Als 14-Jähriger stand er ohne Verein da und bekam von einem Bekannten seines Vaters Einzeltraining. Mittlerweile ist Max Aarons 20, einer der Nominierten für den Golden-Boy-Award und heiß begehrt auf dem Transfermarkt - unter anderem beim FC Bayern München. Was macht den Rechtsverteidiger von Premier-League-Absteiger Norwich City so besonders?
Für Felix Passlack lief es bereits bitter, doch es kam noch schlimmer. Das Eigengewächs von Borussia Dortmund verlängerte im August 2017 seinen Vertrag beim BVB. Um Spielpraxis zu sammeln, schloss er sich aber der TSG 1899 Hoffenheim an. Dieses Bestreben funktionierte jedoch überhaupt nicht, Passlack kam unter Trainer Julian Nagelsmann spät zum Team und überzeugte nicht.
Die auf zwei Jahre ausgelegte Leihe wurde nach einer Saison, in der Passlack die meisten seiner Spiele im Regionalligateam in der 4. Liga machte, vorzeitig abgebrochen. In Daniel Farke fand er bei Norwich City in Englands zweiter Liga einen Trainer, unter dem er zuvor zwar nicht trainierte, der ihn aber aus Dortmund kannte. Die Voraussetzungen klangen also ganz gut.
Dann jedoch geschah das, was Gift für jeden Leihspieler ist: Ein Konkurrent auf derselben Position startet durch und legt eine solch starke Entwicklung hin, dass der Trainer nicht umhin kommt, ihn ständig spielen zu lassen. So verkam auch das zweite Leihgeschäft von Rechtsverteidiger Passlack zum Rohrkrepierer, nur acht Pflichtspiele und 628 Minuten bekam er im Osten Englands.
Derjenige, der Passlack das Leben so schwer machte, war Max Aarons. "Ich bin mit dem klaren Ziel nach Norwich gewechselt, dass ich dort Stammspieler werde. Max Aarons bekam früh in der Saison seine Chance und hat sie bei seinem ersten Auftritt auch wirklich imposant genutzt", erinnerte sich Passlack im Interview mit SPOX und Goal.
Max Aarons: Beim FC Bayern soll er Pavard entlasten
Doch nicht nur Aarons ließ nicht locker, die gesamte Mannschaft spielte wie aus einem Guss und eilte von Sieg zu Sieg. Am Ende stand 2019 der Aufstieg in die Premier League - und für Aarons neben einer Nominierung ins Championship-Team der Saison auch der Gewinn des Awards für den besten jungen Spielers.
Ein weiteres Jahr später steht dieser Aarons nun bei zahlreichen Top-Klubs auf dem Zettel. Die Liste der Vereine, denen ein Interesse am 20-Jährigen jamaikanischer Abstammung nachgesagt wird, ist lang: In England sind es der FC Arsenal, Tottenham Hotspur und FC Everton, im Januar war vom BVB die Rede und zuletzt hielten sich Gerüchte um Paris Saint-Germain sowie den FC Bayern.
Beim deutschen Rekordmeister soll Aarons der gesuchte Rechtsverteidiger sein, um Benjamin Pavard zu entlasten und Joshua Kimmich die eingeplante Rolle im defensiven Mittelfeld einnehmen zu lassen. Andere Medienberichte wollen wissen, dass Aarons wechseln wird - allerdings innerhalb Englands.
Aarons für Golden-Boy-Award nominiert
Klar ist: Es geht nicht darum, ob Aarons in diesem Transferfenster wechselt, sondern wann. Denn, man muss es so klar sagen: Aarons muss wechseln, um seine eigene Entwicklung nicht zu gefährden.
Bei Norwich stand er in der abgelaufenen PL-Saison in 36 von 38 Partien auf dem Feld (zwei Torvorlagen), bereits im Aufstiegsjahr kam er 41-mal zum Einsatz (zwei Tore, sechs Vorlagen). Verhindern konnte aber auch er den Abstieg der Canaries nicht. Es wäre zwar kein riesiges Drama, sollte Aarons ein weiteres Jahr in der 2. Liga auflaufen. Doch angesichts seiner Leistungen und vor allem seines Potentials ist es nicht zu früh, den nächsten Schritt auf ein höheres Niveau zu gehen.
Dann jedoch muss sich der auch als Linksverteidiger einsetzbare Aarons, der erst im August 2018 sein Profi-Debüt für Norwich gab und nun einer der 100 Nominierten zur Wahl des Golden-Boy-Awards ist, auch einen Verein aussuchen, bei dem regelmäßige Einsätze garantiert sind. Ein Jahr lang nur Backup zu sein und quasi dasselbe Schicksal zu erleiden wie einst Passlack, wäre für ihn fatal.
imago images / PA ImagesFarke lobt Aarons: "Ideale Mischung aus Mut und Respekt"
"Er hat einen Top-Charakter, ist sehr bescheiden und lernwillig", sagt sein Trainer Farke im Gespräch mit SPOX und Goal. "Er bringt die ideale Mischung aus Mut und Respekt auf dem Platz. Max ist sehr diszipliniert und ballsicher, offensiv- und laufstark, wendig, dynamisch, gut in der Eins-gegen-eins-Verteidigung und stark im offensiven Eins-gegen-eins."
Noch bis 2024 ist Aarons an City gebunden. Das macht die aktuelle Situation und Verhandlungsposition für den Klub sehr komfortabel. Nur ein wirklich hoch dotiertes Angebot, das den Verein zum Handeln zwingen würde, wäre für Norwich bei Aarons denkbar. Angeblich muss dieses mindestens 30 Millionen Euro betragen.
"Es ist schwierig, mit uns zu verhandeln, wenn wir verkaufen. Wir haben bei unseren jungen Spielern alle Karten in der Hand", sagte Sportdirektor Stuart Webber. "Keiner von ihnen hat noch weniger als drei Jahre Vertrag. Sie sind einheimisch und britische Spieler kosten mehr. Das ist heutzutage fast eine Premier League-Steuer, aber das wird zu unseren Bedingungen geschehen."
Aarons als 14-Jähriger zwei Jahre ohne Klub
Mehr als 25 Millionen Euro müsste Aarons einbringen, dann würde er den 2019 zu Leicester City gewechselten James Maddison als Norwichs Rekord-Abgang ablösen. Dass dies heute eine für Aarons realistische Summe ist, war noch vor sechs Jahren vollkommen utopisch.
Da nämlich war Aarons 14 und spielte in der Jugend von Luton Town. Doch der gebürtige Londoner wollte mehr und in eine Akademie eines Top-Klubs wechseln. Nachdem ein Probetraining bei Tottenham keinen Erfolg brachte und er nach Luton zurückkehrte, zog der Verein sein zuvor gemachtes Vertragsangebot aber enttäuscht zurück.
Plötzlich stand Aarons ohne Team da - und das ganze zwei Jahre lang. Saul Isaksson-Hurst, ein Bekannter seines Vaters und Ex-Jugendtrainer bei den Spurs und Chelsea, fungierte von da an als sein persönlicher Coach. "Es war nicht immer leicht und manchmal wirkte er echt desillusioniert, aber er war immer mit voller Leidenschaft dabei. Wir arbeiteten sehr positionsspezifisch, vor allem ging es um Eins-gegen-eins-Situationen auf dem Flügel mit Flanken und Abschlüssen", erinnert sich Isaksson-Hurst an seine Einzeltrainingseinheiten mit Aarons.
Aarons' Entwicklung für Farke nicht überraschend
Erst mit 16 fand er den Weg nach Norwich, eine englische U-Nationalelf hatte er bis dahin nicht durchlaufen. Nach seinem Debüt für die Canaries wurde er jedoch schnell in die U19 berufen, seit September 2019 ist Aarons nun U21-Nationalspieler. Erst kürzlich steuerte er einen tollen Assist beim 6:0-Sieg gegen den Kosovo bei.
"Vorhersagen kann man solch eine sensationelle Entwicklung nie", sagt Farke über seine zwei Jahre mit Aarons. "Für mich kam sie aber nicht überraschend, weil ich vom ersten Tag an das Potential in ihm gesehen habe. Man muss ihm ein Riesenkompliment für diese Entwicklung und seine Leistungskonstanz machen. Und ich bin sicher, er wird sich noch weiter entwickeln, gerade was das Thema Endprodukte wie Tore und Assists angeht."
Farke wird hoffen, dass er Aarons die noch fehlenden Eigenschaften weiter antrainieren und auf seine Dienste beim Projekt Wiederaufstieg zurückgreifen darf. Doch auch er wird ahnen, dass es damit eng werden könnte.
Max Aarons von Norwich City im Steckbrief
geboren | 4. Januar 2000 in London |
Größe | 1,78 m |
Gewicht | 69 kg |
Position | rechter Verteidiger, linker Verteidiger |
starker Fuß | rechts |
Stationen | Luton Town Jugend, Norwich City Jugend, Norwich City |
Spiele/Tore in der Premier League | 36/0 |