Eine schöne Zeit für den deutschen Fussball-Fan, solange er verkraften kann, dass nahezu alle öffentliche Aufmerksamkeit auf die Spitze konzentriert wird und sich das Verfolgerfeld fast schon auf die Rolle von Statisten reduziert fühlen muss. Professionelle Journalisten haben das bereits in aller Fülle dokumentiert und werden das auch weiterhin tun. Doch fernab vom Scheinwerferlicht gibt es eine Parallelwelt die den Schauplatz für ein Duell ähnlichen Ausmaßes bietet, auch wenn niemand auf die Idee kommen würde, diesen Wettstreit in die Schlagzeilen zu bringen.
Atmende Organismen
Internet-Communities sind eine relativ junge Form einer Entität. Die Gesellschaft kann sie noch nicht wirklich fassen, ihre Dynamiken und Automatismen wirken befremdlich und weil es fast unmöglich ist, eine Community zu kontrollieren, halten manche Menschen sie sogar für bedrohlich. Die Verantwortlichen bei Spox werden da wahrscheinlich anderer Meinung sein. Die seiteneigene Community (die man sich durch hervorragende Pionierarbeit selbst herangezüchtet hat) verstrickt sich immer wieder in seitenlangen Diskussionen und treibt die Klickzahlen so in völlig neue Dimensionen.
Hier wird besonders deutlich, was so eine Community sein kann: Ein lebender, atmender Organismus mit Neigungen, Meinungen und vor allen Dingen auch: Mit Relevanz. Oft kann man tief versteckt in den Kommentaren schon die Trends nachlesen, die erst Wochen später die Schlagzeilen und damit auch die reale Welt des Fussballs beherrschen werden. Darüber zu streiten, ob die reale Welt einfach nur früh die Foren infiziert, oder ob die Foren sich auf die reale Welt übertragen, ist wie die Frage mit dem Huhn und dem Ei - es spielt keine Rolle. Offenbar ist ein Zusammenhang vorhanden, das ist entscheidend.
Natürlich sind solche Betrachtungen nicht ohne Pauschalisierungen möglich. Nicht jedes Mitglied der Spox-Community findet Jogi Löw irgendwie unsympathisch und zerschlachtet deswegen grundsätzlich jede Aussage des Bundestrainers. Aber es ist das Wesen einer jeden Analyse von Gruppendynamiken, das große Resultat zu bewerten. Und eben dieses ist sehr eindeutig: Bundestrainer sein ist ein äußerst undankbarer Job, völlig unabhängig von den erstaunlichen Leistungen die Löw für den deutschen Fussball erbracht hat.
Das Parallelduell
Der Punkt, an dem eine Community eine klar benennbare Position einnimmt, wird freilich nicht innerhalb eines Tages erreicht. Oft ist es ein verbitterter Kampf, meistens sehr emotional und selten sehr vernünftig geführt, bis sich eine Gruppe endlich durchsetzen konnte und nur noch vereinzelte Querschwimmer sich die Mühe machen, gegen die garstigen Kommentare von unzähligen Mitdiskutanten anzuschreiben. Und genauso wie man an der Spitze des deutschen Vereinsfussballs erbittert um die Vorherrschaft kämpft, streitet man in der Spox-Community tagtäglich darüber, welche Stellung das Forum zu diesem Duell einnehmen soll.
Für mich als Schalker ist die zentrale Fussballemotion die unglaubliche Explosion eines einzelnen Erfolges inmitten von lauter Leid. Aus dieser Perspektive betrachtet, wirkt das bayrische Selbstverständnis zwangsläufig wie ein Paradebeispiel für Arroganz. Man möchte ihnen zurufen: "Zeigt ein bisschen Demut!", man spricht ihnen die wahre Hingabe für den Sport ab, bezeichnet sie als Erfolgsfans. Natürlich ist das albern, kein Sportler oder Sportfan muss sich für den Erfolg entschuldigen und natürlich haben die Bayern hingebungsvolle Fans wie alle großen deutschen Clubs. Doch genau hier ist die eine Stelle, an der die Konkurrenz zustechen kann.
"Echte Liebe"
Das Ruhrgebiet ist ein Ballungszentrum für den Fussball. Das liegt an seinen proletarischen Wurzeln, auch wenn die Arbeiterklasse hier längst von Mittelständlern und gehobenem Management verdrängt wurde. Doch auch wenn die Lebensqualität sich verbessert hat, die Begeisterung für den Sport hat man deswegen nicht aufgegeben. Inmitten dieses Kessels konnte Dortmund sich in den letzten Jahren, dank eines erstklassig arbeitenden Managements und eines Weltklasse-Trainers, zur zweiten großen Macht in Fussballdeutschland entwickeln. Die Zahl "zwei" spielt hier eine wichtige Rolle: 16 Vereine in der Bundesliga müssen zu Dortmund aufschauen, doch die Bayern eben nicht. Kaum ein Dortmunder-Fan würde die Qualität im eigenen Kader höher einstufen als beim inzwischen schon mit zwei Weltklasse-Teams besetztem Kader aus dem Süden - aus fachlicher Sicht eine Haltung der kaum zu widersprechen ist.
Doch die Verfolgerrolle beherbergt einen gewissen Luxus. Niederlagen gegen Bayern gehören zum Fussball dazu, dafür muss man sich nicht grämen. Man gefällt sich in der Rolle der Rebellen, oder, wie vom Verein selbst kolportiert, als Robin Hood, der die Sympathien des Volkes auf sich vereint während er mit Guerilla-Taktik die Obrigkeit bekämpft. Genauso wie die Dortmunder nichts dagegen unternehmen können, dass Arjen Robben in der 90. immer noch den Siegtreffer auspackt, stehen die Bayern dieser sozialen Positionierung nahezu hilflos gegenüber. Was bringen einem all die Pokale, wenn man dafür keine Anerkennung kassiert? Die junge Dortmunder PR-Zauberformel "Echte Liebe" ist ihnen ein Dorn im Auge, genauso wie das ewige Understatement aus dem Westen.
Mit Fussball (nichts) zu tun
Hier entlarvt sich der wahre Kern des virtuellen Parallelduells. Tatsächlich ist es eine uralte soziale Debatte. Unten gegen oben. Champion gegen Herausforderer. Es spielt keine Rolle, dass Jürgen Klopp für den deutschen Fussball fast schon eine kopernikanische Wende einleitet. Die große Masse weiß überhaupt nicht, wie wertvoll und einzigartig die Ballan- und mitnahme eines Toni Kroos ist, was für eine völlig neuartige Genialität ein Fussballer wie Thomas Müller verkörpert. Spätestens seit den Nuller-Jahren ist der Fussball in Deutschland dermaßen professionalisiert worden, dass der durchschnittliche Fan gar keine fachkundige Meinung mehr entwickeln kann. Zu zahlreich und detailliert sind die Variablen, auf die es wirklich ankommt.
Dieser Sachverhalt darf nicht als Vorwurf gegen den Fan verstanden werden - Fussball ist Volkssport. Er gehört dem Volk und das Volk darf damit machen, was es will. Es führt wohl zu der einen oder anderen bedenklichen Tendenz - wenn ein Spieler oder Trainer irgendwo liest, dass irgendwer ihn "irgendwie immer schon unsympathisch" findet, muss er sich schon mal warm anziehen, ganz gleich was auf dem Platz geleistet wird. Aber das ist Fussball - Lebendig, emotional und wechselhaft.
Das schlimmste was dem Sport passieren kann, ist, dass nicht mehr über ihn gesprochen wird. Deswegen bleibt zu hoffen, dass es ewig so weitergeht, dass der Community niemals die Grundsatzdebatten ausgehen. So unvernünftig auch argumentiert werden mag: Es lebe die Diskussion. Es lebe der Fussball!
@Galactic:
Oh ja, mit Götze hast du sehr Recht...in Malaga hatte er einfach einen beschissenen Tag, dass er es kann hat er wirklich schon oft genug bewiesen. Da muss man sich einfach nur mal die Statistiken von Götze (28S/10T) und Draxler (30/10) anschauen und muss sich dann fragen, warum wird der Abschluss von Draxler so hochgelobt im Gegensatz zu Götzes (va in der Community)? Peinlich finde ich dann aber vor allem wenn Spox auf solche Züge aufspringt und das in eigenen Artikeln so hinstellt als wäre die Community-Meinung Fakt...
Ich musste deinen Blog gleich noch ein zweites Mal lesen, um die genaue Intention nachzuvollziehen, obwohl es ja einen Schlussteil gibt.
Da steckt so viel drin, aber ich kann nicht jedem Gedankensprung folgen.
Der deutsche Fussballmachtkampf, das journalistische "Ausschlachten", die Rolle von Internet-Communities und deren interner "Meinungskämpfe", Wechselwirkungen zwischen "virtueller" und "realer" Welt, Selbstdefinierung eines Vereins sowie Gestaltung einer Identität (durch Geschichte und PR-Arbeit sowie markigen Sprüchen), Wandlung des Fussballs und verzerrte Wahrnehmung der Fans werden von dir beschrieben, so dass ich am Ende leicht überfordert war.
Der letzte Absatz beschreibt dann wohl den Grund dafür, weshalb wir alle hier sind.
Wir kriegen nicht genug davon, wollen uns aufregen, mit unterschiedlichen Meinungen reiben, Sinnesverwandte finden und am Ende hoffentlich mit einem Lächeln wieder ausloggen.
Definitiv lesens- und empfehlenswert.
Danke!
Ich hätte vielleicht noch einfließen lassen, dass es auch Perspektiven gibt (Augsburg, Fürth, Freiburg), aus denen DORTMUND wie mit einer Bazooka ausgerüstet erscheint und man selbst nicht mal Pfeil und Bogen hat.
Aber gut - ich mag den BVB ja auch nicht.
Nun, dieser Blog war aber ganz anders als ich ihn erwartet hätte. Gut geschrieben, ein sehr interessantes Thema behandelt, 1A.
Hier lohnt es sich zu diskutieren, hierüber kann man mal ausführlicher sprechen. Immerhin sind viele von uns sehr oft hier auf Spox und dementsprechend ein Teil der Community.
Großartig.
Edit: wird Zeit, dass ich mal Deine anderen Blogs lese. Die geringen Erwartungen hatten nichts damit zu tun, dass Du den Blog geschrieben hast. Könnte evtl. so rüber kommen. ^^
das mit Götze ist auch ein super Beispiel dafür wie schnell sich eine Meinung in einer Community verbreiten kann. Plötzlich ist Götze miserabel im Abschluss. Das hab ich von so vielen Menschen erst seit einigen Wochen gehört, davor vereinzelt mal nach einem Spiel mit vergebenen Großchancen.
Das geht dann manchmal schon so weit, dass man sich selbst denkt: hab ich das nur nicht mitbekommen? Ist er wirklich schwach im Abschluss? Und dann beim nächsten mal genauer drauf achtet - was ich wohl tun werde, wenn er endlich mal für den FCB die Schuhe schnürt.
Ich würde mir ja bei manchen Punkten wünschen, dass Du sie länger beleuchtest, was aber vermutlich dem Ziel eine Diskussion zu entfachen abträglich wäre. Super Blog.
Und zum Thema: Ist es letztendlich nicht das Ziel von sozialen Netzwerken möglichst viel Gleichgesinnte zu einem Thema zu finden? Da ist es aus meiner Sicht nicht verwunderlich bei immer größer werdenden homogenen Meinungsmassen, die Leute:
a.) nicht mehr reflektieren, dass es ebenso viele Leute gibt die anderer Meinungen, Leidenschaften oder Sympathien haben.
b.) durch die permanente Bestätigung in der eigenen Meinungsgruppe, die Bereitschaft zur Eskalation steigt.
Beim Fußball mag das noch tolierbar sein. Wenn es aber auf andere Gesellschaftsbereiche übergreift wird es kritisch für die Gesellschaft...
@Feuerfinger: Jetzt würde ich mich mal an deiner Stelle hinterfragen, warum du der einzigste unter diesen Blog bist, der nicht ohne Stichelei auskommt. Egal unter welchem BVB Artikel, ohne Provokationen deinerseits scheint es einfach nicht zu gehen.
Hast du diesen nicht kontrollierbaren Reflex, alles was iwie schwarzgelb ist, schlecht zu reden weil dich irgendwann in deinem Leben mal die großen pösen, pösen Jungs, die zufällig auch noch BVB Fans waren, so fertig gemacht haben oder was ist los bei dir ?!?
Ich hab überhaupt nichts gg Spitzen und wenns nur ab und zu mal wäre, wärs mir auch vollkommen Latte, denn schließlich gehört das zwischen Fans unserer Mannschaften dazu, aber bei dir wirds langsam langweilig.
Ich weiss - ich brauche es ja nicht lesen, aber du schreibst auch einige lesenswerte Kommentare, weshalb ich immer wieder drüberfliege, wenn ich dein Ava sehe.
Na ja, vielleicht denkst du mal drüber nach...
Feuerfinger steigt meistens mit einer "kleinen" Provaktion in eine Diskussion ein. Eigentlich kann man mit ihm diskutieren.
Ich drücke es mal so aus:
Er springt grinsend mit einer A***bombe ins Wasser und wartet die Reaktionen der anderen Badegäste ab.
Hier macht das aber mal gar keinen Sinn, da sogar vom Verfasser geschrieben wird: "Die Zahl "zwei" spielt hier eine wichtige Rolle: 16 Vereine in der Bundesliga müssen zu Dortmund aufschauen, doch die Bayern eben nicht."
Hat er scheinbar überlesen oder es war ihm nicht deutlich genug herausgestellt. Es hatte aber auch nicht wirklich etwas mit dem Thema des Blogs zu tun.
10 Punkte!