Rainer Ohlhauser spielte von 1961 bis 1970 für den FC Bayern München und schoss in dieser Zeit 186 Pflichtspieltore. Er war beim Bundesligaaufstieg 1965 dabei, beim ersten Europapokalsieg 1967 und auch beim ersten Doublegewinn 1969. Im Interview mit SPOX und Goal erinnert sich der heute 79-Jährige an seine Zeit in München.
Das Interview wird anlässlich des 120-jährigen Vereinsjubiläums des FC Bayern noch einmal präsentiert. Ursprünglich wurde es im September 2019 veröffentlicht.
Ohlhauser erzählt von Mannschaftssitzungen am Nockherberg, von spartanischen Kabinen an der Säbener Straße und vom zusammengekauften Rivalen TSV 1860. Außerdem erinnert er sich an seinen Zimmerpartner Sepp Maier, an seinem Sturmpartner Gerd Müller und an Franz Beckenbauer, der sogar die Tochter des marokkanischen Königs kannte.
Herr Ohlhauser, Sie wechselten 1961 vom SV Sandhausen nach München - jedoch nicht nur als Stürmer, sondern auch als Stahlbauschlosser.
Rainer Ohlhauser: Wir waren damals noch keine Vollprofis, deswegen musste ich auch arbeiten. Von 7 bis 16 Uhr war ich in der Firma. Zwei-, dreimal die Woche war dann um halb sechs Training und am Wochenende hatten wir ein Spiel.
Welche Tätigkeit war lukrativer?
Ohlhauser: Das hielt sich in der Waage: 400 DM von der Firma, 400 DM vom FC Bayern. 200 DM gab es als Grundgehalt und dann kamen meistens noch 200 DM an Prämien dazu.
Blieb es die ganzen neun Jahre, die Sie im Klub verbrachten, bei dieser Doppeltätigkeit?
Ohlhauser: Nein, nur bis 1964. Bei der Bundesliga-Einführung 1963 spielten wir noch in der zweitklassigen Regionalliga Süd. In der ersten Saison ist uns der Aufstieg nicht gelungen, dann wurde Robert Schwan unser Manager und hat einiges umgestellt. Er hat dafür gesorgt, dass wir weniger arbeiten und mehr trainieren.
Ohlhauser über Gerd Müller: "Er konnte nicht sehr gut laufen"
Schwan gilt als erster Manager der Bundesligageschichte. Wie hat er gearbeitet?
Ohlhauser: Er war nah an der Mannschaft und immer dabei: beim Training, bei den Heim- und Auswärtsspielen. Er war sehr zielstrebig und wollte unbedingt aufsteigen. Für uns war es eigentlich aber ein großes Glück, dass wir nicht direkt Bundesliga gespielt haben. Während der Regionalliga-Zeit kamen der Sepp, der Franz und der Gerd als ganz junge Spieler dazu. So konnten wir uns gut einspielen.
Gerd Müller soll von Trainer Tschik Cajkovski als "kleines, dickes Müller" begrüßt worden sein. Wie stand es wirklich um seine Fitness?
Ohlhauser: Er konnte nicht sehr gut und auch nicht schnell laufen, aber man hat direkt gesehen, dass er eine außergewöhnliche Ballbeherrschung hatte. Außerdem kam Gerd zugute, dass die Abwehrspieler damals nicht so schnell waren. Zu der Zeit wurden die Älteren einfach nach hinten gestellt.
imago imagesIn der Aufstiegssaison 1964/65 funktionierte das Zusammenspiel zwischen Ihnen und Müller besonders gut: Er schoss 49 Tore, Sie 37. Mehr Treffer gelangen in der Geschichte des FC Bayern keinem Sturmduo in einer Saison.
Ohlhauser: Gerd war mein idealer Partner. Ich war sehr laufstark und habe ihn immer gesucht, er konnte den Ball gut abschirmen und abschließen. Aber er hat mir auch was gegönnt, manchmal kam ein Rückpass von ihm oder er spielte Doppelpass.
Beim entscheidenden Spiel zum Aufstieg auswärts bei TeBe Berlin schossen Sie vier Tore und Müller eines, am Ende stand es 8:0. Was passierte danach?
Ohlhauser: So genau kann ich mich daran leider nicht mehr erinnern. Ich glaube, wir sind am Flugplatz in Riem angekommen und dann mit einem Autokorso durch die Stadt bis zum Marienplatz gefahren. Am Abend wurde bei der Paulaner-Wirtschaft am Nockherberg gefeiert. Das war unser Lokal.
Inwiefern?
Ohlhauser: Am Vereinsgelände an der Säbener Straße hatten wir damals kein Klubheim, deshalb waren die Mannschaftssitzungen immer donnerstags am Nockherberg. An der Säbener gab es eine Umkleidebude und einen Raum, in dem der Schuster mit seinen Schuhen war - das war's. Ich bin ja 1961 vom Dorfverein Sandhausen gekommen, da war die Infrastruktur nicht schlechter als beim FC Bayern.
Ohlhauser über TSV 1860 München: "Alle gekauft!"
Wie stand es um die medizinische Versorgung?
Ohlhauser: Es gab einen Masseur und einen Arzt, der in seiner Praxis eine Sauna hatte. Da bin ich immer montags hingegangen.
Wie waren die Bedingungen in der damaligen Heimstätte, dem Grünwalder Stadion?
Ohlhauser: Frankfurt, Stuttgart oder Nürnberg hatten große, schöne Stadien mit vielen Räumen. Das gab es bei uns alles nicht. Das Grünwalder Stadion war nicht so modern.
Geteilt wurde es mit dem TSV 1860 München, der schon vor dem FC Bayern in der Bundesliga spielte.
Ohlhauser: Ich habe mir oft Bundesligaspiele von 1860 angeschaut, das hat mir schon imponiert. 1860 hatte damals eine super Truppe, fast nur Nationalspieler, aber sie war halt zusammengekauft: Petar Radenkovic, Peter Grosser, Wolfgang Fahrian, Timo Konietzka, Otto Luttrop, Friedel Lutz. Alle gekauft! Bei uns kamen die meisten Spieler aus der eigenen Jugend.
Trainer Tschik Cajkovski, von 1963 bis 1968 im Amt, hat sie zu einem Team geformt. Was war er für ein Typ?
Ohlhauser: Ein lustiger Kerl, der gerne gefeiert und gegessen hat. Der Tschik hat sich immer um das Essen gekümmert und bei den Auswärtsfahrten in alle Kochtöpfe geguckt. Beim Training wollte er immer mitspielen, er war auch ein guter Fußballer.
Cajkovskis Nachfolger wurde Branko Zebec, so etwas wie das Gegenteil von Cajkovski. "Bei ihm endete unsere Jugend", soll Beckenbauer mal gesagt haben.
Ohlhauser: Ja, der Branko hat härter trainieren lassen und unter ihm sind wir viel, viel mehr gelaufen. Unter Tschick wurde einfach gespielt, unter Branko war System dabei. Er hat sich mehr Gedanken gemacht und es gab auch erstmals richtige Saisonvorbereitungen.
Gab es damals schon Trainingslager?
Ohlhauser: Nicht im Ausland, aber wir waren oft in der Sportschule in München, haben dort geschlafen und trainiert. Vor unseren Heimspielen sind freitags mit dem Bus zum Hotel Bachmair am Tegernsee gefahren und haben dort übernachtet.
Ohlhauser: "Sepp Maier war ein Spaßvogel"
Wer war Ihr Zimmerpartner?
Ohlhauser: Sepp Maier. Ich habe mich meistens ausgeruht und geschlafen, er hat Tennis gespielt. Mit Sepp war es immer lustig. Er war ein Spaßvogel.
Maier, Beckenbauer und Müller wurden im Laufe der 1960er Jahre Nationalspieler und immer prominenter. Hat sich das auf deren Verhalten ausgewirkt?
Ohlhauser: Nein, die hatten gar keine Starallüren, das hat sich bis heute nicht geändert. Zum 50-jährigen Jubiläum unseres Doublegewinns von 1969 gab es diesen Frühling eine Zusammenkunft. Da kam auch der Franz und er war genauso, wie ich ihn vor fast 60 Jahren kennengelernt habe. Wir hatten immer eine gute Kameradschaft in der Mannschaft.
Beckenbauer war einer der ersten Fußballer, die einen Werbevertrag bekamen: Knorr-Suppe. Hatten Sie auch Angebote?
Ohlhauser: Nein, das hatte bei uns nur der Franz. Natürlich bekam er deswegen ein paar Sprüche zu hören.
Es war die Zeit, als die Kommerzialisierung des Fußballs langsam begann. Anfang der Saison 1969/70 reiste die Mannschaft zwischen zwei Bundesligaspielen zu Freundschaftsspielen nach Marokko. Steckten da Sponsoren dahinter?
Ohlhauser: Genaues weiß ich nicht mehr, aber das hing glaube ich mit Franz zusammen. Der hatte Kontakt zu König Hasan II und war bei irgendeiner Hochzeit von ihm oder einer seiner Töchter eingeladen. Dann haben wir dort eben gespielt.
imago imagesOhlhauser erklärt seinen Wechsel nach Zürich
Die Strapazen scheinen der Mannschaft nichts ausgemacht zu haben. In der vorangegangenen Meistersaison 1968/69 waren insgesamt nur 13 Spieler zum Einsatz gekommen. Gab es gar keine Verschleißerscheinungen?
Ohlhauser: Nein, natürlich nicht! In der Saison 1968/69 durfte erstmals während eines Spiels auswechselt werden, aber diese Möglichkeit haben wir bis zu einem Auswärtsspiel in Köln am 13. Spieltag nicht genutzt.
1970 verließen Sie den FC Bayern mit 29 Jahren. Was gab den Ausschlag?
Ohlhauser: Zu der Zeit kamen mit Paul Breitner, Uli Hoeneß und Rainer Zobel einige talentierte Offensivspieler aus der Jugendabteilung hoch. Als ich die spielen sah, konnte ich mir ausrechnen, was wohl passieren wird. Und auch meine damalige Lieblingsposition Libero war bekanntlich nicht frei. Gleichzeitig bekam ich ein gutes Angebot von den Grasshoppers Zürich. Da war es der logische Schritt, das anzunehmen.
Lieblingsposition Libero? Sie waren doch Stürmer.
Ohlhauser: Wenn Franz gefehlt hat, habe ich Libero gespielt. Sie können gerne in den Zeitungen nachblättern und schauen, ob ich gut war.
Wie kam es, dass Sie als Stürmer auch hinten spielten?
Ohlhauser: Zu Regionalliga-Zeiten hatten wir ein Auswärtsspiel beim VfR Mannheim, Trainer war damals noch der Tschick. Zur Halbzeit stand es 0:3, zwei Tore hatte der Mannheimer Mittelstürmer Rudolf Bast gemacht. Das hat mich wahnsinnig geärgert, weil ich so nahe an meiner Heimat nicht verlieren wollte. Als wir nach der Pause wieder rausgegangen sind, habe ich zu unserem Mittelläufer Ostner Heinz gesagt: "Du spielst jetzt irgendwo und ich spiele gegen den Bast." In der zweiten Halbzeit haben wir kein Tor kassiert und Tschick hat gemerkt: "Aha, der kann auch hinten spielen."
Rainer Ohlhausers Erfolge mit dem FC Bayern München
Titel | Jahr |
Bundesligaaufstieg | 1965 |
Bundesliga | 1969 |
DFB-Pokal | 1966, 1967, 1969 |
Europapokal der Pokalsieger | 1967 |