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Von: Broich
28.03.2014 | 10604 Aufrufe | 13 Kommentare | 16 Bewertungen Ø 9.9
Allan Simonsen
Der Spatz aus Vejle
Als Schlüsselspieler der Fohlenelf wurde er 1977 Europas Fußballer des Jahres. Heute ist er fast vergessen.

Da gibt es dieses eine Team, das heute Mythos und positives Sinnbild für die romantische Zeit des Fußballs ist. Als Zweikämpfe noch frei von Schauspiel und der Sport voll von Freigeistern und Künstlern war. Bevor die Achtziger einer Abrissbirne gleich das Bild des schönen Spiels kaputt machten und Pragmatismus und Gier sich den Fußball zu eigen machten. Die goldenen Siebziger sind nicht nur das Zeitalter des Fußballs, als die Faktoren Geld und Leidenschaft noch Hand in Hand arbeiteten und einen Sport schufen, der begeisterte und Legenden hervor brachte, die heute vor allem wegen der Zeit, in der sie spielten, Helden sind. Die Siebziger sind nicht nur die Episode des Fußballs, in der die deutsche Nationalmannschaft den besten Fußball ihrer Geschichte zelebrierte und die Offensive im Totaal Voetbal in ihrer Reinkultur gefeiert wurde. Die Siebziger sind nicht nur eine Zeit, die Spieler wie Cruyff oder Beckenbauer hervor brachte und den FC Bayern als Macht in Europa etablierte.

Die Siebziger sind vor allem eines: Die Zeit, in der jenes Team grenzüberschreitend mit seiner tragisch anmutenden Art zu spielen begeisterte und den schon damals als pragmatisch verschrieenen Bayern die Stirn bot - und der Bundesliga einen einzigartigen Zweikampf schenkte. Die Fohlenelf. Ein Begriff, den Fußball-Ästheten noch heute behutsam in ihrem Sprachgebrauch verwenden. Mit einem verklärten Lächeln und dem Früher-war-alles-besser-Blick. In einer Zeit der Revolutionen und Dynamiken waren die jungen Wilden von Borussia Mönchengladbach unter dem antiautoritären Taktiker Hennes Weisweiler eine Möglichkeit das eigene von Freiheit geprägte Denken auf den Sport zu übertragen. Die Bayern waren ein übermächtig erscheinender Gegner, der plötzlich einen Widersacher hatte. Einen Widersacher, der so smart und jung daher kam, dass er die Herzen der 68er im Sturm eroberte.

Bayern mutete dagegen fast schon konservativ an. Während ein Beckenbauer öffentlich die CSU unterstützte und bayerisches Gedankengut schon damals fest in der, heute als "Mia san Mia" bezeichneten, bajuwarischen Identität verankert war, standen Netzer und Co vor der Diskothek des Spielmachers "Lovers Lane" und bliesen Rauckringel in die Nacht.

Die Protagonisten der Fohlenelf, lesen sich wie die nostalgische Weltauswahl eines Fans, der alten Zeiten hinterher trauert. Terrier Vogts, Bohnhof, Kleff, del Haye, Jensen, Heynckes, Köppel, Le Fevre, Wimmer und der alles überstrahlende Netzer. Dazu die heutigen Trainerlegenden Weisweiler und Lattek, der ersteren nach dessen Wechsel zu Barcelona beerbte. Nur echten Borussia-Fans dürfte bei der Aufzählung der Stars von einst aufgefallen sein, dass einer der wichtigsten Spieler der Fohlenelf fehlt. Allan Simonsen. Der Spatz aus Vejle. Eine Legende in Dänemark, hierzulande ein fast vergessener Superstar. Der vielleicht beste Rechtsaußen der Bundesliga-Geschichte holte nicht nur drei Meistertitel, einen Pokalsieg und zwei Uefa Cup-Titel mit der Borussia. Er wurde 1977 als bis dato dritter Spieler aus der Bundesliga zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Simonsen befindet sich damit in illustrer Gesellschaft von Spielern wie Di Stefano, Eusébio, Best, Müller, Beckenbauer, Cruyff, Rummenigge, Platini, van Basten, Matthäus, Sammer, Ronaldo, Zidane, Figo, Ronaldinho, Messi und Cristiano Ronaldo. Die Reihe liest sich wie ein Top-Team der Fußball-Geschichte. Und mittendrin ein kleiner Däne, den der deutsche Durchschnitts-Fan nicht einmal kennt. Manch einer argumentiert, dass Simonsen stets der Glanz eines ganz großen Spielers fehlte. Andere begründen die verhältnismäßige Unbekanntheit des Rechtsaußens mit seinen fehlenden Auftritten auf der ganz großen Bühne. Egal welchen Grund man anführt, alle führen zu einer Tatsache: Allan Simonsen steht völlig zu Recht in einer Reihe mit den Größen der Fußballgeschichte und darf getrost als einer der besten Spieler aller Zeiten angesehen werden.

Durchbruch bei Olympia

Am 15. Dezember 1952 erblickte Simonsen in Vejle das Licht der Welt. Während sich der Rest Europas nur langsam von der Wucht des zweiten Weltkrieges erholte und zerstörte Städte auch in den Fünfzigern noch schwer gebeutelt waren, war im an Dänemarks Ostküste liegenden Städtchen Vejle die Welt in Ordnung. Trümmer kannte man nur aus dem "Jyllands Posten", Dänemarks größter Tageszeitung. In Simonsens Kindheit versuchte der sozialdemokratische Ministerpräsident Hans Christisan Svane Hansen Dänemark als Partner der europäischen Schwergewichte zu etablieren um die Wirtschaft anzukurbeln. Das Gedankengut in Deutschlands nördlichem Nachbarland war bereits in den Fünfzigern liberal und demokratisch, Simonsen wurde dadurch in Kindheit und Jugend nachhaltig beeinflusst.

Kleiner als die anderen war er immer gewesen. Der auch als Mann nur 1,68 Meter große Außenstürmer kaschierte in der Kindheit seine körperlichen Defizite durch seine Schnelligkeit. Beim Fangenspielen konnte er selten gehalten werden. Seine Haken waren zu viel für seine größeren Spielkameraden. Lustig, dass man diesen Satz exakt so auch über die Karriere der dänischen Ikone sagen kann. Zu Beginn der Sechsziger meldete sein Vater ihn beim örtlichen Fußballverein an. Eigentlich sollte Simonsen durch den Fußball nur seinen großen Bewegungsdrang befriedigen.

Die Idee des Vaters sollte Dänemark einen seiner besten Spieler schenken und der Bundesliga einen Ausnahmekönner, der die Fohlenelf prägte. In der Jugend des FK Vejle fiel Simonsen sofort auf, weil er trotz seiner geringen Körpergröße unfassbar schnell und talentiert war. Er hatte ein damals aufgrund mangelnder, fußballerischer Ausbildung rares Gespür für seine Bewegungen und eine überragende Antizipation für die Abwehrversuche des Gegners.

Im März 1971 holte der Trainer der Profimannschaft, Jószef Szentgyörgyi, Simonsen in den Kader.

Der Ungar war in seinem Trainerstil stark von Ungarns Wundermannschaft beeinflusst. Durch seine Liebe zum offensiven Spiel der 1954er um Puskás und Hidekguti verzichtete er auf die damals üblichen kantigen Mittelstürmer und setzte in der gesamten Offensiv-Reihe schnelle und technisch gute Spieler ein. Ein Spielertyp, den Simonsen in Perfektion verkörperte. Nur weil Szentgyörgyi das Können seiner Spieler über die körperlichen Attribute stellte, konnte der beste Spieler der Vejler Vereinsgeschichte überhaupt im harten Männersport Fuß fassen. Und wie. In seinen zwei Jahren holte er als Rechtsaußen zwei Meistertitel und einen Pokalsieg. Simonsen erzielte dabei in 41 Spielen 16 Tore. Grund dafür war sein häufiges Einrücken. Im Gegensatz zu vielen anderen Außenspielern beschränkte er sich nicht auf Flanken und das Kleben an der Außenlinie. Der heute durch Spieler wie Robben nicht mehr aus dem Repertoire des modernen Außenbahnakteurs weg zu denkende Weg zum Tor war eines der Kennzeichen Simonsens und ein Grund für seine Torgefahr. Sein Spiel erinnerte an den torgefährlichen Ungarn Boszik, ein Spieler in dessen Stil Simonsens Coach seine Außenspieler agieren sehen wollte.

Die Leistung vom Spatz aus Vejle wurde auch in Verbandskreisen registriert. Als Lohn wurde Simonsen zu den Olympischen Spielen 1972 in München berufen, ein entscheidender Punkt in der Karriere des flinken Stürmers. Denn Scouting war damals für die meisten Vereine noch ein absolutes Fremdwort. Der Faktor Zufall spielte eine große Rolle.

Die von der Geiselnahme und Ermordung israelischer Athleten überschatteten Sommerspiele wurden für Simonsen zum absoluten Glücksfall. In den sechs Spielen der Dänen in Vor- und Zwischenrunde erzielte der Rechtsaußen drei Tore und begeisterte das deutsche Publikum mit spektakulären Solos. Auf der Tribüne des Olympiastadions in München saß unter anderem ein gewisser Hans Hennes Weisweiler, Trainer von Borussia Mönchengladbach.

Der Zweikampf mit dem FC Bayern war bereits in vollem Gange, in der Vorsaison hatten die Münchner den Titel geholt. Um das Lattek-Team in der Saison 1972/73 wieder zu attackieren, war Weisweiler nach München gereist, um Spieler für sein System zu finden. Er setzte auf Offensiv-Fußball und lockerte die zementierten Vorstellungen der Positionen im Fußball. Seiner Meinung nach sollten sich alle Spieler am Angriff beteiligen und gleichzeitig alle Spieler gemeinsam verteidigen, ein simpler Gedanke, der heute elementarer Teil des modernen Fußballs ist.

Der intellektuelle Fußballlehrer holte Simonsen für 200.000 Mark, damals sehr viel Geld, nach Mönchengladbach. Der Transfer des Talents sollte erstens eine Ansage an die Bayern sein und zweitens die Umstrukturierung, die in der Vorsaison nach zwei Meistertiteln begonnen hatte, weiter fortsetzen. Nach dem Titel 1971 hatten mit Laumen, Köppel und Dietrich drei Stammspieler die Borussia verlassen, Weggänge, die man im Folgejahre trotz der Rückhol-Aktion von Jupp Heynckes nicht kompensieren konnte und die man jetzt durch Simonsen endgültig vergessen machen wollte.

"Den pusten sie doch um"

Es kam anders. In den nächsten beiden Jahren gewann der FC Bayern die Meisterschaft und machte so das Titel-Triple perfekt - ein Novum in der noch jungen Geschichte der Bundesliga.

Die Borussia wurde nur 5. und 2. Simonsen kam in beiden Spielzeiten lediglich 17 Mal zum Einsatz und erzielte magere zwei Tore. Der Däne war mit der Körperlichkeit und den eisenharten Manndeckern überfordert, der Sprung war zu groß. Zwar erleichterte sein dänischer Teamkollege Le Fevre ihm die Anfangszeit, auf dem Platz half das wenig. Beim durch Netzers Selbsteinwechslung legendär gewordenen Pokalsieg 1973 gegen Köln der Borussia war er kein Faktor.

Spielmacher Netzer hatte sich nach den ersten Trainingseindrücken Simonsens zu dem berühmten Satz hinreißen lassen: "Den pusten sie doch um." - und schien Recht zu behalten. Auch Weisweiler gab nach der Saison 1973/74 resigniert zu Protokoll, dass der Simonsen-Transfer gescheitert sei.

Dass Simonsen vier Jahre später als bester Spieler Europas ausgezeichnet wurde hing eng mit der Personalie Netzer zusammen. Denn der polarisierende Spielmacher verließ Gladbach nach dem Pokalsieg 1973 und wurde Teil des königlichen Ensembles von Madrid. Der Weggang des autoritären Führungsspielers schuf Platz für eine neue Hierarchie. Der Grundstein für die Renaissance der jungen Wilden, für die nächste Generation der Fohlenelf, war gelegt. Man konnte die Bürde der Meistermannschaft von 70 und 71 ablegen und mit einer gesunden Mixtur aus dem alten Team und neuen Spielern ein neues Kadergefüge schaffen, das harmonischer, als das von Netzer regierte zuvor, war.

Bereits die Vizemeisterschaft 1974 hatte angedeutet zu was Gladbach noch fähig sein würde. Der prognostizierte Absturz ohne den Schlüsselspieler Netzer blieb aus.

Die Saison 1974/75 wurde schließlich zum Triumph der neuen Fohlen. Die Entwicklung des Vereins wurde im Sommer 74 weiter fortgesetzt und Führungsspieler wie Rupp, Michallik und Sielloff durch No-Names wie Del Haye oder Schäffer ersetzt. Und eben durch Allan Simonsen.

Borussia spielte wie im Rausch und erzielte insgesamt 86 Tore. 18 davon gingen auf das Konto vom "Spatz aus Veyle". Der Durchbruch. Endlich.

Der Grund für die Leistungsexplosion war vor allem ein relativ simpler: Vertrauen.

Sobald der Druck weg war sofort funktionieren zu müssen, lief es beim Rechtsaußen, der zusammen mit Mittelstürmer Heynckes und Linksaußen Jensen, ebenfalls Däne, eine der besten Angriffsreihen Europas bildete, die in der Liga gemeinsam auf 58 Treffer kam. Außerdem machte sich endlich das harte Training bezahlt und Simonsen war, obwohl noch immer klein, kraftvoller und dynamischer als bei seinem Wechsel.

Die Meistermannschaft der Borussia zeichnete sich durch schnellen Kombinationsfußball mit vielen Direktpässen aus. Der Torjäger Heynckes wurde mit Jensen und Simonsen von zwei trickreichen und schnellen Spielern flankiert. Im Mittelfeld waren Wittkamp, Wimmer und vor allem der Welt- und Europameister Rainer Bonhof Schlüsselfiguren, während hinten Abwehrchef Vogts und Ikone Kleff wichtige Bausteine in Weisweilers Taktik waren.

Auch international gelang der Ausnahmemannschaft von 75 ein Meilenstein in der Vereinshistorie. Im Uefa-Cup Finale bezwang man Twente Enschede in zwei Spielen (0:0, 5:1). Simonsen erzielte zwei Tore beim Rückspiel-Erfolg der Fohlen.

Nach der Saison ein Paukenschlag. Der Mann, der die Fohlen geboren hatte, verließ den Bökelberg und wechselte zum FC Barcelona. Hennes Weisweiler ging nach Katalonien. Ein Schock für die Spieler, die in Weisweiler immer eine Vaterfigur gesehen hatten. Mit Udo Lattek kam ausgerechnet der Gegenspieler Weisweilers, der mit dem FC Bayern in den letzten Jahren drei Meistertitel und einen Erfolg im Europapokal der Landesmeister geholt hatte.

Auch für den sensiblen Simonsen war die Situation schwer. Denn sein Entdecker, der ihm endlich das Vertrauen geschenkt hatte, und ihn zu dem starken Spieler gemacht hatte, der er nun war, gehörte nun der Vergangenheit an.

Torwart Kleff beschrieb das ganze so: "Spieler wie Simonsen und Bonhof waren anfänglich, als sie zu uns kamen, wirklich blind. Weisweiler hat sich die Zeit genommen und mit ihnen intensiv gearbeitet und sie zu dem geformt, was sie später wurden - internationale Topstars."

Und der Torhüter trifft Weisweilers Arbeit mit seinem dänischen Juwel im Kern.

Der Trainer lehrte Simonsen sein Verhalten auf dem Spielfeld an die Gegebenheiten an zu passen, sein Repertoire breiter aufzustellen und seine Dribblings gezielter einzusetzen. Vorher hatte sich die Nummer Sieben der Fohlen stets auf die eigene Stärke und Schnelligkeit verlassen. Jetzt las er jede noch so kleinste Bewegung des Gegenspielers, eine Fähigkeit, die er intuitiv bereits in seiner Anfangszeit in Vejle gezeigt hatte. Setzte sein Kontrahent zum Tackling an, nutzte Simonsen das eiskalt aus und zog unwiderstehlich vorbei. Sein Stil, den er in den Folgejahren noch perfektionierte, erinnerte an Iniesta in schnellerer Version und mit weniger Auge. Aber in ihren, in technischer Perfektion ausgeführten Aktionen gleichen sich die beiden sehr. Einen weiteren Zug in seinem Spiel verdankt der Stürmer seinem Mentor Weisweiler: seine Beidfüßigkeit. Mit links und rechts verstand der Däne es, erstaunlich explosiv und zielsicher abzuschließen.

Defensiv-Konzept unter Lattek

Neu-Borusse Lattek, der für sein Engagement den eigentlich schon perfekten Deal mit Rot-Weiß Essen platzen ließ, reagierte auf die kostspieligen Investitionen der Konkurrenz mit einer radikalen Änderung der Taktik. Damals verpönt, war sein Umschwung vom frischen Offensiv-Fußball hin zu defensivem Rasenschach die Voraussetzung für den großen Erfolg der Fohlen in den nächsten Jahren. Der knorrige Trainer installierte mit Uli Stielike einen Mann im Mittelfeld, dessen Hauptaugenmerk die Defensive war. Ein Staubsauger in Reinkultur, der erstens der Sturmreihe den Rücken frei hielt und zweitens den Mittelfeldspielern Bohnhof und Wimmer dynamische Vorstöße in die Räume vor der gegnerischen Abwehr ermöglichte. Lattek, heute der erfolgreichste Trainer der Bundesliga-Geschichte, erkannte, dass sein Team mit dem ästhetischen Spielstil nur erfolgreich sein könne, wenn dieser auf einem stabilen Fundament fußt. Simonsens Leistung tat das neue Sicherheitskonzept keinen Abbruch, der Däne war mit 16 Treffern erfolgreichster Borusse und erzielte das Tor zur Meisterschaft gegen Offenbach. Die zweite Meisterschaft in Folge war im Gegensatz zum Vorjahr ein Produkt von defensivem Spielstil und dem Kaschieren fehlender individueller Klasse in einigen Mannschaftsteilen durch das Kollektiv. So konnte man den frühen Ausfall des Torjägers Heynckes auffangen und stand am Ende trotzdem ganz oben. Für Lattek war es Genugtuung pur, denn erstens hatte er dem FC Bayern gezeigt, dass sie einen Top-Trainer entlassen hatten und zweitens hatte er alle Kritiker, die Weisweilers Erbe als zu komplex für Lattek betitelt hatten, Lügen gestraft. Die Tragik, die heute unter anderem wegen des bitteren Büchsenwurfes gegen Inter Mailand 1971, mitschwingt, wenn es um die Fohlen der 70er geht, bekam unter Weiweiler eine weitere Komponente hinzu und festigte die Sympathien der Gladbacher, trotz der nun defensiveren Spielweise, im ganzen Land. Grund dafür war das bittere Aus im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister gegen Real Madrid mit Paul Breitner. Nach einem spielerisch starken 2:2 im Hinspiel wurden der Borussia im Rückspiel, das 1:1 endete, vom holländischen Unparteiischen Leo van der Kroft zwei glasklare Treffer durch Jensen und Wittkamp aberkannt. Die traurige Pointe war, dass als Spielmacher der Königlichen ausgerechnet der ehemalige General der Fohlen, Günther Netzer, spielte. Gekrönt wurde im Finale in Glasgow nicht die beste Mannschaft, sondern mit dem FC Bayern ausgerechnet der zuletzt unterlegene Erzfeind aus dem Süden.

1977 wurde zum besten Jahr in Simonsens Karriere. Der Stürmer erzielte zwölf Tore in der Liga und schoss Gladbach national zum Titel-Hattrick und international bis ins Finale der Landesmeister gegen den FC Liverpool.

Am Vortag des großen Finales gegen die Star-Truppe von der Merseyside um Keegan und Dalglish der große Schock. Simonsen hatte sich einen Hexenschuss zugezogen.

"Jetzt ist alles aus. Ohne Allan haben wir keine Chance", kommentierte Vogts den drohenden Ausfall des Dänen und zeigte damit eindrucksvoll den Stellenwert, den der Stürmer inzwischen in Mönchengladbach hatte.

Simonsen lief angeschlagen auf, die Fohlen verloren die Partie trotz des 1:1-Treffers des Rechtsaußens. Schlüsselduell war dabei das der direkten Gegenspieler Vogts und Keegan. Obwohl Vogts sich permanent an die Fersen des Ausnahmestürmers heftete, gewann Liverpool mit 3:1 und bescherte Latteks Gegenüber, der Legende Bob Paisley, den Triumph.

Simonsens überragendes Jahr wurde dennoch honoriert. Als erster Däne und dritter Spieler der Bundesliga erhielt der Stürmer die verdiente Anerkennung für seine genialen Momente auf dem Platz und wurde als Europas Fußballer des Jahres 1977 ausgezeichnet. Kritiker des Dänen sagen, er erhielt den Preis nur stellvertretend für Gladbach, deren starke Leistungen in den 70ern Anerkennung erhalten sollte. Schaut man heute Spiele der Fohlen aus diesem Jahr, weiß man, dass das falsch ist und Simonsen ausschließlich aufgrund seiner Dribblings und Tore auf Platz eins gewählt wurde.

Trotz zahlreicher Premium-Angebote von Vereinen aus ganz Europa blieb Simonsen, inzwischen 27, noch zwei weitere Jahre bei der Borussia und krönte sich und den Verein 1979 in seinem letzten Jahr mit einem weiteren Erfolg im Uefa-Cup. In acht Partien erzielte der kleine Däne acht Tore, darunter das Tor zum Cup-Gewinn gegen Roter Stern Belgrad. Von den namhaften Akteuren der Fohlenelf war neben Simonsen einzig Kapitän Vogts übrig. Lienen, Schäffer, Hannes und Kneib hießen die Spieler der Borussia in dem Jahr, dass das Ende einer beeindruckenden Ära darstellte. Einer Ära, die ein Sinnbild von David gegen Goliath war und in der Borussia Mönchengladbach Fußball spielte wie ein Champion. Vom Glanz der Fohlenelf von damals zehrt eine ganze Stadt noch heute und neigt zu vorschnellen Schlüssen, wenn etwa Talente wie Broich am Titel "Neuer Netzer" zerbrechen.

Simonsen wechselte danach für 1,3 Millionen Mark zum großen FC Barcelona und holte einen Pokalsieg und gemeinsam mit Lattek 1982 den Europapokal der Pokalsieger. Auch in Katalonien zeigte der Däne sein Können und erzielte 98 Spielen 31 Treffer. Als mit Maradona ein dritter Ausländer kam, der zudem zum neuen Heilsbringer hochstilisiert wurde, entschied sich Simonsen gegen ein Engagement bei einem weiteren großen Verein und wechselte zu Charlton Athletic in die zweite englische Liga, ehe er in seiner Heimat als Held und Superstar bei seinem Heimatverein FK Vejle anheuerte, wo er 1984 13 Jahre nach seinem letzten Triumph mit den Jütländern eine weitere Meisterschaft in seiner Vita aufnehmen konnte.

Spät kam auch der Erfolg mit der dänischen Nationalmannschaft, mit der er sich als Kapitän für die EM 1984 qualifizierte. Im ersten Spiel gegen Frankreich brach sich Simonsen in einem harten Zweikampf mit Roux das Bein. Den Vormarsch seines Teams bis ins Halbfinale musste der Spatz todtraurig aus dem Krankenhaus verfolgen. Dennoch war er auch im Trikot der Nationalelf erfolgreich und schoss in 55 Spielen 20 Tore. Trotz hohen Alters ließ er sich die WM 1986 in Mexiko nicht nehmen, kam aber als Ergänzungsspieler nicht über einen Einsatz gegen Deutschland hinaus.

Die Siebziger waren ein Fußball-Jahrzehnt, das heute wohl etwas zu romantisierend angesehen wird. Dennoch war es eine Episode, in der ein Verein Geschichte schrieb und vom kleinen Klub aus der Provinz zu einem der besten Vereine in Europa aufstieg. Sie waren junge, langhaarige Männer, die zeigten, warum der Fußball eine solch wuchtvolle Wirkung auf seine Zuschauer entfaltet. Warum es nach dem Anpfiff doch nur noch um 22 Männer und ein rundes Leder geht und nicht um Geld, Transfers oder Prognosen. Die Siebziger schufen die Legende der Fohlenelf mit Netzer, Vogts, Bohnhof, Heynckes, Kleff, Jensen und Wimmer. Mit den Trainer-Koryphäen Weisweiler und Lattek.

Und mit einem 1,68-großen Dänen mit dem Namen Allan Simonsen, der in 178 Bundesligaspielen 76 Tore schoss. Der Spatz, der schon wieder verkauft werden sollte und der sich anschließend zum besten Akteur ganz Europas entwickelte. Der Spieler, der niemals wieder in einer Geschichte über den Fußball der goldenen Siebziger vergessen werden sollte und der endlich den Ruhm bekommen muss, den er verdient. Den Ruhm, den seine Vorgänger und Nachfolger längst erhalten haben. Die Zidanes, die Beckenbauers, die Eusébios und die Cruyffs.

KOMMENTARE
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heideljünter
05.04.2014 | 16:57 Uhr
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heideljünter : Für mich der Gößte
05.04.2014 | 16:57 Uhr
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heideljünter : Für mich der Gößte
Uunvergessen die vielen Situationen, in der Nordkurve stehend, wie Simonsen mit dem Ball am Fuß auf das Tor zu läuft, und Du wusstest nicht, was er als nächstes machen würde (wusste er wahrscheinlich selber nicht), aber Du wusstest genau: der ist drin. Erinnerungen, die mir vier Jahrzehnte später - im besten Alter - immer noch eine Gänsehaut bescheren.
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Broich
06.04.2014 | 22:57 Uhr
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Broich : 
06.04.2014 | 22:57 Uhr
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Broich : 
Neuer Blog: http://www.spox.com/myspox/blogdetail/King-George,208192.html
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oakmountain
28.08.2014 | 17:41 Uhr
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oakmountain : Großartig.
28.08.2014 | 17:41 Uhr
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oakmountain : Großartig.
Alan. Mein Idol. Mein Vater hat mich so immer genannt.
Danke für den Blog, Thomas. Super geschrieben.
Finde es schade, dass Du nicht länger für die Fohlen gespielt hast, kann aber Deinen Weg verstehen.
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