Vor dem Spitzenspiel gegen den FC Bayern München (Sa., 18.30 Uhr im LIVETICKER) spricht BVB-Boss Hans-Joachim Watzke im Interview mit SPOX und DAZN über sein Saisonzeugnis, den vermeintlichen Dusel der Borussia und einen möglichen 80-Millionen-Transfer.
Pünktlich und gut gelaunt erscheint Hans-Joachim Watzke zum Gespräch im Konferenzraum "Borsigplatz" auf der Geschäftsstelle von Borussia Dortnund. Doch bis es losgehen kann, dauert es noch ein wenig. Denn Watzkes Stuhl lässt sich nicht einstellen, erst der Mediendirektor löst das Problem.
Als Wink mit dem Zaunpfahl, nach 14 Jahren als BVB-Geschäftsführer seinen Platz zu räumen, will Watzke das aber nicht verstehen. Im Gegenteil: Im Interview gibt der 59-Jährige klar zu erkennen, dass er noch lange nicht ans Aufhören denkt.
Außerdem äußert er sich zu den Chancen einer Rückkehr von Mats Hummels, den Transferspekulationen um Shootingstar Jadon Sancho, der legendäre Pressekonferenz des FC Bayern, seinem Verhältnis zu den Münchner Bossen und den Plänen zur Einführung einer europäischen Superliga.
Herr Watzke, haben Sie sich die Bundesliga-Tabelle am Sonntag mit ins Bett genommen?
Hans-Joachim Watzke: Das nicht, aber sie ist schon schön. So richtig hatte kaum jemand auf dem Regieplan, dass wir als Tabellenführer in den deutschen Klassiker gehen würden. Die Bayern haben ja stets betont, wie wichtig ihnen Platz eins ist. Von daher ist das jetzt schon ein kleiner Vorteil für uns. Aber es sind noch sieben Spiele...
Wenn Sie die Saison bis jetzt Revue passieren lassen, wie fällt Ihre Bewertung aus?
Watzke: Mit Ausnahme des Ausscheidens im Pokal gegen Werder Bremen ist das eine glatte Eins. Gegen Tottenham kann man verlieren, wir waren auch nicht die deutlich schlechtere Mannschaft, hatten in London während der ersten Hälfte und zu Hause ohnehin gute Chancen. In der Bundesliga läuft es überragend, wir haben 63 Punkte, sechs mehr als in der letzten Saison nach 34 Spielen. Das ist top und es bleibt auch top, egal was noch passiert.
Wie lautet denn Ihr Wunschergebnis für Samstag?
Watzke: (Lacht) Alles, was mit einem Sieg enden würde, wäre mein Wunschergebnis. Aber selbst in einem solche Falle wäre nichts erreicht.
Aber den Titel hätten Sie schon gerne?
Watzke: Wenn es geht, natürlich. Wir haben aber einen starken Gegner, das ist wie bei Liverpool und Manchester City in England. Wenn wir Samstag gewinnen, würde es natürlich gut aussehen. Aber erst die nächsten, vermeintlich leichten Spiele werden den Ausschlag geben. Für die Außendarstellung des deutschen Fußballs ist es in jedem Fall großartig, dass es am 28. Spieltag so eine fesselnde Konstellation gibt.
Wie wichtig ist das für das Image der Bundesliga, nach fast sieben Jahren endlich wieder einen spannenden Titelkampf zu haben?
Watzke: Wir waren auch 2015/16 schon mal wieder nah dran, da hatten wir im April ein Spiel gegen Bayern und hätten den Rückstand mit einem Sieg auf zwei Punkte verkürzen können. Wir haben nur 0:0 gespielt und es nicht geschafft, aber Bayern hatte auch keine 20 Punkte Vorsprung. In den vergangenen beiden Jahren war die Dominanz allerdings schon erdrückend, und das ist mittlerweile leider die Tendenz im europäischen Fußball. In Frankreich braucht man die Saison fast gar nicht mehr zu spielen, das macht angesichts des Vorsprungs von PSG ja keinen Spaß mehr für den französischen Fußball-Fan. Bei Juventus Turin ist es in Italien ähnlich. Einen richtigen Kampf um die Meisterschaft haben wir in England. Und gerade in Deutschland.
Woran liegt das?
Watzke: Dadurch, dass mittlerweile ganze Staaten Klubs besitzen, wird die Tendenz größer, dass sich einige deutlich entfernen. Insofern ist es umso schöner, dass wir diesen wirtschaftlichen Unterschied zwischen Bayern München und uns dieses Jahr ein Stück weit außer Kraft setzen konnten. Das wird uns nicht immer gelingen. Ich habe aber schon den Eindruck, dass wir eine Mannschaft haben, die für die nächsten Jahren relativ viel verspricht. Vor allen Dingen, weil sie nicht im Ansatz ihr Limit erreicht hat.
War der BVB denn diese Saison so stark oder die Bayern so schwach?
Watzke: Die Bayern sind nicht schwach. Das ist ja das Problem. Wenn die Bayern schwächeln würden, wären wir weiter vorne. Ich kann mich noch an 2011 erinnern, da sind wir mit 74 Punkten Meister geworden und die Bayern hatten am Ende 65. Das war eine Schwächephase. Wenn das jetzt auch so wäre, würde ich vielleicht schon über eine Reservierung auf dem Borsigplatz nachdenken. Aber die Bayern haben gerade eine überragende Serie und von den letzten 15 Bundesligaspielen 13 gewonnen. Wo ist das schwach?
Die BVB-Saison war in der Hinrunde noch etwas besser als in der Rückrunde, als zum Start eine kleine Delle zu erkennen war. Würden Sie das auch so sehen?
Watzke: Wir haben auch in der Rückrunde über zwei Punkte im Schnitt geholt, machen also die meisten Dinge richtig. Und wir haben erst zwei Spiele in der Saison verloren. Der Punktevorsprung ist deshalb geschmolzen, weil Bayern fast alles gewonnen hat.
Ist denn der Bayern-Dusel nach Dortmund gewandert?
Watzke: Ich habe mich schon immer dagegen gewehrt, dass das Dusel ist. Die Überzeugung und der Wille, Spiele spät noch zu gewinnen, war etwas, was die Bayern immer ausgezeichnet hat. Das ist der Glaube daran, kein Dusel. Das zeichnet große Vereine wie Barcelona und Liverpool aus. Und wir haben das gerade auch. Das hat etwas mit innerer Überzeugung und Mentalität zu tun. Wenn das so häufig wie bei uns aktuell passiert, ist das kein Zufall mehr.
Was passiert denn, wenn Dortmund Meister wird?
Watzke: Wir werden nicht jedes Jahr Meister, die ganze Stadt würde komplett durchdrehen, das wäre wie eine Explosion. Aber das ist alles Konjunktiv. Wir haben noch sieben Spiele, das Rennen ist völlig offen, unser Gegner ist extrem stark. Träumen hilft hier nicht weiter. Selbst am Samstag wird keine Vorentscheidung fallen.
International ist der deutsche Fußball in dieser Saison eher schwach unterwegs. Hat die Bundesliga den Anschluss ein bisschen verloren?
Watzke: Das ist eine reine Momentaufnahme, die wir nicht so dramatisch sehen. In Deutschland ist immer alles schneeweiß oder tiefschwarz. 2013 haben nach dem deutschen Champions-League-Finale viele Experten getönt, dass wir die Besten der Welt sind. Das waren wir nie. Diesmal hatten wir auch Lospech, es gab deutlich günstigere Aufgaben als Liverpool für die Bayern und Tottenham für uns. Aber ich prophezeie, dass auch wieder deutsche Vereine im Viertel- oder Halbfinale stehen werden. Die Spanier, die jahrelang Abonnement-Sieger waren, haben ja auch nur noch einen Verein im Wettbewerb. Dort habe ich noch keinen sagen gehört, dass der spanische Fußball am Ende sei.
Ist diese Mecker-Mentalität typisch deutsch?
Watzke: Das haben wir schon sehr intensiv in uns. Wenn wir verlieren, habe ich auch Dinge im Kopf, die sich bei genauerer Analyse als falsch erweisen. Wir müssen akzeptieren, dass die Engländer durch das unfassbare Fernsehgeld eine Benchmark sind. Die Frankfurter vertreten uns in der Europa League super, der Wettbewerb war ja in den letzten Jahren unser Problem. Aber natürlich bin ich weit davon entfernt zu sagen, dass der deutsche Fußball Europa dominiert.
Braucht man für die Rückkehr in die europäische Spitze 80-Millionen-Transfers, wie es gerade die Münchner gemacht haben?
Watzke: Das weiß ich nicht. Tottenham hat zum Beispiel im Sommer gar niemanden geholt und sie sind auch in der Liga gut unterwegs und stehen im Champions-League-Viertelfinale. Aber Geld hilft natürlich. Paris hat sich vor dem Einstieg Katars nicht gerade durch große Erfolge ausgezeichnet. Ab einer gewissen Summe kannst du Erfolg nicht mehr verhindern.
Wann kommt denn der erste 80-Millionen-Mann zum BVB?
Watzke: Dann, wenn wir ihn haben und es Sinn macht. Momentan brauchen wir uns darüber keine Gedanken zu machen, denn selbst wenn wir jemanden für 80 Millionen verkaufen, müssen wir ja auch noch ein paar Steuern zahlen. Ich würde es nicht komplett ausschließen, aber in nächster Zeit wird das nicht passieren.
Macht das bei den Bayern Sinn?
Watzke: Das kann ich nicht beurteilen. Ich gehe davon aus, dass sie es sich leisten können und dass Hernandez ein außergewöhnlicher Spieler ist, ist auch klar. Ob man jetzt so einen Transfer in der Defensive oder Offensive tätigt, müssen die Bayern beurteilen. Aber das machen sie gut, sonst hätten sie ja nicht so viel Erfolg.
Sie können mit Ihren jüngsten Transfers sehr zufrieden sein. Wie bewerten Sie speziell die Entwicklung von Manuel Akanji?
Watzke: Sehr gut. Es war klar, dass das eines der größten Innenverteidiger-Talente Europas ist und diese Erwartung hat er komplett erfüllt. Wir haben jetzt wie vor einigen Jahren bei Subotic und Hummels wieder die Konstellation, dass wir mit Akanji, Zagadou, Abdou Diallo und Balerdi Spieler mit Entwicklungspotential haben. Einen Virgil van Dijk als fertigen Spieler für 80 Millionen zu verpflichten, das kannst du vielleicht einmal finanziell bewältigen, aber dann kannst du als BVB auf allen anderen Positionen nichts mehr machen. Wir müssen Spieler holen, die sich noch in der Aufwärtsbewegung befinden.
Also wird es keine Rückkehr von Mats Hummels geben?
Watzke: Ich glaube nicht. Mats hat hier eine außergewöhnlich erfolgreiche Zeit gehabt, und wir haben immer noch einen sehr guten Draht zueinander. Er hat sich aber vor drei Jahren für die Rückkehr zu den Bayern entschieden.
Hakimi fällt jetzt für die restliche Saison aus. Eine extreme Schwächung?
Watzke: Auf jeden Fall. Hakimi ist wohl der schnellste Abwehrspieler der Bundesliga. Er ist noch jung und macht natürlich noch Fehler, aber diese Dynamik, die kannst du nicht lernen, die hat er einfach.
Die hat auch Jadon Sancho. Wie sieht es bei ihm aus? Halb Europa ist hinter ihm her.
Watzke: Das ist mir egal. Alle wissen, dass Jadon nächstes Jahr noch bei uns spielt. Das ist so, da gibt es auch keinen Preis. Und weil man das in Europa weiß, hat sich niemand bei uns erkundigt.
Wäre City noch beteiligt, wenn es einen Deal gäbe?
Watzke: Es gibt von uns nie Informationen zu Vertragsinhalten, aber City hat nicht im Ansatz irgendein Mitbestimmungsrecht.
Ist Mario Götze wieder auf dem Weltklasse-Niveau, das er vor seinem Bayern-Intermezzo hatte?
Watzke: Diese Frage kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. Wenn wir ehrlich sind, ist Mario auf dem Weg dorthin. In seiner ersten BVB-Zeit war Mario jung, die Gegner hatten sich noch nicht so gut auf ihn eingestellt, er hatte die jugendliche Unbekümmertheit, war in einer funktionierenden Mannschaft, hat eine andere Rolle ausgefüllt. Er hatte auch damals Durchhänger, das war dann nur kein Medienthema. Ihm ist natürlich etwas verloren gegangen durch seine Stoffwechsel-Problematik. Jetzt ist er wieder auf dem Weg, dauerhaft ein richtig wertvoller Spieler für uns zu sein. Wo er dann am Ende nochmal landet in seiner Entwicklung, kann man nicht seriös sagen. Man darf ihn auch nicht zu sehr unter Druck setzen. Im letzten Jahr war es für ihn viel schwerer, weil die Mannschaft nicht so funktioniert hat. Aber dass er Fußball spielen kann wie kaum ein anderer, das ist nichts Neues. Mario hat Aspekte in seinem Spiel, die kann man nicht lernen.
Wie lautet Ihr Urteil über Lucien Favre, wenn man sich die bisherige Saison anschaut?
Watzke: Auch eine glatte Eins. Mehr geht ja nicht. Wenn du nach 27 Spielen an der Tabellenspitze stehst mit einer Mannschaft, die keiner der so genannten Experten auf dem Schirm hatte, das spricht für ihn wie nichts anderes. Er macht das toll und ist genau der richtige Trainer für den BVB, davor kann man nur den Hut ziehen.
Ihr Vertrag läuft noch bis 2022. Wer geht denn eher in Rente, Karl-Heinz Rummenigge oder Sie?
Watzke: (Lacht) Es sieht - wenn ich auf die Medienschlagzeilen schaue - danach aus, als würde der Kalle Rummenigge vor mir in Rente gehen. Aber wer weiß das schon. Im Fußball ändern sich die Dinge ganz schnell. Eine Nachfolgerdiskussion um meine Person gibt es hoffentlich noch nicht.
Wenn es eine Nachfolgediskussion gäbe, wen hätten Sie im Auge?
Watzke: Es gibt keine und ich habe auch niemanden im Auge. Das Thema ist obsolet, ich bin 59 Jahre alt und ich denke nicht im Ansatz ans Aufhören. Warum soll ich denn mit 62 Schluss machen? Ich habe vor, bis mindestens 95 zu leben wie mein Opa. Machst du dann 30 Jahre gar nichts? Ich habe deshalb auch noch nie gesagt, dass 2022 Schluss ist.
Wie ist momentan ihr Verhältnis zu den Bayern?
Watzke: Ich habe einen riesigen Respekt vor Bayern, weil das ein außergewöhnlich erfolgreicher Klub ist mit einer eigenen Identität. Und ich habe aktuell mit niemandem vom FC Bayern ein Problem, wobei vor allem die Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Rummenigge sehr vertrauensvoll ist. Das hat schon eine besondere Qualität.
Mit Uli Hoeneß auch?
Watzke: Uli Hoeneß und ich haben viel weniger Berührungspunkte, mein operativer Ansprechpartner ist Karl-Heinz Rummenigge. Der ist gebürtiger Westfale wie ich, das hilft auch. Mein Kontakt zu Uli Hoeneß ist nicht so eng, aber ich weiß schon, was er geleistet hat für den FC Bayern München.
Von Westfale zu Westfale: Sind Sie denn nach dieser legendären PK auch mal hingegangen und haben gesagt: Gut gemacht?
Watzke: Das steht mir ja überhaupt nicht zu, und das würde ich auch nicht wollen. Die besten deutschen Klubs zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie respektvoll miteinander umgehen und nicht in der Öffentlichkeit sagen: Das hätte ich anders gemacht. Ich glaube, das war auch in dieser Saison deutlich zu spüren, denn als die Bayern ihre Schwächephase hatten, haben wir keine hämischen Kommentare abgelassen, und als wir dann eine Phase hatten, in der es nicht so gut lief, war es umgekehrt genauso. So sollte es auch sein, denn in einer sich zunehmend globalisierenden Welt haben wir als die beiden deutschen Vorzeigeklubs auch eine Verantwortung für den deutschen Fußball. Da darf man sich nicht in Kleinkriegen verlieren, wie wir das früher schon mal gemacht haben. (lacht) Das war ja noch in meiner Sturm- und Drangzeit, man wird auch vernünftiger und ruhiger.
Darf man das auch als Schulterschluss verstehen?
Watzke: Nein, das ist kein Schulterschluss. Die Bayern und wir wollen gewinnen, möglichst viel. Deshalb haben wir auch eine normale Konkurrenzsituation, wir werden mal wieder richtig zusammenrasseln, da muss man kein Prophet sein. Aber es ist auch richtig, dass wir uns über weltfußballpolitische Themen abstimmen und versuchen, eine einheitliche Meinung herbeizuführen. Ich habe das Gefühl, dass es noch Luft nach oben gibt, was den internationalen Einfluss des deutschen Fußballs angeht. Da haben Karl-Heinz Rummenigge und ich sogar die Verpflichtung, uns abzustimmen.
Dann könnten Sie ja doch 2022 aufhören und internationale Ämter übernehmen.
Watzke: Nein, ich bin kein klassischer Funktionär. Meine Motivation ist dieser Klub und das nächste Spiel, egal ob das in Freiburg oder gegen Mainz oder gegen Bayern München ist. Aber durch die Welt zu reisen und irgendwelche Programme zu diskutieren, das kann ich überhaupt nicht.
Trotzdem müssen Sie sich als BVB zu den Bestrebungen einer Superliga positionieren.
Watzke: Ob das Champions League, Super League oder Super-Super-League heißt, ist nicht so entscheidend. Entscheidend ist, dass man Respekt vor den nationalen Ligen haben muss, vor der Kultur der Liga und den Fans. Ich bin ein Kind der Bundesliga und habe sie immer geliebt, jeden einzelnen Samstag. Die Bundesliga muss immer das Tagesgeschäft sein, das ist das allerwichtigste. Jedwede Ansage, dass es zu Lasten der Liga irgendeinen Wettbewerb geben wird, kann daher nicht unsere Unterstützung haben.
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren



.jpg?quality=60&auto=webp&format=pjpg&width=317)