Ende Juli zog sich Per Mertesacker in einem Testspiel des FC Arsenal einen Knorpelschaden im Knie zu, die schlimmste Verletzung seiner langen wie erfolgreichen Laufbahn. Seit der fälligen Operation arbeitet der 32-Jährige in der Reha in Donaustauf an seinem Comeback. Im Interview spricht Mertesacker über die Auswirkungen dieses Rückschlags, die Kritik an Trainer Arsene Wenger und die Pläne für den weiteren Verlauf seiner Karriere.
SPOX: Herr Mertesacker, Sie arbeiten nach Ihrer Knieverletzung nun schon seit mehreren Monaten in Donaustauf in der Rehaklinik von Klaus Eder. Mitte November wollten Sie wieder auf den Trainingsplatz zurückkehren. Wie ist der aktuelle Stand?
Per Mertesacker: Grundsätzlich bin ich mit dem bisherigen Verlauf meiner Reha sehr zufrieden. Die Ärzte und Therapeuten leisten hervorragende Arbeit und das Team um mich herum funktioniert perfekt. Ich bin aber kein Freund davon, sich in solchen Phasen an konkrete Termine zu klammern und sich damit selbst vielleicht sogar zu blockieren.
SPOX: Anfangs konnten Sie nur liegen und waren sehr eingeschränkt. Diese Zeit haben Sie in der Heimat verbracht. Mit welchen Aktivitäten ist dort genau Ihre Zeit vergangen?
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Mertesacker: Die ersten Wochen nach der OP waren tatsächlich eine Reise in die Vergangenheit. Es ging zurück ins elterliche Haus und in das ehemalige Kinderzimmer. Hört sich vielleicht ein wenig kitschig oder theatralisch an, war aber nun mal so. Die ersten Gedanken waren "Oh Gott, wie soll ich diese Tage ohne jede Bewegung nur rumkriegen?" Aber rückblickend ging die Zeit viel schneller vorbei als befürchtet. Ich hatte viel Besuch von alten Freunden und Weggefährten. Ich habe sehr viel gelesen und mich mit Themen abseits des Fußballs beschäftigt. Es ist wichtig, hier den Kopf auch bewusst auf andere Themen zu richten und sich abzulenken.
SPOX: In Donaustauf haben Sie schon frühere Verletzungen behandeln lassen. Wie sieht denn dort Ihr Tagesablauf aus?
Mertesacker: Als die Entscheidung zur OP stand, war für mich auch klar, dass die Reha in Donaustauf erfolgen soll. Das Einverständnis von Arsenal immer vorausgesetzt. Es ist über die Jahre ein besonderes Verhältnis entstanden und mein Vertrauen in die Leute und Möglichkeiten vor Ort ist sehr groß. Besuch ist vereinzelt möglich, aber mein voller Fokus liegt auf dem Training. Der Tag ist durchgeplant und das ist auch gut so.
SPOX: Wie genau werden Sie in dieser Zeit denn von Arsenal betreut?
Mertesacker: Es gibt eine enge Kommunikation zwischen dem Arsenal Medical Department und dem Team in Donaustauf. Anders ist ein solches Setup ja gar nicht möglich. Unser Teamarzt hat mich zur OP nach Deutschland begleitet und saß mit mir im Flieger. Es wird sich gekümmert. Natürlich ist die Form des Kontakts mit den Verantwortlichen im Moment anders. Aber ich bin ja immer wieder in London vor Ort und der Kontakt ist gut.
SPOX: In dieser Zeit sind Sie weit weg von der Mannschaft. Fällt es Ihnen mittlerweile etwas schwerer, den inneren Schweinehund zu überwinden und Zuversicht auszustrahlen?
Mertesacker: Nein, im Gegenteil. Es hat sich eher ein "jetzt erst recht nochmal" eingestellt, die erste Frustration war schnell verarbeitet. Ich freue mich jetzt schon sehr darauf, wenn ich das erste Mal wieder mit den Mannschaftskollegen gemeinsam in der Kabine stehe.
SPOX: Sie haben gesagt, dass Sie sich in einer solchen Phase wieder neu entdecken würden. Wie meinen Sie das genau?
Mertesacker: Es ist eine ungewollte und erzwungene Auszeit vom sonstigen Rhythmus. Insbesondere in England hat der Spieler kaum Zeit, eine Pause zu nehmen und inne zu halten. Das meine ich damit. Auch wenn man lieber auf dem Platz stehen würde, so gibt die Zeit während der Verletzung eine Möglichkeit, Dinge zu hinterfragen und sich selbst noch einmal neu auszurichten.
SPOX: Ein Viertel der Premier-League-Saison ist nun vorüber, die Spitze ist mit den verdächtigen Teams sehr eng zusammen. Was trauen Sie Arsenal in dieser Saison noch zu?
Mertesacker: Das Team ist sicherlich diese Saison nochmal ein Stück reifer geworden. Es waren spielerisch sehr überzeugende Partien, aber auch hart erkämpfte Last-Minute-Siege dabei. Die Ausgeglichenheit in der Spitze der Liga ist in England sicher einzigartig in Europa. Der Wunsch der Fans nach der Meisterschaft ist unüberhörbar, aber wohl nirgendwo anders so schwierig wie in England.
SPOX: Arsene Wenger war der Trainer, der Sie nach London holte und Ihnen trotz der Verletzung erneut die Kapitänsbinde gab. Wie beurteilen Sie die teils kritische Wahrnehmung und auch Berichterstattung, die sich seit einiger Zeit um ihn dreht? spox
Mertesacker: Für mich steht Arsene Wenger weit über jeglicher öffentlicher Kritik. Ein Trainer, der 20 Jahre einen Verein begleitet, maßgeblich entwickelt und formt - wo gibt es das heute noch? Man muss das große Ganze betrachten und hier verdient er höchsten Respekt. Medienkritik geht mir heute viel zu schnell, ist viel zu stark am Ergebnis orientiert und leider oft nicht nachhaltig fundiert. Unter der Woche feiert man das Team für den Sieg gegen Razgrad, drei Tage später gibt es Grundsatzkritik für das Unentschieden zu Hause gegen Middlesbrough. Wie sehr hat sich das Team, der Trainer, der Verein in diesen drei Tagen für eine solch unterschiedliche Wahrnehmung wirklich verändert?
SPOX: In Jürgen Klopp und Pep Guardiola sind in England zwei Trainer am Werk, die zuvor auch sehr einflussreich auf den deutschen Fußball gewirkt haben - mit unterschiedlichen Spielphilosophien. Welcher Ansatz gefällt Ihnen persönlich eher, Klopps wilder Heavy-Metal-Fußball oder der detailversessene Ballbesitzanspruch von Guardiola?
Mertesacker: Beide Trainer sind Topstars und stehen im Fokus der öffentlichen Diskussion. Ich beobachte dies und natürlich hat man als deutscher Spieler ein besonderes Auge auf Liverpool und Jürgen Klopp. Eine Beurteilung kann und will ich mir aber nicht erlauben, da ich nicht unter diesen Trainern trainiert und gearbeitet habe.
SPOX: Ihr Vertrag in London läuft Ende der Saison aus und Sie betonten bereits, einer Verlängerung gegenüber nicht abgeneigt zu sein. Gibt es schon einen Termin, an dem die Gespräche aufgenommen werden?
Mertesacker: Eine Verlängerung bei Arsenal hat für mich absolute Priorität. Absprachen zum Timing gibt es hier aber nicht.
SPOX: Zuletzt kamen Gerüchte einer möglichen Rückkehr nach Deutschland auf. Bremens Sportdirektor Frank Baumann meinte, er könne sich Sie "bei Werder gut vorstellen". Ähnliches war auch aus Hannover zu hören. Wäre das für Sie vorstellbar?
Mertesacker: Wie gesagt: Für mich hat Arsenal höchste Priorität. Alles andere ist pure Spekulation und daran werde ich mich nicht beteiligen.
SPOX: Haben Sie schon konkrete Vorstellungen, was nach der aktiven Karriere kommen soll?
Mertesacker: Klar habe ich ein Fußballer-Alter erreicht, wo man sich mit dieser Frage beschäftigen sollte. Im Moment gilt mein Fokus und Tun voll und ganz der Rückkehr auf den Platz. Für die Zeit nach der Karriere gibt es noch keine fixe Entscheidung. Ich kann mir gut vorstellen, nach einer gewissen Pause wieder nahe am Fußball tätig zu sein. Zu meinem Glück vielleicht bin ich aber auch so breit aufgestellt und interessiert, dass es mir auch ohne Fußball nicht langweilig sein wird.
SPOX: Wäre der Trainer- oder Managerjob grundsätzlich etwas für Sie?
Mertesacker: Es gibt Stimmen in meinem Umfeld, die mir das durchaus zutrauen oder sogar empfehlen. Mal schauen, was ich daraus mache.
SPOX: Welche Schlagzeile würden Sie am Ende der aktuellen Saison gerne über sich lesen?
Mertesacker: Schlagzeilen über mich sind mir nicht wichtig. Wenn SPOX aber über eine Arsenal-Meisterschaft zu berichten hätte, wäre das natürlich großartig.
Per Mertesacker im Steckbrief