21.08.2008 um 00:29 Uhr
Alles Interpretationssache
Wenn Fußball-Fans sonst nichts zu reden haben, dann gibt es ja zum Glück noch die Schiedsrichter. Netterweise bieten sie ja auch zum diesjährigen Saisonstart Stoff bis zum Abwinken. Die beiden Elfmeter, die Thorsten Kinhöfer im Spiel Bayern – HSV pfiff sind immer noch in aller Munde. Auch auf diesen Seiten. Viel will ich zu diesem Thema gar nicht sagen, verweise aber auf den Artikel von Stefan Moser. Nur so viel: Ich habe kein Problem damit, dass bei Halten und Klammern im Strafraum Elfmeter gepfiffen wird. Nur würde ich es auch gerne sehen können. Und bei Mathijsen gegen Schweinsteiger, da habe ich nichts gesehen. Jedenfalls nicht, als der Schiedsrichter pfiff.
Aber im Fußball ist schließlich aller Ermessenssache. Das haben wir Premiere-Kommentatoren bei unserer Saisonvorbereitungsveranstaltung in München gelernt. Da wurde uns nämlich die gleiche berüchtigte DVD mit 36 Fallbeispielen gezeigt wie den Bundesligaklubs. Erläutert wurde uns das Ganze von DFB-Schiedsrichtersprecher Manfred Amerell. Eins wurde dieses Jahr noch deutlicher als im Jahr davor: Die Schiedsrichter haben einen extrem großen Ermessensspielraum. Weil viele Regeln keine klaren Definitionen enthalten. Schließlich passieren im Spiel so viele unvorhersehbare Dinge, dass man unmöglich für alles Regeln definieren kann.
Nehmen wir nur einmal das Handspiel. Zwei Kriterien gibt es. Erstens: War es Absicht? Und Zweitens: Wenn nein, war die Hand dann irgendwo, wo sie nicht hingehört? Und schon sind wir genau dort, wo die Diskussionen anfangen: Im Bereich der Interpretation nämlich. Und da kann man fast alles irgendwie vertreten. Und eben das war auch Amerells Botschaft an uns: Ganz viele Situationen sind einfach nicht eindeutig. Solltet Ihr also den Eindruck haben, dass sich die Premiere-Kommentatoren in kniffligen Situationen nicht mehr richtig festlegen, wisst Ihr ja jetzt, woran es liegt.
Ganz schön clever übrigens, diese Schiedsrichter: Wenn fast alles Interpretationssache ist, dann gibt es ja auch kaum noch echte Fehlentscheidungen. Trotzdem: Festgelegt haben sich die deutschen Schiedsrichter in zwei Szenen der gerade abgelaufenen Europameisterschaft, beide auf der berüchtigten DVD, die alle Mannschaften präsentiert bekamen. Der Platzverweis gegen Bastian Schweinsteiger im Kroatienspiel war zu hart. Da hätte es Gelb auch getan. Der für den türkischen Keeper Volkan gegen Tschechien war dagegen gerechtfertigt. Denn Schweinsteigers Schubser geschah im Affekt und war nicht so heftig, der von Volkan kam dagegen nicht unmittelbar nach einer Provokation. Ich sage euch ja, wir bewegen uns hier im Bereich der Interpretation. Das kann man nämlich auch anders sehen.
Tja, und dann kommentiere ich am ersten Pokalwochenende die Partie Aue gegen St. Pauli. Für alle, die es nicht gesehen haben: Zwanzig Meter vor dem Hamburger Tor geht Aues Glasner ziemlich rüde in einen Zweikampf mit Paulis Eger. Der weicht aus, dreht sich und schubst den Gegner zu Boden. Glasner greift sich ins Gesicht und bricht schreiend zusammen. Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigt Eger glatt Rot. Auf den ersten Blick nachvollziehbar, das wirkte wie eine Tätlichkeit. In der Zeitlupe sah man dann aber, dass Eger Glasner gar nicht im Gesicht traf. Sein Schubser streifte den Auer nur an der Schulter, trotzdem sank der zu Boden wie von Mike Tyson getroffen.
Dass Eger Glasner gar nicht im Gesicht erwischte, konnte Gräfe aus seiner Position kaum sehen. Deshalb kein Vorwurf an den Unparteiischen. Aber jetzt kommt es: Das Sportgericht verurteilte Eger wegen Tätlichkeit zu drei Spielen Sperre. Über Glasners Schauspielerei: kein Wort. Dabei traf auf Eger zu, was auch schon bei Schweisteiger galt: Affektreaktion nach Provokation, der Schubser nicht so schlimm. Da sind wir wieder im Bereich Interpretation.
Bei allem Halten, Ellenbogenschlagen und was die deutsche Schiedsrichtergilde sonst noch so erzürnt: Mir geht ja vor allem die Schauspielerei auf den Wecker. Was Glasner in der beschriebenen Szene gemacht hat, das war die Definition von unsportlichem Verhalten. Er hat mit seinem Theater einen Platzverweis provoziert, den es sonst womöglich gar nicht gegeben hätte. Und wird vom Sportgericht auch noch bestätigt. Unfassbar.
Ich fordere im Übrigen gar nicht, dass die Schiedsrichter selbst in solchen Fällen eingreifen. Und ich will auch nicht darüber diskutieren, ob ein Tritt einen Spieler im Strafraum so hart traf, dass er fallen musste. Wer will so etwas auch wirklich beurteilen? Aber: Spieler, die fallen, obwohl sie eindeutig nicht berührt wurden, gehören nachträglich gesperrt (wie einst Andy Möller). Und das Gleiche sollte für Spieler gelten, die zusammenbrechen und sich jammernd Körperteile halten, an denen sie gar nicht getroffen wurden. Wie Glasner eben.
Für so etwas ist das Sportgericht da. Aber so lange man die Schauspieler auch noch bestärkt, wird sich bestimmt nichts ändern. Zum Schluß noch einmal zurück zur eingangs erwähnten härteren Linie bei Festhalten im Strafraum. Was mich interessiert ist Folgendes: Wer hat sich eigentlich beschwert, dass unsere Schiedsrichter die Regeln nicht streng genug auslegen? Den würde ich gerne einmal kennen lernen.
Bis bald,
Andreas
Aber im Fußball ist schließlich aller Ermessenssache. Das haben wir Premiere-Kommentatoren bei unserer Saisonvorbereitungsveranstaltung in München gelernt. Da wurde uns nämlich die gleiche berüchtigte DVD mit 36 Fallbeispielen gezeigt wie den Bundesligaklubs. Erläutert wurde uns das Ganze von DFB-Schiedsrichtersprecher Manfred Amerell. Eins wurde dieses Jahr noch deutlicher als im Jahr davor: Die Schiedsrichter haben einen extrem großen Ermessensspielraum. Weil viele Regeln keine klaren Definitionen enthalten. Schließlich passieren im Spiel so viele unvorhersehbare Dinge, dass man unmöglich für alles Regeln definieren kann.
Nehmen wir nur einmal das Handspiel. Zwei Kriterien gibt es. Erstens: War es Absicht? Und Zweitens: Wenn nein, war die Hand dann irgendwo, wo sie nicht hingehört? Und schon sind wir genau dort, wo die Diskussionen anfangen: Im Bereich der Interpretation nämlich. Und da kann man fast alles irgendwie vertreten. Und eben das war auch Amerells Botschaft an uns: Ganz viele Situationen sind einfach nicht eindeutig. Solltet Ihr also den Eindruck haben, dass sich die Premiere-Kommentatoren in kniffligen Situationen nicht mehr richtig festlegen, wisst Ihr ja jetzt, woran es liegt.
Ganz schön clever übrigens, diese Schiedsrichter: Wenn fast alles Interpretationssache ist, dann gibt es ja auch kaum noch echte Fehlentscheidungen. Trotzdem: Festgelegt haben sich die deutschen Schiedsrichter in zwei Szenen der gerade abgelaufenen Europameisterschaft, beide auf der berüchtigten DVD, die alle Mannschaften präsentiert bekamen. Der Platzverweis gegen Bastian Schweinsteiger im Kroatienspiel war zu hart. Da hätte es Gelb auch getan. Der für den türkischen Keeper Volkan gegen Tschechien war dagegen gerechtfertigt. Denn Schweinsteigers Schubser geschah im Affekt und war nicht so heftig, der von Volkan kam dagegen nicht unmittelbar nach einer Provokation. Ich sage euch ja, wir bewegen uns hier im Bereich der Interpretation. Das kann man nämlich auch anders sehen.
Tja, und dann kommentiere ich am ersten Pokalwochenende die Partie Aue gegen St. Pauli. Für alle, die es nicht gesehen haben: Zwanzig Meter vor dem Hamburger Tor geht Aues Glasner ziemlich rüde in einen Zweikampf mit Paulis Eger. Der weicht aus, dreht sich und schubst den Gegner zu Boden. Glasner greift sich ins Gesicht und bricht schreiend zusammen. Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigt Eger glatt Rot. Auf den ersten Blick nachvollziehbar, das wirkte wie eine Tätlichkeit. In der Zeitlupe sah man dann aber, dass Eger Glasner gar nicht im Gesicht traf. Sein Schubser streifte den Auer nur an der Schulter, trotzdem sank der zu Boden wie von Mike Tyson getroffen.
Dass Eger Glasner gar nicht im Gesicht erwischte, konnte Gräfe aus seiner Position kaum sehen. Deshalb kein Vorwurf an den Unparteiischen. Aber jetzt kommt es: Das Sportgericht verurteilte Eger wegen Tätlichkeit zu drei Spielen Sperre. Über Glasners Schauspielerei: kein Wort. Dabei traf auf Eger zu, was auch schon bei Schweisteiger galt: Affektreaktion nach Provokation, der Schubser nicht so schlimm. Da sind wir wieder im Bereich Interpretation.
Bei allem Halten, Ellenbogenschlagen und was die deutsche Schiedsrichtergilde sonst noch so erzürnt: Mir geht ja vor allem die Schauspielerei auf den Wecker. Was Glasner in der beschriebenen Szene gemacht hat, das war die Definition von unsportlichem Verhalten. Er hat mit seinem Theater einen Platzverweis provoziert, den es sonst womöglich gar nicht gegeben hätte. Und wird vom Sportgericht auch noch bestätigt. Unfassbar.
Ich fordere im Übrigen gar nicht, dass die Schiedsrichter selbst in solchen Fällen eingreifen. Und ich will auch nicht darüber diskutieren, ob ein Tritt einen Spieler im Strafraum so hart traf, dass er fallen musste. Wer will so etwas auch wirklich beurteilen? Aber: Spieler, die fallen, obwohl sie eindeutig nicht berührt wurden, gehören nachträglich gesperrt (wie einst Andy Möller). Und das Gleiche sollte für Spieler gelten, die zusammenbrechen und sich jammernd Körperteile halten, an denen sie gar nicht getroffen wurden. Wie Glasner eben.
Für so etwas ist das Sportgericht da. Aber so lange man die Schauspieler auch noch bestärkt, wird sich bestimmt nichts ändern. Zum Schluß noch einmal zurück zur eingangs erwähnten härteren Linie bei Festhalten im Strafraum. Was mich interessiert ist Folgendes: Wer hat sich eigentlich beschwert, dass unsere Schiedsrichter die Regeln nicht streng genug auslegen? Den würde ich gerne einmal kennen lernen.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 3601 | Kommentare: 12 | Bewertungen: 13 | Erstellt:21.08.2008
ø 9.8
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
22.08.2008 | 13:40 Uhr
0
BOD :
Nützliche änderungen:1. Nicht jeden Körperkontakt und jedes Trikotzupfen abpfeifen (auch wenn es nah an einer Tätlichkeit sein sollte!)
2. Nur noch die Spielführer dürfen mit dem Schiri reden.
3. Videobeweis bei möglichen Elfmeterentscheidungen, "Wembley-Toren" und eventuellen Tätlichkeiten. Hier gibt es nämlich so oder so oft Unterbrechungen, da könnte man auch dort den Videobeweis einführen.
4. Sperrung von Schauspielern.
0
COMMUNITY LOGIN
Statistik
Das selbe sieht man aber auch bei den Junioren.
U21, U18 - N11.
Da sieht man Schauspielereien nie. Das geht erst los, wenn man
die Spielweise der Profis adaptiert.
Das wird ja auch noch als "clever" von allen Seiten dargestellt.
Daran muss sich was ändern. Es muss von allen geächtet werden. Nicht nur bestraft vom Schiri, sondern auch von den Fans (auch den eigenen), den Journalisten etc.
Ich würde sagen Rot für eindeutige Schwalben, denn das zählt ja als grobe Unsportlichkeit.
Aber auch Elfer wenn es ein Foul gibt. Also auch Schubsen, Ziehen etc.
Jeder der selber mal gespielt hat, weiss wie nervig das ist, wenn man bei Standards nur auf die Fresse bekommt.