Xherdan Shaqiri ging 2012 nach über 20 Jahren in der Schweiz zum FC Bayern München. Dort gewann der 25-Jährige das Triple, doch unter Pep Guardiola sank sein Stern beim Rekordmeister. Anschließend wechselte er zu Inter Mailand, seit Sommer 2015 spielt Shaqiri bei Stoke City in der englischen Premier League. Im ersten Teil des Interviews spricht der Schweizer Nationalspieler über harte Zeiten in seiner Kindheit, Gentlemen Jupp Heynckes und die veränderte Situation unter Guardiola.Hier geht's zum zweiten Teil des Interviews mit Xherdan Shaqiri
SPOX: Herr Shaqiri, lassen Sie uns bitte einmal kurz klären, wie man Ihren Namen richtig ausspricht. In Deutschland war häufig ein "Kscherdan Schakiri" zu hören.
Xherdan Shaqiri: Im Kosovo und grundsätzlich im Balkan-Raum würde man es "Dscherdan Schatschiri" aussprechen. Wenn ich in deutschsprachigen Ländern bin, sage ich aber selbst "Schakiri". Das ist schon in Ordnung so und nervt mich auch nicht.
SPOX: Sie sind im Kosovo geboren und in der Schweiz in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater verließ Anfang der 1980er Jahre Ihre Familie, um in der Schweiz auf dem Bau zu arbeiten. Wie erging es der Familie in der Zeit, in Ihr der Vater abwesend war?
Shaqiri: Es war zwiegespalten. Mein Vater hat gutes Geld verdient und unser Leben sowie das unserer Verwandten im Kosovo erleichtert. Andererseits wurde er natürlich auch vermisst. Ich selbst habe daran keine Erinnerungen, ich weiß das vor allem von meiner Mutter.
spoxSPOX: Als ihm die Familie in die Schweiz folgte, waren Sie erst zwei Jahre alt und lebten alle zusammen in einem alten Haus. Welche Erinnerung haben Sie daran?
Shaqiri: Dass es im hinteren Teil des Hauses einen Platz für Tierhaltung gab. Jedes ältere Haus in der Schweiz war früher so konzipiert. Unseres wurde nur nie umgebaut, es war aber im Grunde ein ganz normales Haus und glücklicherweise sehr großzügig geschnitten. Wir haben im Flur wie die Verrückten gebolzt. Das war für mich und meine beiden älteren Brüder der Anfang vom Ende. (lacht)
SPOX: Bereits im Alter von vier Jahren sind Sie dann in einen Fußballverein eingetreten.
Shaqiri: Wir haben dank unseres Vaters, der einst selbst gekickt hat, alle früh eine große Leidenschaft für den Fußball entwickelt. Der Trainingsplatz war direkt um die Ecke, wir brauchten nur fünf Minuten dorthin. Meinen Eltern ging es darum, dass wir Sport machen, Disziplin lernen und nicht ohne Beschäftigung auf der Straße herumlungern.
SPOX: Ihr Vater verlor später den Job, Ihre beiden Brüder Arianti und Erdin und Sie sprangen mit den Lehrlingsgehältern ein. Wie hart war diese Zeit?
Shaqiri: Wir hatten einen niedrigen Lebensstandard. Wir aßen oft ganz einfache Mahlzeiten, die nicht so teuer waren. Geschmeckt hat es aber immer. Das war nicht einfach als Junge, gerade wenn sich die anderen Kameraden nach dem Training etwas zu essen kaufen konnten und wir stattdessen nach Hause mussten. Wir haben aber nie unsere Familie damit belastet, weil es eben normal war.
SPOX: Der Zusammenhalt innerhalb der Familie war seit jeher sehr groß, oder?
Shaqiri: Absolut. Im Nachhinein gesehen haben wir das alle auch wunderbar weggesteckt. Was wir letztlich benötigt haben, waren ein Ball, Essen, Trinken und Schlaf. Ich erinnere mich noch, wie meine beiden Brüder und ich später als Nachwuchsspieler des FC Basel ein Trainingslager zu finanzieren hatten. Damals musste man die Hälfte der Summe noch selbst übernehmen. Das waren insgesamt über 1000 Schweizer Franken. Mein Bruder Erdin hatte zu der Zeit Ferien. Er ist dann eine Woche lang ohne zu zögern Plastikbrillen zusammenschrauben gegangen und ich habe den Rasen beim Nachbarn gemäht, damit wir das Geld zusammen bekommen.
SPOX: Hatten Sie zu diesem frühen Zeitpunkt fußballerische Vorbilder oder einen Lieblingsklub?
Shaqiri: Ich war schon immer Brasilien-Fan und hatte später auch mal diese komische Frisur, die Ronaldo bei der WM 2002 trug. Zu meinem siebten Geburtstag wollte ich unbedingt das Nationaltrikot von Ronaldo. Das habe ich auch bekommen, wenn auch nur eine Fälschung. (lacht) Einen Lieblingsklub hatte ich dagegen noch nie. Dortmund hat mir gefallen, weil dort Tomas Rosicky gespielt hat. Bayern fand ich wegen Giovane Elber gut. Mein Vater war Schalke-Fan. Wir sind damit aufgewachsen, an jedem Wochenende früh morgens "Bundesliga pur" im deutschen Sportfernsehen zu schauen. spox
SPOX: 2000 schlossen Sie sich der Nachwuchsabteilung des FC Basel an und begannen dort später eine Lehre als Modeverkäufer, die Sie aufgrund des Fußballs mit 18 Jahren abbrachen. Wie kam's?
Shaqiri: Das war eine sogenannte Sportler-Lehre, die auf Initiative des FC Basel in Zusammenarbeit mit einem Ausstattungssponsor angeboten wurde. Ich bin dort morgens hingegangen, habe im Verkauf gearbeitet und nachmittags trainiert. Als ich 2009 meinen ersten Profivertrag unterschrieb, ging es von der Zeit einfach nicht mehr.
SPOX: Ab wann wurde Ihnen klar, dass Sie es zum Fußballprofi schaffen können?
Shaqiri: Ungefähr mit 16 habe ich gemerkt, dass ich auf dem damaligen Niveau ohne größeren Leistungsabfall spielen kann. Schon als ich 2007 beim "Nike Cup" mit der U15 zum besten Spieler des Turnier gewählt wurde, war das ein Punkt, an dem mir langsam klar wurde, dass ich es schaffen kann. Das hat mir etwas Anerkennung gebracht und die Leute kannten dann meinen Namen. Damals war es in meinen Augen auch noch deutlich schwieriger als heute, überhaupt mal bei den Profis mit trainieren oder einen Profivertrag unterschreiben zu können.
SPOX: Sie blieben insgesamt zwölf Jahre lang in Basel, unter anderem gewannen Sie mit den Profis zwei Mal das Double. Wie war die erste Zeit mit den Profis?
Shaqiri: Als mich Trainer Christian Gross mit 16 das erste Mal zu einem Freundschaftsspiel mitnahm und spielen ließ, war er anschließend überhaupt nicht zufrieden mit mir. Ich habe für seinen Geschmack zu viele Tricks probiert. Damals war ich auch kurz davor, zur U21 von Grashopper Zürich zu wechseln. Dann aber wurde Gross entlassen und Thorsten Fink übernahm. Ab da lief es dann für mich. Man musste einfach länger auf seine Chance warten als heute.
SPOX: Wie lange haben Sie nach fast 20 Jahren in der Schweiz darüber nachgedacht, ob der Schritt zum FC Bayern München 2012 der richtige sein könnte?
Shaqiri: Die Entscheidung wurde mir abgenommen, weil es der FC Bayern war. Da gibt es dann eigentlich nur wenig zu entscheiden. Zumal mich Jupp Heynckes unbedingt haben wollte und mir eine gute Perspektive aufgezeigt hat.
SPOX: In München lebten Sie erstmals getrennt von Ihrer Familie. Wie sind Sie anfangs zu Recht gekommen?
Shaqiri: Ich hatte bereits im Januar für den Sommer unterschrieben und konnte mich daher ausreichend darauf vorbereiten. Manches Mal hatte ich ein bisschen Heimweh, andererseits war die Schweiz nur drei Stunden entfernt. Im ersten Jahr hat mein ältester Bruder Arianit bei mir gewohnt. Das hat vieles erleichtert. Eine Putzfrau brauchten wir trotzdem. Das war die erste Maßnahme, die ergriffen wurde. (lacht)
SPOX: Ihr Bruder Erdin berät Sie. Welche Rolle spielt er für Sie?
Shaqiri: Erdin war immer an meiner Seite. Früher haben wir sogar dieselben Kleider getragen. (lacht) Zwischen Erdin und mir liegt nur ein Jahr. Er ist für mich in erster Linie Bruder. Geschäftlich behandelt er mich nicht anders als die restlichen Spieler, die er betreut. Dank ihm kann ich mir sicher sein, dass mich niemand hintergeht.
SPOX: Ihre erste Saison in München lief hervorragend, der FC Bayern gewann erstmals in seiner Historie das Triple. Heynckes ließ Sie häufig von Beginn an spielen, das war ein Jahr später unter Pep Guardiola nicht mehr der Fall. Weshalb?
Shaqiri: Es stimmt, dass sich meine sportliche Situation unter Guardiola verändert hat. Ich hatte aber nie ein Problem mit ihm. Leider war ich auch einige Male verletzt. Ich bin unglücklich geworden, da ich zuvor sehr viele Spiele absolvieren durfte und somit meinen Beitrag zum Triple geleistet habe. Plötzlich aber wurden Spieler vor mir eingewechselt, die eigentlich ein geringeres Standing hatten. Das hat mich natürlich enttäuscht, auch wenn ich behaupten würde, dass ich den Konkurrenzkampf nie gescheut habe und dem Trainer immer zeigen wollte, weshalb er falsch lag.
SPOX: Was war das Beste an Guardiola?
Shaqiri: Seine Trainingseinheiten waren speziell, detailliert, anspruchsvoll - aber wirklich geil. Wir haben alles mit Ball gemacht. Unter Heynckes sind wir in der Vorbereitung noch drei Mal am Tag gerannt wie die Hasen. Dafür waren wir dann alle topfit.
SPOX: Guardiola war bekannt dafür, Spieler in der Öffentlichkeit über den grünen Klee zu loben. Auch auf Sie traf dies zu. Wie sind Sie damit umgegangen?
Shaqiri: Das war sehr schwierig und erging allen Bankdrückern so. Ich konnte ja aber nicht zu ihm sagen: Wenn du mich schon lobst, dann musst du mich auch spielen lassen.
SPOX: Wie hatte Heynckes den Umgang mit Ersatzspielern moderiert?
Shaqiri: Er war ganz anders. Unter ihm wussten alle, welche Position und welches Standing sie innerhalb der Mannschaft hatten. Mario Gomez, Rafinha und Luiz Gustavo saßen im Champions-League-Finale 2013 draußen und niemand hat je ein schlechtes Wort über den Trainer verloren. Heynckes hat mit jedem den direkten Austausch gesucht. Er hat allen immer klar und frühzeitig verdeutlicht, weshalb er im nächsten Spiel aufläuft oder nicht.
SPOX: Heynckes konnte aber genauso knallhart sein, oder?
Shaqiri: Klar. Er war ein Gentlemen, im Umgang jedoch gnadenlos. Das galt aber für alle und daher hat jeder diese Regeln akzeptiert. Wenn ein gestandener Spieler allein vor dem Tor stand und nicht abgespielt hat, dann hat er ihn ausgewechselt und beim nächsten Spiel saß er auf der Bank - weil Heynckes das im Vorfeld eben genauso angekündigt hatte.