Hollands Leno, Bastian Özil und der Anti-Sneijder

Stefan Rommel
14. November 201209:01
Die Niederlande versucht es Richtung WM 2014 mit zahlreichen neuen GesichternImago
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Nach dem blamablen Aus bei der EM hat sich die Elftal einen radikalen Umbruch verordnet, den Louis van Gaal jetzt konsequent durchzieht. Gleich sechs Spieler im aktuellen Kader für das Spiel gegen Deutschland (Mi, ab 20.15 Uhr im LIVE-Ticker) wären noch für die U 21 spielberechtigt. Aber wer sind die neuen Oranje Young Guns eigentlich?

Jeroen Zoet (21, Torhüter, RKC Waalwijk, kein Länderspiel): Der Torhüter der niederländischen U 21 erinnert in seinem Bewegungsablauf und Torwartspiel sehr an Legende Edwin van der Sar. Trotz 1,86 Metern Körpergröße verfügt Zoet über eine enorme Beweglichkeit und starke Reflexe auf der Linie. Dazu kommt eine exzellente Technik, die ihn auch fußballerisch anspruchsvolle Situationen meistern lässt.

Mit der U 21 absolvierte er neun Spiele in der EM-Qualifikation und kassierte dabei nur einen einzigen Gegentreffer. Bei seinem Ausbildungsverein PSV Eindhoven hat Zoet noch keine Minute im Profibereich bestritten - nach seinem Wechsel auf Leihbasis zum RKC Waalwijk aber hat er sich in den Fokus nicht nur von Eindhoven gespielt.

Ein wenig ist Zoets Situation mit der von Bernd Leno beim VfB Stuttgart vor anderthalb Jahren vergleichbar: Im eigenen Klub ohne Chance auf die Nummer eins, wagte Zoet den Tapetenwechsel und wurde dafür voll belohnt. Als die U 21 ihre Playoff-Spiele gegen die Slowakei absolvierte, saßen auf der Tribüne unter anderem Graham Carr und Andy Woodman. Der eine ist Chefscout, der andere Torwarttrainer bei Newcastle United.

Die Berufung zur Elftal ist natürlich in erster Linie auf die Absage von Maarten Stekelenburg zurückzuführen. Trotzdem ist Zoet zusammen mit Kenneth Vermeer und Tim Krul die Zukunft im holländischen Tor.

Stefan de Vrij (20, Rechtsverteidiger, Feyenoord Rotterdam, 1 Länderspiel): Entdeckt beim Feyenoord Talent Day vor zehn Jahren. Mit 17 das Debüt in der Eredivisie. Mit 20 (Ersatz-)Kapitän von Feyenoord, nahezu 100 Pflichtspiele auf dem Buckel und das "größte Abwehrtalent des Landes" (Johan Cruyff). Stefan de Vrijs Karriere verlief bisher wie auf dem Reißbrett. Seit der U 16 durchläuft de Vrij die Jugendmannschaften in seiner Heimat. Wenige Wochen nach seinem Debüt bei den Profis wurde er mit dem Thorbecke-Sporttalent-Award ausgezeichnet. Ein Preis, der in den Niederlanden für den besten Schüler des Jahres aller Fußballinternate vergeben wird.

Seit rund einem Jahr wird de Vrij von Arsenals Chefscout Steve Rowley in unregelmäßigen Abständen beobachtet. Trotz seiner Größe von 1,88 Meter hat sich der 20-Jährige bei Feyenoord auf der Position rechts in der Viererkette nach oben gearbeitet, spielt mittlerweile aber auch zentral in der Innenverteidigung. Nachdem er vor der EM noch im vorläufigen 36-Mann-Kader stand, wurde de Vrij vom damaligen Bondscoach Bert van Marwijk doch noch aussortiert. Stattdessen durfte Eindhoven-Talent Jetro Willems mit.

Louis van Gaal aber verschaffte de Vrij gleich im ersten Spiel nach dem Turnier gegen Belgien zu seinem Debüt in der Elftal. Eine Verletzung verhinderte bisher weitere Einsätze. Jetzt darf de Vrij aber dank einiger anderer Ausfälle nachrücken.

Ricardo van Rhijn (21, Rechtsverteidiger, Ajax Amsterdam, 4 Länderspiele): Ricardo van Rhijn erlangte als Kind ein wenig zweifelhafte Berühmtheit, als zwischen ADO Den Haag, Feyenoord Rotterdam und Ajax Amsterdam ein Streit über den Transfer des damals Zwölfjährigen entbrannte. Am Ende setzte sich Ajax mit seiner Talentschmiede "De Toekomst" (Die Zukunft) durch.

Mit 17 übersprang van Rhijn das zweite Jahr in der B-Jugend und wurde sofort in die U 19 des Klubs eingegliedert. Hier traf er auf seinen heutigen Cheftrainer Frank de Boer. Drei Jahre später beförderte de Boer seinen Zögling zum Stammspieler bei den Profis. Gregory van der Wiels Drängen nach einer Vertragsauflösung wollte de Boer nicht länger akzeptieren, also setzte er einen gestandenen Nationalspieler auf die Bank und vertraute stattdessen van Rhijn den Posten rechts in der Viererkette an.

Zwar sieht van Rhijn in seinem Spiel noch genügend Defizite, an denen er arbeiten muss("Während ich ständig an meiner Technik arbeiten muss, wurde die Gregory in die Wiege gelegt."). Letztlich aber hat sich der 21-Jährige durchgesetzt: Van der Wiel sucht seit September sein Glück bei Paris Saint Germain. "So ist Fußball. Greg wollte weg. Ich bin froh, dass Ajax in mir die Zukunft sieht und dass der Trainer voll auf mich setzt", sagt van Rhijn.

In der Elftal gab er in der WM-Qualifikation gegen die Türkei seinen Einstand und streitet sich dort derzeit mit Eindhovens Daryl Janmaat um den Stammplatz.

Seite 2: Bastian Özil, Van-Gaal-Prototyp und der Anti-Sneijder

Bruno Martins Indi (20, Linksverteidiger, Feyenoord Rotterdam, 5 Länderspiele): Im Prinzip ist der Niederländer mit portugiesischen Wurzeln das Komplementär zu Vereinskollege de Vrij. Nur dass Martins Indi auf der linken Seite der Viererkette zuhause ist, aber die meisten seiner Profieinsätze als Innenverteidiger absolviert hat.

Wie de Vrij gab auch Martins Indi gegen Belgien sein Debüt für Oranje. Trotz der Niederlage gegen den ewigen Rivalen wusste er voll zu überzeugen und war an der Entstehung beider Treffer der Niederländer beim 2:4 unmittelbar beteiligt. Seitdem hat er alle Spiele unter van Gaal bestritten. Als junger, wissbegieriger und lernbereiter Spieler gilt er als Prototyp des "van-Gaal-Spielers".

Einen zumindest kleinen Kultstatus erlangte er, als er van Gaal - wie einst Arjen Robben nach dessen Tor gegen Werder Bremen - nach dem Türkei-Spiel mit Anlauf in die Arme sprang und den Bondscoach dabei zu Boden warf.

Martins Indi gibt sich betont introvertiert und bodenständig, ohne dabei aber seine Ziele aus den Augen zu verlieren. Das erste Interview bei der Elftal schloss er ab mit den selbstbewussten Worten: "Über mich gibt es nicht viel zu sagen. Ich bin ein ruhiger Junge. Aber ich weiß: Ich gehöre hier her!"

Jordy Clasie (21, zentraler Mittelfeldspieler, Feyenoord Rotterdam, kein Länderspiel): Das heimliche Juwel im Mittelfeld der Niederländer. Vor ein paar Jahren gab es mächtigen Trubel um einige Nachwuchsspieler von Feyenoord. Halb Europa war auf Namen wie Jeffrey Bruma, Royston Drenthe, Luc Castaignos oder Karim Rekik aufmerksam geworden, die Top-Klubs schoben ihre Agenten vor und die Berater der Spieler verdrehten ihren Klienten den Kopf. Bruma (Chelsea) und Rekik (ManCity) wechselten sofort in die Premier League. Davor wagte Drenthe sogar den Sprung zu Real Madrid. Heute steckt Drenthes Karriere mit 25 Jahren in der Sackgasse. Das Talent von damals ist vereinslos.

Jordy Clasie wählte den leiseren Weg. Clasie war zu schmächtig für die erste Liga, also lieh ihn Feyenoord zum Stadtrivalen Excelsior in die zweite Liga aus. Hier lernte er noch schneller, clever zu sein. Sich nicht auf die gefährlichen Zweikämpfe einzulassen - sondern den Ball zu spielen, vorauszudenken. Fast immer mit dem ersten Kontakt. "Er ist nicht groß oder körperlich stark. Also muss er sich anpassen. Spielern wie Xavi oder Paul Scholes ging das ähnlich. Jordy muss clever sein, in dem was er tut. Und er hat rasend schnell gelernt", sagt sein früherer Jugendtrainer Stan Brard.

Bei Feyenoord, wo er letzte Saison den Durchbruch schaffte, und in der U 21 hat sich Clasie den Beinamen Bossi erworben. Er ist der Stratege, aber nicht in vorderster Linie. "Die Sneijder-Vergleiche langweilen mich", sagt Clasie. "Er ist ein offensiver Mittelfeldspieler. Ich dagegen mache auch gerne die Laufarbeit und spiele deutlich defensiver. Das einzige, was wir gemeinsam haben, ist unsere Körpergröße."

Ein großes Problem hat Clasie aber in der Elftal: Van Gaal hat für seine Art des Spiels keine Position im Team. Clasie gilt als flexibler, aber für die fix definierten Positionen im 4-3-3 nicht besonders geeigneter Spieler.

Marco van Ginkel (19, offensiver Mittelfeldspieler, Vitesse Arnheim, kein Länderspiel): Das Nesthäkchen im Kreis der Elftal, das aussieht wie ein Zwölfjähriger. Kurz nach seinem Debüt in der Eredivisie (mit 17) wurde bei ihm Pfeiffersches Drüsenfieber diagnostiziert. Zum Glück für van Ginkel nahm die Krankheit nur einen sehr kurzen Verlauf.

Van Ginkel hat sich als Kind nicht einem der großen Klubs angeschlossen, um in seinem vertrauten Umfeld in Ruhe seine Ausbildung genießen zu können und im Profibereich zu regelmäßigen Einsätzen zu kommen. Im offensiven Mittelfeld kann er im Prinzip alle Positionen bekleiden, wird aber fast immer auf der rechten Seite aufgeboten. In den Niederlanden wird er als eine Mischung aus Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil gesehen. Offenbar hatte Bayer Leverkusen im Sommer wegen eines möglichen Transfers vorgefühlt. Vitesse und der Spieler winkten dankend ab.

Die U 21 hat er mit drei Toren in acht Spielen zur EM geschossen - darunter die beiden Treffer zum 2:0-Sieg in den Playoffs gegen die Slowakei. "Marco hat sich seine Berufung zur Nationalmannschaft einfach verdient", sagte van Gaal am Wochenende auf einer Pressekonferenz. Seine Ankunft im Trainingszentrum in Noordwijk südlich von Amsterdam war trotzdem von jeder Menge Respekt geprägt.

"Natürlich kenne ich die meisten Spieler aus der Eredivisie. Allen anderen, also den großen Stars aus den internationalen Ligen, habe ich zunächst artig die Hand gegeben." Van Ginkel solle gleich im Rahmen eines großen Spiels gegen einen großen Gegner reinschnuppern, so van Gaal. "Jetzt kann der Opa van Ginkel seinen Enkeln später wenigstens erzählen, dass er mal Teil der Elftal gewesen ist", sagt der Teenager.

Der holländische Verband in der Übersicht