Alex Feuerherdt. Verlagslektor,
freier Publizist, Schiedsrichter, Fußballlehrwart
und ein Teil von Collinas Erben. In seinem
eigenen Blog - "Lizas Welt" - schreibt er über Politik, speziell über den Nahostkonflikt, und
den FC Bayern München.
Servus Alex. Aufgrund der Aktualität kommen wir natürlich nicht drumherum und wenden uns als Erstes dem FC Bayern München zu.
Seit 5 Jahren fährt der FC Bayern in das Emirat Katar, um sein Wintertrainingslager abzuhalten. Die besten Bedingungen sollen dort vorherrschen. Eine Art Wohlfühloase unter der arabischen Sonne. Man nahm Notiz davon. Doch in diesem Jahr ist das Echo in der Presse gewaltig. Warum erst jetzt?
Das liegt vermutlich daran, dass Katar erst so richtig in die Kritik geraten ist, als die grausamen Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen und die daraus resultierenden Todesfälle einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Im Zuge dessen wurde auch die generelle menschenrechtliche Situation in diesem Land häufiger in den Medien thematisiert. Dass die WM 2022 dort stattfinden soll, bleibt deshalb weiterhin ein Streitpunkt. Dadurch ist nun auch die Reise der Bayern dorthin stärker in den Fokus gerückt als in den vergangenen Jahren. Es war ja auch ein bisschen absurd: Alles diskutiert über Katar, aber die Bayern fahren da hin, als ob nichts wäre.
Das Fass zum Überlaufen brachte dann der Kurztrip nach Riad der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Die politische Lage dort sollte eigentlich allen bekannt sein, umso erstaunlicher, dass der FC Bayern diesem Testspiel zusagte. Was ging dir durch den Kopf, als du davon erfahren hast?
Ich war enttäuscht und befremdet, aber auch verwundert. Nach Saudi-Arabien zu fahren ist, verglichen mit Katar, noch mal eine Nummer schlimmer, und ich hatte gehofft, dass es wenigstens da für den Klub eine Grenze gibt, die er nicht überschreitet. Man legt beim FC Bayern ja sonst großen Wert auf den Einsatz gegen Antisemitismus und Rassismus und für die Menschenrechte, deshalb hatte ich erwartet, dass man auch hier konsequent ist. Das Testspiel hätte niemals vereinbart werden dürfen.
In den sozialen Netzwerken entbrannte eine heftige Debatte. Als Vorreiter möchte ich hier mal den Twitterer @agitpopblog nennen, der einen offenen Brief an den FC Bayern verfasste. Wärst auch du bereit deine Mitgliedschaft aufzukündigen?
Hier ist der Brief zum nachlesen.
Ich möchte vorher noch bis zur Jahreshauptversammlung dafür kämpfen, dass es eine klare Ankündigung seitens der Klubführung gibt, nicht mehr in Länder wie Katar und Saudi-Arabien zu fahren. Genau das sollte auf der JHV von Mitgliedern gefordert werden - es gibt diesbezüglich bereits Pläne-, und wenn sich abzeichnet, dass kein Redebeitrag möglich ist, bin ich für eine Kundgebung vor der Veranstaltungshalle. Ein Austritt ist für mich die letzte Option, aber wenn sich nichts ändert, würde ich sie ziehen.
Letzten Mittwoch gab es vom Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG eine Stellungnahme zur öffentlichen Kritik am Verein oder nennen wir es besser einen Versuch einer Stellungnahme. Kein Wort über Katar oder mögliche Änderungen. Erstaunt darüber?
Ehrlich gesagt: nein. Ich glaube, Karl-Heinz Rummenigge dachte, dass sich die Kritik schnell wieder legen wird und dass der Klub das Ganze aussitzen kann und dann wieder seine Ruhe hat. Um etwas anderes ging es ihm ohnehin nicht. Als er dann aber merkte, dass die Zahl der kritischen Kommentare eher zu- als abnimmt, hat er sich zu einer Stellungnahme gezwungen gesehen. Die war erkennbar ziemlich hastig formuliert und bezog sich auch nur auf den Trip nach Saudi-Arabien. Vielleicht hat Rummenigge angenommen, auf diese Weise die Kritiker zumindest besänftigen zu können - die nächste Fehleinschätzung. An ein Ende der Geschäftsbeziehungen zu Katar denkt man beim FC Bayern jedenfalls offenbar nicht. Und was nach der Erklärung kam - ich denke vor allem an diese anonyme Retourkutsche gegenüber Theo Zwanziger auf der Website des Klubs-, war nur noch peinlich und unwürdig.
Der Verein bezeichnet sich selber immer als Global Player. Lässt sich dies in der heutigen Zeit denn überhaupt noch mit den ethischen und moralischen Werten des Vereins vereinbaren?
Ich sehe die ganzen Deals von Barça, Real, ManCity & Co. mit islamistischen Autokratien - Stichwort: Qatar Foundation, Fly Emirates etc. - sehr kritisch und möchte nicht, dass mein Lieblingsklub ähnlich oder gar genauso handelt. So, wie der FC Bayern zurzeit dasteht, scheint es ja tatsächlich auch anders zu gehen und da könnte man auch auf die Kooperation mit Katar noch verzichten, auf die mit den Saudis ohnehin. Alternativen gibt es wahrlich genug. Bei Borussia Dortmund sagen sie: "Wir haben schon vor Jahren beschlossen, dass wir grundsätzlich kein Spiel in einem Land absolvieren werden, das breite Schichten der Bevölkerung diskriminiert, ihnen das Stadionerlebnis verbietet und sich einem Dialog über das Thema Menschenrechte kategorisch verschließt." Das würde ich vom FC Bayern auch gerne hören. Dass er ein Global Player ist, sollte dem nicht entgegenstehen.
Deine ganz persönliche Meinung Alex. Wird der Verein dieses Thema noch mal auf seine Agenda setzen oder versucht er es auszusitzen, nach dem Motto: Zeit heilt alle Wunden.
Von selbst wird er es wohl nicht mehr auf die Agenda setzen, deshalb wird es an den kritischen Fans sein, das zu tun. Wie gesagt: Ende des Jahres findet die nächste JHV statt.
"Hoffen wir mal, dass uns dieses Thema noch eine Weile begleiten wird."
Gehen wir aber mal zu deinem Hobby über, die Schiedsrichterei. Im Volkstenor heißt es ja so süffisant: Wer nichts wird, wird Wirt oder auch Wer nicht Kicken kann wird Schiedsrichter. War Letzteres bei dir auch so?
Auf jeden Fall - ich müsste lügen, wenn ich etwas anders behaupten wollte. Ich war ein leidenschaftlicher Kicker, aber kein guter, wurde im Verein mal hier und mal da aufgestellt. Und mal überhaupt nicht. Dann soll ich in der B-Jugend in einem Spiel zwei Elfmeter verursacht haben. Ich war stinkesauer und hab dem Schiri, der vielleicht zwei Jahre älter war als ich, nach dem Schlusspfiff gesagt: Pass auf, was du kannst, kann ich auch und sogar besser, ich mach jetzt auch meine Prüfung. Ich wollte unbedingt am Wochenende weiter auf dem Platz stehen, und weil das als Spieler nicht regelmäßig möglich war, hab ich gedacht: Dann versuchst du es halt als Schiedsrichter. Spannend fand ich die Idee ohnehin.
Oftmals stellt man sich die Frage nach der berühmten Kinderstube. Du hast nun schon Oberliga sowie in den untersten Ligen gepfiffen. Ist es eigentlich nur ein Klischee, je niedriger die Liga umso schlimmer die Zuschauer?
Der Spruch passt eigentlich eher zu den Spielern. In den unteren Klassen wird oft noch richtig kernig und ehrlich beleidigt, in den oberen kommt die Kritik teilweise eher verklausuliert daher und ist dadurch auch schwerer zu kontern. Zuschauer gibt es in den Kreisligen ja ohnehin kaum.
Alex Feuerherdt bei der Ausübung seines Hobbys
Mein Vater ist mit seinen 64 Lenzen immer noch als Schiedsrichter aktiv. Eigentlich kann man solch ein Engagement nicht hoch genug anrechnen. Aber auch er hat schon mal den Zorn der Zuschauer am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ist dir Ähnliches auch schon mal widerfahren?
Klar bin ich beschimpft und beleidigt worden, geschlagen wurde ich allerdings zum Glück nie. Mit der Zeit lernt man einigermaßen, die Reaktionen der Zuschauer wegzustecken oder sogar weitgehend auszublenden. Sie richten sich ohnehin in der Regel nicht gegen den Schiedsrichter als Menschen, sondern gegen den Schiedsrichter in seiner Funktion als Spielverderber. Mit vielen Zuschauern bin ich nach meinen Spielen ins Gespräch gekommen. Wenn sich die Gemüter wieder einigermaßen beruhigt haben, kann man mit den meisten reden. Und dann nähert man sich auch an.
Du hast auch das Amt des Lehrwartes inne. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Ich bin in Köln verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Schiedsrichter. Das heißt, ich akquiriere gemeinsam mit meinem Team neue Unparteiische, schule die Schiedsrichter regelmäßig in Theorie und Praxis, bereite sie auf Prüfungen vor, erkläre ihnen Regeländerungen, stehe für ihre Fragen zur Verfügung und vieles mehr.
"Lange hat sich die Liga gegen Neuerungen gewehrt. Nun ging es Schlag auf Schlag. Seit dem 8.Spieltag ist das Freistoßspray im Einsatz und ab der kommenden Saison hält das Hawk Eye Einzug in der 1.Liga."
Speziell das Freistoßspray wird noch immer belächelt. Schaut man aber auf die Statistiken der direkt verwandelten Freistöße, muss man sagen, das Spray hat sich schon jetzt gelohnt. Gab es schon Feedback, wie das Spray bei Spielern und Schiedsrichtern ankommt?
Dass die Zahl der Freistoßtore zugenommen hat, muss nicht unbedingt etwas mit dem Spray zu tun haben. Zumindest lässt sich dieser Zusammenhang nur schwer beweisen. Wie wollte man auch belegen, dass dieses oder jenes Freistoßtor nicht gefallen wäre, wenn der Schiedsrichter seine Spraydose nicht gezückt hätte? Oder dass in der Vergangenheit da und dort ein Freistoßtreffer erzielt worden wäre, wenn es das Spray schon gegeben hätte? Aber wie auch immer: Die Spieler äußern sich eigentlich überwiegend positiv, bei den Schiedsrichtern dagegen herrscht nach wie vor Zurückhaltung. Thorsten Kinhöfer hat kürzlich in einem Interview gesagt: "Das Freistoßspray ist für mich ein nützliches Begleitobjekt, das sicherlich hilft, für eine Spielleitung aus meiner Sicht aber kein Muss ist." So oder so ähnlich habe ich es auch von anderen Referees gehört.
Ab der kommenden Saison wird jedes Tor der 1.Liga von je 7 Hochgeschwindigkeitskameras überwacht. Innerhalb einer Sekunde erhält der Schiedsrichter die Meldung, ob der Ball über der Linie war. Lange Zeit war ja der Chip im Ball oder das System "GoalControl" (welches bei der WM in Brasilien zum Einsatz kam) im Gespräch. Zufrieden so, wie es gekommen ist?
Alles in allem bin ich kein besonderer Fan von technischen Hilfsmitteln im Fußball. Allerdings geht es hier um eine Ja-Nein-Frage, die noch dazu in Echtzeit beantwortet wird. Dadurch wird nicht allzu stark ins Spiel eingegriffen, und die Bundesliga-Schiedsrichter sind ja auch froh über diese Änderung, weil sie erwarten, dass sie durch sie entlastet werden.
Änderungen sind auch dem Grund geschuldet, dass das Spiel immer schneller wird und man es den Schiedsrichtern so einfach wie möglich machen will/muss, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deine persönliche Meinung ist die Torlinientechnik erst der Anfang?
Ich hoffe nicht. Fehlentscheidungen oder zweifelhafte Pfiffe des Schiedsrichters gehören genauso zum Fußball wie Fehlschüsse von Stürmern aus einem Meter Entfernung oder katastrophale Abwehrschnitzer. Man spricht darüber, man regt sich darüber auf, so ist der Sport, so ist das Leben. Ich glaube, dass die menschliche Komponente und damit auch die Fehlerhaftigkeit - entscheidend zur Attraktivität des Fußballs beiträgt, von ganz oben bis ganz unten. Ich möchte diese Sportart nicht bis in den hintersten Winkel ausleuchten und dadurch steril machen. Ich möchte, dass sie weiter von Menschen betrieben wird von Spielern, Trainern, Schiedsrichtern-, mit allen Konsequenzen. Ich finde es auch gut und richtig, dass das Regelwerk im Fußball viele und große Spielräume, ja, Freiheiten zur Interpretation lässt. Ein Videobeweis würde eine Objektivität und Eindeutigkeit suggerieren, wo oftmals gar keine gegeben ist.
Noch eine - aus meiner Sicht gute - Entscheidung, soll es demnächst geben. Der Weltverband will die Altersgrenze der Schiedsrichter aufheben. Begrüßt du diesen Entschluss?
Auf jeden Fall, denn diese Grenze ist unsinnig (und war es schon immer). Erfahrung ist in der Schiedsrichterei ein äußerst kostbares Gut, und solange die körperlichen Voraussetzungen stimmen was sich ja problemlos überprüfen lässt-, gibt es überhaupt keinen Grund, einen Schiedsrichter aus dem Verkehr zu ziehen.
Wöchentlich analysiert ihr bei Collinas Erben die strittigen Entscheidungen des Spieltages. Zudem erscheint eure Kolumne inzwischen auch regelmäßig auf n-tv.de. Ihr opfert viel Freizeit, ist es das wert?
Unbedingt. Es macht nach wie vor einen Riesenspaß, zumal das Feedback unserer Hörer und Leser wirklich großartig ist. Dass sich das Projekt so entwickeln würde, hatten wir nicht zu hoffen gewagt.
Abschließend würde ich dich bitten, ein paar Sätze zu vervollständigen. Fangen wir an:
Wenn du kein Schiedsrichter wärst, dann . . . . . .
würde mir am Wochenende etwas Wesentliches fehlen. Im Juni wird es 30 Jahre her sein, dass ich die Prüfung abgelegt habe. Die Schiedsrichterei ist längst zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden.
Der Fußball in der heutigen Form ist . . . . .
eine völlig andere Sportart, wenn man ihn mit den 1970er oder 1980er Jahren vergleicht - sowohl in Bezug auf das, was auf dem Rasen geschieht, als auch mit Blick auf das ganze Drumherum. Und so kritikwürdig vieles sein mag, was heute im Fußball geschieht: Zu einer romantischen Verklärung der alten Zeiten besteht aus meiner Sicht überhaupt kein Anlass.
Dein schönstes Fußballerlebnis war . . . . .
als Fan sicherlich das Ende der Saison 2000/01 mit der Last-Second-Meisterschaft und dem Champions-League-Gewinn im Elfmeterschießen wenige Tage später. Unübertroffen, unerreicht. Als Schiedsrichter durfte ich in der Saison 2002/03 in der Oberliga das Derby zwischen Viktoria Köln und Fortuna Köln pfeifen, damals das erste Meisterschaftsspiel der beiden gegeneinander seit gemeinsamen Zweitligazeiten. Entsprechend groß war auch der Zuschauerandrang. Ein unvergessliches Spiel für mich.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei dir Alex für die, wie ich finde doch, recht aufschlussreichen Antworten.
Mehr über Alex Feuerherdt unter:
@LizasWelt
@CollinasErben oder
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dafür habe ich gerne zeit investiert !