Kai Gronauer, ehemaliger Minor-League-Catcher bei den New York Mets, bewertet die Saison von Max Kepler, hat aber gewisse Bedenken, was die Zukunft des einzigen Deutschen in der MLB betrifft. Der 30 Jahre alte Trainer der Buchbinder Legionäre in der Baseball-Bundesliga spricht mit SPOX über die anstehenden Playoffs, die besten Catcher in der Liga und darüber, warum in dieser Saison so viele Homeruns geschlagen wurden wie noch nie zuvor.
SPOX: Herr Gronauer, wie sehen Sie Max Keplers erste volle Saison in der MLB?
Kai Gronauer: Super! Die Zahlen sind vollkommen in Ordnung. Ich habe zwar letztens noch gelesen - ich glaube, das war sogar bei euch -, dass er gegen Linkshänder nicht so oft spielt, obwohl er das eigentlich gerne tun möchte. Aber da kommt es eben auch auf die Zahlen an.
SPOX: Hat er sich denn nachhaltig bei den Twins etabliert?
Gronauer: Ich will hoffen, dass er sich gegen die starke Konkurrenz im Outfield der Twins weiterhin gut durchsetzt. Er kann sich nicht ausruhen, muss immer weiterarbeiten. Und im Moment finde ich das Outfield bei den Twins ein wenig überbesetzt. Vielleicht kommt auch ein Trade früher oder später zustande. Ich weiß nicht, wie wichtig der Max für die Twins ist. Vielleicht kommt der Tag, an dem die Twins beschließen, dass Max für sie am wertvollsten als Trade-Chip ist, um eine andere Lücke zu schließen. Und Max bekommt dann woanders eine Chance.
SPOX: Das klingt jetzt nicht vollends überzeugt ...
Gronauer: Na ja, ich denke mal, er ist noch ziemlich jung, aber eines Tages muss er einer der besten Schlagleute werden, sonst bleibt er nicht da. Er muss sich im oberen Mittelfeld festsetzen, aber ich traue ihm das zu. Das wird er schon schaffen.
SPOX: Der Playoff-Start steht kurz bevor. Was erwarten Sie, wen sehen Sie vorne?
imagoGronauer: Ich glaube, meine Voraussagen im SPOX-Panel Anfang der Saison waren gar nicht so schlecht. Ich glaube, ich lag bei den Giants falsch, hatte aber die Yankees und Red Sox. Die Nationals sind auch wieder dabei. Ich fand es ziemlich beeindruckend, was die Cleveland Indians gemacht haben mit ihren 22 Siegen hintereinander. Da sah man wirklich, was für eine Kadertiefe sie haben. Das waren nicht nur 20 Leute, die auf dem Platz standen. Jeder hat seinen Beitrag geleistet. Das war eine starke Vorstellung. Die Astros habe ich ebenfalls als Mitfavoriten gesehen, auch wenn sie ein paar Verletzungen hatten. Zum Beispiel hat Star-Shortstop Carlos Correa lange gefehlt. Aber insgesamt finde ich Houston immer noch superstark.
SPOX: Und wie sieht's in der National League aus?
Gronauer: Da glaube ich nicht, dass die Nationals wirklich mit oben dabei sein können. Die Dodgers sehen aber verdammt stark aus, nachdem sie eine Supersaison gespielt haben.
SPOX: Sicherlich. Mit ihren über 100 Siegen ...
Gronauer: Ja. Die hatten ja schon kurz nach dem All-Star-Break 85 Siege auf dem Konto.
SPOX: Diese Saison stand im Zeichen des Homeruns: Nie zuvor wurden so viele wie dieses Jahr geschlagen. Haben Sie eine Erklärung für diese Homerun-Explosion?
Gronauer: Genau weiß ich es natürlich nicht. Vielleicht ist es nur eine Saison, in der ein paar glückliche Umstände dazu geführt haben, dass die Bälle weiter fliegen. Die Stadien sind immer noch relativ groß. Ich weiß jedoch, dass heutzutage Spieler in den High-Schools, aus der Dominikanischen Republik oder Venezuela in einer Sache aufgeholt haben: nämlich im Training! Die Jungs sind heute von vornherein physisch stärker. Wer heute in die MLB kommt, ist viel besser trainiert als noch vor 15 oder 20 Jahren. Die Athletik im Spiel hat sich verdammt verbessert. Je stärker ein Spieler ist, desto weiter fliegt auch der Ball.
SPOX: Aber größere Stärke kann ja nicht der einzige Grund sein.
Gronauer: Richtig. Da kommt auch noch hinzu, dass die Umpires in den letzten Jahren für zu tiefe Strikezones kritisiert wurden. Also versuchen die Umpire, daran zu arbeiten. Das Ergebnis ist, dass Pitcher wieder häufiger hohe Strikes werfen. Und werden diese getroffen, fliegen die Bälle auch dadurch weiter.
SPOX: Könnte das auch mit Pitch-Selection zu tun haben? Der Trend geht ja eher zu Off-Speed-Pitches.
Gronauer. Genau. Die Yankees etwa werfen mittlerweile 65 oder mehr Prozent Off-Speed-Pitches. Die meisten Hitter sind davon vielleicht nicht so begeistert, denn Breaking Pitches sind schwerer zu schlagen als Fastballs. Aber macht man mit dem Breaking Ball einen Fehler, wird man dafür eher mit einem Homerun bestraft als mit einem Fastball. Das hat mit physikalischen Gesetzen zu tun. Der Schläger ist ein bisschen weiter draußen, der Ball ist oben in der Zone und wenn der Ball mit dem Extra-Spin auf den Schläger trifft, fliegt der Ball eben weiter. Wenn du natürlich mehr und mehr Breaking Balls wirfst, dann machst du vielleicht mehr Leute aus, aber es passieren auch mehr Fehler und dann fliegt auch der Ball mal weiter. Das ist ein Faktor, der zu mehr Homeruns beitragen kann. Aber ob das wirklich so ist, kann ich nicht sagen.
SPOX: Da haben wir nun also ein paar weitere Erklärungsansätze, aber keiner weiß es ganz genau.
Gronauer: (lacht) Das war ja gerade eine Statistik, mit der Sie mich konfrontiert haben. Ich hatte drei Jahre Statistik an der Uni und alles, was statistisch festgehalten ist, liegt in der Vergangenheit. Solange man nicht die Ursache erforscht hat, können Sie diese Statistiken wunderschön zusammenfassen, wissen aber nicht, woran es lag. Genau diese Ursachen muss man eben ergründen. Mögliche Faktoren habe ich genannt. Es könnte auch sein, dass die Pitcher schlechter geworden sind. Aber die Pitcher werfen auch immer härter, also kann ich mir nicht vorstellen, dass die Pitcher schlechter geworden sind.
SPOX: Wo Sie schon die Pitcher ansprechen. Derzeit herrscht rund um die MLB die Diskussion, die Geschwindigkeit des Spiels zu erhöhen. Ein Mittel dafür wäre eine Pitch Clock, ähnlich einer Shot Clock im Basketball. Was halten Sie von dieser Idee?
Gronauer: Das finde ich unsinnig. Man hat jetzt schon den Videobeweis und es gibt diverse andere Speed-Up-Rules im Baseball. Man kann einfach ein Spiel, das keine Zeitbegrenzung hat, nicht von dreieinhalb auf eineinhalb Stunden herunterschrauben. Natürlich gibt es vereinzelt auch kurze Spiele - und sehr lange. Jetzt auch noch eine Zeitbegrenzung für den Pitcher einzuführen, ist übertrieben. Mir hat man mal gesagt, dass der Pitcher den Spielfluss kontrolliert. Und ein Pitcher ist einer der wichtigsten Spieler auf dem Platz, denn solange er den Ball nicht wirft, passiert auch nichts. Und weil er eben eine so hohe Verantwortung hat, wäre es in meinen Augen auch unsinnig, wenn man ihn dazu zwingt, sein eigenes Tempo nicht gehen zu dürfen. Beim Fußball gibt es 90 Minuten. Aber man spielt ja nicht 90 Minuten lang nur Vollgas nach vorne, sondern hat mal eine Drangperiode, aber auch wieder Phasen, in denen man das Tempo rausnimmt. Und genauso ist es bei einem Pitcher auch, um sich wohlzufühlen. Ich glaube, dass mit einer Pitch Clock dem Spiel nicht wirklich geholfen ist.
SPOX: Eine weitere Maßnahme soll sein, Trips des Catchers auf den Mound zu limitieren. Was mich interessiert: Wie effektiv sind solche Besuche beim Pitcher wirklich? Was sagt man da als Catcher?
Gronauer: Mound-Trips können verschiedene Gründe haben. Wenn ich einfach nur als Catcher rausgehe, dann kann es sein, dass ich nur den nächsten Schlagmann besprechen möchte oder wie sich die Situation darstellt. Es kann darum gehen, ein Missverständnis bei den Zeichen auszuräumen. Oder ich muss dem Pitcher in den Hintern treten, weil der ein bisschen härter arbeiten müsste. Wenn der Pitching Coach dazu stößt, kann es ähnlich sein. Aber er hat einen anderen Blickwinkel und sieht auch mal was Mechanisches. Ein Catcher kann so etwas theoretisch auch sehen, aber der sieht den Pitcher eben nur von vorne. Der Catcher darf so oft er will auf den Mound gehen, aber es wäre auch blöd, wenn er das nicht mehr dürfte. Stellen Sie sich vor, Pitcher oder Catcher hätten die Zeichen vergessen. Das wäre dann eine unschöne Situation.
SPOX: Kann ich mir vorstellen. Nun haben wir so viel über Ihre frühere Rolle als Catcher gesprochen. Dann werden wir doch mal konkret. Wer ist für Sie der beste Catcher der MLB?
Gronauer: Defensiv oder offensiv? Oder insgesamt?
SPOX: Insgesamt.
Gronauer: Lassen Sie uns das mal durchgehen ... Ich bin ja ein Riesenfan von Yadier Molina (St. Louis Cardinals, Anm. d. Red.). Er hat defensiv einfach neue Standards gesetzt mit seiner Art zu catchen. Ein ganz toller Catcher in meinen Augen. Wenn man beides betrachtet, ist es im Moment Gary Sanchez (New York Yankees, Anm. d. Red.). Der catcht auch ganz gut. Wenn jemand schlagen kann als Catcher, dann denkt man normalerweise, dass er vielleicht nicht der beste Catcher ist - so wie früher Mike Piazza. Dabei musst du als Catcher in erster Linie defensiv für die Mannschaft da sein. Es gibt aber auch ein paar andere junge Catcher, wie Roberto Perez von den Indians, gegen den ich noch gespielt habe in den Minors. Der ist ein richtig guter Catcher, der sowohl defensiv als auch offensiv überzeugt. Yasmani Grandal von den Dodgers hat sich gut gemacht. Zudem darf man Buster Posey von den San Francisco Giants nie vergessen, auch wenn er dieses Jahr eine schlechte Mannschaft um sich hat. Wenn ich mich aber festlegen müsste, dann wäre es defensiv auf jeden Fall Molina und offensiv Sanchez.
SPOX: Bei Gary Sanchez gab es vor kurzem die Diskussion, dass er zu viele Wild Pitches und Passed Balls zugelassen hat. Ist das ein großes Problem, kann man es leicht beheben? Oder wäre es auf lange Sicht besser, ihn etwa an die erste Base zu stellen?
Gronauer: Wenn es wirklich nicht klappen sollte, und wenn er auch offensiv zu stark ist, dann gäbe es Defensivspezialisten. Zur Not findet man eine andere Position für ihn. Man will ja nicht, dass er sich die Knie und Beine kaputt macht, wenn er einer der besten Schlagmänner der Liga ist. In dem Fall würde man später eine andere Position für ihn finden.
SPOX: Und wie sieht es andersrum aus? Wenn einer Defensivspezialist ist?
Gronauer: Dann wird es schwerer nach ganz oben zu kommen. Das war bei mir nicht anders. Jeder Scout, mit dem ich gesprochen habe, sagte: "Auf jeden Fall Major-League-ready, aber beim Hitting fehlt es halt noch ein bisschen." Da sind dann eben andere in die MLB gekommen, die ohne Ende hauen konnten, auch wenn sie meist keine richtige Position hatten. Im Moment ist es bei Sanchez wahrscheinlich so, dass er, solange er so viele Homeruns schlägt wie jetzt, auch mal ein paar Bälle durchlassen kann. Auf lange Sicht muss er aber entweder aufhören, Bälle durchzulassen, um weiter zu catchen. Wenn das nicht funktioniert, findet man eben eine neue Position für ihn. Aber das wissen die Yankees besser als ich. (lacht)
Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.