Eine Doku und "ein Mythos": Warum Zlatan Ibrahimovic zu Napoli wollte - und was dazwischen kam

Gabriel Wonn
04. Dezember 202122:52
Fast wäre Napoli zur Reihe an Top-Klubs dazugekommen, für die Zlatan Ibrahimovic bereits gespielt hat. Der Grund für seinen Wechselwunsch ist außergewöhnlich.getty
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Fast wäre Napoli zur Reihe an Top-Klubs dazugekommen, für die Zlatan Ibrahimovic bereits gespielt hat. Der Grund für seinen Wechselwunsch ist außergewöhnlich.

Es ist schwer zu bemessen, ab wann man einen Spieler als "den Besten" bezeichnen kann. Geht das überhaupt? Sind Spielertypen dafür nicht viel zu verschieden, und verändert sich der Sport dafür nicht zu sehr im Laufe der Zeit? Gewiss, doch das akzeptieren Fans und auch die Spieler selbst fast nie. Die Fußballwelt will debattieren, wer der Beste ist - und eine kleine Elite an höchstbegabten Kickern will der Beste werden, sein und/oder bleiben.

Wenn man über die vergangenen Jahre spricht, kommt man bei dieser Diskussion nicht an Lionel Messi und Cristiano Ronaldo vorbei. Beide dominieren alle individuellen Preisverleihungen seit langer Zeit. Was sonst als zusammengerechnet zwölf Ballon d'Ors könnte untermauern, dass einer von ihnen der Beste sein muss? Und dennoch gibt es einen Mann, der davon nichts wissen will: "Ich brauche keine Trophäen, um zu wissen, dass ich der Beste bin." Und schon das in diesen Satz verpackte riesige Ego lässt keinen Zweifel daran zu, um wen es sich handelt: Um das Enfant Terrible der Fußball-Größen, um Zlatan Ibrahimovic.

Der Schwede, mit dessen provokanten und dennoch humorvollen Aussagen ganze Enzyklopädien befüllt werden könnten, hat ein eigenes Verständnis davon, wie man beweist, der beste Fußballer des Planeten zu sein. Ibrahimovic, der außer in der Bundesliga in jeder der europäischen Top-Ligen bereits gespielt hat, will allen zeigen: Ich kann es überall. Und er kann es tatsächlich. Im Alter von nun 40 Jahren gibt es keine Station, bei der er nicht bemerkenswerte Scorerwerte erzielt hat.

Ibrahimovic will sich bei Neapel unsterblich machen

Für Zlatan ist derjenige der Beste, der Momente für die Ewigkeit schafft, der sich bei Fans unvergesslich macht. Er hat noch nie die Champions League gewonnen - aber das haben viele andere ja ohnehin. Er hat nie einen internationalen Titel geholt - aber auch das würde ihn ja nur zu einem von vielen machen, die das erreicht haben. Als er 2020 eines Tages in Los Angeles - auch dort hat er es einst bewiesen - in den Fernseher schaut, sieht er eine Dokumentation, die ihn nicht mehr loslässt. Ibrahimovic hat ein neues Ziel. Es heißt SSC Neapel.

Der Schwede setzt sich mit seinem Berater, dem berüchtigten Mino Raiola in Verbindung. Für den klingt das Ganze nach einen fantastischen Plan, er selbst hatte seinem Klienten bei dessen Gedanken an ein Karriereende gesagt: "Bist du verrückt? Du musst zurück nach Italien." Man kontaktiert Napoli, alles wird in die Wege geleitet. Wenige Monate später spielt Ibra tatsächlich wieder in Italien. Allerdings bei Milan und nicht bei Neapel. Der Wechsel hat sich im letzten Moment zerschlagen. Aber weshalb? Und warum wollte der Superstar überhaupt ursprünglich zu den Neapolitanern?

Der Grund ist der, der es bei Zlatan Ibrahimovic immer ist: Er will sich unsterblich machen, bei jeder seiner Stationen zur Legende werden. Neapel hat bereits eine Legende, die vielleicht größte von allen. Ihr das Wasser zu reichen, das schaffen, was sie geschafft hat, erscheint unmöglich - und deshalb will der Schwede es erreichen. Er will Neapels neuer Maradona werden.

Ibrahimovic: Milans Retter statt Maradona

"Maradona ist ein Mythos. Ich habe eine Dokumentation über ihn gesehen und entschieden, nach Neapel zu gehen. Ich wollte es wie Diego machen und dort den Scudetto gewinnen", sagt Zlatan später im Wissen darüber, dass nur der von den Napoli-Fans wie ein Gott verehrte Argentinier jemals den Meistertitel nach Neapel holen konnte (1987 und 1990). Maradona ist einer der größten Fußballer aller Zeiten - und Ibrahimovic will sich in Neapel auf seine Stufe stellen. Wenn ein Projekt seinem Ego angemessen erscheint, dann dieses.

Milan-Fans werden es nicht gerne hören: Ihr Klub, für den der Schwede heute spielt, ist im Sommer 2020 daher nur zweite Wahl. Dass der Mega-Star dennoch für die Rossoneri auf Torejagd geht, haben diese den personellen Veränderungen bei Napoli zu verdanken, wie Zlatan verrät: "Es war alles geregelt, aber dann warf De Laurentiis [der Klubpräsident, Anm. d. Red.] Ancelotti [damaliger Napoli-Coach, Anm. d. Red.] raus."

Das schmeckt Ibrahimovic überhaupt nicht, sein Plan ändert sich. Wieder konzentriert sich der Torjäger auf sein Leitmotiv: Etwas vollbringen, wofür man im Gedächtnis bleibt: "Ich fragte Mino: 'Was ist das schlechteste Team, das ich retten kann?' Er antwortete: 'Milan hat gestern 0:5 in Bergamo verloren." Damit war es entschieden, ich sagte: 'Wie gehen zu Milan. Ich kenne den Klub, ich mag die Stadt.'"

Ibra zaubert auch noch mit 40 Jahren im Milan-Trikot-getty

Ibrahimovic beweist es auch in Mailand wieder

Ibrahimovic, der bereits für die AC sowie den Stadtrivalen Inter spielte, wird zum zweiten Mal in seiner Karriere ein Rossonero. Nicht Neapels neuer Maradona, sondern der Retter Mailands. Und Zlatan rettet tatsächlich. 2020/21 erzielt er in der Liga bei 19 Einsätzen 15 Tore, in der aktuelle Spielzeit steht er nach neun Partien bei sechs Treffern. Milan wird nach Jahren des Darbens 2021 Vizemeister und zieht endlich wieder in die Champions League ein, aktuell ist man Zweiter mit nur einem Punkt Rückstand auf den Tabellenführer - der ausgerechnet Napoli heißt.

Ob die Neapolitaner nun endlich auch ohne Maradona Meister werden können, weiß auch Zlatan noch nicht. Es kann ihm aber auch egal sein. Denn auch ohne das Diego-Erbe hat Ibrahimovic wieder einmal bewiesen, dass er überall der Superstar sein kann. Dass er ein Retter sein kann. Und dieses Mal schmeckt der Erfolg doppelt so süß, denn der Schwede ist mittlerweile 40 Jahre alt - und kann es trotzdem immer noch. Ob er ohne Verletzung letzte Saison gar Torschützenkönig geworden wäre? Ob Milan dieses Jahr noch Meister werden kann? Für die Legende des Zlatan Ibrahimovic zweitrangig: "Ich brauche keine Trophäe, um zu wissen, dass ich der Beste bin."