Ein bisschen traurig und müde sieht er immer aus, der Domenico Tedesco. Wie ein Monchichi mit Wachstumsstörung, die Kulleraugen immer in zärtlicher Begleitung von Augenringen, die bestimmt in erster Linie vom Schlafmangel herrühren, der entsteht, wenn man nächtelang wachliegt und darüber nachsinniert, warum die eigene Mannschaft nicht checkt, wie sie eigentlich Fußball spielen sollte. Tedescos Idee von Fußball kann man erahnen, wenn man sich die ersten Saisonspiele noch einmal anschaut. Schnelles Umschaltspiel wollte der gebürtige Kalabrier etablieren, mutig nach vorne spielen. Gegenpressing. Überfallartige Konter. Modernen, ballorientierten Fußball, wie ihn die Dortmunder oder Gladbacher mittlerweile eingeübt und präsentiert haben.
Doch dann kam der Saisonstart mit unerklärlichen individuellen Fehler, fehlendem Verve im Spiel nach vorn, Ideenlosigkeit und Trägheit, die in fünf Niederlagen am Stück resultierten. Standards, die nicht funktionieren, fehlende Kaltschnäuzigkeit - und ein Rückfall in alte Zeiten, der Tedesco dazu veranlasste, wieder die Spielweise der vergangenen Saison herauszukramen. Lange war deshalb Heulen und Zähneklappern angesagt auf Schalke, die Saison war im Prinzip schon nach fünf Spieltagen abgehandelt, die sportliche Leitung desillusioniert, das Umfeld genervt, die Spieler frustriert, die Trainer hilflos. Noch vor der Saison war die Euphorie groß - auch und gerade bei Tedesco, dessen Einzigartigkeit sich allein schon dadurch ausdrückt, dass er als bislang einziger Cheftrainer der Königsblauen auf das Capo-Podest vor der Nordkurve beordert wurde und mit den Fans sang - eine Ehre, die nur besonderen Lieblingen der Knappen zuteil wird. Trotz des Pragmatismus, den seine Mannschaft auf dem Feld zum höchsten aller Werte erhoben zu haben schien. Vorbei war es mit den Zielen, die man vor der Saison noch beschrieben hatte - Ballbesitzfußball, Dominanz, Begeisterung. Vielleicht mangelte es denjenigen, die genau das umsetzen sollten, am Glauben und an der Überzeugung.
Und da lag der Hase im Pfeffer: eine spielerische Verbesserung bekommt Schalke nur dann hin, wenn neben taktischen und theoretischen Erwägungen auch die individuelle Qualität der Spieler besser wird. Spielkultur bekommst du nur, wenn die einzelnen Akteure auch in der Lage sind, deinen Vorstellungen zu folgen. Spieler wie Rudy, Uth, Bentaleb oder Harit bringen zwar ein irrsinniges Potenzial mit, riefen dieses aber nicht konstant genug ab. Und genau das ist dann auch irgendwann keine Frage von Talent mehr... sondern von Qualität. Tedesco weiß das, und er arbeitet akribisch daran, genau diese Konstanz zu verbessern. Ein Blick in die Statistik scheint ernüchternd - man ist im unteren Mittelmaß angekommen, wenn es um die Erarbeitung und Verwertung von Chancen geht. Offensiv harmlos und ideenarm, defensiv fahrig und - gerade bei Standardsituationen - oft luschig, gespickt mit individuellen Patzern, garniert mit unverständlichen Schiedsrichterentscheidungen und Rotsperren, die bestenfalls fragwürdig anmuten... so fühlte sich die Saison bislang speziell in der Hinrunde aus Schalker Sicht an. Aber wie sagte Volker Pispers damals noch so schön über die "gefühlten" Temperaturen bei der Wettervorhersage? "Die wissen nicht nur, wie kalt et iss. Die wissen, wie kalt MIR iss!" Jeder Mensch macht sich seine Realität selbst, und sie besteht oft genug aus Erwartungen und Anforderungen, Gefühlen, Macht- und Befindlichkeitsspielchen. Das gilt auch und ganz besonders für einen hochemotionalen Klub wie Schalke, dessen Fanszene sich gerade durch diese Emotionen von anderen abgrenzt.
Tedesco hat verstanden, wie Schalke tickt, weil er sich mit Vereinslegenden wie Huub Stevens, Mike Büskens, Olaf Thon oder Gerald Asamoah nicht nur austauscht, sondern ihnen ehrlich und tatsächlich zuhört. Dass er die Pressevertreterinnen und -vertreter bei den Mediengesprächen mit "Glückauf" begrüßt, ist nicht nur Masche, sondern ein ehrlicher, authentischer Ausdruck von Wertschätzung gegenüber dem Verein und seiner Historie. Jedenfalls glaube ich ihm das, ich nehme ihm das ab, und genau so wird es auch Heidel oder Tönnies gehen, die ihn in der täglichen Arbeit und im täglichen Umgang erleben. Nach dem Fehlstart und den Querelen der letzten Monate steht Tedesco vergleichsweise unbeschädigt und sicher am Spielfeldrand. Die immer noch fehlende Durchschlagskraft in der Offensive kann ich ihm vielleicht auch deshalb leicht verzeihen, weil ich immer das Gefühl habe, dass er mit hundertprozentigem Einsatz für den Verein arbeitet, und weil er genau diese Leidenschaft vorlebt, die das Umfeld auch von den Spielern erwartet.
Die Aussichten für die Rückrunde sind deshalb auch viel rosiger, als man das mit dem mittlerweile etablierten Schalker Grundpessimismus vielleicht erwarten würde. Mit Matondo und Kutucu spielen zwei hoffnungsvolle Talente auf, die für einen Qualitätsschub gesorgt haben, der sich sogar schon in Toren ausgedrückt hat (gerade etwa im Pokalspiel gegen die Fortuna). Mit Jeffrey Bruma steht ein knallharter, erfahrener Innenverteidiger zur Verfügung, der nach seiner Zeit in Wolfsburg durchaus noch einmal beweisen wollen dürfte, dass man ihn dort zu Unrecht ausgebootet hat. Die Verletztenliste wird sich nach und nach verkürzen, mit Harit hat Tedesco nach der Begnadigung durch den Mannschaftsrat noch eine zusätzliche Offensivoption im Köcher, und auch gegen Manchester City muss man nicht unbedingt eine zweistellige Niederlage kassieren. Genug Anlass jedenfalls, um auf Schalke mit Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft zu blicken. Und vielleicht einmal eine Gelegenheit, um den schweren Mantel der fünf Niederlagen zu Saisonbeginn endlich abzustreifen. So hätte es sich auch der legendäre Rudi Assauer gewünscht.
Ein Blick in die... Zukunft?
Der erste Tag vom Rest der Saison
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