Nach dem krachenden Aus in der Champions League gegen den FC Bayern, gleichbedeutend mit der ersten titellosen Saison seit 2008, steht der FC Barcelona am Scheideweg. Auch die Zukunft von Lionel Messi und seinem Clan gilt als ungewiss.
Die fünf größten Brennpunkte bei Barca nach der Schmach von Lissabon.
1. Barca-Brennpunkt: Die sportliche Leitung um Bartomeu
Der seit 2014 als Präsident fungierende Josep Bartomeu (57) wird vom Großteil der Fans als Hauptverantwortlicher für die sportliche, aber auch wirtschaftlich prekäre Situation ausgemacht. Bereits nach dem Aus im vergangenen Jahr gegen den FC Liverpool forderten sie seinen Rücktritt. Dazu wird es aber auch wohl nach dem historischen 2:8 im Estadio da Luz nicht kommen. Erst 2021, wenn die nächsten Präsidentschaftswahlen geplant sind, könnte das Kapitel Bartomeu zu Ende gehen.
Veränderungen in der Führungsriege sind dennoch zu erwarten. Bartomeu, so heißt es in den spanischen Medien, wolle die sportliche Leitung neu strukturieren. Geschäftsführer Oscar Grau (56) und Sportdirektor Eric Abidal (40) stehen schon länger zur Diskussion. Gerade Abidal, der im Zuge des Gehaltsverzichts während der Corona-Pause einen Rüffel von seinem früheren Mitspieler Lionel Messi (33) erhielt, gilt als stark angezählt.
2. Barca-Brennpunkt: Setien und die Suche nach einem Nachfolger
Mit Abidal würde Trainer Quique Setien seinen größten, vermutlich sogar letzten Fürsprecher im Klub verlieren. Der Franzose verhinderte angeblich schon die Entlassung des 61-Jährigen nach der verspielten Meisterschaft im Juli.
Die Demütigung gegen die Münchner, daran gibt es keine Zweifel mehr, war nun eine zu viel. Der bis 2022 datierte Vertrag von Setien soll in den nächsten Tagen aufgelöst werden. Gewünscht: ein größerer Name, ausgestattet mit einer Vita und Aura, die Barca gerecht wird.
Der seit seinem Aus im vergangenen Winter bei Tottenham Hotspur vereinslose Mauricio Pochettino (48), der vor seiner Zeit in England ausgerechnet beim Stadtrivalen Espanyol tätig war und anschließend sagte, er würde eher auf seinen Bauernhof nach Argentinien zurückkehren als im Camp Nou an der Seitenlinie zu stehen, ist im Gespräch. Außerdem gibt es Gerüchte um zwei ehemalige Barca-Spieler: Xavi (40), aktuell in Katar beschäftigt, und Ronald Koeman (57), den niederländischen Nationaltrainer.
3. Barca-Brennpunkt: Die "Operacion Salida"
Welcher Trainer auch kommen mag, er trifft auf einen stark renovierungsbedürftigen Kader. Mit einem Altersdurchschnitt von 29 Jahren und 329 Tagen stand gegen Bayern die älteste Barca-Startelf in der Champions-League-Historie auf dem Rasen.
Es braucht einen Umbruch, und um diesen Umbruch überhaupt erst in die Wege zu leiten, muss der Klub sich von Spielern trennen, die unter ihren Möglichkeiten agieren. Das trifft mit Ausnahme von Messi und mit Abstrichen Marc-Andre ter Stegen (28) eigentlich auf alle zu. Die "Operacion Salida" könnte also eine große werden - obgleich sich ein Ausverkauf in Zeiten von Corona schwierig gestalten dürfte.
Barca müsste mit vielen Verlustgeschäften rechnen. Wichtig wird sein, zumindest so viel Geld einzunehmen, um Transfers wie den von Inter Mailands Torjäger Lautaro Martinez (22) und Vertragsverlängerungen wie die von Rückhalt ter Stegen zu finanzieren. Oberste Priorität hat in diesem Zusammenhang der Verkauf des noch an den FC Bayern ausgeliehenen Philippe Coutinho (28). Für den Brasilianer ist bislang aber weiterhin kein Abnehmer in Sicht.
Auch die nicht minder als Enttäuschungen geltenden Ousmane Dembele (23), Nelson Semedo (26) und Samuel Umtiti (26) könnten verkauft werden, weil sie im Gegensatz zu älteren Akteuren wie Ivan Rakitic (31) oder Arturo Vidal (33) über höhere Marktwerte verfügen. Selbst hinter der Personalie Antoine Griezmann (29) soll ein Fragezeichen stehen. Der 120-Millionen-Zugang von Atletico Madrid erlebte eine enttäuschende Premierensaison in Barcelona und kam auch beim 2:8 nur von der Bank.
4. Barca-Brennpunkt: Messi und der "Club de Amigos"
Sportlich ist und bleibt Messi trotz seiner bescheidenen Darbietung im Viertelfinale unantastbar. Dennoch gilt auch die Zukunft von "la Pulga", dem kleinen Floh, als ungewiss. Gut unterrichtete Quellen aus Barcelona behaupten jedenfalls, er könne sich eine Verlängerung seines im kommenden Sommer auslaufenden Vertrages unter den aktuellen Umständen nicht vorstellen.
Sein Verhältnis zu Bartomeu, der ihn zuletzt immer wieder auffällig oft in den Medien lobte, ist seit Jahren angespannt. Die Versäumnisse des Präsidenten auf dem Transfermarkt - die Rückholaktion von Messis Kumpel Neymar (28) scheiterte etwa an dem planlosen Transfer von Griezmann - sollen den sechsmaligen Weltfußballer in ein "tiefes mentales Loch" gestürzt haben, schreibt etwa die als seriös geltende katalanische Zeitung La Vanguardia.
Sinnbildlich dafür: Messis Körpersprache in der Halbzeitpause gegen den FC Bayern. Kameras fingen ein, wie der 33-Jährige allein und ratlos in der Kabine saß, ohne auch nur ansatzweise auf seine Mitspieler einzugehen.
Ausgelaugt wirkt auch der Clan, der Messi umgibt. Die Rede ist von Gerard Pique (33), Jordi Alba (31), Sergio Busquets (32), Sergi Roberto (28) und Luis Suarez (33), auch außerhalb des Platzes enge Freunde des Superstars, denen nachgesagt wird, gemeinsam mit ihrem Anführer großen Einfluss auf die Geschicke bei den Katalanen zu haben.
Über den "Club der Amigos", den Klub der Freunde, wie sie ihn im Umfeld von Barca süffisant nennen, soll auch Setien mit seinem Trainerteam gestolpert sein. Pique, der nach Messi wohl Ranghöchste in der Barca-Hierarchie, bot nach dem 2:8 nun seinen Rücktritt an. "Vielleicht benötigt die Mannschaft frisches Blut. Ich wäre der Erste, der gehen würde, wenn es Barca weiterbringt", sagte der Abwehrchef.
Den Verdacht einer Barca-unwürdigen Mentalität innerhalb der Mannschaft nährte auch Frenkie de Jong (23), der erst im vergangenen Sommer unter großen Erwartungen für 75 Millionen Euro von Ajax Amsterdam verpflichtete Mittelfeldspieler. "Ich glaube nicht, dass es dieser Mannschaft an Talent und Qualität fehlt", erklärte er - und nannte "mangelnde Motivation" und "zu wenig harte Arbeit" als Gründe für die Katastrophen-Saison 2019/20.
5. Barca-Brennpunkt: "La Masia"
Frisches Blut könnte zur Abwechslung aus der eigenen Jugend kommen. Mit einer erneuten "Goldenen Generation" wie die, die unter Pep Guardiola den Kern der wohl spielstärksten Barca-Mannschaft aller Zeiten bildete, ist zwar nicht zu rechnen. Doch "la Masia", die jahrelang hoch gepriesene Talentschmiede, geriet unter Bartomeus bisheriger Amtszeit fast schon in die Bedeutungslosigkeit. Setien etwa sagte nach dem Re-Start in der spanischen Liga, er könne es sich nicht erlauben, drei bis vier Eigengewächse auf einmal spielen zu lassen, sonst würde er Probleme mit den Verantwortlichen bekommen.
Dabei ist durchaus Potenzial in den eigenen Reihen vorhanden, wie die Beispiele Ansu Fati (17) und Riqui Puig (21) zeigen. Gerade Fati machte in seiner ersten Spielzeit als Profi positiv auf sich aufmerksam. Seine Torgefährlichkeit (acht Treffer und eine Vorlage), aber auch sein Mut im Eins-gegen-Eins machten Lust auf mehr.
Mit Innenverteidiger Ronald Araujo (21) und Außenstürmer Alex Collado (21) scharren zwei weitere spannende Spieler aus der zweiten Mannschaft mit den Hufen. Geparrt mit Pedri (17) und Francisco Trincao (20), zwei extern verpflichteten Offensivtalenten, können die Blaugrana wieder zurück zu ihren Wurzeln kehren. Es bedarf nur Führungskräften, die sie von der Leine lassen. In Zeiten von Corona bleibt Barca vermutlich sogar nichts anderes übrig.
Der FC Barcelona in der Saison 2019/20
Spiele | 51 |
Siege | 32 |
Unentschieden | 10 |
Niederlagen | 9 |
Tore | 110 |
Gegentore | 57 |
Titel | 0 |