Amin Younes hat wieder Spaß am Fußball. Nach einem Jahr 2018 voller Rückschläge, das mit seinem aufgeschobenen Wechsel von Ajax Amsterdam zum SSC Neapel begann und mit einer hartnäckigen Verletzung seinen Lauf nahm, tastet sich der ehemalige Nationalspieler Schritt für Schritt an die Startelf des italienischen Vizemeisters heran. Zuletzt erzielte er gegen Udinese (4:2) und Rom (4:1) seine ersten beiden Tore in der Serie A.
Vor dem Viertelfinale in der Europa League gegen den FC Arsenal (heute ab 21 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) spricht Younes im Interview mit SPOX und Goal über sein neues Leben in Italien. Er verrät, warum er immer gut gelaunt aufsteht. Er berichtet von Küsschen in der Kabine, leckerer Pasta, Idioten im Stadion und einem belgischen Spaßvogel, der sich hin und wieder als Wohnungsvermittler versucht. Und er verteidigt Carlo Ancelotti, Joachim Löw sowie Oliver Bierhoff.
Herr Younes, nach einem 2018 zum Vergessen mit Transferproblemen und Verletzungspech schreiben Sie 2019 wieder positive Schlagzeilen. Woran liegt das?
Amin Younes: Zuallererst an meiner körperlichen Verfassung. Ich bin nach meiner langen Achillessehnenverletzung endlich wieder gesund. Das ist das Wichtigste für mich. Ich fühle mich mittlerweile aber auch in Neapel angekommen. Es ist nie einfach, in ein neues Land mit einer neuen Lebensweise und neuen Sprache zu ziehen. Der Schritt nach Italien war ein großer für mich, der durch die Verletzung noch ein Stückchen größer wurde. Ich habe im Dezember erst mein erstes Spiel gemacht, im März meine ersten Tore. Darüber bin ich sehr glücklich. Genauso wie über die Tatsache, dass ich die Sprache immer besser beherrsche.
Im Januar hatten noch Gerüchte die Runde gemacht, Sie seien unzufrieden mit Ihren Einsatzzeiten und würden Neapel am liebsten den Rücken kehren.
Younes: Ich wollte nie weg. Für mich war immer klar, dass ich mich in Neapel durchsetzen möchte. Abgesehen davon hatte ich im Januar immer noch Probleme mit der Achillessehne und entschied mich, eine spezielle Reha in Belgien zu absolvieren, um 100-prozentig fit zu werden. Für mich war Neapel von Anfang an die richtige Adresse.
Warum?
Younes: Zum einen passt die Spielart perfekt zu mir. Im Vergleich zu meinem vorherigen Verein Ajax hat sich fußballerisch kaum etwas für mich geändert, weil wir hier ebenfalls sehr ballbesitzorientiert spielen. Nur auf einem höheren Level. Die Serie A ist in Sachen Taktik und Physis unglaublich stark. Für mich als Offensivspieler hat sie einen besonderen Reiz, weil der Großteil unserer Gegner sehr tief steht und es schwieriger ist, Tore zu erzielen oder vorzubereiten. Zum anderen liebe ich das Leben hier.
Sie meinen das gute Wetter.
Younes: Früher dachte ich, man könne bei jedem Wetter Fußball spielen. Aber es ist schon ein besseres Gefühl, wenn du im Dezember noch in kurzer Hose trainieren kannst und der Trainingsplatz immer in perfektem Zustand ist. Du stehst automatisch gut gelaunt auf, wenn jeden Tag die Sonne scheint. Das sind auf den ersten Blick kleine Details, die aber einen großen Unterschied machen, weil sie dein Wohlbefinden deutlich verbessern.
Amin Younes über den SSC Neapel: "Wir sind wie eine Familie"
Das Essen in Italien soll auch nicht so schlecht sein.
Younes: Die Pasta schmeckt hier natürlich viel besser als in Deutschland. (lacht) Es geht mir aber immer in erster Linie um die Menschen, die mich umgeben. Die Italiener sind sehr warmherzig und auch im Verein herrscht ein besonderes Flair. Auf unserem Trainingsgelände finden sich immer noch Trikots oder andere Sachen von Diego Maradona, ein paar ältere Betreuer sprechen oft von den glorreichen Zeiten. Es ist eine große Ehre, ein Teil dieses historischen Vereins zu sein. Außerdem macht es sehr viel Spaß, Zeit mit dieser Mannschaft zu verbringen. Wir sind wie eine Familie.
Woran machen Sie das fest?
Younes: In Deutschland ist es nicht so, dass du morgens in die Kabine kommst und deine Mitspieler mit Küsschen und Umarmungen begrüßt. Ich habe mir am Anfang auch gedacht: "Was ist das denn?" Aber so ist die Lebensweise im Süden. Hier kann jeder mit jedem. Es gibt keine Grüppchenbildung. Im Gegenteil: Wir unternehmen auch abseits des Platzes viel miteinander, veranstalten regelmäßig Mannschaftsabende. Einige von uns fahren sogar zusammen ins Training, hängen mit dem einen oder anderen Betreuer oder dem Stadionsprecher, einem wirklich lustigen Kerl, ab. Niemand ist abgehoben, niemand hält sich für etwas Besseres. Und es wird viel gelacht.
Wer bringt Sie denn am meisten zum Lachen?
Younes: Dries Mertens.
Erzählen Sie doch mal von ihrem lustigsten Moment mit Mertens.
Younes: Das hat in der Öffentlichkeit besser nichts zu suchen. (lacht) Aber allein seine Gestik auf dem Platz sagt schon viel über seinen Humor aus. Wenn er nach einem Zweikampf auf dem Boden sitzt und ihm niemand von der gegnerischen Mannschaft aufhilft, hebt er seinen Arm und hilft sich mit der anderen Hand selbst auf. Oder wenn er ein Tor erzielt und so tut, als wäre er ein Hund und würde gegen die Eckfahne pinkeln.
Amin Younes über Dries Mertens: "Du kannst ihn nur feiern"
Ihren Beiträgen auf Instagram zufolge müssen Sie ziemlich gut mit Mertens befreundet sein.
Younes: Das sind wir. Da ich noch ein bisschen Holländisch spreche und er Flämisch, können wir uns gut verständigen. Wir haben ein wunderbares Verhältnis zueinander. Ich würde aber behaupten, dass Dries mit jedem gut kann. Er ist ein toller Fußballer, aber ein noch besserer Mensch. Unglaublich bescheiden, unglaublich hilfsbereit. Du kannst ihn nur feiern. Ich bin von Natur aus nicht so der Typ, der nach einem Wechsel zu einem neuen Verein direkt auf andere zugeht. Schon gar nicht auf einen Spieler, der als Legende in diesem Verein gilt. Bei Dries war es so, dass er sofort auf mich zukam und mir seine Hilfe anbot.
Inwiefern?
Younes: Er hat mich zum Beispiel bei der Wohnungssuche unterstützt und mir Ecken gezeigt, in denen ich am besten Lebensmittel einkaufen kann. Neapel ist eine Stadt, in der du dich gut auskennen musst. Dries weiß das, weil er auch nicht von hier ist. Deshalb hilft er jedem, der neu nach Neapel kommt. Das rechne ich ihm hoch an. Ich sehe ihn als Vorbild. Fußballerisch, weil er mit fast 32 immer noch in jeder Trainingseinheit Vollgas gibt, aber auch menschlich, weil er die Mannschaft mit seiner positiven Art führt. Er spricht fließend Italienisch. Er liebt Neapel. Und Neapel liebt ihn. Die Fans himmeln ihn an - erst recht nach dem Abschied von Marek Hamsik.
Können Sie sich eigentlich ungesehen auf den Straßen fortbewegen?
Younes: Egal wo du in Neapel hinkommst, jeder spricht über Fußball. Ich hatte daher schon vor meinen ersten Spielen Schwierigkeiten, unerkannt zu bleiben. Und nach den Toren kann ich es jetzt sowieso vergessen. (lacht) Ich habe aber kein Problem damit. Die Leute reagieren sehr emotional, manchmal auch ein wenig aufdringlich, wenn sie einen Neapel-Spieler sehen. Ich kann sie verstehen. Sie sind mit Herz bei der Sache. Es ist hier ja nicht so wie in Mailand oder Rom, wo es mehrere Topklubs und Fanlager gibt. Hier gibt es nur uns. Die Leute lieben und leben diesen Verein. Es ist wie eine Religion.
SSC Neapel: Die Leistungsdaten von Amin Younes in der Serie A
Kategorie | Wert |
Einsatzminuten | 171 |
Tore | 2 |
Vorlagen | 0 |
Passquote | 92,1 % |
Zweikampfquote | 54,5 % |
Bei all den positiven Eigenschaften, die Sie erwähnen: Wie sehr verletzt es Sie, dass dunkelhäutige Spieler wie Ihr Kollege Kalidou Koulibaly in italienischen Stadien oftmals rassistisch beleidigt werden?
Younes: Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Es ist traurig, dass wir uns im Jahr 2019 noch mit Rassismus beschäftigen müssen. Ich versuche dem Ganzen aber so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken. Genau das wollen die Rassisten doch. Sie wollen, dass über sie gesprochen wird.
Beim jüngsten Länderspiel zwischen Deutschland und Serbien in Wolfsburg wurden auch Ihre ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Leroy Sane und Ilkay Gündogan angefeindet. Ihre Mutter kommt aus Deutschland, Ihr Vater aus dem Libanon. Wurden Sie schon einmal rassistisch beleidigt?
Younes: Nein, nie. Ich möchte lieber über das Positive sprechen und nicht über das, was eine Ansammlung von Idioten, die ich in Deutschland aktuell eher als eine Minderheit bezeichnen würde, ab und zu im Stadion macht.
Nur zu.
Younes: Nehmen wir meinen Vater als Beispiel. Er ist aus dem Krieg im Libanon nach Deutschland gekommen und hat dort alles andere als Rassismus entdeckt. Heute lebt er in einem warmen, schönen und sicheren Zuhause. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir dürfen nicht vergessen, wie gut wir es in Deutschland eigentlich haben.
Amin Younes: "Jeder kann seine Religion beim DFB ausleben"
Hatten Sie das Gefühl, Ihre Herkunft und Ihre Religion bei der deutschen Nationalmannschaft voll ausleben zu können?
Younes: Auf jeden Fall. Jeder kann das. Jede Herkunft und Religion wird beim DFB akzeptiert und respektiert. Vor allem Oli Bierhoff und Jogi Löw legen großen Wert darauf. Das sollte bei all der derzeitigen Kritik am DFB nicht unerwähnt bleiben.
Stehen Sie eigentlich noch mit dem Bundestrainer in Kontakt?
Younes: Nein. Das ist aber auch nicht schlimm. Ich kann meine sportliche Situation gut einschätzen und weiß, dass ich zurzeit noch weit von der Nationalmannschaft entfernt bin.
Sie haben 2017 mit dem DFB-Team den Confed Cup gewonnen. Ein großes Turnier würden Sie schon noch gerne spielen, oder?
Younes: Es wäre ein Traum, eines Tages wieder dabei zu sein, aber ich muss zuerst konstant gute Leistungen im Verein bringen. Wenn ich das tue, wenn ich viel und gut spiele, kommt die Nationalmannschaft irgendwann wieder von ganz allein.
Ihr Trainer bei Neapel ist ein alter Bekannter aus der Bundesliga: Carlo Ancelotti. Bei seinem vorherigen Verein, dem FC Bayern, erlebte er nicht gerade seine beste Zeit.
Younes: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass er sich hier sehr wohl fühlt. Es ist sein Land, es ist seine Kultur, es ist seine Sprache. Aber er war auch vom ersten Tag an zufrieden mit unserer Arbeitsweise, zufrieden mit der Stimmung innerhalb der Mannschaft. Für ihn war es die richtige Entscheidung, hierherzukommen.
Carlo Ancelotti unprofessionell? "Totaler Quatsch"
Ancelotti ist bekannt für seine lockere Art. In München sagte man ihm nach, dass er und sein Trainerteam ihre Arbeit zu locker nahm - und teilweise unprofessionell trainieren ließen.
Younes: Es ist schade, wenn jemand so etwas denkt, vor allem weil Carlo immer nur positiv über seine Zeit bei Bayern spricht. Zu behaupten, er und seine Kollegen würden nicht professionell genug arbeiten, ist totaler Quatsch. Ich bin hier vom ersten Tag an auf ein Trainerteam getroffen, das unglaublich akribisch und detailliert zu Werke geht. Ob das jetzt Carlo selbst, sein Sohn Davide, Francesco Mauri oder irgendein anderer ist - alle arbeiten hart und helfen mir Tag für Tag, ein besserer Fußballer zu werden. Carlo und Davide sprechen ja auch noch ein bisschen Deutsch, was mir auf jeden Fall zugute kommt.
Ancelotti hat Ihre taktische Rolle verändert: Während Sie in Amsterdam fast nur als Außenstürmer im Einsatz waren, agierten Sie zuletzt hin und wieder als Achter im Mittelfeld. Ist das der momentanen Konkurrenzsituation im Angriff mit Ihrem Kumpel Mertens, Lorenzo Insigne, Jose Callejon und Arkadiusz Milik geschuldet oder entwickeln Sie sich gerade zu einem anderen Spieler?
Younes: Meine große Stärke liegt im Eins-gegen-Eins, aber es ist nicht so, dass ich wie bei Ajax auf dem Flügel kleben muss. Ich kann auch als Ballverteiler zwischen den Linien agieren. Es macht mir Spaß, den Ball etwas weiter hinten abzuholen, aufzudrehen und nach intelligenten Lösungen zu suchen. Der Trainer erwartet auch, dass wir flexibel sind. Wir spielen unterschiedliche Systeme, weil wir viele unterschiedliche Spielertypen haben. Dries ist zum Beispiel ein anderer Stürmertyp als Milik. Wegen der defensiven Spielweise der meisten italienischen Teams ist es wichtig, dass wir zwischen den Linien sehr gut am Ball sind. Das sind wir in den meisten Fällen, aber nicht immer.
Andernfalls würde Neapel in der Meisterschaft nicht 20 Punkte hinter Juventus liegen.
Younes: Wir haben viele unnötige Punkte verloren wie gegen Chievo oder Sassuolo. Juve ist eine abgezockte Mannschaft. Schöner Fußball sieht anders aus, aber sie haben nun einmal Spieler, die wissen, wann was gefragt ist. Spieler mit großer Persönlichkeit und Mentalität wie Cristiano Ronaldo, Giorgio Chiellini oder Mario Mandzukic.
Neapel gewann zuletzt 1990 den Scudetto. Wie groß ist die Gier danach?
Younes: Sehr groß. Die ganze Stadt sehnt sich nach dem Titel. Vor allem, weil jeder das Gefühl hat, dass es wirklich möglich ist, ihn zu holen. In diesem Jahr zwar nicht mehr. Aber wir haben so viel Qualität in unserer Mannschaft, dass wir es eines Tages schaffen können. Ganz ehrlich: Ich will ich diesen Titel nicht nur für mich gewinnen, sondern auch für all diese Menschen, die schon so lange darauf warten. Vorher möchte ich hier nicht weg.
Amin Younes: "Ich bin ein reiferer Mensch geworden"
In dieser Saison könnte es zumindest noch mit der Europa League klappen. Im Viertelfinale geht es gegen den FC Arsenal. Was rechnen Sie sich aus?
Younes: In solchen K.o.-Spielen entscheidet hauptsächlich die Tagesform. Arsenal ist eine tolle Mannschaft und gut in Form. Wir brauchen uns aber vor niemandem zu verstecken. An Motivation wird es uns nicht mangeln. Ich habe mit Ajax schon einmal im Finale der Europa League gestanden und will unbedingt wieder dorthin.
Am liebsten als Stammspieler.
Younes: Das ist mein Ziel. Ich möchte gesund bleiben, den Trainer weiter von mir überzeugen und in jedem Wettbewerb so viel wie möglich spielen. Mit den letzten Einsätzen habe ich eine gute Basis gelegt. Meine Denkweise lautet, jeden Tag besser zu werden.
Sie klingen sehr selbstbewusst. So, als sei die Zeit der Rückschläge endgültig vorüber.
Younes: Die Verletzung und so mancher Zeitungsbericht im vergangenen Jahr haben mich sehr getroffen. Aber ich habe die negativen Gedanken in positive Gedanken umgewandelt. Ich bin dadurch ein reiferer Fußballer geworden. Und ein reiferer Mensch.