In Zukunft mehr Handwerk?

Stefan Rommel
13. November 201213:20
Joachim Löw holt offenbar neuerdings auch die Meinung seiner Führungsspieler einGetty
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Das deutsche Spiel benötigt eine veränderte Statik. Besonders im Fokus stehen dabei die Positionen im defensiven Mittelfeld. Der Bundestrainer schenkt den Ideen seiner Spieler jetzt offenbar Gehör.

Stuttgarts Schweden heißt Hannover. Für die Niederlage des VfB gegen Hannover 96 gibt es mehrere Gründe. Am Ende aber steht immer wieder eine Frage im Raum, die nie zufriedenstellend beantwortet werden kann: Wäre dies auch mit William Kvist passiert?

Der VfB Stuttgart hat schon Spiele mit dem Dänen in der Startelf verloren und wird dies aller Voraussicht nach auch in Zukunft nicht verhindern können. Einen kollektiven Zusammenbruch wie am Sonntagabend gegen 96, mit vier Gegentoren binnen 16 Minuten, hat der VfB aber noch nie erlebt.

Man kann fast schon froh sein, dass die Schwaben derzeit keinen aktuellen deutschen Nationalspieler stellen. Ein zweiter Kollaps der niederschmetternden Art binnen weniger Wochen wäre wohl nur schwer zu verkraften gewesen.

Zeit der Debatten

Da es sich beim VfB Stuttgart erwiesenermaßen um eine Vereinsmannschaft handelt, greifen die üblichen Begleitumstände: Bereits in einer Woche besteht in Mönchengladbach zu Chance zur Wiedergutmachung. Andererseits sind die personellen Möglichkeiten zur Variation eindeutig begrenzt.

Joachim Löw bietet sich mit der deutschen Nationalmannschaft dagegen ein anderes Bild. Vier Wochen ist das monumentale 4:4 gegen Schweden jetzt her; und spätestens mit der anstehenden Partie gegen die Niederlande (Mittwoch, ab 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) beginnen die Diskussionen um die Ereignisse von Berlin von Neuem.

Auf dem Papier ist der Nationalmannschaft kaum etwas passiert. In der WM-Qualifikation läuft trotz der Punktverluste weiterhin fast alles richtig. Die Kollateralschäden aber halten die Fußball-Nation weiter in Bewegung. Die vier Gegentore gegen die Schweden lassen die Debatten um eine veränderte Ausrichtung des deutschen Spiels weiter köcheln.

Das Gleichgewicht verloren

Zentraler Ausgangspunkt ist die verlorengegangene Balance im deutschen Spiel. Auf der Suche nach noch mehr offensiver Gestaltung hat die deutsche Mannschaft ihr Gleichgewicht verloren. 22 Gegentreffer in 13 Spielen im Jahr 2012 belegen das ebenso wie der Anstieg des Gegentorschnitts in Löws Ägide von 0,81 (zweibester Wert aller Bundestrainer) auf 0,94 pro Spiel.

Das Länderspieljahr hat bisher einen nicht akzeptablen Satz von 1,69 Gegentoren pro Spiel produziert. Ein Wert so schlecht wie zuletzt vor 58 Jahren, als der Fußball noch in einer anderen Zeit steckte.

Auffällig: Eine echte Flut an Gegentoren gab es, als Löw entweder nur einen Sechser das defensive Mittelfeld bilden ließ, wie beim 3:5 gegen die Schweiz. Damals waren erst Sami Khedira, später Ilkay Gündogan nicht in der Lage, die Statik der Mannschaft zu halten. Und eben gegen die Schweden - als Khedira das einzige Spiel in diesem Jahr wegen einer Verletzung verpasste.

Mehr Platz für gelernte Sechser

Khedira ist neben Lars Bender von den im Jahr 2012 bisher eingesetzten sechs Sechsern derjenige, der im Defensivverhalten am meisten Strategie mitbringt und auf der Position auch in der Jugend und im Amateurbereich handwerklich ausgebildet wurde.

Bastian Schweinsteiger (sieben Einsätze), Toni Kroos (sechs), Gündogan (zwei) und Mario Götze (zwei) kommen ursprünglich von offensiver ausgerichteten Positionen. Wirklich kopfballstark ist von den Genannten am ehesten noch Khedira, Schweinsteiger hat in den letzten Monaten im Offensivkopfball immerhin erhebliche Fortschritte gemacht.

Stimmen aus der Mannschaft

Von Schweinsteiger ist nach dem Schweden-Spiel das nicht verifizierte Bonmot übermittelt: "Mit einem Bender wäre das nicht passiert!" Dem Vize-Kapitän soll es noch in der Kabine rausgerutscht sein, welchen der Zwillinge er damit gemeint hat, ist nicht klar. Vermutlich hätte er sich mit beiden deutlich sicherer gefühlt.

Für das Spiel gegen die Niederlande hat der Bundestrainer beide Benders nominiert, wenngleich Sven auch erst nach den vielen Absagen anderer Spieler. Und dazu noch Roman Neustädter. Von den Benders weiß Löw um deren Stärken besonders im Defensivbereich. Neustädter wird gegen die Elftal angesichts des stark ausgedünnten Kaders wohl recht sicher eine erste Chance bekommen, seine Vorzüge zu präsentieren.

Nicht nur Schweinsteigers verbaler Ausbruch lässt durchaus tief blicken in das Innenleben der Mannschaft. Auch von Khedira ("Wir haben vergessen, wieso wir Spiele gewinnen") und Manuel neuer (Wir müssen wieder andere Prioritäten setzen") erhielt er Unterstützung.

Enorm große Auswahl

Das alles hat offenbar spätestens nach dem Schweden-Spiel auch Löw registriert, der zudem sagt: "Wir haben einige Tore zu viel bekommen." Es gäbe einige Ansatzpunkte, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. "Gewisse Dinge müssen wir weiterhin lernen, auch diese Balance zu finden zwischen den starken Offensivaktionen und einer grundsoliden Defensive."

Die Konkurrenz ist im defensiven deutschen Mittelfeld so groß wie auf keiner anderen Position im Team. Sechs Spieler sind bereits fester Bestandteil des Kaders.

Dahinter warten Neustädter, die U-21-Lösungen Sebastian Rudy oder Sebastian Rode, sowie Leverkusens Stefan Reinartz. Sie alle haben gemeinsam, eher defensiv denkende Spieler zu sein, wobei Neustädter in den letzten beiden Jahren den größten Leistungsschub gemacht hat und mittlerweile auch Erfahrungen in der Champions League sammeln darf.

Die Alternativen lassen Löw, anders als den Trainer der Bundesligamannschaften mit ihren festgefahrenen Kadern, einen enormen Spielraum. Jetzt geht der Bundestrainer mit der intensiven Sichtung Neustädters im Kreis der Nationalmannschaft einen etwas defensiveren Weg.

Großes Lob für Neustädter

"Ich habe Roman mehrfach selbst gesehen und auch beobachten lassen. Es ist beeindruckend, wie souverän er sich auf Schalke präsentiert und durchgesetzt hat. Er verfügt über sehr gute technische Fähigkeiten und hat insgesamt eine hohe Qualität", lobt Löw den 24-Jährigen.

In vielen der letzten Spiele hat es Löws Mannschaft nicht hinbekommen, sich selbst wieder zur Raison zu bringen. Da könnte ein Spieler vom Typ Neustädter für bestimmte Partien oder Situationen durchaus Sinn machen.

"Roman besetzt die entscheidenden Lücken, sorgt dafür, dass die Abstände stimmen und weiß genau, wann er sich einschalten muss", nennt sein Schalker Teamkollege Benedikt Höwedes die Vorzüge des designierten Debütanten.

Es wird keinen radikalen Umbruch in der generellen Spielausrichtung der Mannschaft geben. Das hat Löw mehrfach angedeutet. Jetzt die Marschrichtung zu ändern, wäre in der Tat kaum produktiv.

"Nuancen" sollen verändert werden, sagt Löw. Wie genau er diese definiert, ließ Löw offen. Ein Abgleich im zentralen defensiven Mittelfeld wäre für den Anfang sicher nicht die schlechteste Idee.

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