Fenerbahces Salih Ucan ist der Shootingstar des türkischen Fußballs - dabei fing alles mit Tränen und Trauer an. Inzwischen ist der Youngster mit dem Wuschelkopf selbst für die Regierung ein Fall.
Ahmet Nur Cebi ist wütend. Und er mag auch nicht groß um den heißen Brei reden, wenn es um Salih Ucan geht. "Ganz ehrlich, wir haben uns total unfähig angestellt. Darüber wird noch zu reden sein", knurrt er.
Dabei hatte es sich der Vize-Präsident des türkischen Spitzenklubs Besiktas ganz anders vorgestellt. "Ich hatte schon einen Termin bei Bucaspors Präsident Mehmet Bektur. Er ist ja nicht nur ein Geschäftspartner, sondern auch ein guter Freund."
Aber Bektur, so geschäftstüchtig er ist, gibt auch den Vereinsoberen Fenerbahces einen Termin und besiegelte noch am selben Tag das Geschäft seines Lebens. "Letztlich hat Fenerbahce 60.000 Euro mehr geboten. Ich musste im Sinne des Klubs handeln", sagt er.
60.000 Euro Preiserhöhung
60.000 Euro klingen im Millionengeschäft Fußball nach Peanuts. Erst recht in der Süper Lig, in der jährlich knapp 400 Millionen Euro an TV-Geldern ausgeschüttet werden und selbst durchschnittliche Fußballer große Transfersummen umsetzen.
Im Sommer 2012 waren 60.000 Euro für Besiktas aber durchaus viel Geld. Der Klub, der gerade eben wegen Verstößen gegen das Financial Fairplay aus dem Europapokal ausgeschlossen worden war und sämtliche Stars um Guti, Quaresma und Co. verscherbelte, musste selbst für die kleinste Investition eine Vorstandssitzung einberufen.
Fenerbahce nutzte die Gunst der Stunde und verpflichtet Salih Ucan im Schnellverfahren für 1,4 Millionen Euro.
"Russland ist mir zu kalt"
Ein paar Monate später schmerzt bei Besiktas der Verlust des Top-Talents immer noch, denn Salih hat sich inzwischen zum Shootingstar des türkischen Fußballs gemausert. "Wenn ich damals früh genug dagewesen wäre, würde der Junge heute bei uns spielen", sagt Besiktas' Trainer Samet Aybaba.
Salih bestätigt ihn indirekt: "Ich hatte mehre Angebote. Trabzonspor wollte die Ablöse nicht bezahlen." Und war damit schon mal raus.
Und die anderen? "Zu Rubin Kazan wollte ich nicht. Was will ich dort als 18-Jähriger? Außerdem ist mir das Land zu kalt." Bleiben also noch Besiktas und Fenerbahce. "Bei Besiktas stand der Trainer nicht fest und der, der kommen sollte, hätte mich möglicherweise nicht gekannt."
Entdecker: "Fühle mich wie ein Weltmeister"
Der Mann, der kurze Zeit nach Salihs Wechsel zu Fenerbahce Besiktas-Trainer wurde, kannte ihn allerdings wie kein anderer. Aybaba war es, der Salih als 17-Jährigen erstmals in der Süper Lig einsetzte. "Dass der Junge heute so durchstartet, ist Wahnsinn. Wie ich mich fühle? Wie ein Weltmeister", sagt der Besiktas-Coach. Er muss das Juwel heute aus der Ferne beobachten.
"Fenerbahce war für mich zu diesem Zeitpunkt die beste Lösung - und das ist sie heute immer noch", sagt Salih, dabei dauerte es eine ganze Weile, ehe er in der Millionentruppe überhaupt registriert wurde.
Zwar war der Junge mit dem Wuschelkopf alleine schon optisch auffällig, aber Fenerbahce holte für die gleiche Position im Zentrum auch Champions-League-Sieger Raul Meireles vom FC Chelsea und den türkischen Nationalspieler Mehmet Topal vom FC Valencia.
Der Fehler gegen Antalyaspor
"Meine Zeit kommt noch. Der Trainer sagt, dass die Zukunft mir gehört", sagte der Youngster damals hoffnungsvoll. Bei Trainingseinheiten war er der Fleißigste, lief immer vorneweg. Stehen Tests an, hatte er die besten Ergebnisse. Aber über Einsätze in Testspielen und im Pokal kam er nicht hinaus.
Als er in der Liga dann doch mal ran durfte, fabrizierte Salih einen Riesenfehler gegen Antalyaspor. Fenerbahce verlor seit Ewigkeiten mal wieder ein Heimspiel, bei Salih flossen die Tränen.
"Zum Glück haben wir eine tolle Mannschaft, die mich aufgebaut hat", erzählt Salih. Allen voran Kapitän Volkan Demirel mimte den Motivator: "Bleib' stark, du wirst ein Großer."
Der Youngster grübelte damals: "Mir war klar: Spiele ich schlecht, ist es schon das Ende. Und Fenerbahce hätte viel Geld verprasst."
Schnelleres Spiel mit Salih
Es war in der Hinrunde nicht nur Salih, der Probleme hatte. Fenerbahce kränkelte ohne Alex, der den Klub im Streit mitten in der Saison verließ. Ohne den Brasilianer fehlte ein Dreh- und Angelpunkt, das kreative Element. Aykut Kocaman brachte im Zentrum mit Meireles, Topal und Cristian Baroni meistens drei Spieler, die eher fürs Grobe bekannt sind.
Nicht wenige forderten in dieser Phase Salih, der zwar bei Fenerbahce als zentraldefensiver Spieler eingeplant war, aber in Buca und in den Jugend-Nationalmannschaften als Offensiver für Furore gesorgt hatte.
Auch Kocaman blieb es nicht verborgen, dass Fenerbahce deutlich schneller agierte, wenn sein Jüngster auf dem Platz steht.
"Er ist ein Fußballer durch und durch", sagte Kocaman vor wenigen Wochen. "Gibt ihm noch zwei Jahre, dann steht erst sein Name auf der Tafel. Dann die anderen zehn." Der Durchbruch erfolgt nun aber wohl deutlich früher als gedacht.
Viele Vorbilder
Das 1:1 gegen Viktoria Plzen in der Europa League vor wenigen Wochen darf als Wendepunkt herhalten. Salih kam nach 35 Minuten für den verletzten Mehmet Topal, erzielte neun Minuten später das Führungstor und war bester Mann auf dem Platz. Nur eine Woche später ließ er in Antalya sehenswert seinen ersten Süper-Lig-Treffer folgen.
Und plötzlich spricht die ganze Türkei über den erst 19 Jahre alten Mittelfeldspieler, der bei Fenerbahce als neuer Alex gefeiert wird.
Doch genau da beginnt das Problem: Wem ähnelt er jetzt eigentlich? Alex nennt er eine "wichtige Figur", Zinedine Zidane und Teamkollege Emre seien "Vorbilder", aber fußballerisch guckt er sich am meisten von Frank Lampard ab. "Viele Freunde und Kollegen vergleichen mich mit ihm. Das gefällt mir", sagt Salih. "Ich muss zugeben, dass ich ihn genau beobachte und seine Spiele scoute."
Und was ist mit seinem Double Marouane Fellaini vom FC Everton? "Da ähnelt eigentlich nur die Frisur, sonst nichts", grinst er. Das Ziel, irgendwann in der gleichen Liga wie der Belgier zu spielen, äußert Salih - wenn überhaupt - nur verhalten.
Zu früh für die A-Nationalmannschaft
Sein Klub würde da ohnehin nicht mitmachen. "So viel Geld können die gar nicht drucken", soll Fenerbahce-Präsident Aziz Yildirim zuletzt über ein erneutes Interesse von Rubin Kazan gesagt haben. Salih ist die neue Wertschätzung fast schon peinlich.
Seine gesunde Bescheidenheit gefällt: Von der Idee, dass er nach den letzten Duftmarken in die Nationalmannschaft berufen werden soll, hält Salih wenig. "Es ist zu früh, für die A-Nationalmannschaft zu spielen. Ich habe noch viele Schwächen. Vor allem muss ich physisch zulegen." Und :"Ich kann noch besser werden."
Hauptfigur für die U-20-WM
Der Verband wird Salih ohnehin nicht sofort in die Nationalmannschaft berufen. Der 19-Jährige wird in der U 20 gebraucht. Die Türkei ist Gastgeber der WM 2013: Ein Projekt, das eine wichtige Rolle in der Popularitätsoffensive der Regierung um Recep Tayyip Erdogan spielt.
Salih Ucan ist das Gesicht der Mannschaft, neben Karlsruhes Hakan Calhanoglu Dreh- und Angelpunkt. "Er ist die Perle des türkischen Fußball", sagt U-20-Nationaltrainer Feyyaz Ucar.
Dessen Assistent ist sich sicher, dass Salih spätestens nach der WM nicht mehr gehalten werden kann. "Salihs Instinkt ist unglaublich. Er hat ein Gefühl für jede Situation. Es wird nicht lange dauern, bis wir ihn ganz oben sehen", sagt Emre Asik.
Spätestens dann wird Samet Aybaba vor dem Fernseher sitzen und sich wieder wie ein Weltmeister fühlen dürfen.
Salih Ucan im Steckbrief