Sein Sohn ist der heißeste Transfer des Winters, seine eigene Karriere besteht im Grunde aus einem Horror-Foul: Heute kann sich Alf-Inge Haaland über den Erfolg seines Sohnes Erling freuen. Seiner traurigen Geschichte winkt ein Happy End.
Zwischen "Nimm das, du Schwein" und dem Wechsel von Erling Haaland zum BVB liegen 18 Jahre, acht Monate und zwölf Tage. Ein Racheakt? Wohl kaum.
"Nimm das, du Schwein!" So steht es in Roy Keanes Autobiographie von 2002. Eine Biographie über einen der raubeinigsten Raubeine der Fußball-Geschichte. Darin widmet sich Keane in einem kompletten Kapitel der Feindschaft mit Alf-Inge Haaland, Erlings Vater. Die Feindschaft fand ihren Tiefpunkt in einem Horror-Foul, das so grob war, dass es Haalands sportliche Karriere in den Schatten stellte. Es entstand das Narrativ vom Keane-Opfer.
Alles begann im Winter 1993. Damals nämlich heuerte der 21 Jahre alte Alf-Inge, ein norwegischer Zweitligakicker aus Bryne, beim englischen Traditionsverein Nottingham Forest an. Haaland hatte sich als U21-Nationalspieler über die Grenzen von Bryne hinaus einen Namen gemacht. Er galt als ballsicherer, zweikampfstarker Mittelfeldspieler. Den Aufstieg mit seinem Heimatverein in die Tippeligaen verpasste er zweimal knapp.
imago images/getty"Alfie" Haaland und Roy Keane geraten aneinander
So wechselte er von der zweiten norwegischen in die zweite englische Liga. Denn Nottingham war nach 35 Jahren in der First Division gerade abgestiegen. Die Stars der Mannschaft wie Teddy Sheringham oder - Achtung - Roy Keane wechselten, um erstklassig zu bleiben. Beinahe wären Haaland und Keane Teamkameraden geworden. Eine Einigung zwischen Haaland und Manchester United hatte es nämlich bereits im Oktober 1992 gegeben, nur Bryne ließ seinen Star nicht ziehen.
Haaland hatte anfangs Schwierigkeiten mit dem englischen Fußball. Nach dem direkten Wiederaufstieg mit Nottingham spielte sich Alfie, wie sie ihn in England nennen, aber in der Stammelf fest. Der Streit mit Keane entfachte sich 1997, als Haaland bereits für Leeds United spielte.
Leeds führte seit der 34. Minute durch ein Kopfballtor von David Wetherall gegen die Red Devils. Kurz vor Schluss ließ sich Keane zu einem Frustfoul hinreißen. Nach einem für ihn unerreichbaren Pass in die Tiefe lief Haaland vor ihm in Richtung Ball und Keane grätschte ohne jegliche Chance auf den Ball in ihn hinein. "Er hat mich die ganze Zeit verarscht", erklärte er später in seinem Buch. Keane war zwei Tage zuvor nach einer Sauftour in eine Schlägerei geraten. Haaland habe ihn ab dem Anpfiff der Partie damit aufgezogen.
Der echte Aufreger aber folgte erst noch: Weil sich Keane nach seinem eigenen Foul schmerzvoll am Boden krümmte, ging Haaland davon aus, der Ire wolle lediglich um seine Gelbe Karte kommen. Also sprang Haaland auf, beugte sich über Keane und schrie: "Steh auf, du Simulant!" Was Alfie nicht wusste: Keane hatte sich bei der Aktion dummerweise das Kreuzband gerissen.
Roy Keane rächt sich an Haaland: "Nimm das, du Schwein"
Keane und Haaland trafen danach noch dreimal aufeinander. Beim letzten Duell der beiden, 2001, entstand "Nimm das, du Schwein". Keane spielte noch immer für United, Haaland war nach einem Trainerwechsel in Leeds 2000 zu Manchester City gegangen.
Derby im Old Trafford. Schiedsrichter David Elleray zeigt Keane in der 86. Minute die Rote Karte. Es war brutal.
"Selbst in der Kabine hatte ich keine Gewissensbisse. Meine Einstellung war: Scheiß auf ihn. Er bekam seine gerechte Belohnung. Er hat mich verarscht und meine Einstellung ist: Auge um Auge", erklärte Keane seinen Horror-Tritt gegen Haaland in einem TV-Interview.
In seinem Buch stand dazu: "Ich hatte lange genug darauf gewartet. Ich habe ihn verdammt hart erwischt. Der Ball war da (glaube ich). Nimm das, du Schwein."
Was war passiert? Keane, vom 1:1 sichtlich gefrustet, sprang Haaland mit offener Sohle ins rechte Knie. Er hatte den Vorfall von vor vier Jahren nicht vergessen und wollte Haaland das spüren lassen.
gettyRoy Keane wird gesperrt - Alfie Haaland beendet seine Karriere
Zwar beteuerte Keane später, dass er Haaland nie verletzen wollte, gestand jedoch, dass der Vorfall von 1997 ihm im Hinterkopf geblieben war. In seinem zweiten Buch "The Second Half" beschrieb Keane Haaland so: "Er ging mir auf die Nerven, hat sich das Maul zerrissen. Es war ein absolutes Arschloch auf dem Platz."
Keane wurde von der FA für fünf Spiele gesperrt und mit einer Geldstrafe von 150.000 Pfund belegt.
Für Haaland hatte dieses Foul weitaus schwerwiegendere Folgen. Er spielte danach nur noch 102 Minuten Profifußball. 2003 beendete er offiziell seine Karriere. Zwar wegen einer Verletzung am anderen Knie, doch das Keane-Foul sorgte für einen faden Beigeschmack. "Ob das Foul meine Karriere beendet hat? Nun gut, ich habe nie wieder ein Spiel über 90 Minuten bestritten. Ich denke der Zusammenhang ist offensichtlich", sagte Haaland 2008 der Daily Mail.
Haaland zog sich aus dem Fußball zurück, ging nach Norwegen, um dort in der Immobilienwirtschaft Geld zu verdienen. Auf die ganz große Fußballbühne kehrte er im Winter 2019 zurück - als Vater und Berater von Teenie-Sensation Erling. Der Transferpoker um den Stürmer mit der unfassbaren Torquote wurde heißer und heißer und Papa Alfie agierte als Strippenzieher.
Alf-Inge Haaland tritt als Strippenzieher im Transferpoker auf
Das ist doch der eine, den Keane mal übel umgetreten hat, oder? Nein, das ist der Vater des begehrtesten Sturmtalents Europas. Das Narrativ hat sich verändert. Alf-Inge Haaland tritt in seiner Beraterfunktion als smarter, besonnener Typ auf. Am Wechsel von Erling zum BVB hatte Alfie großen Anteil (nicht nur finanziell).
Im Vordergrund spielte er mit den Medien, veröffentlichte Videos und Fotos seines Sohnes, um die vielen, wilden Spekulationen weiter anzuheizen und so ad absurdum zu führen. Der Hype wurde größer. Im Hintergrund besuchte er Trainingszentren, führte Gespräche mit den Managern und sportlichen Entscheidern der interessierten Klubs. Das Gesamtpaket Borussia Dortmund haben ihn, Berater Mino Raiola und Erling schließlich überzeugt.
Erling über Alfie Haaland: "Die Kombination ist ideal"
Dass Erlings Absage an Manchester United von Alfies persönlicher Fehde mit Keane herrührt, eine späte Rache auf dem Rücken seines Sohnes, ist Quatsch. "Alf-Inge ist kompetent und nimmt gründliche Bewertungen vor. Er ist sehr bodenständig. Das ist ein Grund, warum er so weit gekommen ist und es seinem Sohn jetzt so gut geht. Sie heben nicht ab, sondern arbeiten weiter", meinte Norwegens Ex-Nationalspieler Rune Lange im Dagbladet.
Sie arbeiten weiter. Erling ist nicht allein Erling. Auch sein Vater ist ein Stück weit das Erfolgsprodukt Erling Haaland. Über seinen Vater sagt Erling: "Die Kombination aus allem, was er zu bieten hat, ist ideal. Er kann alle wichtigen Bereiche abdecken und unterstützt mich in jeder Situation. Mein Vater hat selbst viel Erfahrung und kann mir deshalb wichtige Tipps geben, die meine Leistung und mich als Person verbessern."
Zwar tue ihm das Knie noch immer ab und zu weh, doch Alfie Haaland muss nicht mehr darüber nachdenken, was hätte sein können.