Wie funktioniert Schalke unter Tedesco?

Andreas Lehner
19. September 201711:03
Domenico Tedesco übernahm das Traineramt bei Schalke 04 im Sommer von Markus Weinzierlgetty
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Der Schalke 04 steht nach vier Spieltagen mit neun Punkten auf Rang vier in der Bundesliga. Nach einer durchwachsenen Saison unter Markus Weinzierl läuft es unter Domenico Tedesco besser - oder trügt der Schein? Vor dem Spitzenspiel gegen den FC Bayern München (20.30 Uhr im LIVETICKER) ist der Trainer aber nicht zufrieden. Seine Handschrift ist nur in Ansätzen zu erkennen.

Mit welcher Grundformation und welchem Personal spielt Schalke 04?

Die Dreierkette ist in ganz Europa gerade wieder en vogue. Und auch auf Schalke hat sich in den ersten Wochen unter Tedesco eine Formation mit drei Verteidigern in letzter Linie etabliert. In der Regel bilden Naldo, Nastasic und Kehrer die Kette.

Im flachen Vierermittelfeld davor ist Neuzugang Oczipka auf links bisher eine Konstante, er hat alle vier Spiele über 90 Minuten absolviert. Auf rechts hat Caliguiri die besten Karten, er saß nur beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart zu Beginn auf der Bank. Tedesco korrigierte diese Entscheidung aber zur Halbzeit, was sich mit zwei schnellen Toren bezahlt machte.

Der Anker im Zentrum und im gesamten Schalker Spiel ist Leon Goretzka. Der Nationalspieler, der seit Wochen und Monaten mit einem Wechsel zum FC Bayern in Verbindung gebracht wird, ist der dynamische Balancespieler in königsblau. Goretzka pendelt zwischen den Strafräumen, räumt hinten ab und sticht wenig später schon wieder in den gegnerischen Sechzehner.

Als zuverlässiger Partner schien sich eigentlich Bentaleb etabliert zu haben, ehe er gegen den VfB zur Halbzeit ausgewechselt wurde und in Bremen nur auf der Bank saß. Seine Einwechslung zur Halbzeit machte sich aber positiv bemerkbar. "Nabil hat Struktur ins Spiel gebracht und mit wenig Kontakten gespielt. Es hat mich für ihn sehr gefreut, dass er eine Reaktion gezeigt hat", sagte Goretzka. Bentalebs Alternative Stambouli ist deutlich defensiver ausgerichtet.

Die offensiven Außenbahnen sind fest an Konoplyanka und Harit vergeben. Beide Flügelstürmer überzeugten in den ersten Wochen mit stabilen Leistungen.

Im Sturmzentrum hat Tedesco dagegen schon einiges probiert: Di Santo, Meyer und Burgstaller durften bisher starten. Wahrscheinlicher ist aber, dass Embolo Tedescos Stürmer Nummer eins wird, wenn er nach seiner langen Verletzungspause irgendwann bei 100 Prozent sein sollte.

Wie agiert der FC Schalke 04 gegen den Ball?

"Ich glaube, dass die Menschen auf Schalke keine Mannschaft wollen, die am eigenen Strafraum steht, die wartet, umschaltet und kontert. Schalke muss eine Mannschaft haben, die mutig ist und die offensiv verteidigt, die den Menschen das Gefühl gibt, vor nichts Angst zu haben. Wir müssen den Gegner schon am eigenen Strafraum attackieren", sagte Manager Christian Heidel vor der Saison.

Das erste Spiel gegen Vizemeister RB Leipzig sah aber gleich ganz anders aus. Schalke verteidigte tief und setzte auf Konter. Es war die Haltung eines Außenseiters, die Schalke im ersten Heimspiel unter Tedesco zeigte.

Aber die Partie war ein Sonderfall, seitdem positionierte sich Schalke in jedem Spiel deutlich höher und verteidigte früher sowie aktiver. Gegen das zentrumlastige, direkte Spiel der Leipziger passte die tiefere Grundausrichtung, wobei Schalke in dieser Partie mit leidenschaftlicher Einstellung überzeugte und auch das Spielglück auf seiner Seite hatte.

Tedesco hat immer wieder betont, dass er eine flexible Mannschaft bauen will, die zwischen mehreren Formationen wechseln und die Zonen des Pressings je nach Bedarf variieren soll. Bisher hat er an seinem 3-4-3 festgehalten und der Mannschaft damit Stabilität verliehen. Die Königsblauen haben erst drei Gegentreffer kassiert und fünf Großchancen zugelassen. Gerade im Zentrum stehen die Schalker mit einrückenden Außen sehr kompakt und lassen dem Gegner nur wenig Raum.

Allerdings hat S04 bisher in jedem Spiel eine zweistellige Anzahl von Torschüssen des Gegners zugelassen, kein Spitzenwert, wobei nur zehn davon auch aufs Tor kamen.

Gegen Bayern dürfte Tedesco keine großen Experimente wagen und eine Dreierkette, die nach Bedarf zur Fünferkette wird, aufbieten, um das Flügelspiel der Münchner zu kontrollieren.

Spannend wird sein, wie er seine Mannschaft davor positioniert und ob er sich traut, die Bayern schon im Spielaufbau anzulaufen. Hoffenheim war zuletzt mit einem etwas abwartenden 5-3-2 erfolgreich, weil die Bayern das Spiel durchs Zentrum vernachlässigten und mit ihren vielen Flanken ungefährlich blieben.

Wie agiert der FC Schalke 04 in Ballbesitz?

Tedesco ist kein Trainer, der auf hohe Ballbesitzwerte und lange Ballbesitzphasen Wert legt. Er will mit Umschaltmomenten, überraschenden Tempowechseln und Vertikalspiel zum Erfolg kommen.

Mehr Struktur und ein besseres Positionsspiel in Ballbesitz wird er seinem Team aber schon beibringen müssen, denn Schalke kann nicht immer den Außenseiterfußball wie gegen Leipzig spielen und wird es öfter mit Gegnern wie Hannover 96 zu tun bekommen, das Schalke die bisher einzige Saisonniederlage beibrachte.

Auch gegen den VfB und Werder blieb S04 einiges schuldig. "Das ist noch nicht der Fußball, den ich sehen will", sagte Tedesco nach dem Sieg in Bremen: "Wir haben noch einen langen Weg vor uns."

Offensiv ist Schalke bisher eher ungefährlich, aber ungemein effizient. Die Großchancenverwertung von 86 Prozent ist Ligahöchstwert, die 42 Abschlüsse (14 davon aufs Tor) dagegen reichen im Ligavergleich nur für Platz zwölf. Mainz und Köln haben beispielsweise zehn, Frankfurt sogar 20 Schüsse mehr. Aber Schalke hat fünf seiner sieben Saisontore nach Standardsituationen erzielt, das reichte bisher aufgrund der stabilen Defensive, um sich oben festzusetzen.

Das größte Problem, das Tedesco von seinem Vorgänger Markus Weinzierl übernommen hat, war der Spielaufbau. Schalke fehlt schon seit geraumer Zeit die Ordnung, die Struktur und das temporeiche Passspiel, um gut verteidigende Gegner auszuspielen. Auch unter Tedesco kommt die Ballzirkulation nur selten kontrolliert über die Dreierkette hinaus. Im Mittelfeld ist Bentaleb zwar erste Anspielstation, aber dann oft allein.

Deshalb greift Schalke weiterhin zum langen Ball und überspielt das Mittelfeld regelmäßig. 15,9 Prozent aller Zuspiele fallen in die Kategorie lange Pässe. Die Passquote von 77,2 Prozent ist unterdurchschnittlich, auch die 65,4 Prozent in der gegnerischen Hälfte. Überhaupt haben die Schalker erst 1261 erfolgreiche Pässe gespielt, der Rivale aus Dortmund fast doppelt so viele (2513).

Um bei so vielen Ballbesitzverlusten bzw. Ballbesitzwechseln trotzdem im Spiel zu sein, muss der Kampf um die zweiten Bälle stimmen. Nur fünf Mannschaften haben mehr Zweikämpfe geführt als die Schalker (Wolfsburg, Leipzig, Hamburg, Augsburg, Frankfurt), die Quote der gewonnenen Zweikämpfe (51,2 Prozent) schlagen nur RBL und der FCA.