kontrollierten und auf Fehlerlosigkeit bedachten Fahrstil nicht schleunigst ab, wird er - da sind sich mittlerweile viele Experten und Fans sicher - aus diesem WM-Kampf als Verlierer hervorgehen. Zu gut performt Verstappen in diesem Jahr, zu reif und abgebrüht ist der Niederländer mittlerweile, zu fehlerlos fährt er seinen Stiefel runter und zu stark präsentiert sich der RB-Bolide.

Dementsprechend besorgt und ratlos war Hamilton nach der Zieleinkunft. "Dieses Auto (Red Bull; Anm. d. Red.) war einfach übermächtig. Ich konnte nichts dagegen machen", rätselte er. "Die Pace von Max war einfach unglaublich." Sein Teamchef blies in ein ähnliches Horn: "Unser Auto war definitiv nicht gut genug für Platz eins. Die Stimmung ist jetzt natürlich nicht großartig", meinte Toto Wolff.

Die gute Nachricht: Noch ist alles offen. Bei vier Siegen in den abschließenden vier Rennen wäre Hamilton, völlig unabhängig von Verstappens Ergebnissen, Weltmeister. Dass der RB-Pilot es ihm aber derart leicht machen wird, davon ist nicht auszugehen.

Im Umkehrschluss bedeutet das nämlich auch, dass Mexiko der letzte Ausrutscher gewesen sein muss. Siegen Red Bull und Verstappen auch kommende Woche beim Großen Preis in Brasilien (aufgrund des Layouts eher eine RB-freundliche Strecke), könnte der siebenfache Weltmeister den Titel aus eigener Kraft nicht mehr holen. Dann wäre Titel Nummer acht und die endgültige Alleinstellung als Rekordweltmeister in weite Ferne gerückt.

2. Red Bull hat bei Perez-Strategie nichts falsch gemacht

Auch wenn seine Aufholjagd auf Lewis Hamilton letztlich nicht von Erfolg gekrönt war, Sergio Perez lieferte auf dem Autodromo Hermanos Rodriguez in Mexiko-City zweifelsohne eine seiner besten Performances seit seinem Wechsel zu Red Bull ab.

Als Dritter landete der 31-Jährige zum fünften Mal in diesem Jahr auf dem Podest, nach der Türkei und den USA war es sogar das dritte Mal in Folge, dass der Mexikaner zur Siegerehrung durfte. Nach schwachem Saisonstart scheint Perez immer stärker in Fahrt zu kommen. Mittlerweile hat er seinen Fahrstil an den RB angepasst, das spiegelt sich auch in den Leistungen wider.

Dennoch gab es nach Rennende auch teils kritische Stimmen, zum einen an Perez' individueller Leistung, zum anderen aber auch an der Strategie seines Rennstalls. Zu spät habe man Perez für seinen Reifenwechsel an die Box geholt, so sei ein möglicher Vorteil durch einen Undercut verloren gegangen, so der Vorwurf.

Doch tatsächlich ergab sich nur ein winzig kleines Zeitfenster für den angesprochenen Undercut, welches letztlich Hamilton nutzte. "Es gab eine Runde, in der wir den Undercut hätten machen können, aber da sind sie reingekommen und wir haben das Gegenteil gemacht und sind länger draußen geblieben", analysierte Perez. Wäre man zu einem früheren Zeitpunkt an die Box gekommen, wäre man im Verkehr stecken geblieben. Zeitgleich mit Hamilton Reifen zu wechseln wäre noch unsinniger gewesen. So wählte man die einzig verbleibende mögliche Option: Den Overcut.

Perez (r.) verbrachte große Teile des Rennens in Hamiltons (l.) Windschatten.getty

Perez findet keinen Weg an Hamilton vorbei

Und anfangs sah das auch nach einer guten Wahl aus. Erst elf Runden später bat RB Perez ebenfalls zur Abfertigung an die Box. Zwar hatte er bei der Rückkehr auf die Strecke rund neun Sekunden Rückstand auf Hamilton, die holte er auf frischen Reifen jedoch sukzessive auf. Sekunde um Sekunde verringerte er den Abstand und lag schließlich 15 Runden vor Rennende sogar im DRS-Bereich.

Einen echten Angriff konnte Perez aber nicht wagen. Die zahlreichen Überrundeten, die auch Hamilton etwas Windschatten spendeten, spielten dem Mexikaner nicht in die Karten. Lange konnte Perez nicht dicht hinter Hamilton fahren und musste zunächst etwas abreißen lassen. "Ich glaube, in ein oder zwei Runden hätte er Hamilton auch gehabt", meinte Helmut Marko im Anschluss.

So musste man sich bei Red Bull mit den Plätzen eins und drei begnügen - nicht ganz nach dem Geschmack des Österreichers: "Wir müssen den Abstand zu Mercedes absichern", ärgerte er sich ein wenig. Denn hätte Perez Hamilton überholt, hätte Verstappens Vorsprung in der Meisterschaft 22 statt 19 WM-Punkte betragen.

"Ich hatte nicht wirklich eine Chance. Überholen ist schwierig mit ihrem Speed auf den Geraden. Da sind sie stark", musste auch Perez einsehen. "Es ist schade, weil wir die Pace hatten, Erster und Zweiter zu werden." Dafür hätte dann aber wohl der Start besser laufen müssen. Denn im Renntempo führte an Hamilton an diesem Nachmittag für Perez kein Weg vorbei.

3. Der Mexiko-GP zeigt, wie sehr die Reglement-Reform gebraucht wird

Bei einer Strecke mit einer etwa einen Kilometer langen Start-Ziel-Geraden sowie drei breiten 90-Grad-Kurven in deren Folge sollten Überholmanöver eigentlich kein Problem sein. Der Sonntagabend im Mexiko bewies aber leider wieder einmal das genaue Gegenteil.

So wurden mit Sergio Perez und Valtteri Bottas unter anderem zwei prominente Piloten Opfer dieser Problematik. Beide fuhren rundenlang im direkten Windschatten ihrer beiden Vordermänner (Bottas: Daniel Ricciardo, Perez: Lewis Hamilton), beide kamen, obwohl deutlich schneller, nicht einmal in die Nähe eines Angriffs.

Was an den komplexen, aerodynamischen Feinheiten der Boliden liegt. Die Autos sind dafür konzipiert, bei freier Fahrt die maximale Leistung auf den Asphalt zu bringen. Befindet man sich jedoch in der sogenannten "dirty air" des Vordermannes, verliert man Anpressdruck und Grip. Auch die Reifen bleiben davon nicht verschont. Aufgrund der heißen Luft, die vom vorderen Fahrzeug abgegeben wird, können die empfindlichen Pneus schnell überhitzen. Es bildet sich "Graining", was den Reifenverschleiß beschleunigt und den Vorteil der frischeren Reifen schnell zunichtemachen kann.

Und so ist es, so schön, abwechslungsreich und spannend die bisherige 21er-Saison auch sein mag, nur begrüßenswert, dass im kommenden Jahr eine neue Rennwagengeneration an den Start geht. Anstatt von 50 Prozent Abtriebsverlust sollen die neuen Boliden dem Hinterherfahrenden in der "dirty air" dann nur noch 10-20 Prozent an Anpressdruck kosten. Das Überholen wird leichter, die Rad-an-Rad-Duelle intensiver - auch in Mexiko.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 18 von 22 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull312,5*
2Lewis HamiltonMercedes293,5*
3Valtteri BottasMercedes185
4Sergio PerezRed Bull165
5Lando NorrisMcLaren150
6Charles LeclercFerrari138
7Carlos SainzFerrari130,5*
8Daniel RicciardoMcLaren105
9Pierre GaslyAlphaTauri86
10Fernando AlonsoAlpine60
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Mercedes478,5*
2Red Bull477,5*
3Ferrari268,5*
4McLaren255
5Alpine106
6AlphaTauri106
7Aston Martin68
8Williams23
9Alfa Romeo11
10Haas0

*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.