Sensation in Bukarest, die Schweiz hat Weltmeister Frankreich aus der EM 2021 geworfen! Die Eidgenossen gewannen das Achtelfinale gegen die Equipe tricolore mit 8:7 nach Elfmeterschießen (0:1, 3:3, 3:3) und treffen in der Runde der letzten Acht am Freitag nun auf Spanien.
"Das ist Geschichte. Wir haben heute alles auf dem Platz gelassen. Wenn man gegen einen Weltmeister nach 1:3 zurückkommt...", sagte ein begeisterter Matchwinner Yann Sommer, der den entscheidenden Elfmeter von Kylian Mbappe hielt. "Es hat niemand mehr an uns geglaubt, wir haben uns aber eingeschworen und gesagt, wir gehen bis zum Schluss. Frankreich hatte nach dem 1:3 eine kleine Phase, in der sie ein bisschen überheblich waren - und das haben wir eiskalt ausgenutzt. Ich rufe Robert de Niro nach dem Spiel an, ob er die Hauptrolle für den Spielfilm dieses Abends heute spielt."
Ein völlig euphorisierter Granit Xhaka brachte es im englischen Interview nach dem Spiel auf eine simple Formel: "This team is fucking amazing, man!"
Frankreichs Raphael Varane sagte: "Wir hatten großen Frust und haben in der Kabine viel geredet, weil wir sehr enttäuscht waren - von dem, was wir bis dahin geleistet haben und was unsere Ziele waren. Dann haben wir gut reagiert, das war positiv, aber irgendwas hat nicht gereicht. Es hat am Ende immer etwas gefehlt. Wir hätten auch in der Verlängerung noch ein Tor schießen können, aber es hat nicht sollen sein. Wir müssen das analysieren, aber auch den Kopf oben behalten. Klar ist, dass es in der Kabine sehr ruhig sein wird."
"Es tut mir leid für den Elfmeter. Ich wollte der Mannschaft helfen, aber ich habe versagt", schrieb Mbappe später Instagram: "Die Traurigkeit nach unserem Aus ist riesig, wir konnten unser Ziel nicht erreichen."
Frankreich - Schweiz: Die Analyse
Schwache erste Hälfte des Weltmeisters, der auf eine Dreierkette umstellte, aber viel zu oft die nötige Aggressivität gegen den Ball vermissen ließ und schlecht anlief. Die Schweiz, ebenfalls in einem 3-5-2, kam häufig über die Flügel und vor allem die rechte französische Seite in die Offensive - so fiel auch die Führung.
Der Equipe tricolore mangelte es in der ungewohnten Defensivanordnung an einer vernünftigen Zuteilung. Die Nati kam dadurch zu vielen Flanken, in deren Anschluss sich die bekannten Schwächen Frankreichs in der Lufthoheit offenbarten. Zudem wechselte sich die Schweiz damit ab, Pogba eng zu bewachen, der damit seltener zu gefährlichen Bällen in die Tiefe kam. Frankreich in Ballbesitz insgesamt nicht zwingend genug im Spiel nach vorne.
Trainer Deschamps hatte zur Pause genug gesehen, brachte Coman und stellte auf Viererkette mit Rabiot auf der ungewohnten Linksverteidigerposition um. In Ballbesitz wurde daraus häufig ein 4-2-4, doch es benötigte offenbar den Weckruf des von Rodriguez verschossenen Schweizer Elfmeters, ehe die Franzosen im Spiel ankamen. Und wie: Innerhalb von 90 Sekunden drehte der Weltmeister die Partie, besonders die Ballmitnahme von Benzema beim 1:1 und Mbappes Hackenweiterleitung beim 2:1 waren Weltklasse-Aktionen.
Da sich die taktische Disziplin bei den Franzosen deutlich erhöhte, Coman und Griezmann stärker nach hinten arbeiteten und die Flügel schlossen, erspielte sich die Equipe ein Übergewicht. In der Folge wurde Frankreich in der Offensive variabler, suchte häufiger die Tiefe und kam über die gewohnten schnellen Gegenangriffe in die Schweizer Hälfte, Pogbas Traumtor per Weitschuss schien die Begegnung entschieden zu haben.
Die Eidgenossen, die zwischenzeitlich auf eine Viererkette umgestellt hatten, bewiesen nach den Rückschlägen jedoch eine sensationelle Mentalität und beschäftigten Frankreich weiter über Flügelangriffe. Trainer Petkovic wechselte offensiv, zwei seiner Joker bereiteten dann den Anschlusstreffer vor - erneut zeigte sich der Weltmeister bei hohen Bällen anfällig. Frankreich war sich wohl zu sicher und schaffte es nicht, für Kompaktheit zu sorgen und die Begegnung zu beruhigen - und die Schweiz glich tatsächlich noch aus.
Nachdem Coman mit der letzten Aktion der regulären Spielzeit die Latte traf, ging es in die Verlängerung. Die Schweiz mit der Euphorie des Ausgleichs im Rücken nun wieder auf Augenhöhe, die Partie wogte auch aufgrund der hohen Temperaturen sowie schwindender Kräfte der Akteure hin und her. So häuften sich zwangsläufig Konter- und Eins-gegen-eins-Situationen, Mbappe ließ in der zweiten Hälfte der Verlängerung die beste Chance auf die Entscheidung liegen (110.). Im Elfmeterschießen war dann das größere Glück aufseiten der Schweizer.
Frankreich - Schweiz: Die Aufstellungen
Frankreich: Lloris - Varane, Lenglet (46. Coman, 112. Thuram), Kimpembe - Pavard, Rabiot, Pogba, Kante, Griezmann (88. Sissoko) - Benzema (94. Giroud), Mbappe.
Schweiz: Sommer - Elvedi, Akanji, Rodriguez (87. Mehmedi) - Widmer (73. Mbabu) , Zuber (79. Fassnacht), Freuler, Xhaka, Shaqiri (73. Gavranovic) - Seferovic (97. Schär), Embolo (79. Vargas).
Frankreich - Schweiz: Die Daten des Spiels
Tore: 0:1 Seferovic (15.), 1:1, 2:1 Benzema (57., 59.), 3:1 Pogba (75.), 3:2 Seferovic (81.), 3:3 Gavranovic (90.)
Bes. Vorkommnis: Lloris hält Foulelfmeter von Rodriguez (55., Schweiz)
Elfmeterschießen:
0:1 Gavranovic
1:1 Pogba
1:2 Schär
2:2 Giroud
2:3 Akanji
3:3 Thuram
3:4 Vargas
4:4 Kimpembe
4:5 Mehmedi
Sommer hält gegen Mbappe
- Der Schweizer Zuber kommt nun bereits auf vier Assists und stellt damit den Rekord für die meisten Vorlagen bei einem EM-Turnier seit Datenerfassung 1968 ein.
- Im 7. Pflichtspiel gegen Frankreich ging die Schweiz erstmals in Führung.
- Erst zum zweiten Mal seit Datenerfassung 1980 kommt Frankreich in einem K.o.-Runden-Spiel der EM vor der Pause zu keinem Schuss aufs Tor - zuvor nur 1996 im Halbfinale gegen Tschechien.
- Die Schweiz vergab ihre letzten vier Länderspiel-Elfmeter allesamt.
- Der Schweizer Xhaka fehlt im Viertelfinale gelbgesperrt.
- Erstmals seit 67 Jahren (WM 1954) erreicht die Schweiz das Viertelfinale eines großen Turniers.
Der Star des Spiels: Yann Sommer (Schweiz)
Da braucht es nicht viele Worte: Der Gladbacher Keeper hielt den entscheidenden Elfmeter von Mbappe und sorgte so für ein Stück Schweizer Fußballgeschichte.
Der Flop des Spiels: Clement Lenglet (Frankreich)
Bewies keine gute Abstimmung mit seinen Defensivkollegen und stand einige Male zu weit vom Gegenspieler entfernt. Ließ sich beim 0:1 viel zu einfach von Torschütze Seferovic abkochen. Nach 45 Minuten war Schluss für ihn.
Der Schiedsrichter: Fernando Rapallini (Argentinien)
Ohne Probleme in einer Partie, die ihm nicht viele schwierige Aufgaben stellte. Entschied nach Eingreifen des VAR und Ansicht der Bilder korrekterweise auf Elfmeter für die Schweiz (55.). Das technische Hilfsmittel half ihm auch, Gavranovics vermeintliches 3:3 als Abseits zu entlarven (85.).