Musik liegt in der Luft
"Wie ein brennendes Fieber, wie ein Stück Glückseligkeit, ein längst vergess'ner Traum erwacht zum Leben" - so sang Katja Ebstein vor neununddreißig Jahren über das Theater. Theater gibt's auf Schalke traditionell auch immer reichlich - vor allem, wenn es sportlich nicht läuft. So wie in dieser Saison: in der Bundesliga weit hinter den Erwartungen zurück, die fußballerische Entwicklung stagniert, in der Champions League der Underdog gegen die scheinbar übermächtigen Citizens aus Manchester, im Pokal geht es gegen die Düsseldorfer Fortuna - auch alles andere als Laufkundschaft.
Das ginge ja alles noch, wären da nicht auch noch hausgemachte Probleme, die der Schalker Seele von innen her zusetzen. Der neidische, hilflose Blick zum ungeliebten Nachbarn in die verbotene Stadt etwa, der seit einigen Jahren äußerst erfolgreiches Scouting praktiziert, das einerseits in enormen Transfererlösen, andererseits auch guten Neuverpflichtungen mündet. Schalkes Transferbilanz dagegen liest sich auf den ersten, aber auch auf den zweiten Blick ernüchternd: Allein in dieser Saison hat der S04 über sechzig Millionen Euro nur an Ablösesummen verbraten, im Jahr davor waren es fast fünfzig, und in Christian Heidels erstem Jahr noch einmal über vierzig. Selbst wenn man etwa 110 Millionen Euro an Transfereinnahmen dagegenrechnet, bleibt ein Transferminus von etwa vierzig Millionen, das zu Buche schlägt. Eine qualitative Verbesserung im Kader lässt sich aber weder fußballerisch noch tabellarisch feststellen. Im Gegenteil: es sind eher Missverständnisse, die den Weg säumen. Verletzungsopfer wie Badstuber, Baba oder Coke, Leihgeschäfte ohne Zukunft wie Höjbjerg oder Pjaca - dazu ablösefreie Abgänge von fußballerischer Qualität, die auch heute noch wehtun, beispielsweise in den Fällen von Huntelaar, Kolasinac, Matip oder Goretzka.
Stimmungsknaller der besonderen Art
Dazu kommen mannschaftsinterne Probleme, die sich etwa darin äußern, dass nächtliche Discotouren oder persönliche Probleme einzelner Spieler in den Medien breitgetreten und diskutiert werden. Das erneute Absägen eines Mannschaftskapitäns - selbst wenn es leistungsmäßig gerechtfertigt sein mag - und Herumgemopper einzelner Spieler tragen weiterhin nicht dazu bei, dass der Eindruck entsteht, es handele sich um eine homogene Mannschaft. Die feinfühlige Schalker Kurve, die lange Zeit stimmungstechnisch die schützende Hand über die Mannschaft gehalten hatte, wurde ebenfalls unruhig. Die fortwährende Rotation, unverständliche Wechsel und blutleere Auftritte des Kaders sorgen für sarkastische Gesänge auf Auswärtsfahrten, vor allem aber gibt es die ersten Gerüchte über eine mögliche Ablösung von Sportvorstand Heidel. Namen wie Jonas Boldt oder Horst Heldt machen die Runde, und trotz entsprechender Dementis aus dem Aufsichtsrat bleibt ein fader Beigeschmack.
Das besungene "Stück Glückseligkeit" von Katja Ebstein jedenfalls haben Schalker schon ziemlich lange nicht mehr gespürt. Spielerische Glanzstücke hat die Mannschaft schon seit Jahren nicht mehr produziert, und angesichts einer andauernden Verletzungs- und Sperrenmisere ist auch nicht damit zu rechnen, dass die Knappen plötzlich den fußballerischen Turbo zünden. Es ist ein langer, harter, anstrengender Weg, den die Königsblauen gehen - und das gilt nicht nur für die Spieler oder den Trainerstab, sondern auch für das Umfeld, das sehnsüchtig nach Osten schielt, wo Fußball gespielt wird, der Spaß macht. Und auch noch erfolgreich ist. Schalke hingegen wird auch weiterhin noch einige Zeit den eigenen Erwartungen hinterherhinken. Immerhin hat man infrastrukturell durch die Planungen für das "Tor auf Schalke" die Zukunft eingeläutet. Damit das "Fieber wieder brennt" und am Ende auch noch ein "längst vergess'ner Traum" wieder zum Leben erwacht: schneller, erfolgreicher Fußball mit einer Mannschaft aus engagierten, traditions- und verantwortungsbewussten Fußballern, die verstanden haben, dass Schalke mehr sein kann als nur eine Momentaufnahme in der eigenen
Fußballerlaufbahn.
Auf los geht's los!
Jetzt aber steht erst einmal das Theater gegen die Fortuna vor der Tür. Mit Kapitän Fährmann im Tor, mit einem zuletzt konstant guten Nabil Bentaleb in der Mittelfeldzentrale - und vielleicht mit dem neuen Hoffnungsträger Rabbi Matondo in der Startformation. Ein gutes Spiel gegen den rheinischen Nachbarn könnte eine Menge Schwung für das schwierige Bundesligaspiel am Wochenende in München geben. Schwung kann Schalke gebrauchen - für eine Rückrunde, die vielleicht doch noch nicht abgehakt werden muss und ein Auswärtsspiel, das entgegen der Tabellensituation nicht verloren gehen muss.