Der dritte Wettkampftag der Winterspiele in Peking wird von einer Disqualifikations-Orgie im Skispringen überschattet, die auch deutsche Medaillen-Träume platzen lässt. Als Erklärungen bieten sich dabei nur sehr unappetitliche Szenarien an: Inkompetenz, Willkür - oder ist es sogar noch schlimmer? Olympia kompakt, diesmal als Kommentar.
Es ist kein Geheimnis, dass im Skispringen mit allen Tricks gearbeitet wird. Ski, Bindung, Anzug, Material: Der komplexe Sport und die Grauzonen im sich ständig anpassenden Regelwerk sorgen dafür, dass die Weltspitze bis an die Grenze des Regelwerks geht.
Gleichzeitig wird das Treiben der Konkurrenz argwöhnisch beäugt und gerne auch mal bei den Entscheidungsträgern der FIS angeprangert. Der Weltverband wiederum schaut dann mal mehr, mal weniger genau hin - das erinnert ein bisschen an die Formel 1.
Insofern passiert es durchaus in schöner Regelmäßigkeit, dass mal ein eingesetztes Teil die Grenzen des Erlaubten überschreitet und es Konsequenzen gibt. Es ist erst wenige Tage her, da bemängelte der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher beim Weltcup in Willingen eine nicht angemeldete Modifikation bei den Schuhen des polnischen Teams - zwei Springer wurden letzten Endes disqualifiziert. Im Skisprung-Zirkus weiß man, wie der Hase läuft.
Das heißt aber auch: Niemand aus den führenden Skisprung-Nationen wäre so wahnsinnig, sich ausgerechnet zu Olympischen Spielen angreifbar zu machen. Ausprobiert und ausgelotet wird vorher, zum Beispiel in Willingen. In Peking dagegen wird auf das kleinste Detail geachtet.
Er habe in den vergangenen Tagen ein Kilo Körpergewicht verloren, verriet etwa der Österreicher Stefan Kraft im ZDF - und seinen Anzug prompt "nachgenäht und enger gemacht". Bloß nichts riskieren.
Skispringen: Mixed-Wettbewerb als Farce
Was uns zum Mixed-Team-Wettbewerb vom Montag bringt. Die Anzüge von fünf Athletinnen (von insgesamt 20, also 25 Prozent der Teilnehmerinnen) wurden beanstandet, die Punkte aus den entsprechenden Sprüngen gestrichen. Athletinnen aus Deutschland, Japan, Österreich und Norwegen, allesamt Skisprung-Nationen, deren Anzüge beim Einzel - alle fünf landeten unter den Top 20 - zwei Tage zuvor nicht beanstandet wurden.
Kollektive Schummelei auf der Jagd nach dem Mixed-Gold bei braver Einhaltung der Regeln im Einzel? Kollektiver unbemerkter Gewichtsverlust, aber nur bei besagtem Quintett um die deutsche Silbermedaillengewinnerin Katharina Althaus?
Welche Erklärung man auch immer bemüht - am Ende steht der blanke Hohn. Ein Wettbewerb, der am Ende an Lächerlichkeit nicht zu überbieten war. Und so überboten sich die deutschen Protagonisten förmlich in ihrer Wut. "Kasperltheater", "Arschkarte", richtiger Mist", "skandalös", "bodenlose Frechheit", wetterten Althaus, Karl Geiger und die Führungsriege um Horngacher.
Skispringen: Genaue Kontrollen als Grund für Disqualifikationen?
Aber gut, vielleicht hat die FIS ja alles richtig gemacht, im Zweifel für den Angeklagten und so - und Regeln sind schließlich dafür da, um eingehalten zu werden, erst recht bei Olympischen Spielen.
Okay, spielen wir diese Variante einmal durch: Die Kontrolle der Anzüge nehmen normalerweise Männer bei Männern und Frauen bei Frauen vor. Diesmal hatte Männer-Kontrolleur Mika Jukkara - als harter Hund bekannt, der statt Verwarnungen gleich zur Disqualifikation greift - aber auch bei den Frauen kontrolliert, wie der sportliche Leiter Horst Hüttel anmerkte.
Hat also ein etwas übereifriger Herr Jukkara einfach ganz genau hingeschaut und die Regeln befolgt, die sonst eher lax angewendet werden? Dumm gelaufen für Althaus und Co.?
Ja wenn es denn so einfach wäre! Schließlich wurde Althaus auch vor ihrem ersten und einzigen Sprung kontrolliert - und da war noch alles in Ordnung. Und beim norwegischen Duo Anna Odine Stroem und Silije Opseth war im ersten Durchgang noch alles paletti - aber im Finale waren plötzlich beide Anzüge manipuliert?
Skispringen in Peking: Inkompetenz, Willkür oder ...?
Wie man es dreht und wendet: Am Ende bleiben nur absolute Inkompetenz, Willkür oder sogar Schlimmeres als mögliche Ursachen bestehen. "Wir haben mit Katha gesprochen. Sie sagt, sie ist komplett durchgecheckt worden, wie noch nie", verriet ein erregter Hüttel im ZDF. "Sie hatte das Gefühl: solange, bis irgendwas gefunden wurde." Althaus selbst betonte, sie sei in elf Jahren noch nie disqualifiziert worden.
Und ZDF-Experte Toni Innauer, 1980 Olympiasieger und seit Jahrzehnten im Skispringen beheimatet, unkte im Laufe der Übertragung offen: "Da werden Exempel statuiert, und zwar nicht nur eines, sondern vier. Mit großen Namen."
Er habe schon oft erlebt, dass Beschwerdeführer am nächsten Tag bestraft wurden. Mit anderen Worten: Eine mögliche Quittung für Kritik an den Verhältnissen im Einzel, als unter anderem Althaus Silber gewonnen hatte?
Man kann nur hoffen, dass an Innauers Vermutungen nichts dran ist, Belege nannte er nicht. So oder so bleibt ein Wettbewerb, der einen faden Nachgeschmack hinterlässt - und viele offene Fragen.
Jetzt muss aufgeklärt werden, und aufgeräumt. Weg mit den Grauzonen, weg mit den unterschiedlichen Kontrollen. Mehr Unabhängigkeit, weniger kollektives Misstrauen.
Ganz besonders bitter ist das Mixed-Desaster für die Frauen, die endlich ihren zweiten Olympia-Wettbewerb bekommen hatten. "Wir haben uns so darüber gefreut", sagte Althaus. "Die FIS hat das mit dieser Aktion zerstört. Ich finde, die haben das Damen-Skispringen zerstört."
Olympia: Die Entscheidungen am Montag
Wettbewerb | Ergebnis |
Eiskunstlauf: Teamwettbewerb | Russland gewinnt erstes Eiskunstlauf-Gold |
Ski alpin: Abfahrt Männer | Feuz holt Gold - Schwaiger stürzt schwer |
Snowboard: Slopestyle Herren | Parrot wird Olympiasieger |
Ski Alpin: Riesenslalom Damen | Nach Shiffrin-Aus: Hector gewinnt Riesenslalom-Gold |
Eisschnelllauf: 1.500 m Damen | Gold mit 35! Wüst schreibt olympische Geschichte |
Biathlon: Einzel Damen | Biathlon-Wahnsinn! Herrmann holt Gold |
Short-Track: 500 m Damen / 1.000 m Herren | Weiteres Gold für Chinas Shorttracker |
Skispringen: Mixed-Team | "Kasperltheater": Skisprung-Schock lässt Deutschland toben |
Sprüche des Tages (zusammengestellt vom SID)
"Ich habe ja dieses Jahr schon ordentlich auf die Fresse gekriegt, ich wusste aber einfach, dass ich es kann." (Biathlon-Olympiasiegerin Denise Herrmann im ZDF-Interview)
Mal gucken, was auf der Biathlon- und Langlauf-Etage so los ist." (Biathlon-Olympiasiegerin Herrmann freut sich auf die Rückkehr ins Olympische Dorf)
"Die Medaille lag unter dem Kopfkissen, nicht auf dem Kopfkissen. Einen Abdruck habe ich nicht im Gesicht." (Rodel-Olympiasieger Johannes Ludwig über die Nacht nach seiner Goldfahrt im Einsitzer)
"Ich habe vor dem vierten Lauf ein Kapitel weitergelesen, um mich etwas abzulenken. Das war ganz cool, weil es ein sehr spannendes Kapitel war. Es wurde aufgedeckt, wer der Bösewicht ist." (Rodel-Olympiasieger Johannes Ludwig über die Vorbereitungen auf den entscheidenden vierten Lauf, vor dem er zum Buch "Das Paket" von Sebastian Fitzek griff)
getty"Ich war brutal nervös, ich habe ganz schlecht geschlafen, bis jetzt nur ein Müsli und ein kleines Snickers gegessen. Ich war nicht nervös wegen des Rennens, sondern wegen der Kurve da unten, Ausfahrt 13." (Rodlerin Natalie Geisenberger über Kurve 13, die am Montag die Gold-Hoffnungen von Julia Taubitz zerstörte)
"Bei Olympia fangen sie an, anders oder mehr zu testen. Für mich ist das langsam ein Kasperltheater." (Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher im ZDF nach der Disqualifikation von Katharina Althaus im Mixed wegen eines angeblich nicht regelkonformen Anzugs)
"Der Weltverband hat heute das Damen-Skispringen zerstört." (Althaus zur Causa um ihren Sprunganzug)
"Meine Mutter sagte immer, dass ich in meinem Leben für alles länger gebraucht habe, fürs Gehen, Sprechen lernen, das gilt vermutlich auch für meine Ski-Karriere" (Johan Clarey, Frankreich, 41, als Zweiter in der Abfahrt nun ältester alpiner Medaillengewinner bei Olympia).
Zahlen des Tages
1 Die Fehleranzahl von Denise Herrmann bei 20 Schüssen im Einzelwettbewerb. 19-mal ins Schwarze, besser war an diesem Tag keine Biathletin. Das bedeutete dann auch am Ende Rang eins.
3 Medaillen hat Deutschland nach drei Tagen Winterspiele auf dem Konto. Das macht bislang Rang fünf im Medaillenspiegel.
4-fache Umdrehungen legte Russlands Eislauf-Wunderkind Kamila Valieva (15) bei ihrer Kür im Teamwettbewerb hin: Sie sprang einen vierfachen Salto und einen vierfachen Toeloop - das hatte es bei Olympia bisher noch nie gegeben.
12 Medaillen hat die ewige Ireen Wüst nach ihrem Triumph über die 1.500 Meter jetzt bei Winterspielen gesammelt, sechs davon schimmern golden. Ihren ersten Sieg feierte sie vor 16 Jahren in Turin, damals noch über 3.000 Meter.
21,22 Sekunden lagen im ersten Durchgang im Damen-Riesenslalom zwischen der späteren Olympiasiegerin Sara Hector (Schweden) und Kiana Kryeziu aus Kosovo.
29 der insgesamt 82 Starterinnen beim Damen-Riesenslalom schieden vor der Ziellinie aus. Zwei wurden disqualifiziert. Wohingegen Andrea Komsic (Kroatien) und Hanna Zieba (Polen) gar nicht erst antraten.