Nach dem Abgang von Marc Roca sind nur mehr zwei Vertreter des Münchner Last-Minute-Fünferschlags vom Oktober 2020 übrig. Ein Rückblick auf eine panikhafte Kaderverbreiterung, die Talenten Perspektiven verbaut und dem FC Bayern nicht allzu viel gebracht hat.
Ungewöhnliche Monats-Nutzungen sind beim FC Bayern München durchaus beliebt. Stichwort: Meisterfeiern im März! Also durfte diese wohl einmalige Chance nicht ungenutzt bleiben: Wegen der Corona-Pandemie hatte das sommerliche Transferfenster im Jahr 2020 bis zum 5. Oktober geöffnet und so eine herbstliche Transfer-Offensive hatte es noch nie gegeben.
Also verkündete der FC Bayern innerhalb von nur knapp 24 Stunden die Verpflichtungen von Marc Roca (damals 23 Jahre alt, neun Millionen Euro Ablöse), Bouna Sarr (28, acht Millionen), Eric Maxim Choupo-Moting (31, ablösefrei), Douglas Costa (30, geliehen) und Tiago Dantas (19, geliehen). Federführend verantwortlich dafür war Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der sich anschließen "zufrieden" zeigte.
Mit fast zwei Jahren Abstand kann dieses durchaus panikhafte Vorgehen getrost zu den eher missrateneren Aktivitäten in der ruhmreichen Historie des FC Bayern gezählt werden. Es kamen Spieler, die der Mannschaft nicht weiterhalfen. Es wurden damit Spielern Perspektiven verbaut, die der Klub selbst ausgebildet hat. Und zu allem Überfluss hat es auch noch einen Haufen Geld gekostet.
Salihamidzic: "Alles der Champions League untergeordnet"
2020 war ein außergewöhnliches Jahr: Die Corona-Pandemie überfiel die Menschheit, brachte Fußball-Wettbewerbe zum Halt und sorgte für wirtschaftliche Ungewissheiten. Der FC Bayern ließ sich davon zumindest sportlich nicht beirren und holte nach der Spielpause unter Trainer Hansi Flick das Triple.
"Dem Erfolg beim Champions-League-Turnier haben wir alles untergeordnet. Wir wollten die Mannschaft nicht durch Gerüchte zu kommenden oder gehenden Spielern belasten", erklärte Salihamidzic später dem kicker. Am 23. August gewann der FC Bayern in Lissabon tatsächlich die Champions League, aber auch danach passierte auf dem Transfermarkt trotzdem erstmal: nichts.
Die Abgänge von Philippe Coutinho, Ivan Perisic und Thiago verkleinerten den Kader in der Spitze und Breite. Fixiert waren bis dahin lediglich die Verpflichtungen von Leroy Sane (Manchester City) und dem französischen Abwehr-Talent Tanguy Nianzou (Paris Saint-Germain). Alexander Nübel ersetzte als Reservekeeper außerdem Sven Ulreich.
imago imagesDie Wunschspieler Callum Hudson-Odoi und Sergino Dest
Bald als Wunschspieler ausgemacht wurden Rechtsverteidiger Sergino Dest von Ajax Amsterdam und Flügelspieler Callum Hudson-Odoi vom FC Chelsea, in den sich Salihamidzic laut Karl-Heinz Rummenigge schon eineinhalb Jahre zuvor "verliebt" habe. Geklappt hat keiner der beiden Transfers, jeweils aus finanziellen Gründen.
Für eine Leihe von Hudson-Odoi forderte Chelsea der Bild zufolge Strafzahlungen bei zu wenigen Einsätzen sowie eine Kaufverpflichtung von 77 Millionen Euro ab einer gewissen Anzahl von Spielen. Dest wechselte letztlich für 21 Millionen Euro zum FC Barcelona.
"Es gibt Transfers, die an den Punkt kommen, an dem man sagen muss: Wir sind ab sofort draußen", erklärte Salihamidzic. "Umso wichtiger ist es, dass man Alternativen beziehungsweise alternative Wege von Anfang an mitdenkt." Bei Dest und Hudson-Odoi hießen die Alternativen: Bouna Sarr und Douglas Costa, beide in München nicht unbekannt.
Bouna Sarr und Douglas Costa: In München nicht unbekannt
Sarr hatte bei einem Testspiel mit Olympique Marseille vor dem Champions-League-Finalturnier überzeugt. "Ich habe ganz gut gespielt. Ihrem Trainer hat meine Leistung gefallen und er sagte mir, er wolle mich holen", berichtete er nach seinem Wechsel bei RMC. Sarr dürfte genau zum richtigen Zeitpunkt seine Bestleistung abgerufen haben: Dass der FC Bayern letztlich acht Millionen Euro für ihn bezahlte, sorgte in seiner Heimat Frankreich nämlich schon damals durchaus für Verwunderung.
Bei Douglas Costa waren die Referenzwerte größer, hatte er doch schon von 2015 bis 2017 für den FC Bayern gespielt: zunächst ein bisschen vielversprechend, dann ziemlich enttäuschend. Anschließend verabschiedete ihn Präsident Uli Hoeneß standesgemäß mit einem ordentlichen Nachtritt zu Juventus Turin: "Costa hat nicht funktioniert, weil er ein ziemlicher Söldner war, der uns charakterlich nicht gefallen hat."
In der Not eines letzten Transfertages mit Bedarf an einem neuen Flügelstürmer sind solche Vorwürfe aber schnell vergessen. "Der Charakter ist eine Sache, worauf wir schauen. Aber wir haben nicht nur danach ausgesucht", erklärte Salihamidzic bei Costas Vorstellung und ergänzte nicht zu Unrecht: "Hier wird Fußball gespielt."
Marc Roca kam mit einem Jahr Verspätung
Um die ganzen Vorstellungsrunden etwas zu bündeln, saß neben Costa und Salihamidzic übrigens auch noch Marc Roca am Rednerpult. An ihm hatte der FC Bayern schon ein Jahr zuvor Interesse, damals war die von Espanyol Barcelona geforderte Ablösesumme von 40 Millionen Euro aber zu hoch. Nun unterschrieb Roca für neun Millionen, was zumindest kleine Rückschlüsse auf seine Entwicklung im zurückliegenden Jahr samt Abstieg mit Espanyol zuließ.
Ebenfalls im Mittelfeld angesiedelt war das portugiesische Talent Tiago Dantas, per einjähriger Leihe von Benfica Lissabon verpflichtet. Er galt zwar als Flicks ausgewiesener Lieblingsspieler, eigene Vorstellungs-Pressekonferenz bekam er jedoch keine. Eingeplant war Dantas hauptsächlich für die Reserve und spielberechtigt eh erst ab Januar.
Angelo Stiller und Adrian Fein verließen den Klub
Ob Roca und Dantas wissen, was sie Angelo Stiller mit ihrer Ankunft angetan haben? Einen "Schlag ins Gesicht" nannte das damals 19-jährige Münchner Eigengewächs die Verpflichtung des Duos später und sagte im Interview mit SPOX und GOAL: "Im Endeffekt war für mich damit klar, dass mein Weg bei Bayern nach dieser Saison zu Ende ist."
Stiller ließ seinen Vertrag im darauffolgenden Sommer auslaufen und wechselte ablösefrei zur TSG Hoffenheim, wo er mittlerweile Stammspieler ist. Beim FC Bayern vermisste er Vertrauen in seine Fähigkeiten, die Verpflichtungen von Roca und Dantas gaben ihm den letzten Wink. Sein Mittelfeld-Kollege Adrian Fein flüchtete umgehend per Leihe zur PSV Eindhoven, ebenfalls ein gebürtiger Münchner aus der eigenen Nachwuchsabteilung. Michael Cuisance wurde an Olympique Marseille verliehen.
Aber auch andere Eigengewächse litten unter der Ankunft der eher durchschnittlichen Spieler aus aller Welt: Chris Richards bekam mit Sarr einen neuen Rivalen rechts hinten, Joshua Zirkzee wurde mit dem ablösefreien Choupo-Moting ein weiterer Stürmer vorgesetzt. Beide Talente waren bald weg und entwickelten sich in der Ferne gut. Richards in Hoffenheim - jedoch in der Innenverteidigung -, Zirkzee nach einer missratenen Leihe bei Parma Calcio zuletzt beim RSC Anderlecht.
imago imagesNur Eric Maxim Choupo-Moting erfüllte die Erwartungen
Zirkzees Rivale Choupo-Moting rechtfertigte immerhin als einziger Vertreter des Quintetts seine Verpflichtung. Er etablierte sich nicht nur als verlässlicher Vertreter von Robert Lewandowski, sondern sorgte mit seiner positiven, offenen Art außerdem für gute Laune. Der Rest? Eher überflüssig. Für eine Kaderverbreiterung hätten auch die Eigengewächse sorgen können. Sinnvoller gewesen wären wohl weniger, dafür aber qualitativ hochwertigere Neuzugänge.
Die nur geliehenen Costa und Dantas verließen den Klub im darauffolgenden Sommer, ohne sportlich auch nur in irgendeiner Form weitergeholfen zu haben. Der Brasilianer kickt mittlerweile bei Los Angeles Galaxy in den USA, der Portugiese stieg zuletzt mit CD Tondela ab - und hat bei seinem Stammklub Benfica Lissabon künftig wohl kaum Chancen auf Spielpraxis.
Roca sah bei seinem Champions-League-Debüt die Rote Karte, verschoss beim Aus im DFB-Pokal gegen Holstein Kiel den entscheidenden Elfmeter und stand ansonsten häufig wegen seines taktischen Verhaltens in der Kritik. Genau wie Sarr verkam er mit seinem langen, verhältnismäßig gutdotierten Vertrag zum Ladenhüter ohne Perspektive.
Das Kapitel Roca wurde nun immerhin beendet, bei seinem Wechsel zu Leeds United für zwölf Millionen Euro erzielte der FC Bayern erstaunlicherweise sogar ein Transferplus. Irgendwohin weg aus München soll schnellstmöglich auch der noch bis 2024 gebundene Sarr - bisher ist aber kein Abnehmer in Sicht, der seine Gehaltsvorstellungen erfüllen möchte.
Sarr, Roca, Dantas, Costa und Choupo-Moting beim FC Bayern
Spieler | Zeitraum | Spiele | Minuten | Tore | Assists |
Bouna Sarr | seit 2020 | 27 | 1084 | 1 | 3 |
Marc Roca | 2020 bis 2022 | 24 | 974 | - | - |
Tiago Dantas | 2020 bis 2021 | 2 | 69 | - | - |
Douglas Costa | 2020 bis 2021 | 20 | 663 | 1 | 3 |
Eric Maxim Choupo-Moting | seit 2020 | 57 | 1787 | 17 | 6 |