22.02.2010 um 21:49 Uhr
Der Fall Amerell - ein Überblick
Was wurde in den letzten Tagen nicht alles geschrieben und gesprochen in der sogenannten Affäre Amerell. Doch vieles dessen, was in der publizierten Meinung zu vernehmen war, kam über den Stellenwert von Spekulationen nicht hinaus. Dabei besitzt der Vorwurf der sexuellen Belästigung samt der sich daraus ergebenden Rückschlüsse auf die Befindlichkeit des deutschen Schiedsrichterwesens eine Brisanz, die keine eiligen Vorverurteilungen duldet. An dieser Stelle soll es daher lediglich darum gehen, die Sachlage nüchtern einzuordnen – ohne jedwede Polemik.
Worum geht es: Manfred Amerell, Schiedsrichtersprecher des DFB und Mitglied des Schiedsrichterausschusses, soll Bundesligareferee Michael Kempter sexuell belästigt haben. Es handelt sich dabei wohl gemerkt um einen Verdacht, der sich auf eine Mitteilung Kempters an den DFB gegründet. Daraufhin eingegangene Meldungen anderer DFB-Schiedsrichter über weitere Belästigungsfälle sind indes nur weitere Indizien. Einen Beweis liefern sich als solche nicht. Beweischarakter besitzt auch nicht der Rücktritt Amerells, der von DFB-Präsident Theo Zwanziger gleichwohl ausdrücklich als Schuldeingeständnis gewertet wurde. Für den Rücktritt Amerells kann es auch andere, gut nachvollziehbare Gründe geben. So könnte Amerell auf diesem Wege versucht haben, einen Teil des öffentlichen Drucks von sich abzuschütteln.
Denn Fakt ist: Der ehemalige Schiedsrichtersprecher bestreitet die Vorwürfe gegen seine Person und prangert das Vorgehen des DFB an, welcher ihm die Einsicht in die vorliegenden Akten verwehrt. Der DFB wiederum verweist darauf, dass sich die Angelegenheit durch Amerells Rücktritt erledigt habe und somit ein zur Akteneinsicht berechtigendes Verfahren nicht mehr existiere. Daran ist richtig, dass die Klärung der gegen Amerell erhobenen Vorwürfe als solche nicht in die Zuständigkeit des Deutschen Fußballbundes fällt. Sexuelle Nötigung stellt einen Straftatbestand dar, dessen Behandlung vor den ordentlichen Gerichten erfolgen muss. In einem solchen Verfahren würde Amerell dann auch rechtliches Gehör und damit auch Akteneinsicht gewährt werden.
Es geht andererseits aber eben nicht nur um einen strafrechtlich relevanten Vorwurf, sondern vor allem um Verflechtungen innerhalb des deutschen Schiedsrichterwesens. Denn fest steht, dass Amerell und Kempter ein sehr privates Verhältnis gepflegt haben. Amerell selbst räumt ein, dass die Freundschaft „sehr eng" gewesen sei. Wie intim diese Beziehung genau gewesen war, mag die Öffentlichkeit zunächst einmal nichts angehen. Privatsphäre muss Privatsache bleiben. Andererseits aber bestand zwischen Schiedsrichterbeobachter Amerell und Protégé Kempter ein Abhängigkeitsverhältnis. Ob Amerell dieses wirklich missbraucht hat, kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. Doch allein das Aufkommen entsprechender Mutmaßungen ist eine Katastrophe. Für Manfred Amerell, der in akute Rechtfertigungszwänge geraten ist. Für Michael Kempter, der sich gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere den Schiedsrichterkollegen dem Vorwurf erwehren muss, den persönlichen Aufstieg durch private Beziehungen ermöglicht zu haben. Und nicht zuletzt für das Schiedsrichterwesen als solches, dessen Ruf jüngst stark gelitten hat.
Kritiker bemängelten immer wieder die mangelnde Transparenz und sahen in dem von Volker Roth nach Gutsherrenart geführten Schiedsrichterausschuss ein System der Vetternwirtschaft. Auch hierbei handelt es sich nur um Vermutungen und Wertungen, die sich einer detaillierten Nachprüfung entziehen. Doch die Vorgänge der letzten Wochen und dabei insbesondere Volker Roths Hinhaltetaktik, die ein Publikwerden der Vorwürfe verhindern sollte, stützen die Thesen der Kritiker. In jedem Falle müssen die verkrusteten Strukturen im deutschen Schiedsrichterwesen endlich aufgebrochen werden. Entscheidungsprozesse müssen transparenter und damit nachvollziehbarer werden, insbesondere wenn es um die Einstufung und Förderung deutscher Topschiedsrichter geht. Mit Herbert Fandel, der Volker Roth noch dieses Jahr im Amt des Schiedsrichterausschussvorsitzenden nachfolgen wird, könnte sich hier aber schon einiges zum Besseren wenden.
Natürlich wird es aber demnächst in besonderem Maße um die Frage gehen, wie Spieler und Zuschauer mit der Homosexualität eines Schiedsrichters umgehen. Zugrunde liegt hier im Übrigen kein Verdacht. Denn bei einem Verdacht handelt es sich definitionsgemäß um die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Übels. Homosexualität ist, zumindest heutzutage und hierzulande, aber eben kein Übel mehr. Soweit die Theorie. Ob die praktische Wirklichkeit genauso aussieht, muss man bezweifeln. Der Fußball als eine mit patriarchisch-chauvinistischen Stereotypen belegte Männerdomäne hat sich mit dem Thema Homosexualität bislang allenfalls am Rande beschäftigt. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind im Männerfußball nach wie vor tabuisiert. Und insofern wird man abwarten müssen, wie die Beteiligten mit dieser Thematik umgehen. Eigentlich sollte sie als Teil der Privatsphäre für Dritte keine Bedeutung besitzen. Wahrscheinlich wird dies auf dem Feld auch so sein. Ob die Zuschauer auf den Rängen, die – geschützt durch die Anonymität der Masse – eh nicht zimperlich mit Verunglimpfungen der Unparteiischen sind, genauso sensibel sind, wird man bezweifeln müssen. Michael Kempter kann man nur die Kraft wünschen, um den bevorstehenden Spießroutenlauf einigermaßen zu überstehen.
Schließlich, und das könnte letztlich sogar die wichtigste Lehre sein, lässt der neuerliche Eklat weitreichende Rückschlüsse auf den Führungsanspruch des DFB-Präsidenten zu. Jener Theo Zwanziger, der sich durch besonnene Rhetorik und persönliche Unabhängigkeit so wohltuend von seinem Vorgänger absetzte, scheint zusehends überfordert, wenn es darum geht, die Geschicke des größten Fußballnationalverbandes in die richtigen Bahnen zu lenken. Dies hat das unglückliche Auftreten im Konflikt mit Joachim Löw und Oliver Bierhoff nahelegt. Und dies wird angesichts der Begleitumstände des Falles Amerell allmählich unübersehbar. Dass Schiedsrichterboss Volker Roth einen Monat lang davon abgesehen hat, seinen Präsidenten von den bestehenden Vorwürfen in Kenntnis zu setzen, mag man Zwanziger nicht anlasten. Es zeigt aber eben auch, dass er seinen Laden nicht im Griff hat. Die hemdsärmeligen und unsubstantiierten Vorverurteilen im Fall Amerell belegen indes, dass Zwanziger schlicht überfordert ist.
Dabei merkt man Theo Zwanziger an, mit viel Herzblut er sein Amt begreift. Doch so sympathisch einem dessen emotionale Haltung auch sein mag, so hinderlich ist sie doch in diesen Tagen, da der DFB einen souveränen Manager bräuchte, und eben keinen spontanen Instinktpräsidenten. Professionalität statt Provinzialität – so oder so ähnlich muss das Credo für die Zukunft lauten. Und wenn dies die Lehre aus der Affäre Amerell ist, dann war es zwar ein Schock, aber letztlich doch ein heilsamer.
Worum geht es: Manfred Amerell, Schiedsrichtersprecher des DFB und Mitglied des Schiedsrichterausschusses, soll Bundesligareferee Michael Kempter sexuell belästigt haben. Es handelt sich dabei wohl gemerkt um einen Verdacht, der sich auf eine Mitteilung Kempters an den DFB gegründet. Daraufhin eingegangene Meldungen anderer DFB-Schiedsrichter über weitere Belästigungsfälle sind indes nur weitere Indizien. Einen Beweis liefern sich als solche nicht. Beweischarakter besitzt auch nicht der Rücktritt Amerells, der von DFB-Präsident Theo Zwanziger gleichwohl ausdrücklich als Schuldeingeständnis gewertet wurde. Für den Rücktritt Amerells kann es auch andere, gut nachvollziehbare Gründe geben. So könnte Amerell auf diesem Wege versucht haben, einen Teil des öffentlichen Drucks von sich abzuschütteln.
Denn Fakt ist: Der ehemalige Schiedsrichtersprecher bestreitet die Vorwürfe gegen seine Person und prangert das Vorgehen des DFB an, welcher ihm die Einsicht in die vorliegenden Akten verwehrt. Der DFB wiederum verweist darauf, dass sich die Angelegenheit durch Amerells Rücktritt erledigt habe und somit ein zur Akteneinsicht berechtigendes Verfahren nicht mehr existiere. Daran ist richtig, dass die Klärung der gegen Amerell erhobenen Vorwürfe als solche nicht in die Zuständigkeit des Deutschen Fußballbundes fällt. Sexuelle Nötigung stellt einen Straftatbestand dar, dessen Behandlung vor den ordentlichen Gerichten erfolgen muss. In einem solchen Verfahren würde Amerell dann auch rechtliches Gehör und damit auch Akteneinsicht gewährt werden.
Es geht andererseits aber eben nicht nur um einen strafrechtlich relevanten Vorwurf, sondern vor allem um Verflechtungen innerhalb des deutschen Schiedsrichterwesens. Denn fest steht, dass Amerell und Kempter ein sehr privates Verhältnis gepflegt haben. Amerell selbst räumt ein, dass die Freundschaft „sehr eng" gewesen sei. Wie intim diese Beziehung genau gewesen war, mag die Öffentlichkeit zunächst einmal nichts angehen. Privatsphäre muss Privatsache bleiben. Andererseits aber bestand zwischen Schiedsrichterbeobachter Amerell und Protégé Kempter ein Abhängigkeitsverhältnis. Ob Amerell dieses wirklich missbraucht hat, kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. Doch allein das Aufkommen entsprechender Mutmaßungen ist eine Katastrophe. Für Manfred Amerell, der in akute Rechtfertigungszwänge geraten ist. Für Michael Kempter, der sich gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere den Schiedsrichterkollegen dem Vorwurf erwehren muss, den persönlichen Aufstieg durch private Beziehungen ermöglicht zu haben. Und nicht zuletzt für das Schiedsrichterwesen als solches, dessen Ruf jüngst stark gelitten hat.
Kritiker bemängelten immer wieder die mangelnde Transparenz und sahen in dem von Volker Roth nach Gutsherrenart geführten Schiedsrichterausschuss ein System der Vetternwirtschaft. Auch hierbei handelt es sich nur um Vermutungen und Wertungen, die sich einer detaillierten Nachprüfung entziehen. Doch die Vorgänge der letzten Wochen und dabei insbesondere Volker Roths Hinhaltetaktik, die ein Publikwerden der Vorwürfe verhindern sollte, stützen die Thesen der Kritiker. In jedem Falle müssen die verkrusteten Strukturen im deutschen Schiedsrichterwesen endlich aufgebrochen werden. Entscheidungsprozesse müssen transparenter und damit nachvollziehbarer werden, insbesondere wenn es um die Einstufung und Förderung deutscher Topschiedsrichter geht. Mit Herbert Fandel, der Volker Roth noch dieses Jahr im Amt des Schiedsrichterausschussvorsitzenden nachfolgen wird, könnte sich hier aber schon einiges zum Besseren wenden.
Natürlich wird es aber demnächst in besonderem Maße um die Frage gehen, wie Spieler und Zuschauer mit der Homosexualität eines Schiedsrichters umgehen. Zugrunde liegt hier im Übrigen kein Verdacht. Denn bei einem Verdacht handelt es sich definitionsgemäß um die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Übels. Homosexualität ist, zumindest heutzutage und hierzulande, aber eben kein Übel mehr. Soweit die Theorie. Ob die praktische Wirklichkeit genauso aussieht, muss man bezweifeln. Der Fußball als eine mit patriarchisch-chauvinistischen Stereotypen belegte Männerdomäne hat sich mit dem Thema Homosexualität bislang allenfalls am Rande beschäftigt. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind im Männerfußball nach wie vor tabuisiert. Und insofern wird man abwarten müssen, wie die Beteiligten mit dieser Thematik umgehen. Eigentlich sollte sie als Teil der Privatsphäre für Dritte keine Bedeutung besitzen. Wahrscheinlich wird dies auf dem Feld auch so sein. Ob die Zuschauer auf den Rängen, die – geschützt durch die Anonymität der Masse – eh nicht zimperlich mit Verunglimpfungen der Unparteiischen sind, genauso sensibel sind, wird man bezweifeln müssen. Michael Kempter kann man nur die Kraft wünschen, um den bevorstehenden Spießroutenlauf einigermaßen zu überstehen.
Schließlich, und das könnte letztlich sogar die wichtigste Lehre sein, lässt der neuerliche Eklat weitreichende Rückschlüsse auf den Führungsanspruch des DFB-Präsidenten zu. Jener Theo Zwanziger, der sich durch besonnene Rhetorik und persönliche Unabhängigkeit so wohltuend von seinem Vorgänger absetzte, scheint zusehends überfordert, wenn es darum geht, die Geschicke des größten Fußballnationalverbandes in die richtigen Bahnen zu lenken. Dies hat das unglückliche Auftreten im Konflikt mit Joachim Löw und Oliver Bierhoff nahelegt. Und dies wird angesichts der Begleitumstände des Falles Amerell allmählich unübersehbar. Dass Schiedsrichterboss Volker Roth einen Monat lang davon abgesehen hat, seinen Präsidenten von den bestehenden Vorwürfen in Kenntnis zu setzen, mag man Zwanziger nicht anlasten. Es zeigt aber eben auch, dass er seinen Laden nicht im Griff hat. Die hemdsärmeligen und unsubstantiierten Vorverurteilen im Fall Amerell belegen indes, dass Zwanziger schlicht überfordert ist.
Dabei merkt man Theo Zwanziger an, mit viel Herzblut er sein Amt begreift. Doch so sympathisch einem dessen emotionale Haltung auch sein mag, so hinderlich ist sie doch in diesen Tagen, da der DFB einen souveränen Manager bräuchte, und eben keinen spontanen Instinktpräsidenten. Professionalität statt Provinzialität – so oder so ähnlich muss das Credo für die Zukunft lauten. Und wenn dies die Lehre aus der Affäre Amerell ist, dann war es zwar ein Schock, aber letztlich doch ein heilsamer.
Aufrufe: 9803 | Kommentare: 34 | Bewertungen: 35 | Erstellt:22.02.2010
ø 8.3
KOMMENTARE
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24.02.2010 | 03:06 Uhr
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Serres :
meine meinung
der rücktritt amerells ist für mich ein beweis seiner schuld.
keiner der das recht auf seine seite hat , und eine machtposition besitzt , gibt nach.
und die weitere fälle von dfb-shiris sind auch ein beweis.
wieso sollten so viele shiris lügen?
eine verschwörung?
na ja , wer weis ?
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24.02.2010 | 09:12 Uhr
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fcbG91 :
der dfb braucht einen neuen präsidenten...zwanziger hat garnix im griff...er sollte in rente gehen und weiter auf mutter theresa tun...wer weiß was er schon alles gemacht hat
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24.02.2010 | 13:37 Uhr
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Voegi :
@ barclayswenn du genau liest, wirst du feststellen, dass ich eben nicht behauptet habe, dass kempter schwul ist. das ist aber zugegebenermaßen eine spitzfindigkeit. es geht auch viel mehr darum, wie die öffentlichkeit mit dem thema umgeht. und kempter wird so oder so mit dem klischee leben müssen.
ob amerell wirklich eine straftat begangen hat, wird sich noch zeigen müssen. aber darum geht's in diesem abschnitt doch gar nicht.
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Finde Zwanzigers Auftreten unmöglich. Das erinnert mich wieder an das Thema Kommunikationsherrschaft und Jens Weinreich. So langsam reicht es.