"Habe das Potenzial wie Ribery und Robben "

Haruka Gruber
04. Oktober 201116:55
Ryan Babel (l.) kam im Winter 2010/2011 vom FC Liverpool zu 1899 HoffenheimImago
Werbung
Werbung

Nach Jahren der Missverständnisse und Kritik beim FC Liverpool sucht Ryan Babel seinen Frieden bei 1899 Hoffenheim. Der 24-jährige Oranje-Star über Lügen, Gerechtigkeit und Robbens Egoismus.

SPOX: Herr Babel, wer die letzten Jahre die Berichterstattung über Sie verfolgt hat, wurde nicht recht schlau aus Ihnen. Was muss man über Sie wissen, um Sie zu verstehen?

Ryan Babel: Eines der zentralen Dinge in meinem Leben ist Gerechtigkeit. Ich finde, es gibt nichts Wichtigeres. Wenn ich mitbekomme, dass ein Fußballer von seinem Verein oder dem Trainer nicht fair behandelt wird, tut es mir fast schon körperlich weh. In Liverpool gab es dafür einige Beispiele, und es ging nicht immer um mich. Jeder Spieler, jeder Mensch sollte fair behandelt werden.

SPOX: Aber es können immer nur elf Spieler aufgestellt werden.

Babel: Wenn ich es auf mich beziehe: Mir ging es nie darum, ob ich aufgestellt wurde oder nicht. Sondern es ging mir wie gesagt um Fairness. Und das beinhaltet, dass man gesagt bekommt, woran man arbeiten muss oder welche Fehler man begangen hat. Sonst bekommt man ja nie die Chance, sich zu verbessern. Aber ich wurde häufig im Unklaren gelassen.

SPOX: Sie wirken sehr umgänglich - dennoch gelten Sie in England als jemand, der nur lamentiert. Woher kommt das?

Babel: Es ist nicht so, dass ich die gesamte Schuld den Medien gebe. Es gibt gute Journalisten, es gibt vor allem in England aber auch schlechte Journalisten, die einen falsch zitieren. Sehr oft mit Vorsatz falsch zitieren. Ich dachte, ich hätte es hinter mir, aber ich habe mich getäuscht. Ich wurde letztens in Hoffenheim gefragt, wie ich mich fühle. Ich antwortete wahrheitsgetreu, dass es mir so gut wie lange nicht mehr geht, weil ich in Hoffenheim die gesamte Woche trainieren kann, während das in Liverpool wegen den internationalen Wettbewerben nur selten möglich war. Daraus wurde in England die Geschichte gestrickt, dass Ryan Babel nachtritt und die Trainingsmethodik in der Premier League und speziell von Liverpool kritisiert. Wegen so etwas versuche ich mittlerweile, gewisse Fragen nur sehr vorsichtig zu beantworten.

SPOX: Waren Sie als 20-Jähriger zu unerfahren, als Sie von Ihrem Heimatklub Ajax Amsterdam nach Liverpool gewechselt sind?

Babel: Einige sagen ja, andere sagen nein.

SPOX: Und was sagen Sie?

Babel: Hängt davon ab, nach welchen Kriterien ich es beurteile. Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, dass es sportlich vielleicht besser gewesen wäre, ein Jahr länger bei Ajax zu bleiben. Andererseits bereue ich nichts. Damals ging es Schlag auf Schlag mit dem Debüt als Profi und als Nationalspieler und dem Wechsel nach England. Aber von so einer Chance träumen so viele andere Jugendliche, und ich wollte sie mir nicht entgehen lassen. Ich konnte nach Liverpool, zu einem Weltklub. Ich werde den Verein immer in meinem Herzen behalten.

SPOX: Sie hätten auch innerhalb der Premier League einen neuen Verein finden können. Unter anderem lag Ihnen ein Angebot des FC Fulham vor. Haben Sie sich letzten Winter für Hoffenheim entschieden, weil Sie einen kompletten Neustart wollten?

Babel: Mir ging es nicht darum, eine neue Kultur kennenzulernen. Ich habe Hoffenheim gewählt, weil ich in aller Ruhe von null wieder anfangen wollte, das Land war mir dabei egal. Die meisten interessierten Klubs wären nicht so geduldig gewesen, Hoffenheim hingegen versprach mir, dass ich meine Zeit bekomme. Ich musste mich wieder auf den Fußball fokussieren.

SPOX: Wie sehr hat es Sie gestört, dass Sie vor allem in England nur noch als Problemfall angesehen wurden?

Babel: Ich muss zugeben: Es hat mich schon abgelenkt und ich machte mir Sorgen, wie es weitergeht. Wenn Leute auf der Basis falscher Informationen aus den Medien ein Urteil über einen bilden, beschäftigt das einen auch innerlich. Ich habe in den letzten Jahren einige Fehler begangen wie mit dem Twitter-Bild von Howard Webb. Doch wenn man alles nüchtern betrachtet, kann man auch zum Schluss kommen, dass vieles übertrieben dargestellt wurde.

SPOX: Wegen Ihrer Äußerung, dass Sie am liebsten zu Ajax zurückgekehrt wären, hatten Sie auch in Hoffenheim einen unnötig schweren Start.

Babel: Die Verantwortlichen in Hoffenheim haben das nie zu hoch gehängt. Nur in der Öffentlichkeit kam es falsch rüber: Es ging darum, dass ich einfach nur einen Wunsch ausgesprochen habe. Bevor es überhaupt um einen endgültigen Weggang von Liverpool ging, dachte ich mir, dass es optimal wäre, wenn ich für ein halbes Jahr an Amsterdam ausgeliehen werde und dann mit Spielpraxis und mehr Selbstvertrauen zurückkehre. Es ging nie darum, dass ich fix zu Amsterdam wechsele. Als Liverpool dann die Entscheidung traf, dass ich nicht ausgeliehen, sondern verkauft werden soll, kam Hoffenheim auf mich zu - und es hat gepasst. Hier habe ich die Möglichkeit bekommen, wieder zu mir selbst zu finden.

Hier geht's zu Teil II: Babel über Robbens Egoismus und ein Desaster

SPOX: Wie weit sind Sie von Ihrer Bestform entfernt?

Babel: Ich habe sie noch nicht erreicht, aber ich fühle, dass ich auf dem Weg dahin bin. Ich bin glücklich und habe ein tolles Gefühl, wenn ich in den Körper reinhöre. Das war lange Zeit nicht mehr der Fall.

SPOX: Trainer Holger Stanislawski sagte vor der Saison, dass Sie das gleiche Potenzial hätten wie Franck Ribery und Arjen Robben. Hat er recht?

Babel: Ich habe genug Selbstvertrauen zu sagen: Das stimmt, ich habe das gleiche Potenzial wie die beiden. Doch ich weiß, dass das nichts bedeutet. Viele Fußballer verfügen über ein hohes Potenzial, am Ende jedoch geht es darum, das Beste herauszuholen - und das geht nur mit harter Arbeit. Ich bin überzeugt, dass ich das Level eines Ribery oder Robben irgendwann erreichen kann und ich hoffe, dass ich das im Laufe der Saison zeigen kann. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Robben spielt eine ähnliche Position wie Sie, interpretiert sie aber anders. Er sucht mehr das eigene Dribbling und den eigenen Torabschluss. Müssen Sie vielleicht egoistischer werden?

Babel: Das kann gut sein. Wer ein großer Spieler sein will, muss im positiven Sinn manchmal egoistisch sein, sich eigene Chancen erarbeiten und den Abschluss suchen. Das muss ich definitiv noch lernen. Mein Stil war schon immer von Teamplay geprägt, deswegen werde ich versuchen, beides zu kombinieren: Zum richtigen Zeitpunkt selbst schießen, aber das Passen nicht vernachlässigen.

SPOX: Beim 3:1-Sieg gegen Wolfsburg kamen Sie zum Abschluss - und sorgten für den Lacher des Spieltags, als Sie freistehend aus drei Metern über das Tor schossen. Wie oft wurden Sie von Ihren Mitspielern an das Missgeschick von Mario Gomez erinnert?

Babel: Ich wusste gar nicht, dass das auch mal Mario Gomez passiert ist. Nein, ich wurde überhaupt nicht aufgezogen. Gott sei Dank haben wir gewonnen und noch besser, ich hatte vorher schon ein Tor erzielt. Wenn wir das Spiel jedoch vergeigt hätten, wäre ich vor Scham im Boden versunken.

SPOX: Wie lässt sich so ein Blackout erklären?

Babel: Am Fernseher sieht es wirklich blöd aus, aber wenn man selbst auf dem Platz steht, muss man wirklich konzentriert sein, um so einen Ball zu verarbeiten. Wenn der Körper nur ein paar Zentimeter nach hinten gekippt ist, trifft man den Schuss nicht richtig - und dann fliegt der Ball irgendwohin. Das kann wirklich jedem passieren. (lacht)

SPOX: Hätten Sie das auch in der vergangenen Rückrunde so entspannt gesehen?

Babel: Vielleicht schon. Die breite Öffentlichkeit erwartete vom ersten Tag an zwar Großes von mir. Ich selbst wusste jedoch, dass ich das nicht leisten kann, weil die Kondition wegen der fehlenden Einsätze in Liverpool nicht auf dem Level war, auf der sie sein sollte. Ich war schon total happy darüber, dass ich durchgängig fit blieb und ich mich trotz der höheren Belastung im Training und durch die vielen Spiele über 90 Minuten nicht verletzt habe. Das reichte mir schon zum Glücklichsein.

SPOX: Dennoch heißt es, dass Sie eine gewisse Eingewöhnungszeit in Hoffenheim gebraucht haben. Womöglich weil Sie sich plötzlich in einem Dorf wiederfanden?

Babel: Nein, nein. Viele Spieler sagen, dass Ihnen das Leben in einer großen Stadt wichtig ist, mir geht es aber nicht so. Ein Problem war die grundsätzliche Umstellung: Das Hotelleben, das Fehlen der Familie um sich herum, die fremde Sprache, die höhere Trainingsintensität, das alles war sehr viel auf einmal. Ich habe mich mittlerweile jedoch gut eingelebt.

SPOX: Stimmt es, dass Sie Ihren Mitspieler Edson Braafheid schon von Kindesbeinen auf kennen und er eine wichtige Rolle bei Ihrer Integration gespielt hat?

Babel: Ja, wir sind gemeinsam in Bijlmermeer, einem Stadtteil von Amsterdam, aufgewachsen. Ich war mit seinem jüngeren Bruder eng befreundet und Edson war immer so etwas wie ein Vorbild für uns beide. Eigentlich ist er das heute noch. Wenn er mir etwas zu sagen hat, egal ob es um Fußball, Tipps für alltägliche Probleme in Deutschland oder um generelle Lebensweisheiten geht, höre ich ihm sehr genau zu.

SPOX: Bijlmermeer gilt in Amsterdam als Problemviertel. In welchen Verhältnissen sind Braafheid und Sie aufgewachsen?

Babel: Häufig wird das Wort Ghetto benutzt, aber das ist zu übertrieben. Für niederländische Verhältnisse ist es ein toughes Umfeld, mit Drogen und Kriminalität. Aber wenn man dort groß wird, gewöhnt man sich schnell an alles. Bijlmermeer ist meine Heimat und ich fahre immer gerne nach Hause, um meine Eltern zu besuchen.

SPOX: Ist es nicht gefährlich, wenn ein millionenschwerer Fußball-Star plötzlich vorfährt?

Babel: Ich bin sehr vorsichtig, wenn ich dahin fahre. In den 90er Jahren hätte ich mich vielleicht nicht getraut, damals war es noch sehr viel Angst einflößender. Seit einigen Jahren wird die Nachbarschaft jedoch aufgewertet und Bijlmermeer ist auf dem Weg, eine richtige nette Gegend zu werden.

SPOX: Ein Einschnitt bedeutete der 4. Oktober 1992. Wie haben Sie den Tag in Erinnerung, als eine Boeing 747 mitten in Ihrer Nachbarschaft abstürzte und 43 Menschen in den Tod riss?

Babel: Ich war fünf, daher konnte ich nicht alles richtig einordnen. Ich erinnere mich noch, wie das Flugzeug knapp über unser Hochhaus strich und ungefähr 500 Meter entfernt in einen benachbarten Block stürzte. Ich hörte damals ein unwahrscheinlich lautes: 'BÄNG!' Damals konnte ich das nicht verstehen, aber mit der Zeit kam das Bewusstsein, was für ein großes Desaster es war und was dieser Einschnitt für meine Heimat bedeutet hat.

Ryan Babel im Steckbrief