McClaren muss ein Rudel bilden

Florian Bogner
20. August 201022:58
Der VfL Wolfsburg möchte in der Saison 2010/11 wieder in die Top 5 der Tabelle kommenGetty
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Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Zum Saisonstart extra ausführlich: der VfL Wolfsburg.

Das ist neu

In erster Linie das Trainerteam. Co-Trainer Achim Sarstedt und Torwart-Trainer Andreas "Goalie" Hilfiker durften bleiben, das Zepter schwingt jetzt Steve McClaren. Als Sidekick steht ihm in Pierre Littbarski ein echter Weltmeister zur Seite. McClaren wurde in der vergangenen Saison mit Twente Enschede überraschend niederländischer Meister - so wie es Louis van Gaal ein Jahr zuvor mit dem AZ Alkmaar vorgemacht hatte.

Wie van Gaal steht McClaren für Ordnung und für strukturiertes Offensivspiel, was in der Vorbereitung jedoch nur teilweise umgesetzt wurde. Er fordert von seinem Team ein intelligentes, aber auch schnelles Spiel nach vorne. Der Lernprozess ist gestartet, wird aber - ähnlich wie ein Jahr zuvor bei den Bayern - noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Die Achillesferse der Vorsaison (nur Platz acht) war die wackelige Defensive, die abenteuerliche 58 Gegentore zuließ. Mit der Verpflichtung von WM-Held Arne Friedrich und Innenverteider-Juwel Simon Kjaer hat Manager Dieter Hoeneß die Abwehr auf dem Papier sicherer gemacht. Zudem wird dem WM-Teilnehmer Josue auf der Sechs Landsmann Cicero (vorher Hertha BSC) zur Seite gestellt, der den Abgang von Christian Gentner kompensiert.

Neu ist auch die taktische Grundausrichtung - die Zeiten der Raute sind vorbei. McClaren setzt nach einigen Experimenten nun strikt auf ein 4-2-3-1, das die Defensive sicherer (Doppelsechs) und das Offensivspiel schwerer ausrechenbar (Dreierreihe vorne) machen soll. Ex-Torschützenkönig Grafite droht damit allerdings die Bank.

Mit Mario Mandzukic hat McClaren einen flexiblen Spieler für Außen bekommen, Ryan Babel (FC Liverpool) könnte folgen. Als Alternativen stehen Ashkan Dejagah, Karim Ziani und Thomas Kahlenberg bereit. Auf der Sechs bieten sich Makoto Hasebe und der junge Tolga Cigerci an. Auch Sebastian Schindzielorz kam in der Vorbereitung oft zum Einsatz.

Die Sommerpause bestimmte indes das Hick-Hack um die abwanderungswilligen Edin Dzeko und Zvjezdan Misimovic. Der VfL sprach ein Machtwort und stellte Dzeko mit der Kapitänsbinde zumindest ansatzweise zufrieden. Misimovic wäre trotzdem verkauft worden - wäre man mit Juventus wegen Diego einig geworden.

Die Taktik

Ein 4-2-3-1 ist McClarens favorisierte Variante, aber nicht in Stein gemeißelt. Das vorhandene Personal kann ebenso ein offensives 4-3-3 abbilden, und - sollte mal der Spielmacher fehlen - auch ein 4-4-2 mit Doppelsechs problemlos abrufen. Ebenso ist ein 4-4-2 mit Raute möglich, wenn sich das Spiel mit Doppel-Sechs auf Dauer als zu statisch erweist.

Hoeneß und McClaren haben den Kader ausgemistet und gleichzeitig - den neuen Bedürftnissen entsprechend - in der Breite verstärkt. Friedrich, Kjaer, Cicero und Mandzukic werden auf Anhieb in die Startelf integriert, Nassim Ben Khalifa (18, kam von den Grasshoppers Zürich) ist eine Investition in die Zukunft.

Die Defensive soll mit Friedrich und Kjaer besser stehen als im Vorjahr, die brasilianische Doppel-Sechs davor die Räume dicht machen. Josue kommt hierbei der defensivere Part zu, Cicero soll sich mit ins Offensivspiel einschalten. Makoto Hasebe wäre die defensivere Variante zu Cicero.

Auf den Außen hat der Coach die Qual der Wahl: Mandzukic ist gesetzt und kann auf beiden Flügeln agieren. Dejagah, Ziani und auch Grafite kämpfen um die freie Position auf der anderen Seite. Grafite ist dabei deutlich die offensivste Variante, hat in der Vorsaison aber schon bewiesen, dass er dort spielen kann.

Nimmt man das 4-2-3-1 als Grundlage, sind alle Positionen ohnehin doppelt besetzt. Hinter dem bei der WM tadellosen Torwart Diego Benaglio wächst in Marwin Hitz ein guter Schlussmann heran. Der 36-jährige Andre Lenz steht weiter zur Verfügung, wenn's brennt. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

In der Innenverteidigung gibt es trotz einer kurzen Vorbereitung keine Diskussion darüber, dass Friedrich und Kjaer die Pole-Position inne haben. Weltmeister Andrea Barzagli muss sich mit der Bank begnügen.

Der 29-Jährige wird sich bis zum 31. August noch nach Alternativen umsehen. Barzaglis Abgang wäre zu verschmerzen, in Alexander Madlung hat der VfL einen weiteren guten Innenverteidiger in petto.

Die Abwehr-Außen nehmen die kürzlich in die DFB-Elf berufenen Marcel Schäfer und Sascha Riether ein. Während dem im Vorjahr etwas formschwachen Schäfer U-21-Europameister Fabian Johnson im Nacken sitzt, ist Riether für die Startelf gesetzt. Spielt der 27-Jährige jedoch im Mittelfeld, wäre Peter Pekarik ein zuverlässiger Backup hinten rechts.

Eng wird es hingegen in der Offensive. Sollte Babel aus Liverpool kommen, ist der Konkurrenzkampf auf den vier vordersten Positionen groß. Von Vorteil ist Mandzukic' Flexibilität - der Kroate kann beide Flügel beackern und auch in vorderster Front stürmen.

Der Spieler im Fokus

Edin Dzeko. Dass sich der Bosnier lieber heute als morgen das Trikot eines absoluten Top-Klubs überstreifen würde, ist kein Geheimnis. Sein bis 2013 gültiges Arbeitspapier mit dem VfL spricht dagegen. Zudem nutzte kein Verein das Angebot, den 24-Jährigen bis 31. Mai für 40 Millionen Euro festgeschriebener Ablöse zu verpflichten.

Dzeko reagierte (t)rotzig, sein erstes Statement nach Wolfsburgs Machtwort Ende Juni ging prompt in Richtung Arbeitsverweigerung. Der Stürmer dementierte anschließend hastig. "Der Satz, dass man sehen wird, wie ich spiele, wenn ich bleiben muss, ist überhaupt nicht so gemeint gewesen, wie er interpretiert worden ist. Es ist überhaupt nicht meine Art, dem Verein zu drohen", sagte er kleinlaut und versprach, weiterhin 100 Prozent geben zu wollen.

Fuchs McClaren reagierte dennoch und machte Dzeko vor dem DFB-Pokalspiel gegen Preußen Münster (2:1) kurzerhand zum Kapitän - und das wird er auch bleiben. "Momentan sehe ich keinen Grund, das zu verändern", sagte der Trainer am Mittwoch. "Pech" für Dzeko: Der Stürmer wird nun zwangsläufig mit vorbildlichem Einsatz vorangehen müssen.

Über sein Potenzial gibt es ohnehin keine zwei Meinungen: 43 Tore in den letzten 51 Bundesliga-Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Dazu konnte der 24-Jährige seine Assist-Quote kontinuierlich steigern. In Münster bereitete Dzeko zuletzt beide Treffer vor, leistete sich jedoch auch ein kurioses Eigentor.

Die Prognose

Eins ist klar: Nach den Investitionen des Sommers kann sich Wolfsburg nicht nochmal ein Jahr mit Platz acht erlauben, die Ziele stecken deutlich höher. Die Rückkehr ins internationale Geschäft ist das (vorsichtig) formulierte Ziel, hinter vorgehaltener Hand peilt der VfL aber die Champions League an.

Damit das klappt, muss Wolfsburg auf dem Platz wieder mehr zu einer Einheit werden. Das Potenzial ist ohne weiteres da, dennoch muss McClaren schnellstmöglich die Neuen integrieren und einen neuen Teamgeist zum Leben erwecken. Greifen alle Rädchen ineinander, ist eine Platzierung zwischen Platz zwei und fünf möglich.