Vor Jahren spielte Basaksehir FK noch vor 50 Zuschauern. Inzwischen schickt sich der Klub aus Istanbul an, eine neue Größe in der Türkei zu werden. Als Vorbild dient die Bundesliga. Socrates-Chefredakteur Fatih Demireli besuchte für SPOX den etwas anderen Istanbuler Fußballverein.
Das Büro ist auffällig gut aufgeräumt. Es hat eine ordentliche Größe. Es finden sich aber auch zahlreiche Möbelstücke und Gegenstände, die so einen Raum schnell unordentlich und klein wirken lassen. Aber hier ist alles am richtigen Platz. Die vielen Bilderrahmen mit den Fußballtrikots sind so präzise angebracht, dass ein Symmetrophobiker eher fernbleiben sollte. Der große Konferenztisch und die Stühle sind im Einklang.
Wer es nicht besser weiß, könnte denken, dass Mustafa Erögüt unterbeschäftigt ist und den ganzen Tag sein Büro aufs Neue aufräumt, die Papierstapel hin und her schiebt und ab und zu noch die Blumen gießt. Dabei hat der Mittdreißiger alle Hände voll zu tun. Erögüt ist Sportdirektor des Istanbuler Fußballklubs Basaksehir FK, sitzt aber noch in weiteren Gremien der türkischen Fußballwelt, die ihn zum Dauerbeschäftigten machen.
"Das ist okay, ich mag den Fußball", sagt Erögüt, während er einen Stapel Papier in die Schublade schiebt. Der hohe Arbeitsaufwand hat einen Grund: Erögüt und Co. sind gerade dabei, einen einstigen Amateurverein zum Vorzeigeklub der Türkei zu entwickeln. Einst trug der Klub den Namen Istanbul Büyüksehir Belediyespor, was so viel heißt wie "Sportverein der Istanbuler Großstadtverwaltung". Der Verein war genauso unattraktiv wie der Name.
Vor 50 Zuschauern im Olympiastadion
Weil das ebenso hässliche Olympiastadion am Istanbuler Stadtrand keinen festen Mieter hatte, spielte dort IBB: meist vor 50 bis 60 Zuschauern, die sich aus Familienangehörigen, Ordnern, Klubmitarbeitern zusammensetzten. In einer Stadt mit Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray und selbst mit Stadtviertelklubs wie Kasimpasa oder Sariyer, braucht es schon sehr viel Phantasie, um Fan der Stadtverwaltung zu werden.
Allerdings spielte die Mannschaft, die aus Spielern bestand, die gerne in Istanbul leben wollten, aber eben bei den großen Klubs nicht unterkamen, sehr ansehnlichen Fußball. 2007 stieg IBB erstmals in die Süper Lig auf und fiel vor allem dadurch auf, die großen Klubs zu ärgern.
Viele Kritiker spotteten, dass die Truppe von Abdullah Avci mit den seltsamen Windverhältnissen im Olympiastadion eben am besten zurechtkomme. Aber das war natürlich nicht alles. Als Avci aufgrund der Erfolge mit seiner bescheidenen Truppe Begehrlichkeiten weckte, schnappte ihn sich der türkische Fußballverband und installierte ihn als Nachfolger des glücklosen Guus Hiddink als Nationaltrainer.
Avci glücklos beim türkischen Verband
Ohne Avci stieg Basaksehir ein Jahr später ab. Zur Freude vieler türkischer Fußball-Fans, denen die Unterstützung der Stadtverwaltung ein Dorn im Auge war. Aber auch Avci war nicht gut gelitten.
Er hatte Ideen, ein gutes Team, aber keine Lobby. Die Fußballfans wollten keinen Analytiker. Die Mannschaft sei ja selbst stark genug, man müsse sie nur richtig aufstellen. "Es heißt immer, dass der Einfluss des Trainers maximal zehn bis 20 Prozent darstellt. Nein, es sind 100 Prozent. Wenn es nicht 100 Prozent wären, würde man wohl den Trainer nicht so oft wechseln, oder?", fragte Avci, ehe er selbst ausgewechselt wurde.
Als Avci 2013 beim Verband entnervt aufgab, spielte Istanbul BB noch in der 2. Liga. Es war eine Frage der Zeit, bis er zurückkehren sollte.
Basaksehir: Logo, Vereinsfarben, Branding - alles neu!
Denn Avci wusste, dass er dort Ideen entwickeln kann, Analysen einen Platz haben und der Erfolg nicht nur an der Anzeigetafel gemessen wird. Bereits beim Verband hatte er versucht, professionelle Strukturen aufzubauen. Er hatte sich Tayfun Korkut, der später in der Bundesliga bei Hannover 96 und zuletzt beim 1. FC Kaiserslautern in der 2. Liga arbeitete, als Co-Trainer zur Nationalmannschaft geholt und über ihn gute Kontakte nach Deutschland gepflegt. Avci holte sich Tipps zur Trainer- und Spielerausbildung. Er war gut vorbereitet.
Klar war aber auch, dass Istanbul BB nach dem Aufstieg nicht mit dem Image von einst arbeiten konnte - und erschuf sich von Grund auf neu. Logo, Vereinsfarben, Branding - alles frisch! Ab 2014 hieß der Klub Basaksehir FK. Ein modernes Vereinsgelände mit Stadion, Trainingsplätzen und Nachwuchsleistungszentrum folgte.
Wer es in den äußersten Westen der Stadt schafft, entdeckt einen Fußballkomplex, der an viele Vorbilder in Deutschland erinnert. "Gewissermaßen sind wir ein Bundesligaverein", sagt Erögüt, der in die internationale Fußballszene gute Kontakte pflegt und in Deutschland bei diversen Klubs vorstellig wurde, um die Vorgehensweisen nachzuvollziehen.
Basaksehir den Großklubs voraus
Während die Istanbuler Topklubs nach wie vor dem öffentlichen Druck nachgeben und in teure Stars investieren, steckt Basaksehir sein Geld vornehmlich in die Infrastruktur. Alleine in der Analyseabteilung beschäftigt der Klub 15 Mitarbeiter.
Dass Basaksehir in der Süper Lig die beste Defensive hat, ist nicht überraschend. Viele Klubs kommen nicht einmal zum Abschluss. Laut Opta lässt Basaksehir mit die wenigsten Torschüsse zu. Als das Team im Herbst auswärts Galatasaray besiegte, wusste der vermeintliche Favorit nicht, wie er den Gegner bespielen sollte.
Galatasaray-Außenverteidiger Sabri Sarioglu durfte unentwegt aufrücken und flanken: mit dem Wissen, dass dies nicht die größte Stärke des Routiniers ist. Basaksehir wusste aber, dass seine Rückwärtsbewegung mangelhaft ist und machte sich diesen Vorteil zunutze. Basaksehir konterte und erzielte beide Tore über die Außen. In vielen Ligen und Klubs längst Gang und Gäbe, in der Süper Lig oftmals noch eine taktische Meisterleistung.
Avci sagt Galatasaray mehrmals ab
Auch deshalb hat Avci kein Interesse, zu einem der großen Klubs zu wechseln. Galatasaray, wo Avci einst spielte und später in der Jugend arbeitete, klopfte mehrmals an. "Warum sollte ich Basaksehir verlassen? Hier habe ich alles, was mich glücklich macht. Hier werde ich an Parametern gemessen, die auch für mich wichtig sind." Höchstens ein Angebot aus dem Ausland könnte Avci interessieren.
Für den Klub wäre ein Abgang des Trainers nicht so dramatisch wie noch vor Jahren, als der Abstieg folgte. Die soliden Strukturen würden einen sauberen Übergang erlauben. In der Fußballszene genießt Basaksehir mittlerweile die Anerkennung, die der Klub verdient.
Spieler wie Irfan Can Kahveci, den alle Istanbuler Klubs vom Haupstadtverein Genclerbirligi holen wollten, wechselte ob der aussichtsreicheren Entwicklungsmöglichkeiten lieber zum Stadtrand-Klub. Schalkes Junior Caicara war im Winter ebenfalls von den sportlichen Ambitionen überzeugt und unterschrieb langfristig.
Offiziell! Adebayor heuert bei Basaksehir an
Ein Geschmack wie bei RB Leipzig
Den Rest der Welt muss Basaksehir aber noch für sich gewinnen: Den Vorwurf, dass der Klub staatlich unterstützt wird, können die Verantwortlichen nicht von der Hand weisen. Klub-Präsident Göksel Gümüsdag, der künftig auch die ausgegliederte Liga als Geschäftsführer leiten soll, ist familiär mit Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan verbandelt. Der Haupt- und Namenssponsor gehört ebenfalls zur Familie. Die türkische Fußballgemeinde erinnert derzeit an die deutsche, die zwar RB Leipzig ganz cool findet, aber den Beigeschmack nicht aus dem Mund bekommt.
Avci und Co. lassen sich davon nicht beeindrucken und arbeiten akribisch weiter. Bis zum Titelgewinn? Öffentlich spricht keiner darüber, die aktuelle Tabellensituation kann aber auch keiner ignorieren. "Wir werden oft mit Leicester verglichen", sagt Avci, "aber ich finde den Vergleich nicht gut. Wir haben einen langfristigen Plan. Es bringt mir nichts, kurzfristig Erfolg zu haben und dann ein Jahr später bankrott zu gehen. Es ist nicht alles, einen Pokal zu gewinnen. Wir wollen konstant oben mitspielen, dazu eine Basis schaffen, die auf sportlichen und sozialen Werten beruht."
Erögüt stimmt dem zu und richtet einen Stapel Papier auf seinem Schreibtisch. Ordnung muss sein.
Basaksehir FK: Spielplan, Ergebnisse, Kader