Den Abgrund vor Augen

Nino Duit
18. August 201611:53
Ein Freund des Bieres und der sozialen Medien: Löwen-Investor Hasan Ismaikgetty
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Die Lage bei 1860 München wird immer prekärer. Nach Jahren des sportlichen Niedergangs rückt zunehmend auch die bedenkliche finanzielle Lage in den Fokus. Investor Hasan Ismaik versucht mit realsatirischen Social-Media-Aktivitäten gegenzusteuern. Ein Abstieg hätte unvorhersehbare Folgen.

Wohin steuert Investor Hasan Ismaik den Klub?

Fast fünf Jahre ist es mittlerweile schon her, dass Hasan Ismaik Anteilseigner des TSV 1860 wurde. Damals im Mai 2011 erwarb der Jordanier für 18 Millionen Euro ein Anteilspaket von 60 Prozent an den Münchner Löwen, von denen wegen der 50+1-Bestimmungen der DFL jedoch nur 49 Prozent tatsächlich stimmberechtig sind. "Nach der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages mit unserem Investor Hasan Ismaik sind wir sehr optimistisch, die Zukunft des TSV 1860 im Profifußball zu sichern. Wir danken unseren Partnern für ihre Unterstützung auf allen Ebenen", sagte damals Präsident Dieter Schneider.

Stand heute wirken diese Worte wie reinste Ironie. Schon bald wurde Schneider von Ismaik aus dem Amt gedrängt. Auch mit seinen Nachfolgern kam Ismaik reihenweise nicht auf einen gemeinsamen Nenner; früher oder später lag er mit beinahe jedem Verantwortungsträger der Löwen im Clinch. Und diese mussten mit einer bedenklich niedrigen Halbwertszeit entweder gehen oder gaben von selbst entnervt auf. Der arabische Milliardär und der Traditionsverein aus Giesing: Schnell wurde klar, dass diese Kombination zu keinen nachhaltigen Erfolgen führen würde.

Lange umgab Ismaik eine Aura der Unnahbarkeit, der Jordanier war kaum greifbar. Alle paar Monate ließ er sich in der Allianz Arena blicken, wo er die Spiele seines Vereins mehr oder minder begeistert verfolgte. Jetzt, da der Klub dem sportlichen und finanziellen Abgrund immer zielstrebiger entgegentaumelt, sah Ismaik die Zeit gekommen, persönliche Publicity zu betreiben. Dafür bieten sich heutzutage die sozialen Medien bestens an.

Seit einigen Tagen ist auf Twitter und Facebook sein Profil "Ismaik1860" zu finden. Abgesehen von einer nicht wirklich schlüssigen Groß-/Kleinschreibung ist die Botschaft, die auf den Titelbildern verbreitet wird, prinzipiell erfreulich: "We wish the Lions A year Full of Achievements And success". Dieser fromme Wunsch kann den 1860-Fans jedoch nur wie blanker Hohn vorkommen. Ismaik steuert den Verein mit Posts wie diesem zielsicher in Richtung Lächerlichkeit: "Die anhaltende negative Berichtserstattung über die Löwen dient den Interessen mancher Vereine, von denen wir wissen und auch anderer, die uns nicht bekannt sind - ist das, was die Medien beabsichtigen? Sollen die Löwen fallen und die anderen erfolgreich sein?" Mit seinen teilweise realsatirischen Kommentaren brüskiert er den ganzen Verein.

Er brüskiert ihn aber nicht nur mit wohl letztlich harmlosen Posts, sondern bringt ihn zunehmend auch in eine akut existenzbedrohende finanzielle Lage. Anders als in den Jahren zuvor wandte Ismaik zuletzt nicht den bewährten Trick an, Schulden durch die Umwandlung in Genussscheine in Eigenkapital zu verwandeln. So wurden in den vergangenen Spielzeiten die DFL-Regularien erfüllt. Die Quittung gab es direkt: eine Strafe der DFL über 750.000 Euro. Ob Ismaik im kommenden März ein fast schon überlebensnotweniges Darlehen in Höhe von rund fünf Millionen Euro, das für die Lizenzerteilung der DFL für die kommende Saison von entscheidender Bedeutung ist, gewähren wird, ist mehr als fraglich.

Wie sicher ist es, dass Ismaik Anteilseigener bleibt?

Geht es nach Ismaik selbst, ist diese Frage ganz einfach zu beantworten. Der Jordanier möchte nach eigener Auskunft so lange Investor der Münchner Löwen bleiben, bis zwei Bedingungen erfüllt sind. Einerseits müsste ein möglicher Nachfolger die knapp 38 Millionen Euro, die Ismaik bisher in den Verein gesteckt hat, als Kaufpreis bieten. Andererseits müssten sich die Fans mehrheitlich gegen ihn stellen.

Die Erfolgswahrscheinlichkeiten dieser beiden Bedingungen lassen sich recht schnell beziffern: Erstere liegt bei annähernd null Prozent, zweitere bei annähernd 100 Prozent. Es ist kaum vorstellbar, dass sich ein potentieller Abnehmer finden lässt, der für einen seit Jahren defizitären und im Dauerchaos steckenden Verein am Rande der Drittklassigkeit 38 Millionen Euro zahlen würde.

Dank den sozialen Netzwerken braucht Ismaik nur ein paar Klicks, um sich zu vergewissern, dass die andere Bedingung bereits erfüllt ist. Mit teilweise herrlich ironischen, teilweise beißend kritischen und teilweise schlicht und einfach diffamierenden Kommentaren wird Ismaik auf seinem eigenen Account bedacht.

Wie ernst es dem Investor mit diesen Bedingungen ist, weiß nur er selbst. Ismaiks Worte standen in den vergangenen Wochen und Monaten aber mehr als nur einmal im Kontrast zu seinen Taten. Im Dezember ließ er darüberhinaus durchklingen, dass er sich wohl ohnehin viel lieber einen englischen Premier-League-Verein zulegen würde. Dort haben ausländische Investoren größeren Handlungsspielraum und die lästige 50+1-Regelung gibt es auch nicht.

Welche Rolle spielt der neue Präsident Peter Cassalette?

Ähnlich wie eigentlich jeder neue 1860-Präsident der vergangenen Jahre versuchte auch Peter Cassalette, der am 15. November zum Oberlöwen gewählt wurde, zu Beginn ein intaktes Verhältnis zu Investor Ismaik aufzubauen. An diesem Unterfangen sind früher oder später aber bereits seine vier Vorgänger Dieter Schneider, Hep Monatzeder, Gerhard Mayrhofer und Siegfried Schneider gescheitert.

Anfang Januar reiste Cassalette sogar für einige Tage nach Abu Dhabi, um sich intensiv mit Ismaik auszutauschen. Von den Inhalten der Gespräche kam in der Folge aber recht wenig an die Öffentlichkeit. Neben Standardfloskeln "angenehme, positive Atmosphäre", "sind uns bewusst, was er in der Vergangenheit alles für die Löwen getan hat" gab es wenig Konkretes.

Eines von Ismaiks Lieblingsthemen, die in seinen Augen fesselnde und hemmende 50+1-Regelung wurde aber doch öffentlich thematisiert. "Wir haben verstanden, dass das für ihn ein wesentliches Thema ist", sagte Cassalette. Es hieß weiter, dass der Verein daran interessiert sei, an Gesprächen über die Regelung mit der DFL teilzunehmen, sollte es zu solchen kommen. Cassalette und der Verein sollen nach Ansicht von Ismaik also mithelfen, die 50+1-Regelung zu bekämpfen, um dem Jordanier so mehr Macht zu sichern. Eine ebenso bedenkliche wie unrealistische Ambition.

Welchen Einfluss haben die anhaltenden Diskussionen auf sportliche Belange?

"Wir sind uns alle einig, dass es im Moment einzig darauf ankommt, alle Kräfte für den Sport zu bündeln", sagte Präsident Cassalette nach seiner Abu-Dhabi-Reise. Das ist jedoch einfacher gesagt, als getan. Die ständigen Grabenkämpfe lähmen den TSV 1860 seit Jahren. Die ständigen Personalrochaden sorgen dafür, dass seit dem Bundesligaabstieg 2004 und speziell seit dem Ismaik-Einstieg 2011 keine einheitliche Linie erkennbar ist. Unzählige Interessen prallen an verschiedensten Schnittstellen aneinander und blockieren den Verein.

Seit 2011 standen den Löwen fünf verschiedene Präsidenten vor, lenkten vier verschiedene Sportdirektoren die Geschicke des Vereins und trainierten sieben verschiedene Trainer die Mannschaft. Jeder mit anderen Ideen, jeder mit anderen Ausrichtungen und Anliegen. Nachhaltig entwickeln kann sich so nichts. Alleine die Einstellungskette der aktuellen Verantwortlichen spricht für die chaotischen Zustände im Klub: Erst wurde Trainer Benno Möhlmann verpflichtet, dann Sportdirektor Oliver Kreuzer eingestellt und schließlich Präsident Peter Cassalette gewählt. Ein Vorgang, der im deutschen Profifußball wohl recht einmalig ist.

Während bei einigen erfolgreichen Zweitligisten oder auch Erstligisten einzig und alleine Trainer und Manager für die Zusammenstellung der Mannschaft verantwortlich sind, mischt bei 1860 eine Handvoll Mitarbeiter mit teils überschneidenden und nur sehr schwammig definierten Aufgabengebieten mit. Neben Trainer Möhlmann sind das Sportdirektor Kreuzer, Geschäftsführer und Ismaik-Cousin Noor Basha, Kaderplaner Carlos Leal sowie Ex-Interims-Sportdirektor und mittlerweile Scout Necat Aygün.

Auch die Spieler werden die ständigen Unruhen nicht ausblenden können, werden doch auch sie zu den existenziellen Problemen des Vereins von Medienvertretern befragt und so beinahe dazu gezwungen, sich damit zu beschäftigen. Speziell für die Entwicklung der vielen jungen Spieler in der Mannschaft wäre eine ruhigere Umgebung deutlich förderlicher.

Welche Konsequenzen hätte ein möglicher Abstieg?

Ähnlich wie in der vergangenen Saison, als in buchstäblich letzter Sekunde die Rettung in der Relegation gelang, stehen die Löwen auch in dieser Spielzeit bereits mit einem Bein in der 3. Liga. Nach 19 Spielen beträgt der Rückstand auf das rettende Ufer sechs Punkte; der Relegationsrang ist drei Punkte entfernt. Die Form vor der Winterpause spricht nicht für 1860: Drei Niederlagen in Folge sind zu beklagen.

Ein möglicher Abstieg hätte weitreichende Folgen für den Verein, die ihm womöglich sogar seine Seele entreißen könnten. Die Seele der Löwen, das worauf die Fans bis heute stolz sein können, ist die Nachwuchsabteilung. Jahr für Jahr bringt 1860 talentierte Spieler hervor - nur um sie früher oder später zu verkaufen. Die so erzielten Ablösesummen hielten die Löwen mit am Leben. Erst in diesem Winter wurde Marius Wolf nach Hannover transferiert. Eine Traumelf ehemaliger Löwen-Talente ist fast schon so ein Medien-Klassiker wie ein Best-Of der Eskapaden von Mario Balotelli.

Und der effiziente Fortbestand dieser Nachwuchsabteilung hängt sehr eng mit dem Schicksal der Profimannschaft zusammen. Müssten die Löwen aus der 2. Bundesliga absteigen, so würde die Reservemannschaft zwangsrelegiert werden: aus der viertklassigen Regionalliga Bayern in die fünftklassige Bayernliga Süd. Eine Bewährungsbühne, wie sie den einstigen Talenten - von den Benders, Lars und Sven, über Kevin Volland bis Wolf - diente, würde diese bessere Hobbyliga nicht mehr bieten. Die großen Talente des Vereins würden nicht mehr über die Reservemannschaft zur Profimannschaft aufsteigen, um sich dort dann größeren Vereinen präsentieren zu können. Nein, sie würden von diesen wegen mangelnder Perspektiven in Giesing bereits in viel jüngeren Jahren abgeworben werden.

Giesing, Grünwalderstadion - das ist der Sehnsuchtsort von so gut wie jedem Löwenfan. Die Hoffnung, bei einem Abstieg in die 3. Liga zumindest in die alte Heimat zurückkehren zu können, ist aber etwas unangebracht beziehungswiese vom guten Willen des verhassten FC Bayern abhängig. Der Mietvertrag für die Allianz Arena gilt auch in der 3. Liga. Sollten die Löwen absteigen, würde das dazu führen, dass die Mietkosten für die Arena das dann geringere Budget prozentual noch mehr belasten würden und andererseits die grauen Flächen im völlig überdimensionierten Stadion ob der naturgemäß unattraktiveren Gegnern weiter anwachsen würden. Ein Abstieg und der einst stolze Verein, deutscher Meister 1966 und Europapokalfinalist, stünde vor einem Scherbenhaufen.