Nach 28-jähriger Abstinenz ist der ehemalige deutsche Meister Eintracht Braunschweig in die Bundesliga zurückgekehrt. Das Ziel ist der Klassenerhalt, auch wenn die drei Niederlagen zum Saisonstart unterstrichen, wie schwer es die Niedersachsen haben werden. Trainer Torsten Lieberknecht spricht im Interview über ein emotionales Comeback, die T-Frage und seine besonderen Draht zu Jürgen Klopp.
SPOX: Herr Lieberknecht, wie war das Gefühl am ersten Bundesliga-Spieltag, als sie den Rasen des Eintracht-Stadions betreten haben?
Torsten Lieberknecht: Emotional wusste ich schon, was das für ein Tag werden wird. Sportlich war alles angerichtet, um sich ordentlich zu präsentieren. Aber wir wussten, was das nach 28 Jahren Bundesliga-Abstinenz für ein Ereignis für viele Braunschweiger ist. Das hat man auch im Stadion gespürt und deswegen war es ein sehr besonderer Moment.
SPOX: Nach der knappen Niederlage in Dortmund sagten Sie: "Wir wollen keine klare Nummer 1." Warum wollen Sie sich nicht auf einen Torhüter festlegen?
Lieberknecht: Unsere Konstellation ist so, dass wir zwei starke Torhüter haben, die in den letzten Jahren beide einen erheblichen Anteil daran hatten, dass wir in die Bundesliga aufgestiegen sind. Wir wollen keinem der beiden das Vertrauen entziehen, sondern geben es beiden. Da wir in diesem Jahr außergewöhnliche Wege gehen müssen, um in der Bundesliga zu bestehen, haben wir diesen Weg gewählt. Das haben Cheftrainer, Torwarttrainer und die Torhüter im kleinen Kreis besprochen. Daniel Davari und Marjan Petkovic haben das ordentlich aufgenommen, auch wenn es eine ungewöhnliche Situation ist. Dass beide damit gut umgehen können, wissen wir. Und beide haben bisher sehr gut gehalten. Deswegen ist das der richtige Weg, auch wenn das vielleicht nicht üblich ist.
SPOX: Aber braucht ein Torhüter nicht einen gewissen Rückhalt des Trainers oder das Wissen, dass er die Nummer 1 ist?
Lieberknecht: Beide kriegen ja das Vertrauen. Was, wenn sich der Torwart im Spiel nach 3 Minuten verletzt und der andere muss auf einmal spielen? Beide wissen, dass sie ihre Einsätze in der Bundesliga bekommen werden, denn sie haben es sich verdient. Und man hat gesehen: Wir liegen damit nicht falsch. Sie haben beide überragende Leistungen gezeigt.
SPOX: Ist die Bundesliga für Sie persönlich schon Alltag geworden?
Lieberknecht: Es ist immer noch etwas ganz Herausragendes. Das ist keine Erlebnistour, sondern eine Herausforderung für uns alle. Wenn man zum Beispiel in Dortmund spielen darf, ist das ein großes Privileg. Das wird nicht alltäglich werden, denn wir haben diesbezüglich eine gesunde Wahrnehmung. Trotzdem wollen wir sportlich so ehrgeizig sein, um das Privileg, in der Bundesliga Fußball zu spielen oder Trainer zu sein, auch nächstes Jahr genießen zu können.
SPOX: Gegen Ende der letzten Saison beurlaubte Werder Bremen den langjährigen Trainer Thomas Schaaf. Sie galten als möglicher Nachfolger. Gab es Kontakt zum Verein?
Lieberknecht: Ich habe auch nur über die Medien mitbekommen, dass mein Name als Nachfolger von Thomas Schaaf in Bremen gehandelt wurde. Als ich das gesehen und gelesen habe, bin ich auch mal kurz vor dem Fernseher errötet. Das habe ich mir auch ein Stück weit selbst erarbeitet. Aber direkt bin ich nicht damit konfrontiert worden.
SPOX: Hätten Sie Braunschweig überhaupt verlassen wollen?
Lieberknecht: Ich habe bei der Eintracht bis 2015 unterschrieben. Das sagt eigentlich alles.
Seite 2: Über kalkulierten Erfolg und die Verdienste von Klopp
SPOX: Sie sind seit 2008 Trainer in Braunschweig. Seitdem geht es für die Eintracht eigentlich nur bergauf. Haben Sie damals mit so einem Erfolg überhaupt gerechnet?
Lieberknecht: Nein, das hat niemand von uns. Wir waren einfach froh, den Verein vor dem Sturz ins absolute Bodenlose bewahrt zu haben. Das, was danach gekommen ist, konnte keiner absehen, schon gar nicht, dass wir in die Bundesliga kommen. Wir haben viel dafür getan und mussten viele harte Momente auch im Einklang mit der finanziellen Konsolidierung durchstehen.
SPOX: Sie sprechen den jahrelangen Sparkurs an. Warum waren Sie in den letzten Jahren sportlich dennoch so erfolgreich?
Lieberknecht: Fakt ist, dass hier die Kontinuität in vielen Bereichen vorhanden ist. Es herrscht Ruhe im Verein, auch im emotionalen Umfeld, das sich von diesem Weg hat begeistern lassen. Im Bereich der sportlichen Führung ist Ruhe, die Mannschaft konnte sich kontinuierlich weiterentwickeln. Das alles ist aber auch durch die unglaubliche Unterstützung der Fangemeinde getragen.
SPOX: Sie haben einen guten Draht zu Jürgen Klopp. Ist Ihr ehemaliger Mitspieler "nur" Trainerkollege oder auch Vorbild?
Lieberknecht: Jürgen Klopp hat viel für Borussia Dortmund und den Trainerberuf im Allgemeinen getan. Ich glaube, dass sich viele Vereine im Anschluss an die Klopp-Zeit bei Mainz 05 an diese Situation erinnert und dann Leuten das Vertrauen geschenkt haben, die man jetzt vielleicht nicht direkt im Profifußball finden würde. Diese Tür hat er geöffnet. Dazu gehört aber auch ein Jupp Heynckes, der über Jahre hinweg sehr viel für den deutschen Fußball getan hat. Ich schätze Heynckes auch persönlich sehr.
SPOX: Sie sagten, dass in Braunschweig eine große Identifikation mit dem Klub herrscht, die Fans haben große Ehrfurcht vor den Spielern und dem Trainer. Können Sie das genauer erläutern?
Lieberknecht: Das muss man einfach spüren und erleben, wenn man hier ist. Ich hatte hier Drittliga- und sogar Regionalligaspieler. Es hat sich aber immer so angefühlt, als seien das Nationalspieler. Als wären die Eintracht-Spieler keine normalen Menschen, sondern in gewisser Weise außergewöhnlich. Die Leute hatten eine große Demut, die erst mal gelockert werden musste. Sie sollten sehen, dass wir ganz normale Menschen sind.
Torsten Lieberknecht im Steckbrief