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Jochen Tittmar

Frau Thomßen, nachdem Sie 2010 Ihr Staatsexamen Physiotherapie in Göttingen abschlossen, arbeiteten Sie im Dortmunder Orthomed Rehazentrum. Von dort haben schon einige vor Ihnen den Sprung zu Borussia Dortmund geschafft. Wie ist er Ihnen gelungen?Swantje Thomßen: Ich war 2009 zunächst als Volunteer bei einem U19-Turnier, der Champions Trophy in Düsseldorf. Dort habe ich jemanden vom BVB zu fassen bekommen und gefragt, ob ich ein Praktikum machen darf. Dann hieß es, wenn ich möchte, kann ich auch sofort hier mit hineinschnuppern. Das habe ich natürlich angenommen. Am Ende des Tages wurde ich gefragt, ob ich nicht demnächst mit ins Trainingslager der U19 möchte.<script src="https://cdn.fcp.codes/embed-code-template/embed-code-template.js#SINGLE_0d2fe639-9758-46bc-9ef1-15d6b60a7da6" async=""></script><img src="https://vg06.met.vgwort.de/na/d09d6ae567014d889e39e8b60025982b" width="1" height="1" alt="" style="width: 1;height: 1;">

"Ich dachte, wir werden erschossen": Wie Physiotherapeutin Swantje Thomßen den Anschlag auf den BVB erlebte - und warum sie bei Borussia Dortmund aufhörte

Und das war für Sie sonnenklar?Thomßen: Ja. Anschließend ging ich wieder zurück in meine Heimatstadt, habe die Ausbildung beendet und bin 2010 nach Dortmund gezogen, weil ich den Job bei Orthomed bekam. Parallel dazu habe ich einmal pro Woche und bei den Spielen am Wochenende die zweite Mannschaft von Rot-Weiss Essen betreut und auch aushilfsweise immer mal wieder beim BVB mitgeholfen.Welchen Bezug hatten Sie zum Fußball?Thomßen: Er wurde mir nicht gerade in die Wiege gelegt. Ich komme aber vom Dorf. Da geht man am Wochenende zum Sportplatz und schaut sich Kreisliga-Fußball an. Mein ganzer Freundeskreis hat dort gekickt und mich später überredet, dort den Physio zu machen. Die wollten, dass das richtig professionell aussieht. (lacht) Ich weiß noch, wie ich beim ersten Auswärtsspiel unseres glorreichen Dransfelder Sport-Club - übrigens auch schwarz-gelb - am Spielfeldrand saß und mir dachte: Boah, und das geht jetzt echt noch 90 Minuten! Es hat am Ende aber doch sehr viel Spaß gemacht. So ist eine Leidenschaft entstanden.Zwischen 2010 und 2012 arbeiteten Sie beim BVB nebenbei bei der U15 und U19, anschließend für zwei Jahre bei der zweiten Mannschaft. Wie kam das zustande?Thomßen: Der vorherige Physio der U23 hatte aufgehört. Andreas Schlumberger, der relativ neu im Klub und übergeordnet für das NLZ zuständig war, hat sich dann dafür eingesetzt, dass ich den Posten bekomme. Ich hatte zuvor einmal gehört, dass ich für die U23 im Gespräch sei. Damit hatte ich aber überhaupt nicht gerechnet. Ab da wurde es auch mein Hauptberuf und es hat sich alles verändert. Die oberste Priorität wurde Fußball. Es war ein krasser Sprung für mich.Von 2014 bis 2015 leiteten Sie dann die Physiotherapie und Rehabilitation im NLZ, haben in dieser Zeit aber auch schon stundenweise bei den Profis mitgearbeitet. War es Ihre Ambition, die Karriereleiter beim BVB weiter nach oben zu steigen?Thomßen: Das in Festanstellung zu machen, war das, was ich wollte. Bei der U23 gab es auch einmal den Moment, an dem ich dachte: Krass, jetzt habe ich diesen Job - schon cool! Ich hatte aber keinerlei Vorstellung davon, dass das mit den Profis überhaupt hinhauen könnte. Erst recht nicht in dieser Geschwindigkeit.Insgesamt blieben Sie von 2015 bis 2021 bei der ersten Mannschaft. Wer hat das denn ursprünglich entschieden?Thomßen: Als Thomas Tuchel anfing, fehlte ein Physio krankheitsbedingt. Ich wurde dann für sechs Wochen dort einberufen und war auch schon bei Spielen dabei. Als der Kollege wieder da war, ging ich zurück. Doch schon einen Tag später bekam ich einen Anruf von einem Kollegen bei den Profis. Er meinte lapidar: Du, es ist jetzt entschieden - wir brauchen dich hier oben, du bist ab sofort Teil unseres Teams.

Und Sie waren perplex?Thomßen: Ja, das war schon schräg. Es hätte ja auch mal jemand fragen können. (lacht) Kurz darauf saß ich mit Michael Zorc zusammen und habe über meinen Vertrag gesprochen.Kaum waren Sie bei den Profis, tauchten Sie auch erstmals in den Medien auf. Die Bild schrieb unter dem Titel "Tuchel holt Frau Swantje auf die Bank" über Sie als "die hübsche Physiotherapeutin". Wie empfanden Sie das?Thomßen: Als furchtbar. Ganz, ganz schlimm. Zu meinen männlichen Kollegen gab es diese Art von Artikeln natürlich nicht. Als Frau wurde ich da sehr reduziert dargestellt, als sei es schwer vorstellbar, dass ich fachlich etwas drauf habe. Da hat sich auch offenbart, wie viele Leute in meinem größeren Bekanntenkreis die Bild konsumieren. Diesen Bericht haben unglaublich viele Menschen kommentiert. An sämtlichen Geburtstagen zusammengerechnet habe ich in den letzten Jahren nicht so viele Nachrichten bekommen wie da.Wie sehr hat sich denn bei den Profis Ihr Arbeitsalltag von jenem zuvor unterschieden?Thomßen: Bei der U23 war das Arbeitspensum anstrengender, weil wir nur zu zweit waren und viele Aufgaben drumherum angefallen sind, die bei den Profis jemand anderes erledigt. Mit der U23 sind wir überall mit dem Bus hingefahren, auch mal neun Stunden nach Burghausen. Wir hatten keinen Mannschaftsarzt, der immer da war. Auswärtsspiele fanden ganz ohne ihn statt. Man hatte also eine deutlich höhere Verantwortung. Bei den Profis war es in dieser Hinsicht etwas bequemer, weil es viel klarere Grenzen gab.Der Druck dürfte dort aber nicht unwesentlich größer gewesen sein.Thomßen: Definitiv. Den bekommt man zu spüren, wenn Spieler ausfallen. Es geht einfach um andere Summen. Der ganze Verein ist ja irgendwo davon abhängig, dass es bei den Profis läuft.Wie anders war auch diese Welt bei den berühmten und reichen Profis im Vergleich zu den unbekannten Youngstern zuvor?Thomßen: Da in meinem privaten Umfeld Fußball ganz wenig stattfindet, ist niemand in Ohnmacht gefallen, weil ich auf einmal mit Mats Hummels zu tun hatte. Deshalb habe auch ich das nie als außerordentlich besonders empfunden oder hatte gar Ehrfurcht. Keiner der Spieler hat mir das Gefühl gegeben, dass ich dort nicht hineingehöre. Es sind alles auch nur Menschen, die hinter den Kulissen einen ganz lockeren Umgang pflegen.

Swantje Thomßen im BVB-Profibereich: "Es geht einfach um andere Summen"

Wie lange waren Sie an einem handelsüblichen Wochentag im Einsatz?Thomßen: Es gab keine richtige Routine. Mal hatte man drei Spiele in der Woche, mal nur eines. Ab und an wurde auch zweimal am Tag trainiert. Wenn es einen Block über einen Monat mit englischen Wochen gab, war Vollgas angesagt. Da hatte man kaum freie Tage. Meist hatten wir um 8 Uhr innerhalb der medizinischen Abteilung ein Meeting und haben besprochen, was anfällt. Dann ging es los, die ersten Spieler vor dem Training zu versorgen. Während des Trainings stand man entweder am Platz oder betreute verletzte Spieler. Es gab Phasen, die unfassbar arbeitsintensiv waren. Allerdings auch welche, in denen man viel wartete, weil insgesamt wenig anfiel oder Spieler noch nach dem Training etwas betreut werden wollten.Wie viel Zeit blieb für Freizeit, Familie und Freunde übrig?Thomßen: Wenig. Diese Dinge habe ich auch schmerzlich vermisst und waren mit ein Grund, weshalb ich aufhörte. Familienfeiern, Geburtstage - man verpasst schon sehr viel. Ich fuhr mal knappe drei Stunden zu einer Hochzeit nach Braunschweig, musste nachts aber wieder zurück, weil nächsten Tag Abflug zu einem Spiel war. Ich habe sie immerhin besuchen können, aber der ganz große Spaß war das natürlich nicht.Stimmt denn noch das klassische Bild vom Physiotherapeuten als Seelsorger der Spieler, bei dem sie sich ausweinen können?Thomßen: Das ist so unterschiedlich wie es die Spieler selbst sind. Bei einigen trifft das nicht zu, bei anderen aber vollkommen. Manche Beziehungen schaffen es auf eine freundschaftliche Ebene, da kommt so etwas dann durchaus häufiger vor. Es ist auch der Idealfall. Ich finde es notwendig, dass sich die Spieler uns anvertrauen und offenbaren können.Inwiefern wurden Sie grundsätzlich beäugt, weil Sie eine Frau in einem von Männern dominierten Geschäft waren?Thomßen: Bei den Profis gar nicht. Im Jugendbereich schon eher, wenn die Jungs in der Pubertät waren. Ich bin aber nicht auf den Mund gefallen. Man darf generell im Leistungssport nicht zimperlich sein, es herrscht dort einfach ein rauerer Umgangston. Das war aber auch bei meinem Praktikum in der 8. Klasse in einer Hotelküche so. (lacht)War es für Sie manches Mal rein von Ihrer körperlichen Konstitution schwierig, einen Pfundskerl wie beispielsweise Dan-Axel Zagadou zu betreuen?Thomßen: Vieles kann man auch durch die Behandlungstechnik abfangen. Es gab aber Situationen, in denen das tatsächlich nicht wie gewünscht funktioniert hat und mir die Kraft fehlte. Ich weiß noch, wie ich vor einem Champions-League-Spiel in Mailand zwei körperlich sehr intensive Spieler betreut habe, die unbedingt spielen mussten und bei denen auch noch etwas herauszuholen war. Wir sind angekommen, ich habe kurz ausgepackt und sie direkt behandelt - den ganzen Tag lang. Als ich spät am Abend auf meinem Zimmer im Bad stand, hatte ich nur noch ganz wenig Zahnpasta in der Tube. Da habe ich es wirklich nicht mehr geschafft, diese Tube auszudrücken. Auch in Trainingslagern standen wir schon mal mit den Händen im Eiswasser.

Physiotherapeut beim BVB: Vollgas in englischen Wochen

Sie waren am Abend des 11. April 2017 Opfer des Anschlags auf den Mannschaftsbus des BVB vor dem CL-Duell gegen die AS Monaco. War es gewissermaßen Zufall, dass Sie mit im Bus saßen?Thomßen: Bei den CL-Spielen waren immer zwei Physios dabei. Wir haben die Dienste intern teils auch kurzfristig aufgeteilt. In dem Fall hatten eben Peter Kuhnt und ich Dienst.Wo genau saßen Sie?Thomßen: In der Mitte. Wenn man den Bus durch die hintere Tür betritt, dort direkt gegenüber.Wie erinnern Sie sich?Thomßen: Ich hatte Todesangst. Es gab diese unfassbar laute Explosion. Ich schaute zur Seite und habe eine riesige Staubwolke gesehen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass es mehrfach geknallt hat. Alle sind runter auf den Boden. Niemand wusste, was passiert ist. Uns war nicht klar, ob man weiterfahren oder anhalten sollte. Ich dachte, wenn wir die Tür aufmachen, werden wir erschossen. Dieses Szenario hatte ich im Kopf - das ist hier unser Ende.Abwehrspieler Marc Bartra erlitt einen Speichenbruch und Fremdkörper-Einsprengungen im Arm. Sie waren zusammen mit Ihrem Kollegen Kuhnt als Ersthelferin bei ihm.Thomßen: Es brach zunächst eine Hysterie aus. Gesessen hat niemand mehr, alle waren irgendwie auf dem Boden verteilt. Peter und ich wurden dann schnell und mehrfach gerufen, auch Marc hat laut geschrien: Ihr müsst kommen, der blutet. Wir sind auf dem Boden zu ihm nach hinten gekrabbelt. Peter ging dann wieder nach vorne, um eine Tasche mit Verbandszeug zu holen. Damit haben wir Marc notdürftig versorgt und sein Handgelenk abgebunden.Bartra sagte, es lief alles in zehn Minuten ab, aber die kamen ihm wie Stunden vor. Wie empfanden Sie es?Thomßen: Mir kam es auch extrem lange vor. Und natürlich: Die Scheiben waren in sich gesplittert, es lagen Scherben und Splitter herum, Blut war verteilt - das war ein unwirkliches Szenario. Man kommt gar nicht hinterher, das in dem Moment zu realisieren.

"Ich hatte Todesangst": Der Anschlag auf den BVB-Bus

Sie haben Bartra anschließend auch ins Krankenhaus begleitet.Thomßen: Ja. Wir wurden von einem Rettungswagen abgeholt. Als Marc und ich dorthin gelaufen sind, sahen wir zwei Schaulustige, die das mit dem Handy gefilmt haben. Da bin ich komplett ausgerastet und habe sie angeschrien, wie ich es noch nie in meinem Leben getan habe. Ich konnte nicht fassen, was diesen Leuten durch den Kopf geht, in einer solchen Situation die Kamera zu zücken. Sie haben dann aufgehört und es ist davon auch nie etwas in die Öffentlichkeit gelangt.Wann haben Sie denn Ihre Familie anrufen können?Thomßen: Erst im Krankenhaus habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Alle standen unter Schock. Ich habe gesagt, dass alles soweit in Ordnung ist, ich jetzt noch im Krankenhaus bin und dann sehen wir weiter.Wie endete der Abend für Sie?Thomßen: Es hat im Krankenhaus ein, zwei Stunden gedauert, bis auch klar war, dass Marc operiert wird. Danach wurde ich von einem Freund abgeholt. Zu Hause sah ich dann zum ersten Mal die Bilder im Fernsehen. Geschlafen habe ich die Nacht gar nicht. Am nächsten Tag kam auch meine Familie zu mir.Welchen Eindruck haben die betroffenen Spieler auf Sie am nächsten Tag am Trainingszentrum gemacht?Thomßen: Es herrschte ganz viel Fassungslosigkeit. Die meisten haben nicht geschlafen. Wir haben viel darüber gesprochen. Auch darüber, was es in den Familien ausgelöst hat. Noch am Abend des Anschlags und auch in den kommenden Tagen stand alle zwei Stunden ein Polizeiauto für zehn Minuten bei jedem von uns vor der Haustür. Darüber wurden wir aber nicht informiert. Das hat bei mir für den nächsten Stress gesorgt. Ich dachte: Jetzt wissen die irgendetwas und es brennt richtig der Baum. Einige Spieler sind auch vor die Tür gegangen und haben nachgefragt, was das soll. Da hieß es, das ist für alle, die im Bus saßen und nun die Routine.Die Partie wurde am nächsten Tag angesetzt, Monaco gewann mit 3:2. Hätte man spielen dürfen?Thomßen: Nein. Doch so läuft leider die große Maschinerie des Fußballs.

Der Tag danach: "Es herrschte ganz viel Fassungslosigkeit"

Marcel Schmelzer sagte später vor Gericht: "Allein die Busfahrt am nächsten Tag zum Stadion war einfach nur schlimm." Saßen Sie auch wieder mit drin?Thomßen: Ja.Hatten Sie auch die Möglichkeit, nicht einzusteigen?Thomßen: Unsere Kollegen haben gefragt, ob sie Peter und mich ablösen sollen. Ich fand aber: Mich da jetzt herauszunehmen, nach allem, was wir am Vortag in genau dieser Besetzung erlebt haben, hätte sich falsch angefühlt. Mein Gefühl war, dass dies nun einfach etwas ist, was zu diesem ganzen Horror dazugehört.Wie empfanden Sie die Fahrt?Thomßen: So wie Schmelle. Es war total schrecklich und nur unangenehm. Mein Puls war sehr hoch. Man wusste ja noch überhaupt nichts über den Hintergrund. Es wurde ein wahnsinniges Sicherheitsaufgebot geliefert. Am Stadion standen mit Maschinengewehren bewaffnete Einheiten. Mein persönliches Sicherheitsgefühl erhöht es nicht gerade, wenn solche Menschen anwesend sein müssen.Wie haben Sie das Spiel in Erinnerung?Thomßen: Es war sehr, sehr ruhig in der Kabine. Eine ganz seltsame, gedrückte Stimmung. Das Spiel an sich ging wie in einem Nebel an mir vorüber. Danach sind in der Kabine auch viele Tränen geflossen.Welche langfristigen Folgen hatte der Anschlag für Sie?Thomßen: Ich habe lange darauf reagiert, wenn ich einen Knall gehört habe. Heute würde ich behaupten, dass ich nicht unter Langzeitfolgen leide.

"In der Kabine sind auch viele Tränen geflossen"

Haben Sie sich in dieser Sache einmal professionelle Hilfe geholt?Thomßen: Erst, um mich auf die Gerichtsverhandlung vorzubereiten. Davor hatte ich Schiss. Als klar war, dass ich dort aussagen muss, hat mir das richtig Stress gemacht. Das ist ja eine solch große Öffentlichkeit gewesen, überall waren Kameras. Ich bin niemand, der das sucht oder genießt - in diesem Zusammenhang gleich dreimal nicht.Haben Sie noch Kontakt mit Bartra?Thomßen: Ja, wir sind bis heute sehr verbunden. Wir schreiben uns jedes Jahr an diesem Tag. Seit seinem Abschied im Stadion haben wir uns aber nicht mehr persönlich gesehen.Lassen Sie uns einen deutlichen Themenwechsel vornehmen. Im Dortmunder Mitgliedermagazin haben Sie 2016 Henrikh Mkhitaryan als größten BVB-Spieler bezeichnet - "weil er mir Blumen zum Geburtstag geschenkt hat." Was hat das über ihn als Mensch ausgesagt?Thomßen: Er war einfach ein Spieler mit einer unglaublichen Höflichkeit. Das suchte seinesgleichen. Da gab es bei ihm auch keinen Hintergedanken. Für ihn war es selbstverständlich, dass ein Geburtstag oder ein Weltfrauentag entsprechend bedacht wird. Er war jemand, der sich für meine Arbeit auch schon, bevor ich fest bei den Profis war, immer extrem bedankt hat. Mit ihm konnte man sich stets nett unterhalten, wir hatten auch nach seinem Abgang Kontakt. Als wir später in England spielten, besuchte er uns im Hotel. Man kann es nicht anders sagen: Er ist, gerade wenn man den Profibereich kennt, ein enorm außergewöhnlicher Mensch. Und dazu noch sehr diszipliniert im Straßenverkehr! (lacht)
 Was soll das heißen?Thomßen: Es gibt in einer solch großen Gruppe natürlich bei jedem Themen, mit denen der Einzelne von den anderen etwas veräppelt wird. Henrikh hatte immer die krassesten Autos, aber er hat sich stets ans Tempolimit gehalten und ist auf gar keinen Fall zu schnell gefahren. Wenn man also irgendwo einen Lamborghini sah, der genau 80 km/h fuhr, wo auch 80 war, dann war das garantiert Henrikh.Bei welchem Spieler war es besonders wichtig, ihn mit mehr Behandlungen als gewöhnlich noch fit zu bekommen?Thomßen: Bei Emre Can, der eine Bänderverletzung am Fuß hatte. Ich erinnere mich nur noch daran, dass es vor einem Bundesligaspiel war. Ich weiß nicht, wie oft wir an dem Tag Lymphdrainage gemacht und an diesem Fuß herumgedoktert haben. Am Ende haben wir ihn quasi zubetoniert und er konnte spielen.

Swantje Thomßen bis heute mit Marc Bartra in Kontakt

Wer war der verrückteste Spieler?Thomßen: Da kann man nur Pierre-Emerick Aubameyang nennen. Ein wirklich ganz freundlicher Kerl, mit dem es immer sehr lustig war. Wir haben es immer belächelt, dass seine Autos gefühlt jeden Tag neu foliert waren. Ich meine: Wer kommt schon mit einem goldenen Auto zum Training? (lacht) Der hat von uns allen natürlich Sprüche gekriegt. Darüber hat er ganz entspannt gelacht. Er war auch schlagfertig genug, um das auszuhalten.Haben Sie mit einem Spieler sogar eine Freundschaft entwickelt?Thomßen: Zum Beispiel mit Marc Hornschuh, den ich in der U19 kennengelernt habe. Wenn er in Dortmund ist, treffen wir uns. Ich habe ihn auch in der Schweiz besucht, als er beim FC Zürich spielte. Oder auch mit Hendrik Bonmann. Lukasz Piszczek habe ich in Polen besucht, er hat mir seine Fußballschule und Heimatregion gezeigt. Bei Nuri Sahin war ich in der Türkei.Von Oktober 2021 und November 2022 sogar beruflich: Kurz nachdem Sahin vom einen auf den anderen Tag Trainer bei Antalyaspor wurde, arbeiteten Sie dort mit ihm zusammen. Wie kam das?Thomßen: Ziemlich schnell nach seiner Übernahme hat er mich angerufen und gefragt, ob ich nach Antalya kommen könnte. Und zwar kurioserweise just an dem Tag, an dem ich meine eigene Praxis eröffnet habe. Ich dachte, das wäre ein schlechter Scherz. Wir haben dann mehrere Gespräche geführt und uns darauf geeinigt, dass ich einmal im Monat hinfliege und eine Woche bis zehn Tage bleibe.Wie sah Ihr Aufgabengebiet aus?Thomßen: Ich habe zwar auch klassisch behandelt, hatte aber eine übergeordnete Position, in der ich nach Nuris Wünschen die medizinische Abteilung konzeptionell anders aufstellen sollte. Es ging darum, viele Prozesse zu optimieren, da auch einiges im Argen lag. Ich musste also schauen, wie man das, was Nuri möchte und das, wie zuvor gearbeitet wurde, sinnvoll übereinander bringt. Auch so Dinge wie unsere deutsche Überkorrektheit mit auf die Minute pünktlich zu sein - das ist dort absolut gar nicht die Mentalität. Man musste sich also gut einspielen, damit man nicht permanent mit dem Kopf gegen die Wand rennt. Das war ganz am Anfang extrem arbeitsintensiv, da war ich dann auch gleich zwei Wochen am Stück vor Ort.Wie haben Ihre neuen Kollegen Sie angenommen?Thomßen: Ich traf auf ein Team, das lange sowie aus verschiedensten Charakteren bestand und das für sich ein funktionierendes Konzept verfolgte. Ich war also diejenige, die von außen dazukam und das verändern sollte. Ich wurde gewiss respektiert, weil ich auch auf Nuris ausdrücklichen Wunsch kam, aber nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen.

Swantje Thomßen arbeitete unter Nuri Sahin bei Antalyaspor

Warum ging es dort nach etwas mehr als einem Jahr zu Ende?Thomßen: Es war nicht ohne, jeden Monat für eine Woche dorthin zu fliegen. Mein Fokus damals und heute ist ja meine Praxis. Am Anfang war das in Ordnung, da ich ja nicht meine Türen öffnete und die Leute mir die Bude einrannten. Doch es ist kontinuierlich mehr geworden, so dass der Spagat zwischen beidem zu groß wurde.Ihre Praxis besteht nun seit rund vier Jahren. Stimmt es, dass Sie die Ausbildung zur Osteopathin und Heilpraktikerin noch nebenbei während Ihrer Zeit beim BVB gemacht haben?Thomßen: Ja. Und zwar ganz früh morgens, spät abends, nachts, im Flugzeug oder im Hotel. (lacht)Heißt das, im Fußball wird man Sie nicht mehr sehen?Thomßen: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es hängt bestimmt auch immer von den Lebensumständen ab. Momentan bin ich glücklich, wie es ist.

Swantje Thomßen heute: Eigene Praxis statt BVB

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"Ich dachte, wir werden erschossen": Wie Physiotherapeutin Swantje Thomßen den Anschlag auf den BVB erlebte - und warum sie bei Borussia Dortmund aufhörte | SPOX

Sie arbeitete lange Zeit als Physiotherapeutin für den BVB, war Zeugin des Bus-Anschlags und liefert tiefe Einblicke: Swantje Thomßen im Interview.

&quot;Ich dachte, wir werden erschossen&quot;: Wie Physiotherapeutin Swantje Thomßen den Anschlag auf den BVB erlebte - und warum sie bei Borussia Dortmund aufhörte